Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • 13.05.2020 · IWW-Abrufnummer 215605

    Finanzgericht Hamburg: Beschluss vom 28.02.2020 – 2 V 129/19

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    FINANZGERICHT HAMBURG


    28.02.2020

    Beschluss - Senat

    Gründe

    I.

    Streitig ist die auf Grund einer beim Antragsteller durchgeführten Umsatzsteuersonderprüfung vorgenommenen Hinzuschätzung von Umsatzerlösen zu 19 % Umsatzsteuer in Höhe von ... € (netto).

    Der Antragsteller betreibt einen Nutzfahrzeughandel .... Ein großer Teil seiner Kundschaft bezahlt den jeweiligen Kaufpreis per Banküberweisung. Einige Kunden bezahlten laut den vorliegenden Ausgangsrechnungen den Kaufpreis jedoch bar an den Antragsteller.

    Der Antragsgegner führte beim Antragsteller eine Umsatzsteuersonderprüfung für den Prüfungszeitraum 1. Quartal 2018 durch.

    In seinem Betriebsprüfungsbericht vom 28. März 2018 kam der Prüfer zu dem Ergebnis, dass der Antragsteller im Prüfungszeitraum zwar erhebliche Bareinnahmen und -ausgaben erzielt bzw. getätigt habe, jedoch keine Kasseneinzelaufzeichnungen habe vorlegen können. Die Bareinnahmen seien buchhalterisch über verschiedene Konten gebucht worden. Belege über Entnahmen oder Verbindlichkeiten seien nicht zur Prüfung vorgelegt worden. Der Ansicht des Antragstellers, dass Bareinnahmen sofort seinem Privatvermögen zugeflossen seien, ohne dass es hierzu weiterer Aufzeichnungen bedürfe, werde nicht gefolgt. Vielmehr flössen beim bilanzierenden Handelsunternehmen alle baren und unbaren Einnahmen aus dem Geschäftsbetrieb zunächst dem Betriebsvermögen zu und es bedürfe eines aktiven Handelns des Inhabers, um diese dem Betriebsvermögen zu entnehmen. Darüber seien wiederum Aufzeichnungen zu führen, und zwar sowohl buchhalterischer Art als auch durch Anfertigen von Belegen über die vorgenommene Entnahmehandlung.

    Zudem sei eine hohe Anzahl von bar vereinnahmten und verausgabten Beträgen nicht als Entnahmen und Einlagen, sondern über das Buchhaltungsskonto Nr. xxx "A Service" buchhalterisch erfasst worden. Über dieses aktive Bestandskonto, welches einen negativen Anfangsbestand am 1. Januar 2018 i.H.v. - ... € und einen negativen Bestand am 31. März 2008 i.H.v. - ... € ausgewiesen habe, seien Bareinnahmen aus Fahrzeugverkäufen ebenso erfasst worden wie Barausgaben für Fahrzeugeinkäufe, für Betriebsbedarf wie Kraftstoffe, Porto, Maut und Fahrzeugteile, aber auch Abgänge auf dem Konto für Bareinzahlungen auf dem Bankkonto. Bei dem Konto "A Service" handele es sich faktisch um ein buchhalterisches Aktivbestandskonto mit Bargeldbewegungen, ein sog. Kassenkonto, über das Einzelaufzeichnungen nach § 146 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) zu führen seien.

    Es sei im Rahmen der Prüfung - auch mangels vorgelegter Einzelaufzeichnungen - nicht möglich gewesen, nachzuvollziehen, woher das auf dem Bankkonto eingezahlte Bargeld tatsächlich stamme. Notwendigerweise habe hierfür zuvor ein Bargeldzufluss im Aktivvermögen stattgefunden haben müssen, gegebenenfalls handele es sich um nicht erfasste Bareinnahmen. Einlagen aus dem Privatvermögen seien jedenfalls weder buchhalterisch erfasst worden, noch seien hierzu entsprechende Belege zur Prüfung vorgelegt worden. Daher sei es im Ergebnis nicht möglich, die in der Voranmeldung zur Umsatzsteuer für das 1. Quartal 2018 erklärten Umsätze i.H.v. ... € auf ihre Vollständigkeit hin zu überprüfen, sodass die Buchführung erhebliche formelle und materielle Mängel aufweise und daher nicht der Besteuerung zugrunde gelegt werden könne, sondern die Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 AO zu schätzen seien.

