09.10.2015 · IWW-Abrufnummer 145533
Finanzgericht Düsseldorf: Beschluss vom 31.08.2015 – 1 V 1486/15 A (U)
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Düsseldorf
Beschl. v. 31.08.2015
Az.: 1 V 1486/15 A (U)
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.
Die Beschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt die Aussetzung der Vollziehung von gemäß § 27 Abs. 19 UStG geänderten Umsatzsteuerbescheiden der Jahre 2009 und 2010.
Die Antragstellerin ist in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG als Bauunternehmen unternehmerisch tätig. Sie erbrachte in den Streitjahren 2009 und 2010 Bauleistungen an die als Bauträger tätige T GmbH -T-. Die Antragstellerin unterwarf diese Leistungen nicht der Umsatzsteuer. Die von der Antragstellerin ausgestellten Rechnungen enthalten den Hinweis an den Leistungsempfänger auf dessen Steuerschuldnerschaft gemäß § 13b UStG. Entsprechend trug der Bauträger T die Steuerschuld (sog. Reverse-Charge-Verfahren).
Die Antragstellerin reichte ihre Umsatzsteuererklärungen für das Jahr 2009 am 10.06.2010 und für das Jahr 2010 am 13.05.2011 beim Antragsgegner, dem Finanzamt () -FA-, ein. Die Bauleistungen der Antragstellerin an T wurden erklärungsgemäß in den gemäß § 164 AO unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Umsatzsteuerbescheiden nicht der Besteuerung unterworfen. Mit Bescheid vom 02.03.2011 hob das FA den Vorbehalt der Nachprüfung für die Umsatzsteuerfestsetzung des Jahres 2009 auf. Am 09.10.2012 erließ das FA nach Durchführung einer Lohnsteuer-Außenprüfung einen gemäß § 164 Abs. 2 AO geänderten Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 2010, am 02.09.2014 hob das FA nach der Durchführung einer Betriebsprüfung für die Jahre 2010 bis 2012 den Vorbehalt der Nachprüfung auch für die Umsatzsteuerfestsetzung des Jahres 2010 auf.
Mit Schreiben vom 01.08.2014 beantragte T unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 22.08.2013 (V R 37/10, BFHE 243, 20, BStBl II 2014, 128 [BFH 22.08.2013 - V R 37/10]) die Erstattung der nach § 13b UStG für Bauleistungen (auch) der Antragstellerin abgeführten Umsatzsteuer in den Jahren 2009 und 2010, weil sie diese nicht unmittelbar für eigene Werklieferungen verwandt habe, auch wenn der Anteil der umsatzsteuerpflichtigen Umsätze 10 % überstiegen habe.
Das FA ordnete daraufhin am 04.11.2014 die Durchführung einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung bei der Antragstellerin an. Das FA ist der Auffassung, dass aufgrund des Erstattungsantrages des Bauträgers die Umsatzsteuer für die gegenüber T erbrachten Bauleistungen nunmehr von der Antragstellerin zu entrichten sei. Der Prüfer wies die Antragstellerin zudem auf die Möglichkeit der Forderungsabtretung bei Erstellung geänderter Rechnungen mit Umsatzsteuerausweis hin und fügte dem Bericht einen Vordruck für Forderungsabtretung bei. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Bericht über die bei der Antragstellerin durchgeführte Umsatzsteuer-Sonderprüfung vom 01.12.2014 Bezug genommen.
Die Antragstellerin erteilte T keine korrigierten Rechnungen mit offenem Umsatzsteuerausweis über die erbrachten Bauleistungen in den Jahren 2009 und 2010, so dass eine Abtretung der hieraus resultierenden Erhöhung der Werklohnforderung der Antragstellerin gegen T an das FA ausschied.
Das FA erließ am 08.04.2015 gemäß § 27 Abs. 19 UStG geänderte Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2009 und 2010, und forderte die Antragstellerin zur Zahlung von Umsatzsteuern iHv 4.191,40 € (2009) und 45.447,05 € (2010), insgesamt iHv 49.638,45 € auf. Hiergegen legte die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 21.04.2015 Einspruch ein. Zur Begründung führte sie aus, dass aus Vertrauensschutzgründen die Umsatzsteuer für die an T in den Jahren 2009 und 2010 erbrachten Bauleistungen nicht im Jahr 2015 festgesetzt werden könne. Sie wäre dann mit einer Anwendung des § 27 Abs. 19 UStG einverstanden, wenn seitens der Finanzverwaltung garantiert werde, dass für den Fall, dass die Abtretung ihre Wirkung verliere, z. B. wegen der Einrede der Verjährung, diese gleichwohl schuldbefreiend wirke. Den im Rechtsbehelfsverfahren gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der geänderten Umsatzsteuerbescheide der Jahre 2009 und 2010 lehnte das FA am 07.05.2015 ab. Diese begehrt die Antragstellerin nunmehr durch das Gericht.
Zwar seien nach den Erkenntnissen des BFH in dem Urteil vom 22.08.2013 (V R 37/10, BFHE 243, 20, BStBl II 2014, 128 [BFH 22.08.2013 - V R 37/10]) die Voraussetzungen für die Umkehr der Steuerschuldnerschaft nach § 13b UStG für die Bauleistungen der Antragstellerin an T nicht (mehr) gegeben. Der Antragstellerin stehe jedoch Vertrauensschutz für solche Umsätze zu, die bis zur Veröffentlichung des BMF-Schreibens vom 05.02.2014 (IV D 3-S 7279/11/10002, BStBl I 2014, 233) ausgeführt worden seien.
