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  • 06.04.2023 · IWW-Abrufnummer 234612

    Finanzgericht Baden-Württemberg: Urteil vom 15.09.2022 – 12 K 1295/20

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Finanzgericht Baden-Württemberg

    Urteil vom 15.09.2022


    In dem Finanzrechtsstreit
    Klägerin
    - Klägerin -
    Gegen
    Finanzamt
    - Beklagter -

    wegen Umsatzsteuer 2014

    hat der 12. Senat des Finanzgerichts Baden-Württemberg aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 15. September 2022 durch
    Vorsitzenden Richter am Finanzgericht
    Richterin am Finanzgericht
    Richter am Finanzgericht
    Ehrenamtliche Richter

    für Recht erkannt:

    Tenor:

    1. Der Umsatzsteuerbescheid für 2014 vom 07.08.2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27.04.2020 wird dahingehend abgeändert, dass Umsatzsteuer in Höhe von 4.085,43 € festgesetzt wird. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
    2. Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin und der Beklagte jeweils zur Hälfte.
    3. Das Urteil ist wegen der der Klägerin zu erstattenden Kosten vorläufig vollstreckbar. Ermöglicht der Kostenfestsetzungsbeschluss eine Vollstreckung im Wert von mehr als 1.500 EUR, hat die Klägerin in Höhe des vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruches Sicherheit zu leisten. Bei einem vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruch bis zur Höhe von 1.500 EUR kann der Beklagte der vorläufigen Vollstreckung widersprechen, wenn die Klägerin nicht zuvor in Höhe des vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruchs Sicherheit geleistet hat, §§ 151 FGO i.V.m. 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.

    Tatbestand

    Die Beteiligten streiten über die Höhe der abziehbaren Vorsteuern aus der Anschaffung eines PKW im Jahr 2014 (Streitjahr) und eine daraus ggf. resultierende Vorsteuerberichtigung.

    Die Klägerin ist Freiberuflerin [...] und erzielt teilweise umsatzsteuerpflichtige und teilweise umsatzsteuerfreie Umsätze (Vorträge und Seminare) [...]. Für die Fahrten zur Ausführung ihrer Umsätze nutzte die Klägerin in der Regel ihren dem Unternehmensvermögen zugeordneten PKW. Ausweislich von der Klägerin geführter Fahrtenbücher betrug der Anteil für Fahrten zur Ausführung umsatzsteuerfreier Umsätze:

    - 2013    22,59 %
    - 2014 (gesamtes Jahr)    14,97 %
    - 2014 (ab 11.11.2014):    30,49 %
    - 2015:    22,24 %
    - 2016:    25,78 %
    - 2017:    24,60 %
    - 2018:    12,90 %

    Am 11.11.2014 erwarb die Klägerin einen neuen PKW zu einem (Netto-)Kaufpreis in Höhe von 56.731,11 € zzgl. Umsatzsteuer in Höhe von 10.778,91 € und nutzte diesen seither sowohl für Fahrten zur Ausführung umsatzsteuerpflichtiger als auch zur Ausführung umsatzsteuerfreier Umsätze. Den zuvor in ihrem Unternehmensvermögen gehaltenen PKW veräußerte die Klägerin kurz vorher umsatzsteuerpflichtig.

    In ihrer Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr meldete die Klägerin bei abziehbaren Vorsteuerbeträgen aus Rechnungen von anderen Unternehmen in Höhe von 12.950,33 € eine verbleibende Umsatzsteuer von 2.287,07 € an. Bei den geltend gemachten Vorsteuerbeträgen war der vollständige Vorsteuerbetrag aus der Anschaffung des PKW in Höhe von 10.778,91 € enthalten.

    Nach einer Außenprüfung erkannte der Beklagte (das Finanzamt --FA--) den geltend gemachten Vorsteuerbetrag aus der Anschaffung des PKW in Höhe von 30,49 % nicht an und kürzte den in 2014 abziehbaren Vorsteuerbetrag insoweit um 3.286,49 € (30,49 % x 10.778,91 €). Sodann setzte das FA --neben weiteren hier nicht streitigen Änderungen-- mit Bescheid vom 07.08.2019 sowie unter Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung die Umsatzsteuer für das Streitjahr --unter Berücksichtigung von Umsatzsteuer auf steuerpflichtige Lieferungen, sonstige Leistungen und unentgeltliche Wertabgaben in Höhe von 15.235,64 € und unter Anerkennung von abziehbaren Vorsteuerbeträgen in Höhe von insgesamt 9.652,71 €-- auf 5.582,93 € fest. Den hiergegen eingelegten Einspruch wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 27.04.2020 als unbegründet zurück.