    Im Rahmen der von ihm angenommenen Schätzungsbefugnis erhöhte der Prüfer die erklärten steuerfreien und steuerpflichtigen Umsätze des Prüfungszeitraums i.H.v. ... € um 5 %, was einer Hinzuschätzung von ... € entspricht. Der hinzugeschätzte Umsatz wurde ausschließlich den steuerpflichtigen Umsätzen zu 19 % hinzugerechnet, sodass sich ein Mehr an Umsatzsteuer i.H.v. ... € ergab.

    Der Antragsgegner erließ am 8. April 2019 unter Hinweis auf das Ergebnis der Umsatzsteuersonderprüfung einen geänderten Bescheid über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für das 1. Kalendervierteljahr 2018, in dem er das Ergebnis der Umsatzsteuersonderprüfung umsetzte. Gegen diesen Änderungsbescheid legte der Antragsteller fristgemäß Einspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung. Über den Einspruch hat der Antragsgegner bisher nicht entschieden. Den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung lehnte der Antragsgegner am 25. April 2019 ab, wogegen der Antragsteller am 16. Mai 2019 Einspruch erhob.

    Der Antragsgegner wies diesen Einspruch mit Entscheidung vom 7. Juni 2019 als unbegründet zurück unter Hinweis darauf, dass in dem Moment, in dem Betrieb des Antragstellers - aus welcher Quelle auch immer (z.B. durch Barzahlung eines Kunden oder Bareinlage) - Bargeld zufließe, dieses Bargeld gegenständlich im Betriebsvermögen vorhanden sei. Erst im nächsten Schritt könne dann eine weitere Verwendung erfolgen (z.B. durch Privatentnahme, Einzahlung auf das betriebliche Bankkonto, Verwendung für private oder betriebliche Zwecke). Und eben diese Kette von Barmittelherkunft und Barmittelverwendung sei buchhalterisch in einem Kassenbuch festzuhalten. Zum Zwecke der buchhalterischen Nachvollziehbarkeit seien entsprechende Kasseneinzelaufzeichnungen zwingend notwendig. Diesen Buchführungspflichten komme der Antragsteller auch nicht dadurch nach, dass er die Zahlungsart (Barzahlung) auf den jeweiligen Eingangs- und Ausgangsrechnungen vermerke und diese chronologisch ablege. Zudem seien ungeklärte Bareinzahlungen auf dem betrieblichen Bankkonto festgestellt worden, die keinem Geschäftsvorfall hätten zugerechnet werden können. Insgesamt lägen daher sowohl formelle Mängel (keine Führung eines Kassenbuches) als auch materielle Mängel (nicht nachvollziehbare Bareinzahlungen auf das betriebliche Bankkonto) vor, sodass Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit und Unvollständigkeit der Aufzeichnungen des Antragstellers bestünden und daher er, der Antragsgegner, zur Schätzung befugt gewesen sei. Die Höhe der Hinzuschätzungen i.H.v. 5 % der erklärten Umsatzerlöse bewege sich bei summarischer Prüfung innerhalb des Schätzungsrahmens und sei der Höhe nach nicht zu beanstanden.

    Am 11. Juli 2019 hat der Antragsteller um gerichtlichen Eilrechtsschutz ersucht, den er wie folgt begründet:

    Es gebe keine betriebliche Kasse oder irgendein betrieblich zugeordnetes Behältnis, in dem Bargeld aufbewahrt werde, so dass die Führung eines Kassenbuches - wie vom Antragsgegner gefordert - gar nicht möglich sei. Es gebe mangels Kasse keine Kasseneinnahmen und -ausgaben i.S.d. § 146 Abs. 1 Satz 2 AO. Der Antragsgegner gehe anscheinend davon aus, dass jegliche Art von Bareinnahmen und -ausgaben mit Kasseneinnahmen und -ausgaben gleichzusetzen sei.

