Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • 02.09.2020 · IWW-Abrufnummer 217658

    Hessisches Finanzgericht: Beschluss vom 11.05.2020 – 3 K 550/16

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Hessisches Finanzgericht 3. Senat

    11.05.2020


    Tenor

    Die Familienkasse wird unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 28.01.2016 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 03.04.2016 dazu verpflichtet, dem Kläger für seinen Sohn S für den Zeitraum April 2013 bis September 2014 Kindergeld in voller gesetzlicher Höhe zu bewilligen.

    Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

    Der Gerichtsbescheid ist hinsichtlich der erstattungsfähigen Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der erstattungsfähigen Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.

    Die Revision wird zugelassen.

    Tatbestand

    Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger für seinen Sohn S, der im Streitzeitraum ebenso wie der Kläger und die Kindesmutter in London wohnte, ein ungekürzter deutscher Kindergeldanspruch zusteht. Dem Rechtsstreit liegt im Wesentlichen folgender Sachverhalt zu Grunde:

    Der Kläger ist der Vater des in 2013 geborenen S. Er ist Rechtsanwalt und Partner einer Rechtsanwaltskanzlei, die sowohl in Deutschland als auch in England Stützpunkte unterhält. Im Streitzeitraum (April 2013 bis September 2014) war er für die Sozietät in beiden Ländern tätig; seine daraus resultierenden Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit beliefen sich laut den vom Kläger während des Gerichtsverfahrens vorgelegten Einkommensteuerbescheiden im Jahr 2013 auf rd. 2,1 Mio. € und im Jahr 2014 auf rd. 1,7 Mio. €. Daneben erzielte er im mittleren fünfstelligen Bereich Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Er wurde vom zuständigen Finanzamt gemäß § 1 Abs. 3 EStG zur Einkommensteuer veranlagt. Im Streitzeitraum wohnte der Kläger zusammen mit der Kindesmutter, deren Erwerbstätigkeit im maßgeblichen Zeitraum wegen Mutterschutz/ Erziehungszeit ruhte, und dem Kind in einer Wohnung in London. In der Zeit von April 2013 bis September 2014 unterhielt der Kläger keinen deutschen Wohnsitz.

    In England stellten weder der Kläger, noch die Kindesmutter einen Antrag auf Festsetzung von „Kindergeld“ für das oben genannte Kind. Auf den in Deutschland vom Kläger gestellten Kindergeldantrag setzte die Beklagte (die Familienkasse) Differenzkindergeld fest, wobei vom deutschen Kindergeldanspruch die in Großbritannien zu beanspruchenden Familienleistungen in Höhe von monatlich 125,03 € bzw. 126,25 € abgezogen wurden. Die Kindergeldfestsetzung erging vorläufig gemäß § 165 Abs. 1 Abgabenordnung (AO).

    Der dagegen vom Kläger fristgerecht eingelegte Rechtsbehelf hatte keinen Erfolg und wurde mit Einspruchsentscheidung als unbegründet zurückgewiesen. Dagegen wendet er sich mit seiner vor dem Hessischen Finanzgericht erhobenen Klage.

    Auf richterlichen Hinweis des Berichterstatters hat die Familienkasse ein Auskunftsersuchen an die britische Familienkasse gerichtet und darin um Mitteilung gebeten, ob und in welchem Umfang in England ein Anspruch auf Familienleistungen für S bestand. Nach mehrmaliger Erinnerung hat die britische Behörde dieses auf dem Vordruck „E 411“ beantwortet. Aus der Antwort geht hervor, dass im Streitzeitraum keine britischen Familienleistungen gewährt worden sind, weil Anfragen der britischen Kindergeldstelle unbeantwortet geblieben sind. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den vorgenannten Antwortvordruck verwiesen.

    Der Kläger ist der Ansicht, dass ihm ein Anspruch auf ungekürztes deutsches Kindergeld zustehe. Der deutsche, durch seine Tätigkeit im Inland ausgelöste Kindergeldanspruch sei nach Art. 68 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (Amtsblatt der Europäischen Union --ABlEU-- 2004 Nr. L 166, S. 1/ nachfolgend EU-VO 883/2004 abgekürzt) vorrangig. Es gelte der schon im EuGH-Urteil vom 14.10.2010 (C-16/08 „Schwemmer“) aufgestellte Grundsatz, dass Familienleistungen im Beschäftigungsstaat zu gewähren seien, auch wenn die Familie dort nicht wohne.

