05.11.2020 · IWW-Abrufnummer 218782
Finanzgericht Münster: Urteil vom 22.04.2020 – 15 K 1219/17 U
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Münster
15 K 1219/17 U,AO
Tenor:
Die Umsatzsteuerbescheide für 2008 bis 2013 vom 27. Mai 2016, jeweils in Ge-stalt der Einspruchsentscheidung vom 21. März 2017 werden dahingehend geändert, dass die Umsatzsteuer für 2008 verringert um xxx EUR, für 2009 verringert um xxx EUR, für 2010 verringert um xxx EUR, für 2011 verringert um xxx EUR, für 2012 verringert um xxx EUR und für 2013 verringert um xxx EUR festgesetzt werden.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand
2
Streitig ist, ob vom Kläger formell fehlerhaft behandelte innergemeinschaftliche Dreiecksgeschäfte mit Rückwirkung umsatzsteuerlich korrigiert werden können.
3
In den Streitjahren betrieb der Kläger einen Großhandel mit … . Er besaß für Polen das alleinige Vertriebsrecht für Maschinen der Hersteller „X“ (Deutschland), „Y“ (Belgien) und „Z“ (Neuseeland/Tschechien). Die Maschinen wurden vom Kläger bei den Herstellern bestellt und von dort direkt an die Kunden in verschiedenen Mitgliedstaaten, insbesondere Polen, geliefert. Die Versendung erfolgte entweder durch den Kläger oder den Hersteller jeweils unter Verwendung der Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer (in DEU: Umsatzsteuer-Identifikationsnummer) ihres Ansässigkeitsstaats, wobei der Kläger seinen Kunden nie bereits vor der Warenbewegung die Verfügungsmacht an den Maschinen übertrug. Auch die Endkunden verwendeten jeweils die Mehrwertsteuer-Identifikationsnummern ihres Ansässigkeitsstaats.
4
Die Lieferungen aus anderen Mitgliedstaaten behandelte der Kläger in seinen Umsatzsteuererklärungen für die Streitjahre auf der Eingangsseite als umsatzsteuerpflichtige innergemeinschaftliche Erwerbe und machte zugleich den Vorsteuerabzug gem. § 15 Abs. 1 Nr. 3 UStG geltend. Weiterlieferungen in das übrigen Gemeinschaftsgebiet behandelte der Kläger als umsatzsteuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen im Sinne von §§ 4 Nr. 1b i.V.m. 6a UStG und erteilte seinen Kunden eine entsprechende Rechnung. Auf der Ausgangsseite erklärte der Kläger umsatzsteuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen in Höhe von xxx EUR (2008), xxx EUR (2009), xxx EUR (2010), xxx EUR (2011), xxx EUR (2012) und xxx EUR (2013). Der Beklagte stimmte den Erklärungen zunächst zu. Die Zusammenfassenden Meldungen des Klägers enthielten zunächst - wie auch die Rechnungen an die Kunden - jeweils keine Hinweise auf ein Dreiecksgeschäft gem. § 18a Abs. 7 Nr. 4c UStG.
5
Das Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung C führte nach Prüfungsanordnung vom 18. September 2014 und Prüfungserweiterung vom 4. August 2015 ab Februar 2015 u.a. betreffend Umsatzsteuer 2008 bis 2013 eine Betriebsprüfung beim Kläger durch. In Bezug auf die Lieferungen zwischen den im übrigen Gemeinschaftsgebiet ansässigen Herstellern, dem Kläger und den im übrigen Gemeinschaftsgebiet ansässigen Kunden kamen die Prüfer zu dem Ergebnis, dass innergemeinschaftliche Reihengeschäfte im Sinne des § 3 Abs. 6 Satz 5 UStG in der in Streitjahren gültigen Fassung (nachfolgend: a. F.) vorliegen würden. Mehrere Unternehmen hätten Umsatzgeschäfte über denselben Gegenstand geschlossen, bei denen der Liefergegenstand im Rahmen ‒ nur ‒ einer Beförderung oder Versendung unmittelbar vom Hersteller an den Endkunden gelangt sei. Die Beförderung oder Versendung könne aber jeweils nur einer Lieferung zugeordnet werden (sog. warenbewegte Lieferung), für die unter den Voraussetzungen des § 6a UStG die Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen in Betracht komme. Dies sei gem. § 3 Abs. 6 Satz 6, 1. Halbsatz UStG jeweils die Lieferung der Hersteller an den Kläger. In Bezug auf die Lieferungen des Klägers an seine Kunden liege der Ort der Leistung gem. § 3 Abs. 7 Nr. 2 UStG jeweils im Abnehmerstaat, wo die Beförderung oder Versendung ende. Hier hätte sich der Kläger jeweils für umsatzsteuerliche Zwecke registrieren und seine Umsätze aus den Lieferungen an die Kunden erklären müssen. Der Kläger hätte zusätzlich im jeweiligen Abnehmerstaat einen innergemeinschaftlichen Erwerb versteuern müssen.
6
Von der umsatzsteuerlichen Vereinfachungsregel des § 25b UStG habe der Kläger nach den Feststellungen der Prüfer keinen Gebrauch gemacht. Denn für die Anwendung hätte der Kläger die Unternehmereigenschaft des letzten Abnehmers prüfen müssen (§ 25b Abs. 1 Nr. 1 UStG) und in der Rechnung an den letzten Abnehmer auf das Dreiecksgeschäft und die übergegangene Steuerschuldnerschaft hinweisen müssen(§ 25b Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 14a Abs. 7 UStG). Zudem hätte es eine entsprechende Deklaration in der Zusammenfassenden Meldung geben müssen (§ 18a Abs. 7 Nr. 4c UStG). Diese Voraussetzungen habe der Kläger jedoch nicht erfüllt. Er habe in den Rechnungen die Steuerfreiheit einer innergemeinschaftlichen Lieferung vermerkt und auch dementsprechend in der Zusammenfassenden Meldung angegeben.