    Seiner Einzelaufzeichnungspflicht komme er, der Antragsteller, dadurch nach, dass er jeden verkauften und gelieferten Gegenstand einzeln und durch z.B. die Fahrgestellnummer des Kfz eindeutig identifizierbar in Rechnung stelle. Sämtliche steuer- und buchführungsrelevanten Informationen (z.B. Lieferzeitpunkt, Umsatz, Liefergegenstand, Zahlungsmethode) befänden sich auf dieser Rechnung, anhand derer sowohl der Ertrag als auch der Geldfluss ermittelt und gebucht werden könne.

    Der Antragsgegner gehe auch irrig davon aus, dass zugeflossene Bargelder (z.B. durch Barzahlung eines Kunden) immer zunächst gegenständlich im Betriebsvermögen landen und erst im nächsten Schritt, z.B. durch Privatentnahme verwendet werden könnten. In der Literatur werde jedoch auch die Auffassung vertreten, dass bei einem buchführungspflichtigen Einzelkaufmann aufgrund der juristischen Einheit des Rechtsträgers die Möglichkeit bestehe, Erträge unmittelbar in die Privatsphäre des Kaufmanns fließen zu lassen.

    Er, der Antragsteller, habe bei einem Barverkauf den Ertrag zunächst gewinnerhöhend buchhalterisch erfasst. Die mit dieser Buchung erfasste Forderung sei sodann auf das Konto #yyy ("Privatentnahmen allgemein") umgebucht worden und somit das Kundenforderungskonto (#zzz) ausgeglichen worden. Es sei damit schon bei Abschluss des Kaufvertrages der Entschluss gefasst worden, die durch die Lieferung entstandene Forderung gegenüber dem Kunden zu entnehmen. Der Geldfluss aufgrund der Zahlung des Kaufpreises sei als nachfolgende Handlung anzusehen, die die ins Privatvermögen entnommene Forderung gegenüber dem Kunden ausgleiche. Eine betriebliche Aufzeichnung des Bargeldzuflusses sei somit gar nicht möglich, da bereits die Forderung durch Entnahme ins Privatvermögen entnommen worden sei.

    Und schließlich lägen auch keine materiellen Buchführungsmängel aufgrund der Bareinzahlungen auf das Bankkonto vor. Die Herkunft des eingezahlten Geldes ergebe sich aus dem geschilderten Geschäftsablauf, wonach die von Kunden zur Begleichung ihrer Verbindlichkeiten gezahlten Gelder, direkt von ihm, dem Antragsteller, vereinnahmt worden seien.

    Dass das Konto #xxx, auf dem die privaten Bareinlagen und die aus privaten Mitteln gezahlten betrieblichen Ausgaben erfasst würden, anders bezeichnet werde ("B GmbH") als eigentlich gemeint ("Privateinlage"), liege daran, dass die Bezeichnung der Konten grundsätzlich erst im Rahmen der Abschlussarbeiten richtiggestellt werde, insbesondere wenn es sich um ein Konto handele, welches standardmäßig für Privateinlagen verwandt werde. Außerdem ändere die falsche Bezeichnung nichts an der Tatsache, dass auf diesem Konto systematisch ausschließlich Bareinzahlungen und Barauslagen für den Betrieb erfasst worden seien und den einzigen Inhalt des Kontos ausmachten.

    Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
    die Aufhebung der Vollziehung des Bescheids über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für das 1. Kalenderjahr 2018 vom 8. April 2019 bis zu einer Entscheidung im Einspruchsverfahren ohne Sicherheitsleistung.

    Der Antragsgegner beantragt,
    den Antrag abzulehnen.

    Zur Begründung verweist er auf die Einspruchsentscheidung und trägt ergänzend vor:

    Der Antragsteller sei bereits im Rahmen der vorherigen Außenprüfung für die Jahre 2012 bis 2014 auf die Verpflichtung zur Kassenbuchführung hingewiesen worden.

