07.12.2012 · IWW-Abrufnummer 130176
Landesarbeitsgericht Köln: Urteil vom 11.10.2012 – 6 Sa 641/12
Die Frage nach einer Schwangerschaft bei der Einstellung ist wegen ihrer geschlechtsdiskriminierenden Wirkung grundsätzlich unzulässig. In aller Regel besteht auch keine Offenbarungspflicht der Arbeitnehmerin. Dies gilt selbst dann, wenn sie befristet als Schwangerschaftsvertretung beschäftigt werden soll.
Tenor:
1. | Die Berufung der Beklagten gegen das am 26.04.2012 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Bonn - 3 Ca 168/12 - wird zurückgewiesen. |
2. | Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung. |
3. | Die Revision wird nicht zugelassen. |
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Beendigung eines befristeten Arbeitsverhältnisses nach einer Anfechtung wegen arglistiger Täuschung.
Am 30.09.2011 unterzeichneten die Parteien einen Arbeitsvertrag (Kopie Bl. 4 ff. d. A.), wonach die Klägerin ab dem 05.10.2011 befristet bis zum 31.01.2013 als Rechtsanwaltsfachangestellte gegen eine monatliche Vergütung von 1.700,00 € brutto eingestellt wurde. Im November 2011 informierte die Klägerin die Beklagte über das Bestehen einer Schwangerschaft mit einem errechneten Geburtstermin vom 19.05.2012. Unter dem 03.01.2012 richtete die Beklagte folgendes Schreiben an die Klägerin:
"Sehr geehrte Frau ...,
Sie teilten uns unlängst mit, dass Sie schwanger sind. Die Schwangerschaft war Ihnen schon zum Zeitpunkt der Eingehung des Arbeitsverhältnisses bekannt. Dies haben Sie selbst gegenüber weiteren Mitarbeiterinnen bestätigt.
Damit haben Sie uns getäuscht. Wir hätten mit Ihnen niemals einen befristeten Arbeitsvertrag abgeschlossen, der selbst einer Schwangerschaftsvertretung dienlich sein sollte. Wir sprechen hiermit
die Anfechtung des Arbeitsvertrages wegen arglistiger Täuschung aus. ..."
Gegen diese Anfechtung hat sich die Klägerin mit der am 19.01.2012 eingegangenen Klage gewendet.
Durch Urteil vom 26.04.2012 hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die Anfechtung der Beklagten vom 03.01.2012 beendet worden sei, weil die Klägerin mangels entsprechender Aufklärungspflicht keine arglistige Täuschung begangen habe.
Mit ihrer Berufung verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter und trägt vertiefend vor, sie sei von der Klägerin bei Vertragsschluss arglistig getäuscht worden. Wäre sie nämlich von der Klägerin über die dieser bereits bekannte Schwangerschaft unterrichtet worden, so hätte sie natürlich nicht die Klägerin eingestellt, weil diese ja gerade eine Schwangerschaftsvertretung habe übernehmen sollen.
Die Beklagte beantragt,
die Klägerin unter Aufhebung des Urteils des Arbeitsgerichts Bonn vom 26.04.2012 - 3 Ca 168/12 - abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie bestreitet, bei der Einstellung von dem Bestehen der Schwangerschaft gewusst zu haben. Im Übrigen verteidigt sie das angefochtene Urteil aus Rechtsgründen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes haben die Parteien auf die von ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I. Die Berufung der Beklagten ist zwar zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 u. 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).
II. In der Sache hat das Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg.
Die Klage ist begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Anfechtung der Beklagten nicht beendet worden. Eine arglistige Täuschung seitens der Klägerin lag nicht vor. Im Einzelnen gilt Folgendes:
Die Klägerin war bei Vertragsschluss nicht verpflichtet, das Bestehen einer Schwangerschaft zu offenbaren. Das Verschweigen von Tatsachen stellt nur dann eine Täuschung dar, wenn hinsichtlich der verschwiegenen Tatsachen eine Aufklärungspflicht besteht. Es kommt entscheidend darauf an, ob der Vertragspartner nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung redlicherweise Aufklärung erwarten durfte. Das ist im Hinblick auf eine Schwangerschaft zur Vermeidung einer Geschlechtsdiskriminierung zu verneinen. Gleiches gilt für eine entsprechende Frage des Arbeitgebers, die nach § 3 Abs. 1 S. 2 AGG als unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts zu bewerten ist (vgl. noch zu § 611 a BGB a. F. BAG 06.02.2003 - 2 AZR 621/01, [...]; ErfK/Preis, 12. Aufl., § 611 BGB Rz. 274; HWK/Thüsing, 5. Aufl., § 123 BGB Rz. 24). Die unmittelbar diskriminierende Wirkung hat die Beklagte selbst bestätigt, indem sie ausgeführt hat, sie hätte die Klägerin natürlich nicht eingestellt, wenn diese sie über die bereits bei Vertragsunterzeichnung bekannte Schwangerschaft informiert h ätte.
Soweit sich die Beklagte auf eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 08.09.1988 (2 AZR 102/88, [...]) beruft, ist diese Rechtsprechung schon deshalb nicht einschlägig, weil hier die Vertragsdurchführung nicht wegen eines mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbots gänzlich unmöglich war. Es kann dahinstehen, ob eine Ausnahme von der grundsätzlichen Unzulässigkeit der Frage nach der Schwangerschaft in Fällen eines dauerhaften oder partiellen Beschäftigungsverbots auch mit der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs vereinbar ist (kritisch ErfK/Preis, § 611 BGB Rz. 352; HWK/Thüsing, § 123 BGB Rz. 24; beide m. w. N.). Jedenfalls dann, wenn - wie hier - eine Vertragsdurchführung zunächst ohne weiteres möglich ist, gibt es für eine solche Ausnahme unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs keinen Anlass. Unstreitig ist das Arbeitsverhältnis auch bis zur Anfechtungserklärung Anfang Januar 2012 tatsächlich praktiziert worden.
Auch die Tatsache der Befristung des Arbeitsverhältnisses führt zu keiner anderen Beurteilung. Zwar hat das Bundesarbeitsgericht die Unzulässigkeit einer Frage nach der Schwangerschaft bislang ausdrücklich nur für den Fall einer unbefristeten Einstellung festgestellt (BAG 06.02.2003 - 2 AZR 621/01, [...]). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (04.10.2001 - C - 109/00, [...]) gilt dies aber auch dann, wenn ein befristeter Arbeitsvertrag begründet werden soll und feststeht, dass die Bewerberin während eines wesentlichen Teils der Vertragszeit nicht arbeiten kann. Aufgrund dieser Rechtslage, die aus Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 76/207/EWG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg folgt, bestand im Streitfall weder ein Fragerecht des Arbeitgebers noch eine Offenbarungspflicht der Arbeitnehmerin, und zwar selbst für den Fall, dass ihr die Schwangerschaft bei Vertragsschluss bekannt war.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
IV. Die Revision war nicht gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG zuzulassen. Insbesondere hatte die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung, weil die entscheidungserheblichen Rechtsfragen höchstrichterlich geklärt sind und die Entscheidung im Übrigen auf den besonderen Umständen des Einzelfalls beruht.