· Fachbeitrag · Abgabenordnung
Ablaufhemmung bei Hinterziehung derselben Steuer durch den Erblasser und den Erben
Die von einem Erben durch eine unterlassene Berichtigung begangene Steuerhinterziehung führt nicht zu einer weiteren Verlängerung der Festsetzungsfrist, wenn diese sich schon aufgrund einer Steuerhinterziehung des Erblassers auf zehn Jahre verlängert hatte. Diese Festsetzungsfrist läuft allerdings nicht ab, wenn der Erbe als Gesamtrechtsnachfolger in eine zehnjährige Festsetzungsfrist eintritt und hinsichtlich derselben Steuer eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen begeht. Die Ablaufhemmung dauert in diesem Fall an, solange der Erbe wegen seiner eigenen Hinterziehung strafrechtlich verfolgt werden kann. |
Sachverhalt
Die Steuerpflichtigen sind Erbinnen ihrer Eltern. Der Vater und die Mutter wurden in den Streitjahren 1995 bis 2001 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Einkommensteuerbescheide wurden bestandskräftig.
Der Erblasser erzielte aus zwei Stiftungen im Fürstentum Liechtenstein Kapitalerträge. Die Erträge gab er nicht in den Einkommensteuererklärungen an und verkürzte dadurch bewusst die Einkommensteuer der Streitjahre um jeweils sechsstellige Euro-Beträge.
Die Steuerpflichtigen hatten hiervon bereits zu Lebzeiten des Erblassers Kenntnis. Nach dessen Tod reichten sie beim FA eine Selbstanzeige ein, mit der sie die liechtensteinischen Kapitalerträge für die Einkommensteuerveranlagungen ab 2002 nacherklärten. Für die Streitjahre gaben die Steuerpflichtigen keine Berichtigungserklärungen zu den eingereichten Einkommensteuererklärungen ab.
Auf der Grundlage von Steuerfahndungsberichten erließ das Finanzamt unter anderem Änderungsbescheide zur Einkommensteuer für die Streitjahre. Dabei ging das Finanzamt davon aus, dass die Festsetzungsfrist für die Streitjahre wegen einer Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 7 AO noch nicht abgelaufen sei.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhoben die Steuerpflichtigen Klage und beriefen sich auf den Eintritt der Festsetzungsverjährung. Das Finanzgericht wies die Klage ab. Die Änderungsbescheide für die Streitjahre seien rechtmäßig, da der Ablauf der Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 7 AO gehemmt gewesen sei. Durch die Nichterfüllung ihrer Pflicht zur Erklärungsberichtigung nach § 153 Abs. 1 AO hätten die Steuerpflichtigen ihrerseits die Einkommensteuer der Streitjahre hinterzogen. Eine Berichtigung sei für die Steuerpflichtigen durchführbar und zumutbar gewesen.
Mit ihrer Revision rügten die Steuerpflichtigen, das FG habe § 171 Abs. 7 AO unzutreffend ausgelegt. Die aufgrund der Steuerhinterziehungen des Erblassers auf zehn Jahre verlängerten Festsetzungsfristen seien zwar bei dessen Versterben noch nicht abgelaufen gewesen. Für sämtliche Streitjahre habe die zehnjährige Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO auch gegenüber den Steuerpflichtigen gegolten. Der jeweilige Fristablauf sei aber nicht nach § 171 Abs. 7 AO über das Ende dieser Festsetzungsfrist hinaus gehemmt worden. § 171 Abs. 7 AO erfasse allein die Steuerstraftat des Erblassers als des originären Steuerpflichtigen und könne nur zu einer Ablaufhemmung bis zur steuerstrafrechtlichen Verfolgungsverjährung dieser Tat führen.
Entscheidung
Der BFH hat die Revision der Steuerpflichtigen als unbegründet zurückgewiesen. Die Steuerpflichtigen schulden die vom Erblasser hinterzogene Einkommensteuer als Gesamtrechtsnachfolgerinnen. Den Änderungsbescheiden stand wegen der Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 7 AO nicht der Eintritt der Festsetzungsverjährung entgegen.
Eigenschaft „hinterzogene Steuer“ wird mitgeerbt
Die durch die Steuerhinterziehungen des Erblassers für die Streitjahre in Gang gesetzten zehnjährigen Festsetzungsfristen liefen für die Steuerpflichtigen als Gesamtrechtsnachfolgerinnen jeweils bis zum Ablauf des Zehnjahreszeitraums weiter.
Die Eigenschaft einer Steuer, hinterzogen zu sein, haftet der Steuer als solcher an und geht mit dem Übergang der Steuerschuld auf den Gesamtrechtsnachfolger über.
Keine neue Verlängerung der Festsetzungsfrist
Die von den Steuerpflichtigen als Erbinnen durch Unterlassen der Erklärungsberichtigungen begangenen Steuerhinterziehungen lösten für die Einkommensteuer der Streitjahre keine erneute zehnjährige Festsetzungsfrist aus.
Zwar ist nach Meinung des BFH auch eine Steuerhinterziehung eines Erben geeignet, die Festsetzungsfrist für den übergegangenen Steueranspruch auf zehn Jahre zu verlängern. Die Steuerhinterziehung des Erben bewirkt jedoch nur dann eine Fristverlängerung auf zehn Jahre, wenn es sich bei dieser ‒ anders als im Streitfall ‒ um eine erstmalige Verlängerung der Festsetzungsfrist aufgrund einer Steuerhinterziehung handelt.
Ablauf der ursprünglichen Festsetzungsfrist gehemmt
Nach § 171 Abs. 7 AO endet die Festsetzungsfrist in den Fällen der Verlängerung der Festsetzungsfrist aufgrund Steuerhinterziehung oder leichtfertiger Verkürzung nicht, bevor die Verfolgung der Steuerstraftat oder der Steuerordnungswidrigkeit verjährt ist. Nach dem Wortlaut der Vorschrift setzt die Hemmung der Festsetzungsverjährung nicht voraus, dass die noch nicht verjährte Steuerstraftat bzw. Steuerordnungswidrigkeit die Tat ist, die zur Verlängerung der Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO geführt hat. Erforderlich ist allein, dass
- eine verlängerte steuerliche Festsetzungsfrist vorliegt und
- die Verfolgungsverjährung für eine dieselbe Steuerschuld betreffende Steuerstraftat oder -ordnungswidrigkeit noch nicht eingetreten ist.
Der Zweck der Vorschrift ist es zu verhindern, dass eine Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit zwar noch verfolgt werden kann, die dadurch hinterzogenen oder leichtfertig verkürzten Steuerbeträge aber wegen Festsetzungsverjährung nicht mehr festgesetzt werden dürfen.
PRAXISTIPP | Der Gesetzgeber will auf die Festsetzung einer Steuer nicht verzichten, solange die Bestrafung bzw. Ahndung eines diese Steuer betreffenden Steuerdelikts noch möglich ist. |
Fundstelle
- BFH 21.6.22, VIII R 26/19, iww.de/astw, Abruf-Nr. 232215