    Soweit sich der Antragsteller darauf berufe, dass eine Kassenbuchführung mangels physisch vorhandener Kasse nicht möglich sei, sei darauf hinzuweisen, dass eine Schublade, eine Geldbörse oder zur Not auch eine Hosentasche ausreichen könnten. Zudem lägen auch Kasseneinnahmen vor, da betriebliche Rechnungen des Antragstellers, auf denen (anteilige) betriebliche Bareinnahmen schriftlich vermerkt worden seien, vorhanden seien. Seien Bareinnahmen auf einer betrieblichen Rechnung vom Betriebsinhaber dokumentiert worden und stünden sie dadurch ersichtlich im Zusammenhang mit dem über die Rechnung erfassten Geschäftsvorfall, seien diese Bareinnahmen zunächst betrieblich und nicht privat. Der Antragsteller versuche, über reine Buchungsvorgänge eine Zuordnung des Bargeldes vom Betriebsvermögen zu verhindern, und eine "Art" vorgezogene Privatentnahme zu erfinden. Forderungsbuchungen schieden bei vereinnahmten Bargeld jedoch schon deswegen aus, da es keine Forderung gebe.

    Die durch den Antragsteller verwandten Konten würden willkürlich bezeichnet und auch willkürlich zu unterschiedlichsten Buchungszwecken eingesetzt. Das Sachkonto #xxx mit der Bezeichnung "A Service" sei für bar vereinnahmte und bar verausgabte Beträge sowie für Abgänge (Geldtransit) auf das Bankkonto verwandt worden. Die Buchung von Einlagen und Entnahmen auf nur einem Sachkonto entspreche bereits nicht den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Buchführung i.S.d. Kontenklarheit.

    ...

    II.

    1. Der zulässige Antrag hat lediglich im tenorierten Umfang Erfolg.

    a) Nach § 69 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Die Voraussetzungen für die Aufhebung der Vollziehung (AdV) sind die gleichen wie für die Aussetzung der Vollziehung (BFH-Beschlüsse vom 10. Mai 1968, III B 55/67, BStBl II 1968, 610; vom 10. Dezember 2986, I B 121/86, BStBl II 1987, 389). Danach soll seitens des Gerichts eine Aufhebung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen. Solche sind gegeben, wenn bei summarischer Prüfung neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zu Tage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen und/oder Unklarheiten in der Beurteilung einer Tatfrage bewirken (st. Rspr., vgl. BFH-Beschlüsse vom 3. Februar 2005, I B 208/04, BStBl II 2005, 351; vom 3. Februar 1993, I B 90/92, BStBl II 1993, 426). Die Entscheidung ergeht bei der im Eilrechtsverfahren gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage sowie aufgrund von präsenten Beweismitteln (§ 155 FGO i. V. m. § 294 Abs. 2 der Zivilprozessordnung) ergibt. Es ist Sache der Beteiligten, die entscheidungserheblichen Tatsachen darzulegen und glaubhaft zu machen, soweit ihre Mitwirkungspflicht reicht (BFH-Beschluss vom 20. März 2002, IX S 27/00, BFH/NV 2002, 809 m. w. N.). Die im Hauptsacheverfahren geltenden Regeln zur Feststellungslast finden auch im Aussetzungs-/Aufhebungsverfahren Anwendung.

    b) Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides bestehen bei summarischer Prüfung daran gemessen nur in dem tenorierten Umfang. Nach Würdigung der präsenten Beweismittel und der Aktenlage dürfte die Hinzuschätzung jedenfalls zum Teil rechtmäßig sein.

    aa) Der Antragsgegner geht zutreffend davon aus, dass die Buchführung des Antragstellers im Prüfungszeitraum derart fehlerbehaftet war, dass sie der Besteuerung nicht zugrunde gelegt werden konnte und deshalb eine Hinzuschätzung geboten war.