    Mit ihrer Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie ist der Auffassung, dass die Vorsteuer aus der Anschaffung des PKW im Anschaffungszeitpunkt in voller Höhe geltend gemacht werden könne und erst im nachfolgenden Berichtigungszeitraum über § 15a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) zu korrigieren sei. Bei der vollständigen Geltendmachung des Vorsteuerbetrags im Anschaffungszeitpunkt handele es sich um eine sachgerechte Schätzung. Insofern sei zu berücksichtigen, dass sie als Freiberuflerin [...] zur Fortbildung verpflichtet sei. Teilweise erwerbe sie diese Fortbildungsnachweise, die für ihre [...] Tätigkeit erforderlich seien, bei Vorträgen oder Seminaren, die ihrerseits selbst zu steuerfreien Umsätzen führten. Diese Fahrten dürften daher zu keiner Vorsteuerkorrektur führen und seien den steuerpflichtigen Umsätzen zuzuordnen. Der sich aus den Fahrtenbüchern ergebende Aufteilungsmaßstab sei daher insofern zu modifizieren, so dass der Anteil der nicht zum Vorsteuerabzug berechtigten Fahrten in 2014 0,00 %, in 2015 8,67 %, in 2016 10,78 %, in 2017 13,08 % und in 2018 10,94 % betrage. Im Übrigen wird vollumfänglich auf das Vorbringen der Klägerin in den Schriftsätzen vom 25.05.2020, vom 01.08.2020 und vom 27.05.2022 verwiesen.

    Die Klägerin beantragt,

    den Umsatzsteuerbescheid vom 07.08.2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27.04.2020 dahingehend abzuändern, dass die Vorsteuer 2014 auf 12.939,20 € und die Zahllast der Umsatzsteuer 2014 auf 9,37 € festgesetzt werden.

    Das FA beantragt,

    die Klage als unbegründet zurückzuweisen.

    Das FA ist der Auffassung, dass bereits im Jahr der Anschaffung des PKW dessen Verwendung für steuerpflichtige und steuerfreie Umsätze anhand einer sachgerechten Schätzung zu ermitteln sei. Dies sei vorliegend durch die verhältnismäßige Zuordnung der Fahrleistung erfolgt. Eine Vorsteuerberichtigung nach § 15a Abs. 1 UStG sei frühestens in dem Kalenderjahr vorzunehmen, das dem Jahr der Anschaffung nachfolgt. Die Fahrten zu Vorträgen und Seminaren könnten auch insoweit nicht den steuerpflichtigen Umsätzen zugeordnet werden, als die Klägerin hierbei Fortbildungsnachweise für ihre Tätigkeit als Freiberuflerin erwerbe. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) komme es vielmehr auf den unmittelbaren Zusammenhang zwischen Eingangs- und Ausgangsumsatz ab, wobei eine nur mittelbare Stärkung der wirtschaftlichen Gesamttätigkeit nicht ausreichend sei (BFH-Urteil vom 09.12.2010 - V R 17/10, Bundessteuerblatt --BStBl-- II 2012, 53). Im Übrigen wird auf das Vorbringen des FA in der Einspruchsentscheidung vom 27.04.2020 sowie in den Schriftsätzen vom 30.06.2020 und vom 30.05.2022 verwiesen.

    In der mündlichen Verhandlung vom 15.09.2022 kamen die Beteiligten darin überein, dass in Bezug auf den zuvor im Unternehmensvermögen gehaltenen PKW im Streitjahr noch eine Vorsteuerkorrektur gemäß § 15a UStG in Höhe von 116,50 € vorzunehmen sei. Diese solle bereits im Zuge der Senatsentscheidung berücksichtigt werden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 15.09.2022 sowie auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakten Bezug genommen.

