· Fachbeitrag · Arbeitsrecht
Stichwort „genesungswidriges Verhalten“: Was darf der krankgeschriebene Arbeitnehmer?
von RAin Heike Mareck, Dortmund, kanzlei-mareck.de
| „Mitarbeiter der Kanzlei haben während einer ärztlich festgestellten Arbeitsunfähigkeit (AU) die Pflicht, das Bett zu hüten und Haus oder Wohnung nicht mehr zu verlassen“. Sollten Sie diese Auffassung vertreten, werden Sie vielleicht überrascht sein, dass diese nicht korrekt ist: Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung sind krankgeschriebene Arbeitnehmer nur verpflichtet, alles zu unterlassen, was ihre Genesung hinauszögern könnte. Daher ist genau zu prüfen, ob ein bestimmtes Verhalten des Mitarbeiters tatsächlich genesungswidrig ist. |
1. Zu unterlassen: offensichtlich genesungswidrige Aktivitäten
Vorweg sei klargestellt: Ein Mitarbeiter der Kanzlei muss während der AU weiterhin auf die schützenswerten Interessen des Arbeitgebers und Kanzleiinhabers Rücksicht nehmen, die sich u. a. aus der Pflicht zur Entgeltfortzahlung ergeben. Dies bedeutet, dass sich der arbeitsunfähige Mitarbeiter so verhalten muss, dass er möglichst bald genesen an seinen Arbeitsplatz zurückkehren kann.
MERKE | Eine Verletzung dieser arbeitsvertraglichen Treuepflicht ist aber nicht bei jeder Freizeitaktivität eines erkrankten Arbeitnehmers gegeben, sondern nur dann, wenn das Verhalten im Einzelfall den Genesungsprozess offensichtlich verzögert. |
Die bloße (abstrakte) Möglichkeit der ungünstigen Auswirkung auf den Krankheitsverlauf reicht dabei i. d. R. nicht aus. Andererseits ist der Arbeitnehmer gehalten, Aktivitäten während der AU bereits dann zu unterlassen, wenn ein solches Freizeitverhalten die Genesung ernsthaft verzögern könnte: So darf z. B. ein wegen Rückenbeschwerden krankgeschriebener Arbeitnehmer keine Tätigkeit als Ordner bei einem Fußball-Bundesligaspiel ausüben (LAG Hamm 16.9.05, 10 Sa 2425/04).
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Ein wegen Hirnhautentzündung krankgeschriebener ärztlicher Gutachter des medizinischen Dienstes der Krankenkassen fährt während seiner AU zum Skilaufen und bricht sich während dieser Gelegenheit ein Bein. Dieses Verhalten kann eine außerordentliche Kündigung des Arbeitgebers auch ohne vorherige Abmahnung rechtfertigen (BAG 2.3.06, 2 AZR 53/05). Gleiches gilt wegen der Offensichtlichkeit des genesungswidrigen Verhaltens auch bei der Teilnahme eines wegen Grippe erkrankten Mitarbeiters an einer Faschingsveranstaltung im Freien bei einer Außentemperatur von -5 °C (LAG Nürnberg 1.7.14, 7 Sa 498/13). |
2. Nicht jede Aktivität während der AU ist genesungswidrig
Eine andere Bewertung ist hingegen angebracht, wenn sich die Genesungswidrigkeit einer Freizeitaktivität nicht geradezu aufdrängt. So kann ein wegen einer orthopädischen Erkrankung arbeitsunfähiger Arbeitnehmer eine Sportveranstaltung (wie z. B. ein Fußballspiel) besuchen, ohne sich damit zwangsläufig genesungswidrig zu verhalten und damit arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zur außerordentlichen Arbeitgeberkündigung befürchten zu müssen (ArbG Dortmund 12.3.19, 5 Ca 3705/18, Abruf-Nr. 207793). Auch leichte Trainingseinheiten in einem Fitnessstudio während eines grippalen Infekts, die positiv gegen Nackenverspannungen wirken können, sind nicht unbedingt geeignet, die Genesung zu verzögern, sondern können diese sogar fördern (LAG Köln 2.11.11, 9 Sa 1581/10, Abruf-Nr. 122772).
3. Arbeit bei anderem Arbeitgeber während der AU
Die Arbeit bei einem anderen Arbeitgeber während der festgestellten AU ist i. d. R. als schwerer Fall des genesungswidrigen Verhaltens anzusehen. Ein solcher kann auch ohne vorherige einschlägige Abmahnung geeignet sein, eine (außerordentliche) Kündigung des Arbeitgebers aus wichtigem Grund nach § 626 Abs. 1 BGB zu rechtfertigen. In solchen Fällen kann sich darüber hinaus aus der Art und Intensität der Nebenbeschäftigung der dringende Verdacht ergeben, dass die AU lediglich vorgetäuscht war (BAG 26.8.93, 2 AZR 154/93).
4. Welche Sanktionen sind im Einzelfall angemessen?
Ist ein Verhalten als genesungswidrig einzustufen oder unterstellt die erkennende Kammer des ArbG ‒ was in der Praxis durchaus vorkommt ‒ die Genesungswidrigkeit einer bestimmten Aktivität des Arbeitnehmers zugunsten des Arbeitgebers, bleibt zu prüfen, wie der Arbeitgeber angemessen auf eine solche Pflichtverletzung reagieren kann. Dabei ist auch hier der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten, der im gesamten Kündigungsrecht gilt.
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Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bedeutet, dass einmalige und geringfügige Verstöße gegen die Pflicht des Arbeitnehmers zum Unterlassen genesungswidrigen Verhaltens ohne einschlägige Abmahnung weder eine ordentliche noch eine außerordentliche Kündigung, sondern allenfalls eine Abmahnung rechtfertigen können. Allein bei schweren und offensichtlichen Verletzungen der dargestellten Pflichten kommt als verhältnismäßige Sanktion des Arbeitgebers der sofortige Ausspruch einer ordentlichen oder außerordentlichen Kündigung in Betracht. |
Weiterführende Hinweise
- Wie weit geht der Auskunftsanspruch eines Kanzleimitarbeiters?, AK 19, 85
- Eigene Arbeitsmittel in der Anwaltskanzlei?, AK 19, 136
- So organisieren Sie die Arbeit auf Abruf bei Minijobs rechtssicher, AK 19, 142