· Fachbeitrag · Berufsrecht
BVerfG spricht ein Machtwort zum „Winkeladvokaten“
| Das OLG Köln hatte entschieden, dass sich ein Rechtsanwalt nicht als „Winkeladvokat“ bezeichnen lassen muss, sondern es sich hierbei um eine Beleidigung handelt ( 18.7.12, 16 U 184/11, Abruf-Nr. 122766 ). Das BVerfG hierzu: Die Äußerung fällt unter den Schutz der Meinungsfreiheit und ist keine Schmähkritik ( 2.7.13, 1 BvR 1751/12, Abruf-Nr. 132934 ). Die Vorinstanzen müssen deshalb eine neue Abwägung treffen. |
Das BVerfG hält in der Regel eine Abwägung zwischen der Schwere der Persönlichkeitsbeeinträchtigung durch die Äußerung einerseits und der Einbuße an Meinungsfreiheit durch ihr Verbot andererseits für erforderlich. Dabei sei die Abwägung der Zivilgerichte schon im Ansatz fehlerhaft, wenn eine Äußerung unzutreffend als Tatsachenbehauptung, Formalbeleidigung ‒ so das OLG ‒ oder Schmähkritik ‒ so das LG ‒ eingestuft werde, weil sie dann nicht im selben Maß am Schutz des Grundrechts teilnehme wie Äußerungen, die als Werturteil ohne beleidigenden oder schmähenden Charakter anzusehen sind.
MERKE | Eine Schmähkritik zielt auf die persönliche Verletzung einer Person und steht nicht im Zusammenhang mit einer Sachauseinandersetzung. Im konkreten Fall stand hingegen die Bezeichnung im Zusammenhang mit der vermeintlichen Verschleierung der Kooperationsform der handelnden Rechtsanwälte und deren Außendarstellung und damit einer Sachfrage. |
Dem OLG wirft das BVerfG vor, nicht fokussiert zu haben, dass die Äußerung nur gegenüber der Rechtsanwaltskammer und in einem Zivilprozess getroffen wurde, in dem nur die Prozessbeteiligten und das Gericht von ihr Kenntnis nehmen konnten. Das OLG befasste sich zwar ausführlich mit der Frage der Privilegierung der Äußerung, ist aber dem Ausnahmecharakter der Unzulässigkeit von Äußerungen im gerichtlichen Verfahren nicht gerecht geworden.
MERKE | Rechtsschutz gegenüber Prozessbehauptungen ist nur gegeben, wenn die Unhaltbarkeit der Äußerung auf der Hand liegt oder sich ihre Mitteilung als missbräuchlich darstellt (BVerfG NJW 00, 3196). Dafür reicht die bloße „Unangemessenheit“ oder „Unnötigkeit“ nicht aus. |
Hinzu kommt: Der Vorwurf des Winkeladvokaten bedeutet nur eine begrenzt gewichtige Herabsetzung allein in der beruflichen Ehre. Er betrifft den Kläger nur in seiner Sozialsphäre, zumal der Beschwerdeführer sich wörtlich allein auf die Kanzlei und nicht auf die Person bezogen und den Begriff Winkeladvokatur in Anführungszeichen gesetzt hat. Insgesamt haben LG und OLG das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Anwalts übergewichtet und verkannt, dass die Verurteilung zur Unterlassung einer Äußerung im Interesse des Schutzes der Meinungsfreiheit auf das zum Rechtsgüterschutz unbedingt Erforderliche beschränkt werden muss (BVerfG NJW 04, 1942), nicht aber den Zweck hat, die sachliche Richtigkeit oder Angemessenheit der betreffenden Meinungsäußerung in dem Sinne zu gewährleisten, dass zur Wahrung allgemeiner Höflichkeitsformen überspitzte Formulierungen ausgeschlossen werden.