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  • · Fachbeitrag · Berufsunfähigkeitsversicherung

    In diesen Fällen muss eine Parkinsonerkrankung ungefragt nicht angegeben werden

    | Wird im Antragsformular für eine Berufsunfähigkeitsversicherung nicht nach neurologischen Erkrankungen gefragt, ist der Antragsteller auch nicht verpflichtet, eine ihm bekannte Erkrankung an Parkinson „spontan“ anzugeben. Es kann sich jedoch aus anderen Gründen eine Offenbarungspflicht des VN ergeben. So entschied es das OLG Dresden. |

    1. Die Grundsätze zur Anzeigepflicht des VN

    Der VN muss bei Vertragsschluss seinen Anzeigepflichten nachkommen. Der VR kann den Vertrag nach § 22 VVG i. V. m. §§ 123 ff. BGB anfechten, wenn der VN seine Offenbarungspflicht arglistig verletzt. Die Voraussetzungen für eine solche Anfechtung des VR sind Folgende:

     

    Übersicht / Voraussetzungen für das Anfechtungsrecht des VR

    • Voraussetzung ist, dass der VN gefahrerhebliche Umstände kennt, sie dem Versicherer wissentlich verschweigt und dabei billigend in Kauf nimmt, dass der VR sich eine unzutreffende Vorstellung über das Risiko bildet und dadurch in seiner Entscheidung über den Abschluss des Versicherungsvertrags beeinflusst werden kann.
    • Der künftige VN muss die in einem Versicherungsformular gestellten Gesundheitsfragen grundsätzlich erschöpfend beantworten (BGH 19.3.03, IV ZR 67/02).
    • Er darf sich daher bei seiner Antwort weder auf Krankheiten oder Schäden von erheblichem Gewicht beschränken noch sonst eine wertende Auswahl treffen und vermeintlich weniger gewichtige Gesundheitsbeeinträchtigungen verschweigen.
    • Er muss auch solche Beeinträchtigungen angeben, die noch keinen Krankheitswert haben. Wie diese Gesundheitsbeeinträchtigungen zu bewerten sind, ist Sache des VR.
    • Diese weit gefasste Pflicht zur Offenbarung findet ihre Grenze nur bei Gesundheitsbeeinträchtigungen, die offenkundig belanglos sind oder alsbald vergehen.
    • Ob eine bei Antragstellung anzuzeigende Gesundheitsstörung oder eine nicht anzeigepflichtige Befindlichkeitsstörung vorliegt, ist unter Berücksichtigung aller Gesamtumstände zu beurteilen. Abzustellen ist auf das Gesamtbild, das die Erkrankungen über den Gesundheitszustand des VN vermittelten (OLG Dresden 18.9.20, 4 U 1059/20).
     

    2. VN hat keine spontane Anzeigepflicht bei Parkinson

    Fragt der VR in seinem Fragebogen explizit nach einer Parkinsonerkrankung, muss diese natürlich angegeben werden. Das gilt unabhängig davon, ob bereits eine Einschränkung der beruflichen Leistungsfähigkeit vorliegt.

     

    Fragt der VR dagegen nicht nach einer Parkinsonerkrankung, muss der VN diese nicht als neurologische Erkrankung im Rahmen einer spontanen Anzeigepflicht angeben. Diese Klarstellung traf das OLG Dresden (21.3.24, 4 U 1975/23, Abruf-Nr. 241249). Es begründet seine Entscheidung so:

     

    Arbeitshilfe / Argumente gegen eine spontane Offenbarungspflicht

    • Es besteht keine Offenbarungspflicht, da der VR hiernach nicht in Textform gefragt hat, § 19 Abs. 1 S. 1 VVG.

     

    • Zwar kann sich über die Anzeigepflicht hinaus aus Treu und Glauben auch eine Aufklärungspflicht des VN in Bezug auf nicht oder nicht ordnungsgemäß in Textform erfragte Umstände ergeben. Grundsätzlich darf sich aber der VN darauf verlassen, dass der VR die aus seiner Sicht gefahrerheblichen Umstände erfragt.

     

    • Es kann dem VN daher in der Regel nicht als Verstoß gegen Treu und Glauben angelastet werden, wenn er den Fragenkatalog des VR als abschließend ansieht und keine weitergehenden Überlegungen dazu anstellt, welche Umstände für den VR darüber hinaus von Interesse sein könnten.

     

    • Nach der gesetzlichen Wertung muss zunächst der VR die Umstände mitteilen, die er für gefahrerheblich ansieht. Eine spontane Anzeigepflicht besteht daher nur bei Umständen, die zwar offensichtlich gefahrerheblich, aber so ungewöhnlich sind, dass eine auf sie abzielende Frage nicht erwartet werden kann (vgl. OLG Celle 9.11.15, 8 U 101/15; im Ergebnis auch OLG Karlsruhe 20.4.18, 12 U 156/16).

     

    • Diese Umstände bestehen bei neurologischen Erkrankungen, zu denen auch Parkinson gehört, gerade nicht, da diese nicht ungewöhnlich sind.