7
Da die Versteuerung der zweiten Lieferung im jeweiligen Zielstaat bisher unterblieben sei, gelte der steuerpflichtige innergemeinschaftliche Erwerb des Klägers nach Auffassung der Prüfer solange in Deutschland als bewirkt, bis durch den Kläger nachgewiesen sei, dass der Erwerb im jeweiligen Zielstaat besteuert worden ist oder nach § 25b Abs. 3 UStG als besteuert gilt. Aus der Versteuerung des innergemeinschaftlichen Erwerbs stehe dem Kläger kein Recht auf Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG zu. Daneben trafen die Prüfer noch andere, vorliegend nicht strittige Feststellungen hinsichtlich der privaten Pkw-Nutzung (vgl. Anlage 11 des Prüfberichts). Bezüglich der Einzelheiten wird auf den Prüfbericht vom 28. Januar 2016 Bezug genommen.
8
Der Kläger erteilte im Dezember 2015 berichtigte Rechnungen und übermittelte am 14. Juni 2016 die berichtigten Zusammenfassenden Meldungen an das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt). Für Juni 2016 meldete der Kläger in seiner Umsatzsteuervoranmeldung einen entsprechenden Umsatzsteuererstattungsanspruch an.
9
Mit Schreiben vom 18. April 2016 beantragte der Kläger, für die Streitjahre keinen Fall des § 3d Satz 2 UStG anzunehmen, hilfsweise, die Rechnungskorrekturen nachträglich als rückwirkend zum Zeitpunkt der ursprünglichen Rechnungsstellung anzuerkennen, weiter hilfsweise, eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen gem. § 163 der Abgabenordnung (AO). Diese Anträge lehnte der Beklagte mit Schreiben vom 27. Mai 2016 ab.
10
In Umsetzung der Feststellungen der Prüfer erließ der Beklagte ebenfalls am 27. Mai 2016 Änderungsbescheide für die Streitjahre, in denen er u.a. den Vorsteuerabzug aus den erklärten innergemeinschaftlichen Erwerben in Höhe von xxx EUR (2008), xxx EUR (2009), xxx EUR (2010), xxx EUR (2011), xxx EUR (2012) und xxx EUR (2013) nicht berücksichtigte und die unentgeltlichen Wertabgaben erhöhte. Zudem minderte der Beklagte auch die erklärten innergemeinschaftlichen Lieferungen um die in Deutschland nicht steuerbaren Umsätze in Höhe von xxx EUR (2008), xxx EUR (2009), xxx EUR (2010), xxx EUR (2011), xxx (2012) und xxx (2013). Insgesamt führte dies zu Festsetzungen der Umsatzsteuer in Höhe von xxx EUR für 2008 (Mehrergebnis: xxx EUR), xxx EUR für 2009 (Mehrergebnis: xxx EUR), xxx EUR für 2010 (Mehrergebnis: xxx EUR), xxx EUR für 2011 (Mehrergebnis: xxx EUR), xxx EUR für 2012 (Mehrergebnis: xxx EUR) und xxx EUR für 2013 (Mehrergebnis: xxx EUR).
11
Ebenfalls mit Bescheiden vom 27. Mai 2016 setzte der Beklagte Nachzahlungszinsen zur Umsatzsteuer in Höhe von xxx EUR für 2008, xxx EUR für 2009 (Erhöhung: xxx EUR), xxx EUR für 2010, xxx EUR für 2011, xxx EUR für 2012 (Erhöhung: xxx EUR) und xxx EUR für 2013 (Erhöhung: xxx EUR) fest. Bezüglich der Einzelheiten wird auf die Bescheide Bezug genommen.
12
Mit Schreiben vom 10. Juni 2016 legte der Kläger u.a. Einspruch gegen die geänderten Umsatzsteuerbescheide ein und beantragte die Nichtanwendung von § 3d Satz 2 UStG, die rückwirkende Anerkennung der Rechnungsberichtigungen und ‒ hilfsweise ‒ eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen. Im Wesentlichen begründete der Kläger den Einspruch damit, dass zu keinem Zeitpunkt eine Gefährdung des Umsatzsteueraufkommens vorgelegen habe. Mit Schreiben vom 27. Juni 2016 legte der Kläger zudem Einspruch gegen die Zinsbescheide zur Umsatzsteuer 2008 bis 2013 ein.
13
Mit Einspruchsentscheidung vom 21. März 2017, auf die hinsichtlich der Einzelheiten Bezug genommen wird, wies der Beklagte die Einsprüche als unbegründet zurück. Bei der Vorschrift des § 3d Satz 2 UStG handele es sich um zwingendes Recht, das die Vorgaben des Art. 41 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (nachfolgend: MwStSystRL) umsetze. Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) führte der Beklagte aus, dass eine etwaige Berichtigung erst in dem Besteuerungszeitraum erfolgen könne, in dem der Nachweis einer Erwerbsbesteuerung in dem EU-Staat, dessen Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer verwendet wurde, durchgeführt sei. Hierfür gelte eine klare gesetzliche Regelung in § 17 Abs. 2 Nr. 4 i.V.m. Abs. 1 UStG.
14
Eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen lehnte der Beklagte ebenfalls ab, da keine Unbilligkeit gegeben sei.
15
Am 20. April 2017 hat der Kläger Klage hiergegen vor dem Finanzgericht erhoben.