    Nach § 162 AO hat die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, soweit sie diese nicht ermitteln oder berechnen kann. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind. Zu schätzen ist insbesondere dann, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann, wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen der Besteuerung nicht nach § 158 AO zugrunde gelegt werden können, weil sie insbesondere den Vorschriften der §§ 140 bis 148 AO nicht entsprechen, oder wenn tatsächliche Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der vom Steuerpflichtigen gemachten Angaben zu steuerpflichtigen Einnahmen oder Betriebsvermögensmehrungen bestehen, § 162 Abs. 2 AO.

    Nach § 146 Abs. 1 Satz 2 AO sind seit der Änderung durch das Gesetz zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I 2016, 3152) Kasseneinnahmen und -ausgaben täglich festzuhalten. Das danach täglich zu führende Kassenbuch gehört zu den wesentlichen Grundbüchern eines Unternehmens. Die Vorgänge im Zusammenhang mit der Bewegung von Bargeld bedürfen aufgrund der erheblichen Manipulationsgefahren eines dichten Kontrollgefüges. Die Anforderungen an ein solches Kontrollgefüge sind dabei an die Art und Weise der Kassenführung anzupassen (BFH-Urteil vom 20. März 2017, X R 11/16, BStBl II 2017, 992, Rz. 37). Der Begriff der Kasse ist weit zu verstehen und umfasst alle Behälter, in denen Bargeld aufbewahrt wird (Märtens, in Gosch, AO/FGO, § 146 AO Rn. 27 a.E. (November 2017)). Werden die Bareinnahmen in einer sog. offenen Ladenkasse erfasst, erfordert dies einen täglichen Kassenbericht, der auf der Grundlage eines tatsächlichen Auszählens der Bareinnahmen erstellt worden ist. Dies ist die Folge der jederzeitigen Möglichkeit, die Kasse bzw. die Kasseneinnahmen und -ausgaben manipulieren zu können. Dabei ist kein "Zählprotokoll" erforderlich. Erforderlich, aber auch ausreichend ist ein Kassenbericht, der auf der Grundlage eines tatsächlichen Auszählens erstellt worden ist (BFH-Beschluss vom 16. Dezember 2016, X B 41/16, BFH/NV 2017, 310, Rz. 25 f., m.w.N.). Der Kassenbericht muss im Fall einer offenen Ladenkasse so beschaffen sein, dass es einem Buchsachverständigen zumindest am Beginn und am Ende jedes Geschäftstages möglich ist, den durch Kassensturz festgestellten Ist-Bestand anhand der Kassenaufzeichnungen zu überprüfen (BFH-Urteil vom 31. Juli 1974, I R 216/72, BStBl II 1975, 96, unter 1.). Ermöglichen die Kassenaufzeichnungen einen solchen Vergleich des Soll-Bestands laut Aufzeichnungen mit dem Ist-Bestand der Kasse nicht, fehlt es jedenfalls insoweit an der formellen Ordnungsmäßigkeit der Buchführung (BFH-Urteil vom 20. März 2017, X R 11/16, BStBl II 2017, 992, Rz. 41).

    (1) Der Senat geht unter Zugrundelegung dieser Grundsätze von einer derart mangelbehafteten Buchführung des Antragstellers aus, dass der Anschein der Richtigkeit und Vollständigkeit der ermittelten Werte maßgeblich erschüttert ist und der Antragsgegner zu einer Schätzung befugt war. Die Buchführung des Antragstellers ist bereits deshalb nicht ordnungsgemäß, da er trotz Vorliegens von Kasseneinnahmen und -ausgaben gem. § 146 Abs. 1 Satz 2 AO kein Kassenbuch führte, sodass keine Kassensturzfähigkeit vorlag.