    Selbst wenn es sich bei Großbritannien um den nach der vorgenannten EU-Verordnung vorrangig zuständigen Mitgliedstaat handele, habe er einen Anspruch auf volles deutsches Kindergeld. Das ergebe sich vor dem Hintergrund, dass die Beantragung von Kindergeld in Großbritannien in seinem Fall sinnlos sei, weil britische Familienleistungen („child benefit“) ohnehin nicht ausgezahlt würden. Dem stehe der „higher income child benefit charge“ entgegen. Dabei handelt es sich - was zwischen den Beteiligten unstreitig ist ‒ um eine in Großbritannien seit dem 07.01.2013 erhobene tragsteuer für Steuerzahler, die „child benefit“ beziehen und ein jährliches Nettoeinkommen über 50.000,-- GBP haben. Die Berechtigten können dann wählen, ob sie auf die Gewährung von „child benefit“ künftig verzichten oder diese Leistung weiterhin beziehen und entsprechende Steuern hierauf entrichten. Ab einem jährlichen bereinigten Nettoeinkommen von 60.000 GBP heben sich „child benefit“ und „higher income child benefit charge“ gegenseitig vollständig auf, so dass keine Kindergeldzahlung erfolgt. Ausweislich des englischen Gesetzestexts (vgl. Finance Act 2012, Chapter 8, High income child benefit charge) ist die Einkommensteuer auf das Kindergeld vom Steuerpflichtigen auch dann zu entrichten, wenn der Partner für das betreffende Kind das Kindergeld erhält. Partner können auch nicht verheiratete Personen, die zusammenleben, sein (vgl. Finance Act 2012, Chapter 8, 681G Meaning of “partner”). Der Kläger ist der Auffassung, dass er wegen der Höhe des von ihm erzielten Einkommens auch im Fall einer Antragstellung in Großbritannien kein Kindergeld erhalten hätte.

    Der Kläger beantragt,

    unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung die Familienkasse zu verpflichten, ihm Kindergeld für seinen Sohn S für den Zeitraum April 2013 bis September 2014 in voller gesetzlicher Höhe zu bewilligen.

    Die Familienkasse beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Sie ist der Ansicht, die Festsetzung von Differenzkindergeld sei zutreffend erfolgt. Aufgrund des Wohnsitzes der Familie in England und der Tatsache, dass beide Eltern dort eine Erwerbstätigkeit ausgeübt hätten (bzw. die Kindesmutter diese wegen Mutterschaft unterbrochen habe) sei Großbritannien nach der hier einschlägigen EU-VO 883/2004 der zur Zahlung von Kindergeld vorrangig zuständige Mitgliedstaat. Die Rechtsauffassung des Klägers, er habe aufgrund der Höhe seines Einkommens keinen Anspruch auf britische Familienleistungen, gehe fehl. Insoweit sei zwischen dem Kindergeldanspruch und der Auszahlung des Kindergeldes zu unterscheiden. Selbst wenn der Kläger auf die englische Familienbeihilfe Einkommensteuer zahlen müsse und wegen der Höhe der Steuer das ausgezahlte Kindergeld durch diese vollständig aufgezehrt werde - entsprechendes gelte für den Fall, dass in Anbetracht dessen sogleich auf „child benefit“ verzichtet werde - habe das auf die Anspruchsentstehung keinen Einfluss. Der Anspruch auf „child benefit“ bleibe gleichwohl dem Grunde nach bestehen und werde von der britischen Behörde auch in ungeminderter Höhe bescheinigt. Ob und ggf. in welcher Höhe ein englischer Kindergeldanspruch für S bestehe, könne auch nicht abschließend beantwortet werden, weil Anfragen der britischen Behörde vom Kläger bzw. der Kindesmutter nicht beantwortet worden seien. Aus dieser Mitwirkungspflichtverletzung dürften keine für den Kläger günstigen Schlüsse gezogen werden.

    Die Kindergeldakte war Gegenstand des Verfahrens.

    Entscheidungsgründe

    1. Die Klage ist zulässig und begründet.

    Der Kläger ist im Streitfall nach Überzeugung des Senats zum ungekürzten Kindergeldbezug berechtigt. Eine Anrechnung englischen Kindergeldes aus unionsrechtlichen Gründen kommt nicht in Betracht.

    a) Der Kläger erfüllt im Streitzeitraum die nationalrechtlichen Anforderungen an die Gewährung von Kindergeld.