    Entscheidungsgründe

    Die Klage ist aus dem im Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Die von der Klägerin geltend gemachten Vorsteuern aus der Anschaffung des PKW sind gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG dem Grunde nach anzuerkennen (unter Ziff. 1.). Der Höhe nach sind diese jedoch gemäß § 15 Abs. 4 Satz 1 UStG auf den Teil begrenzt, der zur Ausführung von steuerpflichtigen Umsätzen verwendet wird (unter Ziff. 2.). Insofern kann die Klägerin aus der Anschaffung des PKW zunächst Vorsteuer in Höhe von 9.162,07 € (85 % x 10.778,91 €) geltend machen. Im Streitjahr erfolgt sodann noch eine Berichtigung der abziehbaren Vorsteuer gemäß § 15a Abs. 1 Satz 1 UStG in Höhe von 55,65 € zu Ungunsten der Klägerin, so dass sich im Streitjahr ein im Zusammenhang mit der Anschaffung des PKW abziehbarer Vorsteuerbetrag in Höhe von insgesamt 9.106,42 € ergibt (unter Ziff. 3.). Die Umsatzsteuer ist im Streitjahr somit auf 4.085,43 € festzusetzen (unter Ziff. 4).

    1. Die von der Klägerin geltend gemachten Vorsteuern aus der Anschaffung des PKW sind dem Grunde nach anzuerkennen. Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG kann der Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen. Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor. Die Klägerin hat den PKW für ihr Unternehmen zur Ausführung von Umsätzen erworben.

    2. Die Vorsteuern aus der Anschaffung des PKW sind jedoch nicht in voller Höhe abzugsfähig, da die Klägerin den PKW zur Ausführung sowohl von steuerpflichtigen als auch von steuerfreien Umsätzen verwendet hat. Insofern war die Klägerin im Anschaffungszeitpunkt zunächst zum Vorsteuerabzug in Höhe von 9.162,07 € (85 % x 10.778,91 €) berechtigt.

    a) Verwendet der Unternehmer einen für sein Unternehmen gelieferten Gegenstand oder eine von ihm in Anspruch genommene sonstige Leistung nur zum Teil zur Ausführung von Umsätzen, die den Vorsteuerabzug ausschließen, ist gemäß § 15 Abs. 4 Satz 1 UStG der Teil der jeweiligen Vorsteuerbeträge nicht abziehbar, der den zum Ausschluss vom Vorsteuerabzug führenden Umsätzen wirtschaftlich zuzurechnen ist. Der Unternehmer kann die nicht abziehbaren Teilbeträge im Wege einer sachgerechten Schätzung ermitteln (§ 15 Abs. 4 Satz 2 UStG). Es ist dabei zunächst Sache des Unternehmers, welche Schätzungsmethode er wählt; Finanzbehörden und Finanzgerichte können aber nachprüfen, ob die Schätzung sachgerecht ist (vgl. BFH-Urteile vom 11.11.2020 - XI R 7/20, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidung des Bundesfinanzhofs --BFH/NV-- 2021, 518, Rz 10; vom 03.08.2017 - V R 62/16, BStBl II 2021, 109, Rz 28). Gemäß § 15 Abs. 4 Satz 3 UStG ist eine Ermittlung des nicht abziehbaren Teils der Vorsteuerbeträge nach dem Verhältnis der Umsätze, die den Vorsteuerabzug ausschließen, zu den Umsätzen, die zum Vorsteuerabzug berechtigen, nur zulässig, wenn keine andere wirtschaftliche Zurechnung möglich ist.

    b) Nach diesen Grundsätzen war die Vorsteuer aus der Anschaffung des PKW aufzuteilen. Zwar nutzte die Klägerin den PKW für [...] und somit zur Ausführung von steuerpflichtigen Umsätzen. Daneben nutzte sie den PKW allerdings auch für Vorträge und Seminare, die gemäß § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG bzw. --soweit ehrenamtlich ausgeführt-- gemäß § 4 Nr. 26 UStG zu steuerfreien Umsätzen führen und somit den Vorsteuerabzug gemäß § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG ausschließen.

    c) Da die Klägerin davon ausgegangen ist, dass die geltend gemachten Vorsteuerbeträge aus der Anschaffung des PKW in voller Höhe abziehbar sind, war eine Schätzung durch das FA geboten. Die vom FA vorgenommene Schätzung anhand der Fahrleistung vom 11.11.2014 bis zum 31.12.2014 war allerdings nicht sachgerecht i.S. des § 15 Abs. 4 Satz 2 UStG und daher zu verwerfen.

    aa) Das FA ist zunächst von der zutreffenden Schätzungsmethode ausgegangen. Eine Schätzung auf Grundlage der Fahrleistung des PKW führt in der Regel --und auch im Streitfall-- zu einer "präziseren wirtschaftlichen Zurechnung" als der Umsatzschlüssel i.S. des § 15 Abs. 4 Satz 3 UStG.