Einer Änderung des Umsatzsteuerbescheides für das Jahr 2010 vom 09.10.2012 stehe zudem § 173 Abs. 2 AO entgegen, weil dieser Bescheid aufgrund einer Außenprüfung ergangen sei, und die Antragstellerin hinsichtlich der von ihr entsprechend den in den Streitjahren maßgeblichen Richtlinien des BMF steuerfrei belassenen Bauleistungen nicht einer Steuerhinterziehung oder leichtfertigen Steuerverkürzung verdächtig sei.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
die Vollziehung der mit dem Einspruch angefochtenen Umsatzsteuerbescheide der Jahre 2009 und 2010, jeweils vom 08.04.2015, bis einen Monat nach Bekanntgabe einer Einspruchsentscheidung auszusetzen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen,
hilfsweise die Beschwerde zum Bundesfinanzhof zuzulassen.
Der Antragsgegner ist der Auffassung, dass die angefochtenen Umsatzsteueränderungsbescheide der Jahre 2009 und 2010 rechtmäßig seien. Die Voraussetzungen für eine Änderung der bestandskräftigen Umsatzsteuerbescheide gemäß § 27 Abs. 19 UStG seien erfüllt.
Die Antragstellerin habe Bauleistungen an T erbracht, die dieser als Bauträger zur Ausführung eigener gemäß § 4 Nr. 9a UStG grundsätzlich steuerfreier Umsätze verwendet habe. Gemäß dem BFH-Urteil vom 22.08.2013 (V R 37/10 BFHE 2463, 20, BStBl II 2014, 128 [BFH 22.08.2013 - V R 37/10]) sei daher die Vorschrift des § 13b UStG in der in den Jahren 2009 und 2010 gültigen Fassung nicht anwendbar, und nicht der Bauträger T, sondern die Antragstellerin Steuerschuldner.
T habe sich als Leistungsempfänger auf die vorgenannte Rechtsprechung berufen und Erstattung der zu Unrecht gemäß § 13b UStG von ihm einbehaltenen Umsatzsteuer beantragt. Nach § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG müsse daher korrespondierend die Änderung der Steuerfestsetzung des leistenden Unternehmers erfolgen.
Die Nachforderung der Umsatzsteuer sei auch nicht betragsmäßig begrenzt, weil der Bauträger beispielsweise die Steuer nach § 13b UStG zugleich (teilweise) als Vorsteuer abgezogen habe (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UStG). Auch in diesem Fall gelte die gesamte Umsatzsteuer für Bauleistungen als "entrichtet" im Sinne des § 27 Abs. 19 UStG. Nicht erforderlich sei, dass die Steuer, die der Leistungsempfänger T in der Annahme entrichtet habe, Steuerschuldner zu sein, bereits wieder an diesen erstattet worden sei.
Gegen die Änderung der Steuerfestsetzungen könne nicht eingewandt werden, dass der Fiskus die Umsatzsteuer durch Zahlungen/Abtretungen des leistenden Unternehmers (vorübergehend) doppelt vereinnahme. Für den Leistungsempfänger bestehe ein Erstattungsanspruch mindestens in gleicher Höhe, der zwingend durch die Finanzverwaltung bedient werden müsse.
Nach § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG stehe einer Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung bei dem leistenden Unternehmer auch nicht die Vorschrift des § 176 AO entgegen.
Die Regelung sei verfassungskonform und verstoße nicht gegen Art. 20 Abs. 3 GG. Es liegt kein Fall der "echten Rückwirkung" vor.
§ 27 Abs. 19 UStG sei der Regelung des § 174 Abs. 2 oder 3 AO vergleichbar. Die Vorschrift des § 27 Abs. 19 Satz 1 und 2 UStG löse einen Widerstreit, der darin bestehe, dass der Leistungsempfänger sich erfolgreich - für einen bereits entstandenen Steueranspruch - zur Wehr setze und aufgrund dessen - ohne Rückgriff auf eine andere Steuerfestsetzung - dieser unstrittig steuerbare und steuerpflichtige Vorgang in Gänze nicht der Umsatzbesteuerung unterläge. Mit einer Korrektur nach § 174 AO gehe ebenfalls eine Änderung eines bereits abgeschlossenen Zeitraums einher. Würde eine solche Änderung an einem etwaigen Vertrauensschutz scheitern, wäre der Vorschrift der Sinn vollkommen genommen.
Der Gesetzgeber gehe zudem davon aus, dass ein unter Umständen bestehendes Vertrauen des Leistenden in die bisherige Verwaltungsauffassung nicht schutzwürdig sei, weil dieser gegen den Leistungsempfänger einen zivilrechtlichen Anspruch auf zusätzliche Zahlung der Umsatzsteuer habe. § 27 Abs. 19 Satz 3 und 4 UStG biete dem leistenden Unternehmer die Möglichkeit, diesen zivilrechtlichen Anspruch gegenüber dem Leistungsempfänger auf die (noch ausstehende) Zahlung der Umsatzsteuer an das Finanzamt abzutreten. Diese Abtretung wirke im Falle der Annahme durch das Finanzamt unter den weiteren Voraussetzungen des § 27 Abs. 19 Satz 4 UStG an Zahlung statt und führe damit zum Erlöschen des Umsatzsteueranspruchs (§ 47 AO). Unter Berücksichtigung des Neutralitätsprinzips sei der Leistende dann nicht in seinem Vertrauen verletzt, da er so gestellt sei wie vor dem Änderungsbescheid. Im Folgenden trage ausschließlich das Finanzamt das Risiko der Geltendmachung der Forderung gegenüber dem Leistungsempfänger.
Die Vorschrift des § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG setze lediglich das Bestehen eines zivilrechtlichen Anspruchs gegen den Leistungsempfänger, nicht jedoch dessen uneingeschränkte Durchsetzbarkeit und Werthaltigkeit voraus. Zwischen den Beteiligten getroffene Bruttovereinbarungen und Abtretungsverbote oder die zivilrechtliche Verjährung seien unbeachtlich. Auch eine einredebehaftete und damit wirtschaftlich ganz oder teilweise wertlose Forderung könne zivilrechtlich abgetreten werden. Etwaige Einwendungen des Leistungsempfängers in Bezug auf die Werthaltigkeit der abgetretenen Forderungen richteten sich ausschließlich gegen das Finanzamt und könnten den leistenden Unternehmer deshalb nicht mehr (finanziell) belasten und dadurch in seinem Vertrauen verletzen.
Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 27 Abs. 19 Satz 3 und 4 UStG bestehe kein Ermessen im Hinblick auf die Annahme der Abtretung, das Finanzamt müsse diese vielmehr zwingend annehmen. Für die Frage des Vertrauensschutzes sei daher nicht im Einzelfall zu differenzieren, ob die Abtretung tatsächlich vom leistenden Unternehmer angeboten werde. Komme es ausschließlich aufgrund des Handelns des Leistenden (z.B. aufgrund dessen Weigerung, die Rechnungen gegenüber dem Leistungsempfänger zu korrigieren bzw. die Abtretung anzubieten) nicht zur Abtretung, sei dieser insoweit nicht (mehr) schutzwürdig, da das Finanzamt seine Abtretung unter den Voraussetzungen des § 27 Abs. 19 Satz 3 und 4 UStG zwingend hätte annehmen müssen, wenn diese angeboten worden wäre. Die aufgrund der fehlenden Mitwirkung des Leistenden bei diesem entstehende finanzielle Belastung könne unter diesen Umständen nicht mehr zu Lasten der Finanzverwaltung ausgelegt werden.
Ein zivilrechtlicher Anspruch des leistenden Unternehmers gegenüber seinem Leistungsempfänger auf zusätzliche Zahlung der Umsatzsteuer bestehe zudem regelmäßig. Seien die Parteien irrtümlicherweise übereinstimmend davon ausgegangen, dass ein bestimmter Vorgang nicht der Umsatzsteuer unterliege, könne die Frage, wer die tatsächlich angefallene Umsatzsteuer zu tragen hat, einer ergänzenden Vertragsauslegung zugänglich sein (Bundesgerichtshof -BGH-, Urteil vom vom 14.01.2000 V ZR 416/97, UR 2000, 247). Selbst bei einer sog. Bruttovereinbarung führe die irrige Annahme, dass der Leistungsempfänger Steuerschuldner sei, bei späterer Aufdeckung dazu, dass eine vertragliche Regelungslücke vorliege, welche einer ergänzenden Auslegung bedürfe. Deshalb habe der leistende Unternehmer in den hier strittigen Fällen dem Grunde nach stets einen Anspruch auf zusätzliche Zahlung der Umsatzsteuer. Ob sich diese irrige Annahme, dass der Leistungsempfänger Steuerschuldner sein sollte, ausdrücklich aus einem Vertrag, aus einer Rechnungserteilung ohne gesonderten Umsatzsteuerausweis oder aus einem Hinweis gemäß § 14a Abs. 5 UStG in der Rechnung ergebe, könne dahingestellt bleiben, weil der Leistungsempfänger die Umsatzsteuer, deren Erstattung er nun beantragt habe, stets in der Annahme seiner Steuerschuldnerschaft nach § 13b UStG entrichtet habe, indem er selbst von einem Nettobetrag ausgegangen sei, auf den die Umsatzsteuer zusätzlich zu berechnen sei.
Dieser Anspruch sei auch zivilrechtlich noch nicht verjährt. Die zivilrechtliche Verjährung der zusätzlichen Forderung des leistenden Unternehmers gegen den Leistungsempfänger beginne nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB erst mit Kenntnis über die den Anspruch begründenden Umstände, d.h. erst wenn das Finanzamt den leistenden Unternehmer darüber informiert habe, dass § 13b UStG rückwirkend nicht anzuwenden sei und er daher Steuerschuldner (geworden) sei.
Zudem würde der Leistungsempfänger widersprüchlich und rechtsmissbräuchlich handeln, wenn er die Verjährungseinrede erheben sollte. Schließlich sei es der Leistungsempfänger, der durch sein treuwidriges Verhalten gegenüber seinem Vertragspartner nachträglich und für diesen unerwartet einen steuerlich bereits abgeschlossenen Vorgang aufleben lasse.
Nach § 241 Abs. 2 BGB könne ein Schuldverhältnis nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten. Weiter regele § 242 BGB, dass der Schuldner verpflichtet sei, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. So folge aus § 242 BGB insbesondere, dass jede Partei auf die Rechtsgüter der anderen Beteiligten an einem Rechtsverhältnis angemessen Rücksicht nehmen müsse. Rechte müssten schonend ausgeübt werden, Rechtsgüter der anderen Vertragspartei, insbesondere die Person, ihr Eigentum und ihr Vermögen, dürften nicht verletzt werden. Da zwischen den Parteien seinerzeit vereinbart worden sei, dass der Leistungsempfänger die Umsatzsteuer trage und abführe, und dies Kalkulationsgrundlage gewesen sei, müsse dem leistenden Unternehmer nachträglich eine zivilrechtliche Nachforderungsmöglichkeit gegenüber seinem Vertragspartner gegeben werden, wenn dieser sich einseitig von der getroffenen Absprache löse (vgl. BGH, Urteil vom 12.06.2002 VIII ZR 187/01 Rn. 12, NJW 2002, 3110).
Dem Anspruch stehe auch ein ggf. vereinbartes Abtretungsverbot nicht entgegen. Das Abtretungsverbot könne sich nicht auch auf eine Umsatzsteuerforderung beziehen, die nach den zivilrechtlichen Vereinbarungen zum Zeitpunkt der Vereinbarung gar nicht bestanden habe, weil diese Steuer nach dem Vertrag von dem Leistungsempfänger geschuldet war. Das gemäß § 399 BGB vereinbarte Abtretungsverbot greife in den vorliegenden Fällen entweder aufgrund der (ggf. analogen) Anwendung des § 354a HGB bzw. aufgrund eines Verstoßes gegen § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht.