    Kauft ein Kunde Ware und bezahlt diese umgehend in bar, liegen Kasseneinnahmen im Sinne des § 146 Abs. 1 Satz 2 AO vor. Die Behauptung des Antragstellers, eine zwischen Kaufvertragsschluss und sofort anschließender Übereignung des Geldes allenfalls für kurze Zeit bestehende Forderung auf Zahlung des Kaufpreises aus dem Betriebsvermögen zu entnehmen und das Geld sodann als Privatvermögen zu vereinnahmen, führt nicht dazu, dass die Pflicht zur Führung eines Kassenbuchs entfällt. Eine derartige Handhabung erscheint vollkommen gekünstelt und soll offensichtlich der Umgehung der Erfassung der Barumsätze dienen. Zudem hat der Antragsteller auch keine Belege über seine vermeintliche Entnahmehandlung vorgelegt, sondern lediglich entsprechende Auszüge der von seinem Steuerberater erstellten Buchführungskonten. Und schließlich ist auch zu beachten, dass der Antragsteller auf seinen - unter dem Briefkopf seines Gewerbes - erstellten Rechnungen, eine Vereinnahmung von "Bareinnahmen" ausweist, was wiederum dokumentiert, dass das vom Kunden gezahlte Geld zunächst Betriebsvermögen geworden ist.

    Die Pflicht zur Erfassung der Bareinnahmen nach § 146 Abs. 1 Satz 2 AO kann auch nicht daran scheitern, dass der Kläger über kein Kassenbehältnis verfügen will, in dem er die Einnahmen aufbewahrt. Hier weist der Antragsgegner zutreffend daraufhin, dass "zur Not auch die Hosentasche" des Antragstellers als Kasse im Sinne der Vorschrift anzusehen sei.

    bb) Die Schätzung ist bei summarischer Prüfung allerdings der Höhe nach zu beanstanden. Das Gericht geht bei summarischer Prüfung davon aus, dass die Hinzuschätzung in Höhe von 5 % der Umsätze im Verhältnis der vom Antragsteller erklärten steuerfreien und steuerpflichtigen Umsätzen zu erfolgen hat. Insoweit macht das Gericht von seiner eigenen Schätzungsbefugnis (§ 96 Abs. 1 FGO i. V. m. § 162 AO) Gebrauch.

    (1) Die Wahl der Schätzungsmethode steht im pflichtgemäßen Ermessen der Finanzbehörde bzw. des Finanzgerichts, wenn es - wie hier - seine eigene Schätzungsbefugnis aus § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO i. V. m. § 162 AO ausübt. Es ist eine Schätzungsmethode zu wählen, die die größte Gewähr dafür bietet, mit einem zumutbaren Aufwand das wahrscheinlichste Ergebnis zu erzielen (vgl. Seer in Tipke/ Kruse, AO/ FGO, § 162 AO Rn. 52 m.w.N. (Stand: Oktober 2017)). Die Wahl der Schätzungsmethode richtet sich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalles (vgl. z. B. FG Bremen, Urteil vom 17. Januar 2007, 2 K 229/04, EFG 2008, 8). Ziel jeder Schätzung muss es sein, Besteuerungsgrundlagen so zu ermitteln, dass sie der Wirklichkeit möglichst nahekommen. Schätzergebnisse müssen darüber hinaus wirtschaftlich vernünftig und möglich sein (vgl. BFH-Urteil vom 18. Dezember 1984 VIII R 195/82, BStBl II 1986, 226). Es liegt in der Natur der Sache, dass das Ergebnis einer Schätzung von den tatsächlichen Verhältnissen abweichen kann. Solche Abweichungen sind notwendig mit einer Schätzung verbunden, die in Unkenntnis der wahren Gegebenheiten erfolgt. Die Schätzung muss sich allerdings in dem durch die Umstände des Falles gezogenen Schätzungsrahmen halten (vgl. BFH-Urteil vom 1. Oktober 1992, IV R 34/90, BStBl II 1993, 259). Aus diesem Grunde sind alle möglichen Anhaltspunkte, u. a. auch das Vorbringen des Steuerpflichtigen oder eine an sich fehlerhafte Buchführung, zu beachten und alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um im Rahmen des Zumutbaren die Besteuerungsgrundlagen wenigstens teilweise zu ermitteln. Auf der anderen Seite ist aber auch das Maß der Verletzung der dem Steuerpflichtigen obliegenden Mitwirkungspflichten zu berücksichtigen. Daher ist es gerechtfertigt, bei einer Pflichtverletzung des Steuerpflichtigen, insbesondere bei einer nicht ordnungsgemäßen Buchführung, einen Sicherheitszuschlag vorzunehmen. Der Sicherheitszuschlag lässt sich dabei als eine griffweise Schätzung, die in einem vernünftigen Verhältnis zu den erklärten oder nicht erklärten Einnahmen stehen muss, charakterisieren (BFH-Urteil vom 20. März 2017, X R 11/16, BStBl II 2017, 992).