    (1) Zwar stellt Art. 173 Abs. 1 Unterabs. 1, Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL), auf dem die Regelung des § 15 Abs. 4 UStG beruht, primär auf einen Umsatz-schlüssel ab. Demgegenüber lässt § 15 Abs. 4 Satz 3 UStG eine Aufteilung nach dem Umsatzschlüssel nur zu, wenn keine andere wirtschaftliche Zurechnung möglich ist. § 15 Abs. 4 Satz 3 UStG ist insofern allerdings richtlinienkonform auszulegen. Der Umsatzschlüssel gilt nur, wenn keine "präzisere wirtschaftliche Zurechnung" durch eine andere Methode möglich ist (vgl. grundlegend BFH-Urteil vom 07.05.2014 - V R 1/10, BFH/NV 2014, 1177; vgl. auch Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union --EuGH-- Wolfgang und Dr. Wilfried Rey Grundstücksgemeinschaft vom 09.06.2016 - C-332/14, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 2016, 753; und BLC Baumarkt vom 08.11.2012 - C-511/10, HFR 2013, 79).

    (2) Im Streitfall führt eine Aufteilung im Verhältnis der Fahrleistungen nach Ansicht des Senats zu einer präziseren wirtschaftlichen Zurechnung als der Umsatzschlüssel (gl. A. z.B. Fleckenstein-Weiland in Wäger, UStG, 2. Aufl. 2022, § 15 Rz. 284; Looks in BeckOK UStG, § 15 Rz. 343). Dies lässt sich bereits dem Wortlaut des § 15 Abs. 4 Satz 1 UStG ("verwendet") entnehmen. Die "Verwendung" eines PKW lässt sich präziser durch dessen Laufleistung abbilden, die den Verschleiß und die Abnutzung des PKW widerspiegeln. Ebenso lässt sich aus der Laufleistung auch die zeitliche Nutzung des PKW für die Verwendung für die jeweiligen Umsätze herleiten. Die Umsätze können hingegen von anderen Faktoren abhängig sein und deren Höhe ist in der Regel unabhängig von der zurückgelegten Entfernung, so dass eine präzisere wirtschaftliche Zurechnung im Streitfall nicht über den Umsatzschlüssel erreicht werden kann.

    bb) Demgegenüber ist die konkrete Anwendung dieser Schätzungsmethode durch das FA, nämlich allein auf Grundlage der Fahrleistungen vom 11.11.2014 bis zum 31.12.2014, nicht sachgerecht i.S. des § 15 Abs. 4 Satz 2 UStG. Die Schätzung des FA war daher zu verwerfen.

    (1) Es ist bereits fraglich, ob ein solch kurzer Zeitraum zu einer ausreichenden Schätzungsgrundlage führen kann. Dieser würde nur dann zu einem sachgerechten Ergebnis führen, wenn in jedem Monat des gesamten Kalenderjahres eine in etwa identische Verwendung des PKW stattfindet. Dies ist jedoch nicht der Fall. Insbesondere berücksichtigt der Zeitraum keine (Semester-)Ferien, in denen die Klägerin in der Regel keine Vorträge und Seminare hält. Darüber hinaus fanden in dem vom FA berücksichtigten Zeitraum lediglich zwei Fahrten durch die Klägerin statt. Schließlich weicht der vom FA ermittelte Aufteilungsmaßstab mit 30,49 % auch deutlich von den sonstigen Jahren ab, in denen die Klägerin den PKW lediglich zwischen 12,90 % und 25,78 % für Fahrten zu Vorträgen und Seminaren genutzt hat.