    Er ist ‒ wie zwischen den Beteiligten unstreitig ‒ ausweislich der von ihm vorgelegten Einkommensteuerbescheide für 2013 und 2014 nach § 1 Abs. 3 EStG in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig. Als deutscher Staatsangehöriger ist er daher ohne Einschränkungen nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 b) EStG grundsätzlich kindergeldberechtigt. Da sein Sohn minderjährig ist und im maßgeblichen Zeitraum im EU-Ausland lebte (§ 63 Abs. 1 EStG), ist S auch berücksichtigungsfähig.

    Der Kläger und die Kindesmutter leben in einem gemeinsamen Haushalt mit dem Kind; sie hat der Auszahlung des Kindergeldes an den Kläger zugestimmt (§ 64 Abs. 2 Satz 2 EStG).

    b) Es handelt sich im Streitfall um einen grenzüberschreitenden Sachverhalt mit Unionsbezug, der zur Anwendung der EU-VO 883/2004 sowie der dazu ergangenen Durchführungsverordnung Nr. 987/2009 führt. Die EU-VO 883/2004 i.V.m. Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.09.2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der EU-VO 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO Nr. 987/2009) ist seit Mai 2010 anwendbar (vgl. Art. 91 Abs. 2 EU-VO 883/2004 i.V.m. Art. 97 Abs. 1 Satz 2 VO Nr. 987/2009) und gilt damit im Streitzeitraum.

    Der Kläger fällt als deutscher Staatsbürger gemäß Art. 2 Abs. 1 der EU-VO 883/2004 in deren persönlichen Anwendungsbereich. Ebenso ist der sachliche Anwendungsbereich der VO eröffnet; das Kindergeld ist eine Familienleistung i. S. von Art. 1 Buchst. z, Art. 3 Abs. 1 Buchst. j der EU-VO 883/2004. Nach Art. 11 Abs. 3 Ziffer a) der EU-VO 883/2004unterliegt der Kläger aufgrund seiner Beschäftigung in England (auch) den dortigen Rechtsvorschriften.

    c) Nach den englischen Rechtsvorschriften ergibt sich, dass auch dort Familienleistungen für Kinder vorgesehen sind, das sogenannte „child benefit“ (vgl. Part IX des SOCIAL.SECURITY.CONTRIBITIONES AND BENEFITS ACT 1992). Die in England vorgesehenen Leistungen kann grundsätzlich auch der Kläger in Anspruch nehmen.

    Da im Streitfall für denselben Zeitraum und für denselben Familienangehörigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedsstaaten zu gewähren sind, gilt Art. 68 Abs. 1 der EU-VO 883/2004, der die Priorität der Ansprüche, deren (teilweise) Aussetzung und das Verfahren regelt.

    Sind für denselben Zeitraum und für denselben Familienangehörigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer EU-Staaten zu gewähren, so ist vorrangig der Staat zuständig, in dem eine Beschäftigung oder eine selbstständige Tätigkeit ausgeübt wird. Hierauf folgen die durch den Bezug einer Rente und schließlich die durch den Wohnort ausgelösten Ansprüche (vgl. Art. 68 Abs. 1 Buchstabe a) EU-VO 883/2004).

    Sind die Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer EU-Staaten zu gewähren und wird in diesen Staaten jeweils eine Beschäftigung bzw. eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgeübt, aus den jeweiligen EU-Staaten eine Rente bezogen oder werden die Ansprüche in den EU-Staaten allein durch den Wohnsitz ausgelöst, so ist der Staat vorrangig zuständig, in dem sich der Wohnort der Kinder befindet. Voraussetzung ist, dass in dem Wohnstaat der Kinder eine solche Tätigkeit ausgeübt wird, aus diesem Staat eine Rente bezogen wird bzw. sich in diesem Staat der Wohnort eines der Berechtigten befindet (vgl. Art. 68 Abs. 1 Buchstabe b EU-VO 883/2004).

    Soweit die genannten Konkurrenzregelungen auf eine Erwerbstätigkeit im Sinne des Art. 68 EU-VO 883/2004 abstellen, fallen hierunter nach dem Beschluss Nummer F1 der EU-Verwaltungskommission folgende Tätigkeiten bzw. Zeiträume:

    - die tatsächliche Ausübung einer beruflichen Tätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbstständiger

    sowie

    - die vorübergehende Unterbrechung dieser beruflichen Tätigkeit

    - wegen Krankheit, Mutterschaft, Arbeitsunfall, Berufskrankheit oder Arbeitslosigkeit, solange Arbeitsentgelt oder andere Leistungen als Renten im Zusammenhang mit diesen Versicherungsfällen zu zahlen sind, oder

    - während bezahltem Urlaub, Streik oder Aussperrung oder

    - während unbezahltem Urlaub zum Zweck der Kindererziehung, solange dieser Urlaub nach den einschlägigen Rechtsvorschriften einer Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit gleichgestellt ist.