    (2) In Anwendung dieser Grundsätze sieht der Senat eine Schätzung mittels (Un-)Sicherheitszuschlags zu den erklärten Umsätzen als am besten geeignete Schätzungsmethode an, das wahrscheinlichste Ergebnis zu erzielen. Der Höhe nach wählt der Senat - wie der Antragsgegner - einen (Un-)Sicherheitszuschlag in Höhe von 5 % auf die erklärten Umsätze. Im Rahmen der Bestimmung eines angemessenen und zutreffenden Sicherheitszuschlages ist auch das Maß der Verletzung der dem Steuerpflichtigen obliegenden Mitwirkungspflichten zu berücksichtigen (vgl. BFH-Beschluss vom 10. Mai 2012, X B 71/11, BFH/NV 2012, 1461). In diesem Zusammenhang ist zur Überzeugung des Senats zu Lasten des Antragstellers der Umstand zu berücksichtigen, dass er im Streitfall trotz Hinweises in der Vorprüfung weiterhin keinerlei Kassenaufzeichnungen führt, so dass nachprüfbare Unterlagen fehlen, die die Feststellung ermöglichen, ob bzw. inwieweit die (Bar-)Umsätze und damit auch die vom Antragsteller erklärten Gewinne tatsächlich der Höhe nach richtig sind.

    Das sich durch eine Hinzuschätzung von 5 % der erklärten Umsätze ergebende Mehrergebnis i.H.v. ... € (netto) verlässt auch nicht den gebotenen Schätzungsrahmen. Die Schätzung ist der Höhe nach grundsätzlich wirtschaftlich möglich und hält einer Plausibilitätsprüfung stand.

    Nach Ansicht des Senats besteht jedoch Anlass zu Zweifeln hinsichtlich der vom Antragsgegner vorgenommenen Aufteilung der hinzugeschätzten Umsätze. Entgegen der Ansicht des Antragsgegners spricht zumindest bei summarischer Prüfung nichts dafür, den Sicherheitszuschlag allein den Umsätzen zu 19 % zuzuordnen. Vielmehr dürfte grundsätzlich davon auszugehen sein, dass die hinzugeschätzten Umsätze sich gleichmäßig auf die (umsatz-)steuerfreien und steuerpflichtigen Umsätze verteilen. Zumindest hat der Antragsgegner bisher keine plausible Begründung vorgetragen, dass dich der Hinzurechnungsbetrag allein auf die steuerpflichtigen Umsätze beziehen sollte.

    Die vom Antragsgegner vorgenommene Hinzuschätzung ist daher gemäß nachfolgender Tabelle zu korrigieren:

            Erkl. Umsätze    Umsätze nach BP*       Umsätze nach erkl. Quote**
    USt.-frei    ... €    72,36 %    ... €    68,92 %    ... €    72,36 %
    USt.-frei    ... €    27,64 %    ... €    31,08 %    ... €    27,64 %
            ... €            ... €            ... €

    *     Hinzuschätzung i.H.v. 5 % auf ustpfl. Umsätze ... € (netto)
    **     Hinzuschätzung i.H.v. 5 % nach erklärter Quote ... € (netto)

    Danach bestehen Zweifel an der Rechtsmäßigkeit der Hinzuschätzung soweit die umsatzsteuerpflichtigen Umsätze von ... € auf mehr als ... € erhöht worden sind. Die Vollziehung des angegriffenen Bescheids ist folglich in Höhe von ... € als Umsatzsteuer in Höhe von 19 % auf die Differenz zwischen ... € und ... € (= ... €) aufzuheben.

    2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO. Gründe die Beschwerde zuzulassen, liegen nicht vor, §§ 128, 115 FGO.