Die Steuerfestsetzungen gegenüber der Antragstellerin seien im Zeitpunkt der Antragstellung durch den Leistungsempfänger gemäß § 169 AO noch nicht verjährt. Der Eintritt der Festsetzungsverjährung für die Umsatzsteuer 2009 zum 31.12.2014 sei durch die Anordnung der Umsatzsteuersonderprüfung am 04.11.2014 und die Vornahme von Prüfungshandlungen noch im Jahr 2014 gehemmt worden (§ 171 Abs. 4 AO).
Der Antragsgegner sei an der Änderung der Steuerfestsetzungen auch nicht aus Vertrauensschutzgründen gehindert. § 27 Abs. 19 Satz 3 UStG schließe die Anwendung des § 176 AO ausdrücklich aus.
Die Umsatzsteuerfestsetzung 2010 habe trotz der vorangegangenen Betriebsprüfung nachträglich geändert werden können. § 27 Abs. 19 UStG stelle eine gegenüber den Vorschriften der Abgabenordnung eigenständige Änderungsvorschrift dar (§ 172 Abs. 1 Satz 1 Buchst. d AO) und enthalte keine der Regelung in § 173 Abs. 2 AO entsprechende Einschränkung der Änderungsmöglichkeit.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie die dem Gericht übermittelten Steuerakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist nicht begründet.
Nach summarischer Überprüfung des derzeitigen Sach- und Streitstands bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der mit dem Einspruch angefochtenen Umsatzsteuerbescheide der Jahre 2009 und 2010.
Nach § 69 Abs.3 Satz 1 i.V.m. Absatz 2 Satz 2 Finanzgerichtsordnung -FGO- kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel sind anzunehmen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken. Der Prüfung der Sach- und Rechtslage sind der unstreitige Sachverhalt, die gerichtsbekannten Tatsachen und die präsenten Beweismittel zugrunde zu legen (stdg. Rechtsprechung, vgl. z.B. Beschluss des BFH vom 14. Mai 2008 V B 227/07, BFH/NV 2008, 1371 mwN).
Bei der ausreichenden, aber auch erforderlichen summarischen Prüfung hat das FA zu Recht die bestandskräftigen und nicht (mehr) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Umsatzsteuerbescheide der Jahre 2009 und 2010 mit den angefochtenen Änderungsbescheiden vom 08.04.2015 gemäß § 27 Abs. 19 UStG in der Fassung vom 22.12.2014 (Art. 7 Nr. 9 des Gesetzes zur Anpassung des nationalen Steuerrechts an den Beitritt Kroatiens zur EU und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 25.07.2014 -KroatAnpG-, BGBl I 2014, 1266) geändert.
1. Die Voraussetzungen für eine Änderung der bestandskräftigen Umsatzsteuerbescheide der Jahre 2009 und 2010 gemäß § 27 Abs. 19 UStG sind bei summarischer Prüfung erfüllt.
Gemäß § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG ist für den Fall, dass Unternehmer und Leistungsempfänger davon ausgegangen sind, dass der Leistungsempfänger die Steuer nach § 13b UStG auf eine vor dem 15. Februar 2014 erbrachte steuerpflichtige Leistung schuldet, und sich diese Annahme als unrichtig herausstellt, die gegen den leistenden Unternehmer wirkende Steuerfestsetzung zu ändern, soweit der Leistungsempfänger die Erstattung der Steuer fordert, die er in der Annahme entrichtet hatte, Steuerschuldner zu sein.
Es ist unstreitig, dass sowohl die Antragstellerin als Unternehmerin als auch T als Leistungsempfänger zunächst davon ausgingen, dass T gemäß § 13b UStG die Umsatzsteuer für die in den Jahren 2009 und 2010 in Zusammenhang mit dem Bauvorhaben "A" von der Antragstellerin erbrachten Bauleistungen schuldete. Nach Bekanntwerden des Urteils des BFH vom 22.08.2013 (V R 37/10, BFHE 243, 20, BStBl II 2014, 128 [BFH 22.08.2013 - V R 37/10]) stellte sich diese Annahme als unrichtig heraus, weil T als Bauträger nicht selber Werklieferungen ausführte. T hat nunmehr mit Schreiben vom 01.08.2014 die Erstattung dieser Umsatzsteuer vom FA gefordert.
Hinsichtlich der Höhe der auf die von der Antragstellerin erbrachten Bauleistungen entfallende Umsatzsteuer, gegen die im Übrigen auch keine Einwendungen erhoben werden, wird auf den Bericht über die bei der Antragstellerin durchgeführten Umsatzsteuer-Sonderprüfung vom 01.12.2014 Bezug genommen.
2. Der Änderung der bestandskräftigen Umsatzsteuerbescheide der Jahre 2009 und 2010 im Bescheiden vom 08.04.2015 stand bei summarischer Prüfung § 169 Abs. 1 AO nicht entgegen. Die Festsetzungsfrist dürfte bei beiden Steuerfestsetzungen noch nicht abgelaufen sein.
Die vierjährige Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuerfestsetzung des Jahres 2010 endete gemäß §§ 169 Abs. 2 Nr. 2; 170 Abs. 2 Nr.1 AO mit Ablauf des Jahres 2015, weil die Antragstellerin ihre Umsatzsteuerjahreserklärung im Jahr 2011 einreichte.
Die vierjährige Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuerfestsetzung des Jahre 2009 wäre regulär zum 31.12.2014 abgelaufen, sie war jedoch gemäß § 171 Abs. 4 AO durch den Beginn der am 04.11.2014 angeordneten Umsatzsteuer-Sonderprüfung, die sich ausdrücklich auf die Umsatzsteuer des Jahres 2009 bezog, in ihrem Ablauf gehemmt.