     

    • Zudem bezieht sich die Erklärung, deren Abgabe der VR in dem Versicherungsantrag verlangt hat, auf unterschiedliche Krankheitsbilder, darunter aber nicht Erkrankungen des Nervensystems. Der VN musste daher nicht davon ausgehen, dass er ungefragt Angaben zum Parkinson als neurologische Erkrankung machen musste.

     

    • Die Gestaltung der Erklärungen ist für den durchschnittlichen VN, auf dessen Sicht es insoweit ankommt (vgl. BGH 23.6.93, IV ZR 135/92), so zu verstehen, dass den VR eine entsprechende Erkrankung dann nicht interessiert, wenn die vorformulierte Erklärung abgegeben werden konnte.

     

    • Der VR konnte umgekehrt nicht erwarten, dass Fragen, die er nur unter bestimmten Umständen stellt, durch Antragsteller von sich aus auch dann beantwortet werden, wenn die entsprechenden Voraussetzungen nicht vorliegen.
     

    3. Andere Gründe für eine Offenbarungspflicht

    Es kann sich sich jedoch aus anderen Gründen eine Pflicht des VN ergeben, auf die Parkinsonerkrankung hinzuweisen. Dennn auch wenn der VR nicht ausdrücklich nach einer Parkinsonerkrankung fragt, kann sich eine Offenbarungspflicht aus den anderen Fragen des VR ergeben.

     

    Das OLG Dresden hat das im vorliegenden Fall angenommen. Es war der Ansicht, der VN hätte bei der Beantwortung der Gesundheitsfragen die ihm obliegenden Offenbarungspflichten objektiv verletzt und den VR insoweit über seinen Gesundheitszustand arglistig getäuscht.

     

    Das folge daraus, dass der VR im Formular auch nach „Erkrankungen oder Beschwerden des Bewegungsapparats“ gefragt hat. Solche hat der VN aber wissentlich verschwiegen. Denn ausweislich des Arztberichts der Uniklinik vom 2.6.15 lagen beim VN seit 2013 bemerkbare und sich seither schleichend verstärkende Beschwerden im rechten Arm und im rechten Bein im Sinne einer verminderten Beweglichkeit und Unterbrechungen bei feinmotorischen Bewegungen sowie ein Rigor im rechten Handgelenk und Ellbogengelenk vor. Die Falschbeantwortung der Frage nach „Beschwerden des Bewegungsapparates“ innerhalb der letzten zwei Jahre ist auch relevant, weil die vom VN verschwiegenen Umstände von ihm offensichtlich nicht als belanglos eingeschätzt wurden und einzustufen sind.

     

    Merke | Ob eine bei Antragstellung anzuzeigende Gesundheitsstörung oder eine nicht anzeigepflichtige Befindlichkeitsstörung vorliegt, ist unter Berücksichtigung aller Gesamtumstände zu beurteilen. Abzustellen ist auf das Gesamtbild, das die Erkrankungen über den Gesundheitszustand des VN vermitteln (OLG Dresden 18.9.20, 4 U 1059/20).

     

    Die beim VN u. a. während des Skifahrens aufgetretenen Beschwerden des Bewegungsapparats waren immerhin so erheblich, dass er bei seinem Hausarzt und bei einem Neurologen vorstellig wurde und umfangreiche Untersuchungen vornehmen ließ. Außerdem holte er bei der Uniklinik eine Zweitmeinung ein. Dass die von ihm wahrgenommenen Beschwerden letztlich auf die Diagnose „Parkinson“ zurückgeführt wurden, vermag ihn von der Anzeigepflicht nicht zu entlasten. Der VR hatte nämlich allgemein nach „Beschwerden des Bewegungsapparats“ und nicht nach deren Ursache oder Diagnose gefragt.

     

    Der VN hat diese offenbarungspflichtigen Umstände mit Täuschungsvorsatz verschwiegen. Es gibt zwar keinen allgemeinen Satz der Lebenserfahrung dahingehend, dass eine unrichtige Beantwortung von Fragen nach dem Gesundheitszustand immer oder nur in der Absicht erfolgt, auf den Willen des Versicherers Einfluss zu nehmen. Umgekehrt gilt aber auch, dass es sich bei der Arglist und dem Arglistvorsatz um eine innere Tatsache handelt, sodass der Beweis nur durch Indizien geführt werden kann. Dabei ist auf die konkreten Umstände und insbesondere auf die Art, Schwere und Zweckrichtung der Falschangaben, den Umfang der verschwiegenen Tatsachen, die Dauer der Störungen, die Auswahl der genannten und nicht genannten Befunde sowie die zeitliche Nähe zur Antragstellung abzustellen (OLG Brandenburg 11.12.18, 11 U 72/16; OLG München 30.3.12, 25 U 5453/09). Das starke Verharmlosen gewisser Umstände indiziert die Arglist hierbei ebenso, wie das Verschweigen entweder schwerer oder chronischer Erkrankungen (Nachweise bei Prölss/Martin, VVG, 30. Aufl., § 22 Rn. 15/16). Steht fest, dass Angaben beim Vertragsschluss objektiv falsch gewesen sind, trifft den VN zudem eine sekundäre Darlegungslast. In deren Rahmen muss er substanziiert und nachvollziehbar vortragen, wie und weshalb es dazu gekommen ist.

    Quelle: Ausgabe 07 / 2024 | Seite 121 | ID 50053010