    Das Kind S lebte im Streitzeitraum mit dem Kläger und der Kindesmutter in Großbritannien. Zwei anspruchsberechtigte Personen (sowohl der Kläger als auch die Kindesmutter) übten in Großbritannien eine Erwerbstätigkeit aus (wobei es sich bei der Kindesmutter um eine einer Erwerbstätigkeit gleichgestellte Tätigkeit handelt). In Anwendung der oben genannten Grundsätze ist in der Folge auf den Wohnort des Kindes abzustellen, weshalb der Kindergeldanspruch in Großbritannien vorliegend gegenüber dem deutschen Kindergeldanspruch vorrangig ist (Art. 67, 68 Abs. 1 Buchstabe b), Ziffer i) EU-VO 883/2004).

    Nach Art. 68 Abs. 2 der EU-VO 883/2004 ist grundsätzlich vorgesehen, dass vom nachrangig zuständigen Staat (hier Deutschland) die Ansprüche auf Familienleistungen ausgesetzt werden und zwar bis zur Höhe der vom vorrangig zuständigen Staat vorgesehenen Leistungen. In diesen Fällen ist verfahrensrechtlich nach Art. 68 Abs. 3 der EU-VO 883/2004 weiter vorgesehen, dass der nachrangige Staat bei Antragstellung bei ihm, den Antrag unverzüglich an den vorrangig zuständigen Träger zur dortigen Prüfung weiterleitet und vorläufig (nur) den Unterschiedsbetrag leistet.

    Eine Antragsweiterleitung an die englische Familienkasse ist im Streitfall nicht erfolgt, was im Ergebnis jedoch keine Rolle spielt. Die von der deutschen Familienkasse vorgenommene Anrechnung des fiktiven britischen Kindergeldes hält aus anderen Gründen einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

    d) Aus dem Wortlaut des Art. 68 der EU-VO 883/2004 wird abgeleitet, dass der materielle Rechtsanspruch auf die andere Leistung (also unabhängig von einer Antragstellung) bereits den inländischen Kindergeldanspruch ausschlösse. Dies lässt offen, wie zu verfahren ist, wenn das ausländische Recht besondere Ausschlussgründe kennt.

    Der Ausschluss der Kindergeldzahlung tritt nach der Auffassung des erkennenden Senats nicht ein, wenn ein Rechtsanspruch auf die andere Leistung dem Grunde nach zwar besteht, seine Verwirklichung aber aus anderen Gründen als der fehlenden oder verspäteten Antragstellung ausgeschlossen ist. Für den Ausschluss der Kindergeldzahlung in Deutschland reicht ein Bestehen des Anspruchs dem Grunde nach jedenfalls dann nicht aus, wenn der Anspruch auf die ausländische Leistung durch Einkommensgrenzen, Altersgrenzen o. ä. ausgeschlossen ist. Die Tatsache, dass ein Antrag nicht gestellt wurde, reicht zum Kindergeldausschluss nicht aus, wenn geltend gemacht wird, dass er z.B. wegen der Höhe des Einkommens aussichtslos gewesen wäre. Dann muss aber die Einkommenshöhe (des Kindes oder des Berechtigten) nachgewiesen werden. Die rechtliche Beurteilung, ob der ausländische Anspruch gegeben wäre, obliegt der Familienkasse, die sich der Amtshilfe der ausländischen Behörde nur bedienen kann, wenn diese dazu bereit ist (vgl. Helmke/Bauer, Familienleistungsausgleich, § 65, Tz. 6).

    Bei Übertragung der vorgenannten Grundsätze hat der Kläger vorliegend einen Anspruch auf deutsches Kindergeld in ungekürzter Höhe. Zwar hat er - wie oben ausgeführt - grundsätzlich einen englischen Kindergeldanspruch, seine Verwirklichung scheitert aber aus anderen Gründen als der fehlenden Antragstellung. Der Anspruch ist faktisch deshalb ausgeschlossen, weil der Kläger aufgrund des von ihm in den Jahren 2013 und 2014 erzielten bereinigten Nettoeinkommens (weit) über einem Betrag von 60.000 GdP jährlich liegt und ihm das in England grundsätzlich zustehende Kindergeld deshalb vollständig durch die „higher income child benefit charge“ aufgezehrt wird.