3. Der Änderung der bestandskräftigen Umsatzsteuerbescheide der Jahre 2009 und 2010 dürften die Grundsätze des Vertrauensschutzes nicht entgegen stehen.
a. Der Änderung nach § 27 Abs. 19 UStG dürfte die Änderungssperre des § 173 Abs. 2 AO nicht entgegenstehen.
Die Vertrauensschutzregeleung des § 173 Abs. 2 AO bezieht sich ausschließlich auf Änderungen iSv § 173 Abs. 1 AO, nicht aber Änderungen, die aufgrund anderer Vorschriften erfolgen (BFH, Urteil vom 04.11.1992 XI R 32/91, BFHE 170, 291; BStBl II 1993, 425 [BFH 04.11.1992 - XI R 32/91]).
b. Der Änderung der bestandskräftigen Umsatzsteuerbescheide der Jahre 2009 und 2010 gemäß § 27 Abs. 19 UStG dürfte auch § 176 AO nicht entgegen stehen.
aa. Hinsichtlich des Streitjahres 2009 liegen die Voraussetzungen für eine Änderungssperre des § 176 Abs. 2 AO bei summarischer Prüfung nicht vor, so dass es insoweit auf die Frage, ob der Gesetzgeber die Anwendung des § 176 Abs. 2 AO in verfassungs- und europarechtlich zulässiger Weise ausgeschlossen hat, nicht ankommen dürfte.
Gemäß § 176 Abs. 2 AO darf bei der Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheides nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, dass einen allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung, einer obersten Bundes- oder Landesbehörde von einem obersten Gerichtshof des Bundes als nicht mit dem geltenden Recht in Einklang stehend bezeichnet worden ist.
Für das Streitjahr 2009 war anwendbar das BMF-Schreiben vom 31.03.2004 (IV D 1-S 7279-107/04, BStBl I 2004, 453). Hiernach vertrat die Finanzverwaltung die Auffassung, dass Bauträger mit ihren unter das Grunderwerbsteuergesetz fallenden Umsätzen keine Bauleistungen erbringen und damit ein Übergang der Steuerschuldnerschaft für bezogene Bauleistungen ausscheidet (vgl. Lippross in UR 2014, 717 (719)). Diese Auffassung entspricht der des BFH im Urteil vom 22.08.2013 (V R 37/10, BFHE 243, 20; BStBl II 2014, 128 [BFH 22.08.2013 - V R 37/10]), wonach der das eigene Grundstück bebauende Bauträger keine bauwerksbezogene Werklieferung erbringt und daher ein Übergang der Steuerschuldnerschaft ausgeschlossen ist. Erst mit BMF-Schreiben vom 16.10.2009 (IV B 9-S 7279/0 in BStBl I 2009, 1298) stellt die Finanzverwaltung für Umsätze, die nach dem 31.12.2009 ausgeführt werden, für die Beurteilung von Bauträgerleistungen nicht auf die Grunderwerbsteuerbarkeit des Vorgangs, sondern darauf ab, ob die Bauträgerleistung als solche als Werklieferung iSv § 3 Abs. 4 UStG zu qualifizieren sei (vgl. Lippross in UR 2014, 717 (719)). Bei summarischer Prüfung dürften die Antragstellerin und T für das Streitjahr 2009 auch bei Zugrundelegung der für diesen Veranlagungszeitraum geltenden Verwaltungsvorschrift zu Unrecht von einem Übergang der Steuerschuldnerschaft gemäß § 13b UStG a.F. für die Abschlagsrechnung vom 23.11.2009 ausgegangen sein, unabhängig davon, ob im Übrigen noch mehr als 10 % der Umsätze des T der Umsatzsteuer unterlagen.
bb. Hinsichtlich des Streitjahres 2010 liegen bei summarischer Prüfung zwar die Voraussetzungen des § 176 Abs. 2 AO vor, gemäß § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG dürfte die Anwendung dieser Norm jedoch ausgeschlossen sein.
cc. In diesem Ausschluss des § 176 Abs. 2 AO liegt bei summarischer Prüfung keine unzulässige Rückwirkung.
Bei summarischer Prüfung folgt der Senat nicht der Auffassung des FG Berlin-Brandburg (Beschluss vom 05.06.2015 5 V 5026/15, DStR 2015, 1538), dass § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG eine sog. echte Rückwirkung entfaltet und damit gegen das Verbot der Rückwirkung von Gesetzen verstößt, welches aus Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz - GG - abgeleitet wird.
Eine Rechtsnorm entfaltet "echte" Rückwirkung, wenn ihre Rechtsfolge mit belastender Wirkung schon vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung für bereits abgeschlossene Tatbestände gelten soll ("Rückbewirkung von Rechtsfolgen"). Das ist grundsätzlich verfassungsrechtlich unzulässig. Da eine Norm erst mit der Verkündung rechtlich existent ist, muss der von einem Gesetz Betroffene bis zu diesem Zeitpunkt, zumindest aber bis zum endgültigen Gesetzesbeschluss, grundsätzlich darauf vertrauen können, dass seine auf geltendes Recht gegründete Rechtsposition nicht durch eine zeitlich rückwirkende Änderung der gesetzlichen Rechtsfolgenanordnung nachteilig verändert wird. Die maßgebliche Rechtsfolge steuerrechtlicher Normen ist dabei das Entstehen der Steuerschuld. Im Sachbereich des Steuerrechts liegt eine echte Rückwirkung daher nur vor, wenn der Gesetzgeber eine bereits entstandene Steuerschuld nachträglich abändert (vgl. Bundesverfassungsgericht -BVerfG-, Beschluss vom 07.07.2010, 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, BStBl. II 2011, 76; FG Berlin-Brandburg, Beschluss vom 05.06.2015 5 V 5026/15, DStR 2015, 1538).
