· Fachbeitrag · § 62 EStG
Kindergeldbezug aufgrund inländischer Einkünfte
Erzielt die im Ausland wohnende Anspruchstellerin Einkünfte aus der Verpachtung einer inländischen Immobilie, berechtigt dies zum Kindergeldbezug in der Zeit, in der das Pachtverhältnis besteht und für die eine Behandlung nach § 1 Abs. 3 EStG erfolgt. |
Sachverhalt
Die Anspruchsberechtigte lebte seit 1967 auf einer deutschen Insel und betrieb dort ein Hotel. Im Oktober 2015 verpachtete sie das Hotel. Ausgenommen von der Verpachtung war die Wohnung im ersten Obergeschoss, die sie zunächst weiterhin nutzte. Aus der Verpachtung erzielte sie ausweislich ihrer Jahresabschlüsse in den Jahren 2016 und 2017 Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Am 20.5.2016 meldete sie sich bei der Gemeinde mit einer neuen Anschrift in Italien ab.
Die Familienkasse hob die Kindergeldfestsetzung für die im November 2001 geborene Tochter für die Monate Juni 2016 bis Oktober 2017 auf und forderte das für diesen Zeitraum gezahlte Kindergeld zurück. Den gegen die Aufhebung gerichteten Einspruch begründete die Anspruchsberechtigte damit, dass sie nach wie vor einen inländischen Wohnsitz im Hotelgebäude habe. Sie halte sich weitgehend in Italien auf, um ihren Vater zu pflegen. Einen klassischen Umzug nach Italien habe es aber nicht gegeben. Ihre Einkünfte habe sie ausschließlich in der Bundesrepublik Deutschland erzielt.
Entscheidung
Mit der Verpachtung des ganzen Betriebs oder der wesentlichen, dem Betrieb das Gepräge gebenden Betriebsgegenstände erzielt der Verpächter weiterhin grundsätzlich gewerbliche Einkünfte, wenn er keine Betriebsaufgabe erklärt. Die Erzielung von Einkünften setzt indessen voraus, dass für den Betrieb eine Betriebsstätte unterhalten wird oder ein ständiger Vertreter bestellt ist. Daran fehlt es regelmäßig bei der grenzüberschreitenden Verpachtung eines im Inland belegenen Betriebs durch einen im Ausland ansässigen Verpächter, weil die Geschäftseinrichtung lediglich dem Unternehmen des Pächters dient und der verpachtete Betrieb daher keine Betriebsstätte des Verpächters begründet.
Das FG war zutreffend davon ausgegangen, dass inländische Einkünfte i. S. d. § 49 EStG im Falle der gewerblichen Verpachtung einer Immobilie oder eines Betriebs im Hinblick auf das kindergeldrechtliche Monatsprinzip in allen Monaten erzielt werden, in denen das Pachtverhältnis besteht. Nichts anderes gilt, wenn aus der Überlassung inländischen Vermögens nicht gewerbliche Einkünfte, d. h., Gewinneinkünfte, sondern inländische (Überschuss-)Einkünfte aus Vermietung oder Verpachtung erzielt werden (§ 49 Abs. 1 Nr. 6 i. V. m. § 21 EStG). Da somit bereits die Überlassung des Hotelbetriebs die Einkünfte zu „inländischen“ Einkünften i. S. d. § 49 EStG macht, berechtigen sie zum Kindergeldbezug in allen Monaten, in denen das Miet- oder Pachtverhältnis besteht und eine Behandlung nach § 1 Abs. 3 EStG erfolgt.
Es kommt mithin weder darauf an, ob die Anspruchsberechtigte in den jeweiligen Monaten aktive Tätigkeiten entfaltet hat (z. B. Instandhaltungsmaßnahmen am Grundstück oder Verwaltungsaufgaben) noch auf den ‒ von Zufälligkeiten abhängenden und gestaltbare ‒ Eingang von Zahlungen.
Nach § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG hat Anspruch auf Kindergeld, wer nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt wird. Die Anspruchsberechtigung nach § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG hängt damit ‒ anders als in den Fällen des § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 Buchst. a EStG ‒ von der tatsächlichen einkommensteuerrechtlichen Behandlung des Antragstellers ab.
Eine Behandlung nach § 1 Abs. 3 EStG setzt voraus, dass das FA in dem maßgeblichen Einkommensteuerbescheid dem Antrag des Steuerpflichtigen entsprochen und ihn demnach gemäß § 1 Abs. 3 EStG veranlagt hat. Da der nach § 1 Abs. 3 Satz 1 EStG erforderliche Antrag für jeden Veranlagungszeitraum neu zu stellen ist ‒ in der Regel nach dessen Ablauf ‒ bedarf es eines Beweismittels, aus dem sich ergibt, dass für den betreffenden Anspruchszeitraum bereits eine entsprechende steuerliche Behandlung nach § 1 Abs. 3 EStG durch das zuständige FA vorgenommen wurde.
Das FG-Urteil geht aufgrund der Bestätigung des FA davon aus, dass die Anspruchsberechtigte nach Aufgabe ihres inländischen Wohnsitzes im Veranlagungszeitraum 2016 nach § 1 Abs. 3 EStG behandelt wurde.
Das FG hatte aber weder einen auf § 1 Abs. 3 EStG beruhenden Einkommensteuerbescheid für 2017 festgestellt noch eine andere Tatsache, aus der sich ergibt, dass die Anspruchsberechtigte für 2017 nach § 1 Abs. 3 EStG veranlagt wurde. Der BFH wies daher den Streitfall an die Vorinstanz zurück.
Für die Monate, in denen danach die Voraussetzungen eines Kindergeldanspruches erfüllt sind, ist im zweiten Rechtsgang noch zu ermitteln, ob für die Tochter der Anspruchsberechtigten von dieser oder von deren Vater in einem anderen Mitgliedstaat Familienleistungen beansprucht werden können, die nach Art. 68 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (Amtsblatt der Europäischen Union 2004 Nr. L 166, S. 1) in der für den Streitzeitraum maßgeblichen Fassung (VO Nr. 883/2004 ‒ Grundverordnung -) mit dem Kindergeldanspruch zu koordinieren sind. Dabei könnte es unschädlich sein, wenn derartige Leistungen bisher nicht beantragt wurden (Art. 68 Abs. 3 Buchst. b der VO Nr. 883/2004).
Fundstelle
- BFH 23.3.21, III R 11/20, iww.de/astw, Abruf-Nr. 223753