    Zur Berechnung wird auf die Internetseite der britischen Regierung und dort insbesondere auf den „Kindergeld-Steuerrechner“ verwiesen (https://www.translatetheweb.com/?from=en&to=de&ref=SERP&dl=de&rr=UC&a=https%3a%2f%2 fwww.gov.uk%2fchild-benefit-tax-charge).

    Der Auffassung der Familienkasse, im Rahmen des Art. 68 EU-VO 883/2004 sei zwischen rechtlichem Anspruch und Erfüllung (Auszahlung) des Anspruchs zu unterscheiden, schließt sich das Gericht nicht an. Rein wirtschaftlich steht dem Betreffenden in dieser Konstellation kein ausländisches Kindergeld zu, weshalb eine Kürzung des deutschen Kindergeldanspruchs nicht zu rechtfertigen ist. Dieses Ergebnis ergibt sich auch unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck sowohl der inländischen Kindergeldzahlung, als auch der europäischen Koordinierungsvorschriften. Kindergeld/ Kinderfreibetrag bezwecken die steuerliche Freistellung für das Existenzminimum von Kindern. Vor diesem Hintergrund kann es nicht auf fiktiv im Raum stehende Beträge, die tatsächlich nicht zu einer Entlastung der Eltern führen, sondern nur auf tatsächlich gezahlte Geldmittel ankommen. Der Telos der europarechtlichen Koordinierungsvorschriften liegt nicht darin, Kindergeldansprüche zu beschneiden, sondern darin, Doppelzahlungen wegen grenzüberschreitender Sachverhalte zu verhindern. Im Streitfall geht es aber nicht um eine Doppelzahlung von Kindergeld, sondern der Kläger beansprucht lediglich das Kindergeld, das auch anderen Personen zusteht, die einen inländischen Kindergeldanspruch haben.

    e) Dass der Kläger bzw. die Kindesmutter ihre Mitwirkungspflicht verletzt haben, indem sie Fragen der britischen Behörde unbeantwortet ließen, führt zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung. Auch bei Beantwortung der gestellten Fragen hätte die Behörde nichts anderes bescheinigen können als das, was sich bereits bei Subsumtion unter den britischen Gesetzestext ergibt, nämlich dass dem Kläger im Streitfall grundsätzlich ein Kindergeldanspruch in England zusteht, er aber wegen des von ihm aufgrund seines hohen bereinigten Nettoeinkommens zu zahlenden „higher income child benefit charge“ wirtschaftlich betrachtet kein britisches Kindergeld erhält. Bereits auf Grund der vorliegenden Informationen sieht sich das Gericht dazu in der Lage, die Streitfrage (Verhältnis von „child benefit“ und „higher income child benefit charge“ sowie die Auswirkungen auf den inländischen Kindergeldanspruch) zu entscheiden. Diesbezüglich vertritt der Senat die unter d) dargelegte Rechtsauffassung.

    f) Ein anderes Ergebnis ergibt sich auch nicht bei Abstellen auf die Kindesmutter, die ebenfalls einen Anspruch auf englisches Kindergeld hat. Zwar ist für den Ausschluss/ die Kürzung des deutschen Kindergelds nicht erforderlich, dass die ausländische Leistung dem Kindergeldberechtigten zusteht. Es ist ausreichend, dass die Leistung überhaupt irgendeiner Person zusteht. Wirtschaftlich gilt hier aber nichts Anderes als das oben für den Kläger ausgeführte. Das ergibt sich vor dem Hintergrund, dass „higher income child benefit charge“ auch dann zu entrichten ist, wenn der Partner das Kindergeld erhält. Auf die Höhe des vom Partner erzielten Einkommens kommt es an dieser Stelle nicht an. Partner können dabei auch nicht verheiratete zusammenlebende Personen - wie im Streitfall der Kläger und die Kindesmutter ‒ sein (vgl. Finance Act 2012, Chapter 8, 681G Meaning of “partner”).

    2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO), die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 1 und 3 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10 und 711 der Zivilprozessordnung.

    3. Die Revision war zuzulassen, weil die Sache grundsätzliche Bedeutung hat und eine Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts erforderlich ist (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 1. Alt. FGO).

    RechtsgebieteEStG, EU-VO 883/2004Vorschriften§ 1 Abs. 3 EStG, § 62 EStG, § 63 EStG, § 64 EStG, Art. 68 EU-VO 883/2004