Mit der Einführung der Änderungsmöglichkeit des § 27 Abs. 19 UStG unter Ausschluss der Vertrauensschutzregelung des § 176 AO dürfte der Gesetzgeber keine bereits entstandene Steuerschuld nachträglich abgeändert haben.
Der BFH hat mit seinem Urteil vom 22.08.2013 (V R 37/10, BFHE 243,20; BStBl II 2014, 128 [BFH 22.08.2013 - V R 37/10]) erkannt, dass abweichend von der bisherigen Verwaltungsauffassung (vgl. dazu BMF, Schreiben vom 16.10.2009 IV B 9 - S7279/0, BStBl I 2009, 1298) eine Verlagerung der Steuerschuldnerschaft bei Bauleistungen gemäß § 13b UStG auf einen Bauträger als Leistungsempfänger tatsächlich nicht eintritt. Als Reaktion auf das für den Fall, dass der Bauträger unter Hinweis auf dieses Urteil die Erstattung der zu Unrecht gemäß § 13b UStG einbehaltenen Umsatzsteuer begehrt, die korrespondierende Umsatzsteuerfestsetzung des Bauunternehmers aber nach allgemeinen Regeln nicht mehr änderbar ist, drohende "fiskalische Fiasko" (vgl. Wäger in UR 2014, 81; Sterzinger in UR 2014, 797; ders. in UR 2015, 293), hat der Gesetzgeber die Änderungsmöglichkeit des § 27 Abs. 19 UStG eingeführt.
Der Gesetzgeber dürfte durch § 27 Abs. 19 UStG das im Steuerrecht recht schwach ausgeprägter Vertrauensschutzprinzip zu Gunsten der Rechtsrichtigkeit (vgl. dazu Loose in Tipke/Kruse AO § 176 Tz 1) in noch zulässiger Weise weiter eingeschränkt haben.
Der Gesetzgeber ist gerade im Steuerrecht in eng umgrenzten Fallgruppen nicht gehindert, dem Gedanken der Rechtsrichtigkeit Vorrang vor einem etwaigen Vertrauensschutz einzuräumen, ihm kommt bei der Frage nach der Zulässigkeit der Aufhebung oder Änderung auch bestandskräftiger Verwaltungsentscheidungen eine umfassende Befugnis zur Ausgestaltung des hierbei auftretenden Konflikts zwischen Rechtssicherheit, Rechtsfrieden, Gerechtigkeit und Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zu (BVerfG, Beschluss vom 10.06.2009 1 BvR 571/07, HFR 2009, 921).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist der Erlass von Gesetzen mit echter Rückwirkung grundsätzlich unzulässig. Belastende Steuergesetze dürfen ihre Wirksamkeit daher grundsätzlich nicht auf bereits abgeschlossene Tatbestände erstrecken oder schutzwürdiges Vertrauen ohne hinreichende Rechtfertigung anderweitig enttäuschen. Demgegenüber sind Gesetze mit unechter Rückwirkung, die auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirken, grundsätzlich zulässig, auch wenn sie damit zugleich die betroffene Rechtsposition nachträglich entwerten. Allerdings können sich auch im Fall der unechten Rückwirkung aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip Grenzen für die Zulässigkeit solcher Gesetze ergeben. Diese sind erst überschritten, wenn die vom Gesetzgeber angeordnete unechte Rückwirkung zur Erreichung des Gesetzeszwecks nicht geeignet oder erforderlich ist oder wenn die Bestandsinteressen der Betroffenen die Veränderungsgründe des Gesetzgebers überwiegen (BVerfG, Beschluss vom 10.06.2009 1 BvR 571/07, HFR 2009, 921).
Auch im Verwaltungsverfahren ist hiernach vom Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der normativen Vorgaben der Grundsatz des Vertrauensschutzes zu beachten. Für den Bürger muss eine gewisse Vorhersehbarkeit staatlicher Entscheidungen gegeben sein, die ihm damit die Möglichkeit gewährt, sich auf die staatlichen Entscheidungen einzustellen und einzurichten. Die gebotene Beachtung des Vertrauensschutzes führt aber nicht in jedem Fall zu dem Ergebnis, dass jegliche einmal erworbene Position ungeachtet der wirklichen Rechtslage Bestand haben muss. Erforderlich ist vielmehr eine an den Kriterien der Verhältnismäßigkeit und der Zumutbarkeit im Einzelfall vorzunehmende Prüfung, ob jeweils die Belange des Allgemeinwohls, wie etwa die Wiederherstellung der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, oder die Interessen des Einzelnen am Fortbestand einer Rechtslage, auf die er sich eingerichtet und auf deren Fortbestand er vertraut hat, den Vorrang hat (BVerfG, Beschluss vom 10.06.2009 1 BvR 571/07, HFR 2009, 921).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze dürfte das Vertrauensschutzprinzip durch § 27 Abs. 19 UStG bei summarischer Prüfung im Rahmen der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit zugunsten der Rechtsrichtigkeit in noch zulässiger Weise eingeschränkt worden sein. § 27 Abs. 19 UStG betrifft den Fall, dass sich der Vertragspartner des Steuerpflichtigen, ein Bauträger, für diese vor Februar 2014 an ihn ausgeführte Umsätze auf die Entscheidung des BFH vom 22.08.2013 (V R 37/10, BStBl II 2014, 128) beruft und die Erstattung der zu Unrecht gemäß § 13b UStG einbehaltenen Umsatzsteuer begehrt. Die Regelung dürfte durch die hiermit verbundene Gefahr von Steuerausfällen in diesen Altfällen hinreichend gerechtfertigt sein. In diesem Zusammenhang dürfte auch zu berücksichtigen sein, dass in Fällen bereits festsetzungsverjährter Umsatzsteuerfestsetzungen auch nach § 27 Abs. 19 UStG keine Änderung mehr möglich ist.