16
Er vertritt die Auffassung, dass die Voraussetzungen für ein innergemeinschaftliches Dreiecksgeschäft im Sinne des § 25b Abs. 1 UStG vorliegen würden. Die Berichtigungen der Rechnungen in 2015 und der Zusammenfassenden Meldungen in 2016 würden Rückwirkung auf den Zeitpunkt der ursprünglichen Lieferung entfalten. Entsprechend würde die Erwerbsbesteuerung gem. § 1a Abs.1 i.V.m. § 3d Satz 2 UStG auch mit Rückwirkung entfallen mit der Folge, dass keine Zinsen entstanden seien. Der nach § 17 Abs. 2 Nr. 4 i.V.m. Abs. 1 UStG vorgeschriebene Ablauf der Berichtigung widerspreche den Grundprinzipien des Unionsrechts.
17
Der vorliegende Fall unterscheide sich von dem Fall, der dem BFH-Urteil vom 16. Dezember 2010 in der Rechtssache V R 40/08 zugrunde lag. Dort sei es um den Nachweis der Erwerbsbesteuerung im Bestimmungsland gegangen, während es sich im Fall des Klägers um ein innergemeinschaftliches Dreiecksgeschäft handele, bei dem die Erwerbsbesteuerung wegfalle. Eine Steuergefährdung liege hier aber nicht vor, weil ‒ so seine Behauptung - sämtliche Erwerber die Erwerbsbesteuerung durchgeführt hätten. Dies folge bereits aus dem Umstand, dass sämtliche Abnehmer des Klägers Umsatzsteuer-Identifikationsnummern hatten, welche sie im geschäftlichen Verkehr mit dem Kläger verwendet haben. Damit sei der Nachweis der korrekten steuerlichen Behandlung seitens der Abnehmer erbracht.
18
Auf Grundlage der vom Kläger (zunächst falsch) abgegebenen Zusammenfassenden Meldungen hätten die polnischen Finanzbehörden erkennen können, dass eine vermeintliche innergemeinschaftliche Lieferung stattgefunden habe. Hierfür hätten die Erwerber einen innergemeinschaftlichen Erwerb erklären müssen mit einem korrespondierenden Vorsteuerabzug. Bei zutreffender Behandlung als innergemeinschaftliches Dreiecksgeschäft wäre die Steuerschuldnerschaft des Klägers auf den Erwerber übergegangen. Auch in diesem Fall hätte die Steuerschuld durch den Vorsteuerabzug wieder neutralisiert werden können. Bei beiden Vorgehensweisen wäre im Ergebnis keine Zahllast entstanden. Eine Steuergefährdung sei daher ausgeschlossen.
19
Aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in der Rechtssache C-580/16 (Firma Hans Bühler KG) folge, dass die Berichtigung der Zusammenfassenden Meldung im Anwendungsbereich des § 3d Satz 2 UStG Rückwirkung entfalte. Zudem würden auch die geänderten Rechnungen i.S.v. § 14a Abs. 7 i.V.m. § 25b Abs. 2 Nr. 3 UStG Rückwirkung entfalten. Eine solche Rückwirkung der Rechnungsberichtigung sei bereits systemisch indiziert. Der Rechnung komme gerade keine materielle Wirkung zu, was sich auch aus der jüngeren Rechtsprechung des EuGH ergebe. Die Versagung der Rückwirkung, würde zu einer unangemessenen Zinsbelastung führen, die Sanktionscharakter hätte.
20
Hilfsweise beanstandet der Kläger die Höhe des Zinssatzes von 6% und verweist auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs.
21
Ebenfalls hilfsweise trägt der Kläger vor, dass die Zinsen zur Umsatzsteuer für die Streitjahre 2008 bis 2013 aus Billigkeitsgründen gem. § 163 Abs. 1 AO auf Null herabzusetzen seien. Die Festsetzung der Zinsen könne nach dem Sinn des Gesetzes und dem Gerechtigkeitsempfinden aller billig und gerecht Denkenden nicht richtig sein.
22
Der Kläger beantragt (sinngemäß),
23
die Umsatzsteuerbescheide für 2008 bis 2013 vom 27. Mai 2016, jeweils in Ge-stalt der Einspruchsentscheidung vom 21. März 2017 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer für 2008 um xxx EUR, für 2009 um xxx EUR, für 2010 um xxx EUR, für 2011 um xxx EUR, für 2012 um xxx EUR und für 2013 um xxx EUR niedriger festgesetzt werden;
24
die Bescheide über Zinsen zur Umsatzsteuer 2008 bis 2013 vom 27. Mai 2016, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 21. März 2017 aufzuheben;
25
hilfsweise, die Zinsen zur Umsatzsteuer für die Jahre 2008 bis 2013 aus Billigkeitsgründen gemäß § 163 Abs. 1 AO auf Null herabzusetzen;
26
hilfsweise, für den Unterliegensfall, die Revision zuzulassen.
27
Der Beklagte beantragt,
28
die Klage abzuweisen.
29
Zur Begründung verweist er auf die Einspruchsentscheidung. Die Rechnungsberichtigungen und die berichtigten Zusammenfassenden Meldungen würden keine Rückwirkung entfalten. Für die Nachweiserbringung im Sinne des § 3d Satz 2 UStG gebe es die klare gesetzliche Regelung des § 17 Abs. 2 Nr. 4 i.V.m. Abs. 1 UStG. Das Urteil des EuGH in der Rechtssache Senatex sei nicht maßgeblich, weil es nicht die Nachweiserbringung im Sinne des § 3d Satz 2 UStG betreffe.
30
Die Rechnung mit dem Hinweis auf die Übertragung der Steuerschuld (§ 14a Abs. 7 UStG) sei eine materiell-rechtliche Voraussetzung für die Vereinfachungsregelung des § 25b UStG. Denn ohne diese Angabe werde der Abnehmer nicht auf seine Steuerschuldnerschaft hingewiesen und die Besteuerung nicht sichergestellt.
31
Angesichts des eindeutigen Wortlauts der Vorschriften in §§ 3d und 17 UStG sei nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber die Entstehung der Nachzahlungszinsen nicht gesehen oder nicht beabsichtigt hat. Eine abweichende Festsetzung aus Billigkeitsgründen gem. § 163 AO komme daher nicht in Betracht.
32
Die Rechtssache ist am 13. Dezember 2018 vom vormals zuständigen Berichterstatter erörtert worden. Auf das Protokoll wird Bezug genommen.
33
Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die beigezogenen Verwaltungsakten Bezug genommen.
34
Entscheidungsgründe
35
Der Senat entscheidet gemäß § 90a Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid.
36
I.
37
Die Klage ist begründet. Die angefochtenen Umsatzsteuerbescheide 2008 bis 2013 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
38
Der Beklagte hat zu Unrecht einen im Inland zu besteuernden innergemeinschaftlichen Erwerb des Klägers gem. § 3d Satz 2 UStG angenommen. Denn die innergemeinschaftlichen Erwerbe gem. § 3d Satz 2 UStG (1) sind in den Streitjahren entfallen, weil der Kläger mit Rückwirkung die Rechnungen an die Kunden berichtigt hat und eine korrigierte Zusammenfassende Meldung abgegeben hat, sodass die Erwerbe bereits zu diesem Zeitpunkt wegen der Besteuerungsfiktion des § 25b Abs. 3 UStG als besteuert gelten (2).
39
1.
40
Die Erwerbe der Maschinen durch den Kläger von in anderen EU-Mitgliedstaaten ansässigen Herstellern stellten zunächst in Deutschland steuerpflichtige innergemeinschaftliche Erwerbe im Sinne des §§ 1 Abs. 1 Nr. 5, 3d Satz 2 UStG dar.
41
a)
42
Ein innergemeinschaftlicher Erwerb gegen Entgelt setzt gemäß § 1a Abs. 1 UStG u.a. voraus, dass ein Gegenstand bei einer Lieferung an den Abnehmer (Erwerber) aus dem Gebiet eines Mitgliedstaates in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaates gelangt (aa), der Erwerber ein Unternehmer ist, der den Gegenstand für sein Unternehmen erwirbt und die Lieferung an den Erwerber durch einen Unternehmer gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausgeführt wird und nach dem Recht des Mitgliedstaates, der für die Besteuerung des Lieferers zuständig ist, nicht aufgrund der Sonderregelung für Kleinunternehmer steuerfrei ist (bb).
43
Mit dieser Regelung wird Art. 2 Abs. 1 Buchst. b Ziffer i MwStSystRL in nationales Recht umgesetzt. Danach unterliegt der Mehrwertsteuer auch der innergemeinschaftliche Erwerb von Gegenständen im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt durch einen Steuerpflichtigen, der als solcher handelt, oder aber durch eine nichtsteuerpflichtige juristische Person, wenn der Verkäufer ein Steuerpflichtiger ist, der als solcher handelt, für den die Mehrwertsteuerbefreiung für Kleinunternehmen gemäß den Artikeln 282 bis 292 nicht gilt und der nicht unter Artikel 33 oder 36 fällt.
44
aa)
45
Die Maschinen sind bei den Lieferungen der Hersteller an den Kläger jeweils aus dem Gebiet eines Mitgliedstaates in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaates gelangt.
46
Schließen mehrere Unternehmer über denselben Gegenstand Umsatzgeschäfte ab und gelangt der Gegenstand - wie im Streitfall - bei der Beförderung oder Versendung unmittelbar vom ersten Unternehmer an den letzten Abnehmer, ist die Beförderung oder Versendung des Gegenstands gemäß § 3 Abs. 6 Satz 5 UStG nur einer der Lieferungen zuzuordnen (vgl. EuGH, Urteil vom 6. April 2006, C-245/04, EMAG Handel Eder OHG, ECLI:EU:C:2006:232, HFR 2006, 626; BFH, Urteil vom 28. Mai 2013, XI R 11/09, BFHE 242, 84, HFR 2013, 819).
47
In Bezug auf Reihengeschäfte regelt § 3 Abs. 6 Satz 6 UStG, dass, wenn der Gegen-stand der Lieferung durch einen Abnehmer befördert oder versendet wird, der zugleich Lieferer ist, die Beförderung oder Versendung der Lieferung an ihn zuzuordnen ist, es sei denn, er weist nach, dass er den Gegenstand als Lieferer befördert oder versendet hat.
48
Nach der Verwaltungsauffassung kann der mittlere Unternehmer (hier: der Kläger) anhand von Belegen, z.B. durch eine Auftragsbestätigung, das Doppel der Rechnung oder andere handelsübliche Belege und Aufzeichnungen nachweisen, dass er als Lieferer aufgetreten ist. Aus den Belegen muss sich eindeutig und leicht nachprüfbar ergeben, dass der Unternehmer die Beförderung oder Versendung in seiner Eigenschaft als Lieferer getätigt hat und nicht als Abnehmer der Vorlieferung. Hiervon kann regelmäßig ausgegangen werden, wenn der Unternehmer unter der Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer des Mitgliedstaates auftritt, in dem die Beförderung oder Versendung des Gegenstands beginnt, und wenn er auf Grund der mit seinem Vorlieferanten und seinem Auftraggeber vereinbarten Lieferkonditionen Gefahr und Kosten der Beförderung oder Versendung übernommen hat. Den Anforderungen an die Lieferkonditionen ist nach der Verwaltungsauffassung genügt, wenn handelsübliche Lieferklauseln (z.B. Incoterms) verwendet werden. Wird die Beförderung oder Versendung der Lieferung des mittleren Unternehmers zugeordnet, muss dieser die Voraussetzungen der Zuordnung nachweisen (Abschn 3.14 Abs. 9 und 10 UStAE).