Dem berechtigten Interesse des auf die geltenden Verwaltungsanweisungen zur Frage der Steuerschuldnerschaft bei Bauleistungen an Bauträger vertrauenden Bauunternehmers wie der Antragstellerin dürfte durch § 27 Abs. 19 Sätze 3 und 4 UStG in Zusammenhang mit den hierzu ergangenen Verwaltungsanweisungen hinreichend Rechnung getragen werden, zumal die Frage des Vertrauensschutzes im Gesetzgebungsverfahren ausführlich diskutiert wurde (vgl. Deutscher Bundestag Finanzausschuss, Wortprotokoll der 12. Sitzung vom 23.06.2014, Protokoll-Nr. 8/12, S. 20 ff).
Gemäß § 27 Abs. 19 Sätze 3 und 4 UStG kann das für den leistenden Unternehmer zuständige Finanzamt auf Antrag zulassen, dass der leistende Unternehmer dem Finanzamt den ihm gegen den Leistungsempfänger zustehenden Anspruch auf Zahlung der gesetzlich entstandenen Umsatzsteuer abtritt, wenn die Annahme der Steuerschuld des Leistungsempfängers im Vertrauen auf eine Verwaltungsanweisung beruhte und der leistende Unternehmer bei der Durchsetzung des abgetretenen Anspruchs mitwirkt. Die Abtretung wirkt hiernach an Zahlungs statt, wenn
1. der leistende Unternehmer dem Leistungsempfänger eine erstmalige oder geänderte Rechnung mit offen ausgewiesener Umsatzsteuer ausstellt,
2. die Abtretung an das Finanzamt wirksam bleibt,
3. dem Leistungsempfänger diese Abtretung unverzüglich mit dem Hinweis angezeigt wird, dass eine Zahlung an den leistenden Unternehmer keine schuldbefreiende Wirkung mehr hat, und
4. der leistende Unternehmer seiner Mitwirkungspflicht nachkommt.
Hierdurch wird der Antragstellerin die Möglichkeit eröffnet, den zivilrechtlichen Anspruch gegenüber dem Bauträger auf die (noch ausstehende) Zahlung der Umsatzsteuer an das FA an Zahlung statt abzutreten. Bei summarischer Prüfung ist das FA bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 27 Abs. 19 Sätze 3 und 4 UStG zur Annahme der Abtretung verpflichtet (vgl. hierzu OFD Frankfurt am Main, Verfügung vom 19.06.2015 S 7279 A-14-St 113, Anlage 1: Arbeitshilfe für die hessischen Finanzämter unter 1.2.3 (Seite 12), Anlage 2: bundeseinheitlich abgestimmte Arbeitshilfe unter 2.2, 2.2.1 (Seiten 24, 25)). Für den Fall, dass der Bauunternehmer berichtigte Rechnungen mit offen ausgewiesener Umsatzsteuer erteilt, die erfolgte Abtretung dem Bauträger angezeigt wird und der Bauunternehmer die berichtigten Rechnungen in Kopie dem Finanzamt übermittelt, muss das FA nach dem Vortrag des Antragsgegners die Abtretung annehmen mit der Folge, dass ausschließlich das Finanzamt das Risiko der zivilrechtlichen Geltendmachung der Forderung gegenüber dem Leistungsempfänger trägt.
Ausweislich des Vortrags des Antragsgegners und der Verwaltungsanweisungen der OFD Frankfurt am Main (Verfügung vom 19.06.2015 S 7279 A-14-St 113, Anlage 1: Arbeitshilfe für die hessischen Finanzämter unter 1.2.3 (Seite 12), Anlage 2: bundeseinheitlich abgestimmte Arbeitshilfe unter 2.2, 2.2.1 (Seiten 24, 25)) darf das FA die Annahme der Abtretung, und damit die Wirkung des § 47 AO hinsichtlich der auf der Änderung des Umsatzsteuerbescheides nach § 27 Abs. 19 UStG beruhenden Umsatzsteuernachforderung nur in Ausnahmefällen verweigern. Zu diesen Ausnahmefällen gehört weder die zivilrechtliche Problematik der Bruttovereinbarungen, Abtretungsverbote oder die auf der Hand liegenden Verjährungsfragen. Nach dem unwidersprochenen Vortrag des Antragsgegners besteht aufgrund der Ermessensreduzierung auf Null eine Verpflichtung zur Annahme der Abtretung für die Finanzverwaltung, sobald die zivilrechtliche Umsatzsteuernachforderung aufgrund berichtigter Rechnungen entstanden ist, auf die Werthaltigkeit der Forderung kommt es nicht an (vgl. auch Stadie in Rau/Dürrwächter § 13b nF A 32; Sterzinger in UR 2014, 797 (810)).
Bei summarischer Prüfung erscheint diese Regelung als hinreichender Interessenausgleich des Widerstreits, der dadurch entsteht, dass sich ein Bauträger auf die unrichtige Anwendung des § 13b UStG beruft und sich gegen einen bereits festgesetzten Steueranspruch zur Wehr setzt, mit der Folge, dass ein steuerpflichtiger Vorgang tatsächlich nicht der Umsatzbesteuerung unterläge, würde nicht auf die - ebenso unrichtige - Umsatzsteuerfestsetzung des Leistenden zurückgegriffen.