49
Diese gesetzliche Vermutung des nationalen Rechts hat keine Grundlage in der MwStSystRL. Gleichwohl ist die Vorschrift des § 3 Abs. 6 Satz 6 UStG trotz der Rechtsprechung des EuGH zur Maßgeblichkeit der Umstände des Einzelfalls (vgl. EuGH, Urteil vom 27. September 2012, C-587/10, VSTR, ECLI:EU:C:2012:592, HFR 2012, 1212) nach der Rechtsprechung des BFH anwendbar (BFH, Urteil vom 28. Mai 2013, XI R 11/09, BFHE 242, 84, HFR 2013, 819,). Bei unionsrechtskonformer Auslegung von § 3 Abs. 6 Satz 6 letzter Halbsatz UStG ist die Beförderung oder Versendung indes dann nicht der ersten Lieferung zuzuordnen, wenn sich der Nachweis, dass der Ersterwerber den Gegenstand als Lieferer befördert oder versendet hat, aus einer umfassenden Würdigung aller besonderen Umstände des Einzelfalls ergibt, und insbesondere der Zeitpunkt bestimmt wird, zu dem die Befähigung, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen, dem Endempfänger übertragen worden ist (vgl. BFH, Urteil vom 28. Mai 2013, XI R 11/09, BFHE 242, 84, HFR 2013, 819, mit Verweis auf EuGH, Urteil vom 27. September 2012, C-587/10, VSTR, ECLI:EU:C:2012:592, HFR 2012, 1212; siehe auch Michl in Offerhaus/Söhn/Lange, § 3 UStG, Rn. 129b).
50
Im Streitfall wurden die Maschinen jeweils durch den Hersteller oder den Kläger versendet. Dass der Kläger die Gegenstände als Lieferer befördert oder versendet hat, ist weder vorgetragen noch aus den Akten ersichtlich. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass der Kläger seinen Kunden bereits vor der Warenbewegung die Verfügungsmacht an den Maschinen übertragen hat.
51
bb)
52
Die weiteren Voraussetzungen für innergemeinschaftliche Erwerbe des Klägers sind ebenfalls erfüllt. Der Kläger ist - unstreitig - ein Unternehmer, der die Maschinen für sein Unternehmen erwarb. Die Lieferung erfolgte durch die Hersteller gegen Entgelt im Rahmen ihrer jeweiligen unternehmerischen Tätigkeit. Es besteht auch kein Zweifel daran, dass die Hersteller ihrerseits nicht unter die Sonderregelung für Kleinunternehmer ihres jeweiligen Ansässigkeitsstaats fielen bzw. hiervon keinen Gebrauch machten.
53
b)
54
Gemäß § 3d Satz 1 UStG wird der innergemeinschaftliche Erwerb zwar grundsätzlich in dem Gebiet des Mitgliedstaates bewirkt, in dem sich der Gegenstand am Ende der Beförderung oder Versendung befindet. Die hier streitigen innergemeinschaftlichen Erwerbe der Maschinen wären damit jeweils im übrigen Gemeinschaftsgebiet, im Ansässigkeitsstaat der jeweiligen Kunden, bewirkt. Verwendet aber - wie im vorliegenden Fall - der Erwerber gegenüber dem Lieferer eine ihm von einem anderen Mitgliedstaat (als dem, in dem sich der Gegenstand am Ende der Beförderung oder Versendung befindet) erteilte Umsatzsteuer-Identifikationsnummer, gilt der Erwerb gemäß § 3d Satz 2 UStG so lange in dem Gebiet dieses Mitgliedstaates als bewirkt, bis der Erwerber nachweist, dass der Erwerb durch den in Satz 1 bezeichneten Mitgliedstaat besteuert worden ist oder nach§ 25b Abs. 3 UStG als besteuert gilt, sofern der erste Abnehmer seiner Erklärungspflicht nach § 18a Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 UStG (Streitjahre 2008 bis einschließlich Juni 2010) bzw.§ 18a Abs. 7 Satz 1 Nr. 4 UStG (ab Juli 2010 bis 2013) nachgekommen ist.
55
Mit dieser Regelung werden Art. 40 und 41 MwStSystRL in nationales Recht umgesetzt. Nach Art. 40 MwStSystRL gilt als Ort eines innergemeinschaftlichen Erwerbs von Gegenständen der Ort, an dem sich die Gegenstände zum Zeitpunkt der Beendigung der Versendung oder Beförderung an den Erwerber befinden. Nach Art. 41 MwStSystRL gilt unbeschadet des Art. 40 MwStSystRL der Ort eines innergemeinschaftlichen Erwerbs von Gegenständen im Sinne des Art. 2 Abs. 1 Buchst. b Ziffer i MwStSystRL als im Gebiet des Mitgliedstaats gelegen, der dem Erwerber die von ihm für diesen Erwerb verwendete Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer erteilt hat, sofern der Erwerber nicht nachweist, dass dieser Erwerb im Einklang mit Art. 40 MwStSystRL besteuert worden ist.
56
Der Kläger hat nicht nachgewiesen, dass die Erwerbe jeweils durch die Kunden in ihrem Ansässigkeitsstaat versteuert wurden. Der bloße Hinweis darauf, dass die Kunden über Mehrwertsteuer-Identifikationsnummern verfügten, reicht insoweit nicht als Nachweis der Besteuerung aus.
57
Die Besteuerungsfiktion des § 25b Abs. 3 UStG kam auch zunächst nicht zur Anwendung, denn der Kläger hat ‒ unstreitig ‒ im Zeitpunkt der jeweiligen Lieferungen keine Rechnungen mit den erforderlichen Hinweisen an seine Kunden erteilt und die Umsätze auch nicht entsprechend in den Zusammenfassenden Meldungen erklärt.