Bei dieser Beurteilung ist zu berücksichtigen, dass die Beteiligten von Anfang an davon ausgingen, dass Umsatzsteuer anfällt. Hätte der Leistungsempfänger diese nicht als vermeintlicher Steuerschuldner an das Finanzamt abgeführt, hätte er die Gegenleistung nicht um den Steuerbetrag gekürzt. Daher dürfte Einigkeit zwischen den Beteiligten darüber bestanden haben, dass, wenn der Leistungsempfänger nicht Steuerschuldner nach § 13b UStG ist, er diesen Betrag als Teil seiner Gegenleistung dem Leistenden schuldet, weil dann dieser die Steuer dem Finanzamt schuldet (Stadie in Rau/Dürrwächter UStG § 13b nF A 35). Die zivilrechtliche Vereinbarung über die Höhe des an den Leistenden zu zahlenden Entgeltes beruhte auf einem beiderseitigen Irrtum über die Verlagerung der Steuerschuldnerschaft auf den Leistungsempfänger. Nur, wenn sowohl auf Seiten des Leistungsempfängers als auch auf Seiten des Leistenden an den ursprünglichen, unrichtigen Umsatzsteuerfestsetzungen festgehalten wird, dürfte sich die Frage stellen, ob die Übertragung der Steuerschuldnerschaft zur Disposition der beteiligten Geschäftspartner stehen kann (vgl. dazu BFH, Urteil vom 22.08.2013 V R 37/10, BFHE, BStBl II 2014, 128 [BFH 22.08.2013 - V R 37/10]; FG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 03.06.2015 5 V 5026/15, [...])
Die Regelung dürfte auch dem Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als der Rechtssicherheit dienendes Gebot der Belastungsvorhersehbarkeit genügen. Das Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit schützt davor, dass lange zurückliegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden können (BVerfG, Beschluss vom 05.03.2013 1 BvR 2457/08, BVerfGE 133, 143).
Eine unbegrenzte Heranziehungsmöglichkeit dürfte auch der Ausschluss des § 176 Abs. 2 AO nicht begründen, weil eine Änderungsmöglichkeit nach § 27 Abs. 19 UStG nach Eintritt der regulären Festsetzungsverjährung, wie bereits ausgeführt, nicht mehr gegeben ist und daher nur ein genau umrissener Zeitraum der Leistungserbringung betroffen ist.
Für die Frage der Belastungsvorhersehbarkeit dürfte zu berücksichtigen sein, dass nicht die Frage der Steuerpflicht des Umsatzes, sondern die Frage der Steuerschuldnerschaft von allen Beteiligten - Leistender, Leistungsempfänger, Finanzverwaltung - unrichtig beurteilt wurde. Auch dürfte es sich bei der der Umsatzsteuerpflicht unterliegenden Bauleistung nicht um einen in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossenen Vorgang handeln. Abweichend von der ursprünglich getroffenen zivilrechtlichen Vereinbarung, dass der Leistungsempfänger die unstreitig geschuldete Umsatzsteuer für die Werklieferung an das Finanzamt entrichtet, beantragt der Leistungsempfänger nunmehr die Erstattung der in Erfüllung der Vereinbarung mit dem Werkunternehmer an das Finanzamt entrichteten Umsatzsteuer. Hierin liegt eine tatsächliche Änderung des Sachverhaltes, unabhängig davon, ob diese - im Verhältnis zum Bauunternehmer - als abredewidrig oder - im Verhältnis zum Fiskus - als Geltendmachung der korrekten Besteuerung nach dem Gesetz zu beurteilen ist (vgl. FG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 03.06.2015 5 V 5026/15, DStR 2015, 1538; Lippross in UR 2014, 717 (722 f)). Hinzu kommt, dass der Leistende seine Zahlungsverpflichtung durch Abtretung seines Anspruchs gegen den Leistungsempfänger auf den Teil des Entgeltes, welcher der Umsatzsteuer entspricht, genügen kann, und das Finanzamt regelmäßig zur Annahme der Abtretung verpflichtet ist, so dass die Erfüllungswirkung des § 47 AO eintritt. Der Gesetzgeber dürfte damit eine zumutbare Regelung getroffen haben, wie der Leistende eine finanzielle Belastung aus den Änderungsanträgen des Leistungsempfängers vermeiden kann (vgl. Lippross in UR 2014, 717 (722)); Sterzinger in UR 2014, 797 (811)). Auch mit einer Zinsbelastung des Leistenden ist nach dem unstreitigen Vortrag des Antragsgegners nicht zu rechnen (vgl. OFD Frankfurt am Main, Verfügung vom 19.06.2015 S 7279 A-14 St 113, [...]).
Die nach deutschem Verfassungsrecht gebotenen Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und Rechtssicherheit, entsprechen den gleichlautenden europarechtlichen, die für alle Rechtsakte der Union gelten. Für den europarechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Rahmen der Anwendung des reverse-charge-Verfahrens ist zu berücksichtigen, dass dieses im Regelfall keine finanzielle Belastung bei den von diesen Maßnahmen betroffenen Personen bewirkt, während es zum anderen ermöglicht, beträchtliche Mehrwertsteuerausfälle zu verhindern (EuGH, Urteil vom 13.12.2012, BLV Wohn- und Gewerbebau, C-395/11, DB 2012, 2911 [EuGH 13.12.2012 - Rs. C-395/11]). Damit ist das Ziel des Gesetzgebers, beträchtliche Mehrwertsteuerausfälle zu verhindern, im Rahmen der Überprüfung der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen, auch wenn eine Abbedingung des Vertrauensschutzes ausschließlich nach Kassenlage mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit nicht mehr vereinbar sein dürfte (FG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 03.06.2015 5 V 5026/15, DStR 2015, 1538).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Die Beschwerde war zum einen aufgrund der weitreichenden Auswirkungen des § 27 Abs. 19 UStG und zum anderen aufgrund der abweichenden Beurteilung der Frage, ob der Ausschluss des § 176 Abs. 2 AO gegen das verfassungs- und europarechtlich gebotene Gebot der Rechtssicherheit verstößt, durch das FG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 03.06.2015 5 V 5026/15, DStR 2015, 1538) gemäß §§ 128 Abs. 3; 115 Abs. 2 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.