58
2.
59
Die Besteuerungsfiktion des § 25b Abs. 3 UStG kommt nach Auffassung des Senats aber mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt der erstmaligen Erteilung der Rechnung zur Anwendung. Denn der Kläger hat in 2015 und 2016 berichtigte Rechnungen an seine Kunden erteilt und eine korrigierte Zusammenfassende Meldung abgegeben, die jeweils Rückwirkung entfalten. Der Senat schließt sich insoweit der Begründung des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz im Urteil vom 28. November 2019 in der Rechtssache 6 K 1767/17 (EFG 2020, 319) ausdrücklich an.
60
a)
61
Nach § 25b Abs. 2 UStG wird bei einem Dreiecksgeschäft die Steuer für die Lieferung an den letzten Abnehmer von diesem geschuldet, wenn der Lieferung ein innergemeinschaftlicher Erwerb vorangegangen ist (Nr. 1), der erste Abnehmer nicht in dem Mitgliedstaat, in dem die Beförderung oder Versendung endet, ansässig ist und gegenüber dem ersten Lieferer und letzten Abnehmer dieselbe Umsatzsteuer-Identifikationsnummer verwendet, die ihm von einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Beförderung oder Versendung beginnt oder endet, erteilt worden ist (Nr. 2), der erste Abnehmer dem letzten Abnehmer eine Rechnung im Sinne des § 14a Abs. 7 erteilt, in der die Steuer nicht gesondert ausgewiesen ist (Nr. 3), und der letzte Abnehmer eine Umsatzsteueridentifikationsnummer des Mitgliedstaates verwendet, in dem die Beförderung oder Versendung endet (Nr. 4).
62
Nach § 25b Abs. 3 UStG gilt in diesen Fällen auch der innergemeinschaftliche Erwerb des ersten Abnehmers als besteuert.
63
Mit § 25b UStG werden die Vorgaben der Art. 42, 141, 197 und 265 MwStSystRL in nationales Recht umgesetzt. Nach Art. 42 MwStSystRL gilt der innergemeinschaftliche Erwerb für den mittleren Unternehmer im Bestimmungsland als besteuert, wenn er den Erwerb für Zwecke einer anschließenden Lieferung getätigt hat und der Empfänger Schuldner der Umsatzsteuer gem. Art. 197 MwStSystRL ist. Außerdem muss der Erwerber seiner Pflicht zur Abgabe der Zusammenfassenden Meldung gemäß Art. 265 MwStSystRL nachgekommen sein.
64
aa)
65
Den Lieferungen des Klägers an seine Kunden als letzte Abnehmer sind jeweils innergemeinschaftliche Erwerbe des Klägers von den Herstellern vorangegangen (siehe oben unter 1. a).
66
bb)
67
Der Kläger war der erste Abnehmer. Er ist nicht in dem Mitgliedstaat ansässig, in dem die Beförderung oder Versendung jeweils endete. Er verwendete zudem jeweils gegenüber dem ersten Lieferer - dem Hersteller - und dem letzten Abnehmer - dem Kunden - dieselbe Umsatzsteuer-Identifikationsnummer, die ihm von der deutschen Finanzverwaltung und somit von einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Beförderung oder Versendung beginnt oder endet, erteilt wurde.
68
Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist zwischen den Beteiligten unstreitig.
69
cc)
70
Durch die Rechnungsberichtigungen gegenüber seinen Kunden im Jahr 2015 hat der Kläger auch dem jeweils letzten Abnehmer eine Rechnung im Sinne des § 14a Abs. 7 UStG erteilt, in der die Steuer nicht gesondert ausgewiesen ist.
71
Nach § 14a Abs. 7 UStG muss, wenn in einer Rechnung über eine Lieferung im Sinne des § 25b Abs. 2 UStG abgerechnet wird, auch auf das Vorliegen eines innergemeinschaftlichen Dreiecksgeschäfts und die Steuerschuldnerschaft des letzten Abnehmers hingewiesen werden. Dabei sind die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Unternehmers und die des Leistungsempfängers anzugeben.
72
§ 14a Abs. 7 UStG dient der Umsetzung von Art. 226 Nr. 11 MwStSystRL. Danach muss die Rechnung in Fällen, in denen die Steuer - wie im Fall eines innergemeinschaftlichen Dreiecksgeschäfts (Art. 197 MwStSystRL; vgl. auch § 25b Abs. 2 UStG) - vom Erwerber geschuldet wird, einen Verweis auf die einschlägige Bestimmung der MwStSystRL oder die entsprechende nationale Bestimmung oder einen Hinweis darauf, dass die Lieferung von Gegenständen der Verlagerung der Steuerschuldnerschaft unterliegt, enthalten.
73
Ursprünglich erteilte der Kläger seinen Kunden Rechnungen ohne den erforderlichen Hinweis auf das Vorliegen eines innergemeinschaftlichen Dreiecksgeschäfts und die Steuerschuldnerschaft der Kunden als letzte Abnehmer. Der Kläger hat indes später ‒ zwischen den Beteiligten unstreitig - Rechnungsberichtigungen vorgenommen, die den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Rechnung in diesem Sinne entsprechen.
74
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung entfaltet eine Rechnungsberichtigung für Zwecke des Vorsteuerabzugs Rückwirkung (vgl. EuGH, Urteil vom 15. September 2016 C-518/14, Senatex, ECLI:EU:C:2016:691, Rn. 43; BFH, Urteil vom 20. Oktober 2016, V R 26/15, HFR 2017, 164, Rn. 13). Dabei hat der BFH auch ausdrücklich entschieden, dass eine Rechnung, die den Anforderungen von § 14a UStG nicht entspricht ‒ und damit auch § 14a Abs. 7 UStG ‒ mit Rückwirkung berichtigt werden kann (BFH, Urteil vom 20. Oktober 2016, V R 26/15, HFR 2017, 164, Rn. 13).
75
Der Senat vermag keine Gründe zu erkennen, warum eine Rechnungsberichtigung für Zwecke des Vorsteuerabzugs Rückwirkung entfalten soll, eine Rechnungsberichtigung im Zusammenhang mit innergemeinschaftlichen Dreiecksgeschäften hingegen nicht. Vielmehr hat der EuGH auch im Zusammenhang mit innergemeinschaftlichen Dreiecksgeschäften klargestellt, dass nach dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität die Nichterfüllung von formellen Anforderung nicht dazu führt, dass die Anwendung von Regelungen der MwStSystRL in Frage gestellt wird, wenn die in der Regelung aufgeführten materiellen Voraussetzungen im Übrigen erfüllt sind (EuGH, Urteil vom 19. April 2018,C-580/16, Firma Hans Bühler KG, HFR 2018, 504; Finanzgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 28. November 2019, 6 K 1767/17, EFG 2020, 319, Rn. 55).
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Der Kläger ist darüber hinaus auch seiner Erklärungspflicht nach § 18a Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 UStG (Streitjahre 2008 bis einschließlich Juni 2010) bzw. § 18a Abs. 7 Satz 1 Nr. 4 UStG (ab Juli 2010 bis 2013) nachgekommen. Hiernach muss die Zusammenfassende Meldung für Lieferungen im Sinne des § 25b Abs. 2 UStG bestimmte Angaben enthalten.
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Diese Vorgabe entspricht Art. 42 Buchst. b MwStSystRL, wonach der Erwerber der Pflicht zur Abgabe der Zusammenfassenden Meldung gemäß Art. 265 MwStSystRL nachgekommen sein muss.
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Nach der Rechtsprechung des EuGH sind die Pflichten in Bezug auf die Zusammenfassende Meldung gemäß Art. 42 Buchst. b MwStSystRL als formell anzusehen (EuGH, Urteil vom 19. April 2018, C-580/16, Firma Hans Bühler KG, HFR 2018, 504, Rn. 49), weil hiernach lediglich die Modalitäten für die Erbringung des Nachweises der Besteuerung im Bestimmungsmitgliedstaat der innergemeinschaftlichen Beförderung oder Versendung festlegt werden und hierzu auf die besonderen Pflichten verwiesen wird, denen der Erwerber bei der Abgabe der Zusammenfassenden Meldung nachkommen muss.
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Nach dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität kann die Nichterfüllung der formellen Anforderungen des Art. 42 Buchst. b MwStSystRL durch einen Steuerpflichtigen nicht dazu führen, dass die Anwendung des Art. 42 MwStSystRL in Frage gestellt wird, wenn die in Art. 42 Buchst. a MwStSystRL aufgeführten materiellen Voraussetzungen im Übrigen erfüllt sind. Würde die Anwendung von Art. 42 MwStSystRL aus einem solchen Grund verweigert, könnte dies nämlich nach der Rechtsprechung des EuGH insoweit zu einer Doppelbesteuerung führen, als auch der Zwischenerwerber nach Art. 41 Abs. 1 MwStSystRL in dem Mitgliedstaat besteuert würde, der ihm die für den betreffenden Umsatz verwendete Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer erteilt hat, während der Enderwerber ebenfalls, nach Art. 141 Buchst. e und Art. 197 MwStSystRL, besteuert würde.
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Zudem sollen die Art. 41 und 42 MwStSystRL nach der Rechtsprechung des EuGH sicherstellen, dass der fragliche innergemeinschaftliche Erwerb der Mehrwertsteuer beim Enderwerber unterliegt, und gleichzeitig verhindern, dass dieser Umsatz doppelt besteuert wird. Daraus folgt, dass Art. 42 MwStSystRL zur Anwendung kommt, sobald die materiellen Voraussetzungen erfüllt sind (EuGH, Urteil vom 19. April 2018, C-580/16, Firma Hans Bühler KG, HFR 2018, 504, Rn. 50; so auch: Finanzgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 28. November 2019, 6 K 1767/17, EFG 2020, 319, Rn. 57).
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Im Streitfall enthielten die ursprünglichen Zusammenfassenden Meldungen des Klägers die erforderlichen Angaben nicht; nach der Korrektur im Jahr 2016 sind aber ‒ zwischen den Beteiligten unstreitig ‒ sämtliche Angaben enthalten.
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3.
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Gegen eine Rückwirkung der Rechnungsberichtigung auf den Zeitpunkt der erstmaligen Rechnungsausstellung im Streitfall spricht auch nicht der Umstand, dass in dem Fall, in dem der nachträgliche Nachweis der Besteuerung i. S. des § 3d Satz 2 UStG erforderlich ist, zwingend die Anwendung von § 17 UStG für den Zeitpunkt der Nachweiserbringung vorgesehen ist (§ 17 Abs. 2 Nr. 4 UStG i. V. m. § 17 Abs. 1 UStG).
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Denn bei Vorliegen der Voraussetzungen eines innergemeinschaftlichen Dreiecksgeschäfts und der Verlagerung der Steuerschuld auf den letzten Abnehmer (§ 25b Abs. 1 und 2 UStG) gilt aus Vereinfachungsgründen der innergemeinschaftliche Erwerb des Zwischenhändlers als besteuert (§ 25 Abs. 3 UStG), d. h. es ist tatsächlich weder ein innergemeinschaftlicher Erwerb im Staat der Verwendung der Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer nach § 3d Satz 2 UStG noch ein innergemeinschaftlicher Erwerb im Staat des Endes der Beförderung oder Versendung des Liefergegenstandes nach § 3d Satz 1 UStG zu besteuern mit der Folge, dass es eines Nachweises für die Erwerbsbesteuerung im Bestimmungsland für den Wegfall der Besteuerung nach § 3d Satz 2 UStG nicht bedarf (Finanzgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 28. November 2019, 6 K 1767/17, EFG 2020, 319, Rn. 64).
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Der erkennende Senat geht davon aus, dass § 17 Abs. 2 Nr. 4 UStG i. V. m. § 17 Abs. 1 UStG nur für die Fälle gelten soll, in denen der Erwerber die Besteuerung in dem Mitgliedstaat nachträglich nachweist, in dem sich der Gegenstand am Ende der Beförderung oder Versendung befindet.
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Einem Verständnis, dass § 17 Abs. 2 Nr. 4 UStG i. V. m. § 17 Abs. 1 UStG auch für den nachträglichen Nachweis der Besteuerungsfiktion des § 25b Abs. 3 UStG gelten soll, würde nach Auffassung des Senats auf unionsrechtliche Bedenken stoßen.
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Nach Art. 41 Abs. 2 MwStSystRL wird, wenn der innergemeinschaftliche Erwerb im Mitgliedstaat der Beendigung der Versendung oder Beförderung der Gegenstände besteuert wird, nachdem er gemäß Art. 41 Abs. 1 besteuert wurde, die Steuerbemessungsgrundlage in dem Mitgliedstaat, der dem Erwerber die von ihm für diesen Erwerb verwendete Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer erteilt hat, entsprechend gemindert. Der Wortlaut der MwStSystRL enthält keine Aussage darüber, ob die Berichtigung der Bemessungsgrundlage „ex-nunc“ oder „ex-tunc“ erfolgt. Der ebenfalls bei der Auslegung zu berücksichtigende Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer gebietet nach Auffassung des Senats indes eine Berichtigung mit „ex-tunc“ Wirkung. Nach diesem Grundsatz gewährleistet das gemeinsame Mehrwertsteuersystem völlige Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis, sofern diese Tätigkeiten selbst der Umsatzsteuer unterliegen (EuGH, Urteil vom 29. Oktober 2009, NCC Construction Danmark, C‑174/08, ECLI:EU:C:2009:669, Rn. 27), wobei sich die steuerliche Belastung in diesem Sinne nach Auffassung des Senats nicht nur aus Steuern, sondern auch aus steuerliche Nebenleistungen, wie zum Beispiel Zinsen, zusammensetzt.
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Ausfluss des Grundsatzes der Neutralität der Mehrwertsteuer ist u.a. auch, dass nicht der Steuerpflichtige, sondern der Endverbraucher die Steuerlast tragen soll. Der Steuerpflichtige soll nicht einen höheren Betrag versteuern müssen, als er vom Endverbraucher tatsächlich als Gegenleistung erhalten hat (EuGH, Urteil vom 24. Oktober 1996, Elida Gibbs, C-317/94, ECLI:EU:C:1996:400, Rn. 28). Andernfalls wäre nicht der Verbraucher, sondern der Steuerpflichtige mit Steuer belastet. Dann würde die Mehrwertsteuer zu einem Kostenfaktor, der den Wettbewerb beeinflussen könnte (Stadie in Rau / Dürrwächter, UStG, Einf., Rn. 606).
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Dafür, dass der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer in besonderem Maße zu berücksichtigen ist, spricht schließlich auch Art. 141 MwStSystRL, der durch § 25b UStG ins nationale Recht umgesetzt wurde. Nach Art. 141 MwStSystRL trifft jeder Mitgliedstaat besondere Maßnahmen, damit ein innergemeinschaftlicher Erwerb von Gegenständen, der nach Artikel 40 als in seinem Gebiet bewirkt gilt, nicht mit der Mehrwertsteuer belastet wird, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Würde die Vereinfachungsregel des § 25b UStG in Fällen wie denen, die diesem Verfahren zugrunde liegen, im Ergebnis nur mit „ex-nunc“ Wirkung zur Anwendung kommen, würde diese Vereinfachungsregel ins Gegenteil verkehrt.
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Bei einer Berichtigung mit „ex-nunc“ Wirkung würde der Steuerpflichtige, hier der Kläger, im Ergebnis mit den Zinsen in nicht unerheblicher Höhe belastet. Diese Belastung kann er nicht an seine Kunden weitergeben.
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II.
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Über den auf Aufhebung der Zinsbescheide gerichteten Antrag des Klägers musste der Senat nicht entscheiden, da sich die Pflicht des Beklagten zur Änderung unmittelbar aus dem Gesetz, § 233a Abs. 5 Satz1 AO, ergibt.
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III.
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Da der Senat dem Antrag des Klägers entsprochen hat, musste keine Entscheidung mehr über die hilfsweise gestellten Anträge erfolgen.
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IV.
96
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Satz 1 FGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und des Vollstreckungsschutzes folgt aus § 151 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 3 FGO in Verbindung mit den sinngemäß anzuwendenden Vorschriften der §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).
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V. Das Gericht hat gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen, weil die Frage, ob der Rechnungsberichtigung und der entsprechenden Änderung der Zusammenfassenden Meldung eine rückwirkende Heilung bei formell fehlerhaft behandelten innergemeinschaftlichen Dreiecksgeschäften zukommt, höchstrichterlich ungeklärt ist und hierzu bereits ein Revisionsverfahren beim BFH gegen das Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 28. November 2019 (6 K 1767/17, EFG 2020, 319) anhängig ist (Az. XI R 38/19).