    (2) Jedenfalls berücksichtigt das FA aber nicht, dass die Klägerin bereits vor dem 11.11.2014 aufzuteilende Fahrten mit einem "funktionsgleichen" Unternehmens-PKW vorgenommen hat. Die unternehmerische Tätigkeit der Klägerin war über das gesamte Streitjahr gesehen gleichbleibend. Demgegenüber tauschte sie lediglich ihren Unter-nehmens-PKW aus, nutzte diesen jedoch weiterhin wie bereits zuvor. Nach Auffassung des Senats ist es daher nicht sachgerecht i.S. des § 15 Abs. 4 Satz 2 UStG, dass das FA bei der konkreten Anwendung der Schätzungsmethode (Laufleistung des PKW) diesen Umstand ausblendet.

    d) Da weder die Klägerin noch das FA eine sachgerechte Schätzung i.S. des § 15 Abs. 4 Satz 2 UStG vorgenommen haben, nimmt der Senat gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 162 der Abgabenordnung selbst eine Schätzung vor (vgl. BFH-Urteil vom 23.10.2019 - XI R 18/17, BFH/NV 2020, 593, Rz 29).

    aa) Der Senat hält es für sachgerecht für die Aufteilung i.S. des § 15 Abs. 4 UStG auf die Gesamtfahrleistung im Streitjahr abzustellen. Insofern ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin bereits vor der Anschaffung des PKW am 11.11.2014 einen anderen "funktionsgleichen" PKW für ihre unternehmerischen Fahrten verwendete. Hieraus ergibt sich ein Anteil von ca. 15 %, der auf Fahrten zu Vorträgen und Seminaren entfällt, für die ein Vorsteuerabzug ausgeschlossen ist.

    (1) Bestätigt wird dies durch die BFH-Rechtsprechung (vgl. BFH-Urteil vom 24.04.2013 - XI R 25/10, BStBl II 2014, 346, Rz 31 ff.). Danach ist für die Aufteilung der Vorsteuern aus bezogenen Gemeinkosten gemäß § 15 Abs. 4 UStG regelmäßig auf die Verhältnisse der gesamten Umsätze im Besteuerungszeitraum abzustellen. Eine solche Aufteilung ist erst in der gemäß § 18 Abs. 3 UStG abzugebenden (Jahres-)Steuererklärung durchzuführen. Abzustellen ist insofern auf den Veranlagungszeitraum insgesamt und die für diesen Zeitraum im Nachhinein festzustellenden Verhältnisse und nicht nur auf den Zeitraum ab dem 11.11.2014.

    (2) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der EuGH-Rechtsprechung (vgl. EUGH-Urteil Sonaecom vom 12.11.2020 - C-42/19, HFR 2021, 104). Danach muss der Vorsteuerabzug des Steuerpflichtigen so genau wie möglich der tatsächlichen Verwendung der von ihm erworbenen Gegenstände und Dienstleistungen entsprechen. Folglich hat eine tatsächliche Verwendung Vorrang vor der ursprünglichen Absicht (EUGH-Urteil Sonaecom vom 12.11.2020 - C-42/19, HFR 2021, 104, Rz 58 f.). Im Streitfall führt gerade die tatsächliche Verwendung zweier funktionsgleicher und lediglich ausgetauschter Gegenstände im gesamten Jahr zu einem "genaueren" Ergebnis, was auch durch die tatsächliche Verwendung in den Folgejahren bestätigt wird. Der Senat sieht insoweit auch von einer Vorlage an den EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ab. Eine Verpflichtung zur Vorlage an den EuGH besteht für den erkennenden Senat als Instanzgericht nicht. Die Finanzgerichte sind gemäß Art. 267 Abs. 2 AEUV bei Auslegungsfragen zur Vorlage berechtigt, aber nicht verpflichtet (vgl. Levedag in Gräber, FGO, 9. Aufl. 2019, Anhang Rz 171).

    bb) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist der Aufteilungsmaßstab auch nicht deshalb zu modifizieren bzw. korrigieren, weil sie teilweise auf Vorträgen und Seminaren Fortbildungsnachweise erhalten hatte, die für die Ausübung ihrer [...] als Freiberuflerin erforderlich waren. Insofern handelt es sich lediglich um eine "mittelbare" Stärkung ihrer zum Vorsteuerabzug berechtigenden Tätigkeit.

    (1) Bei einem direkten und unmittelbaren Zusammenhang zu einem Ausgangsumsatz, der mangels wirtschaftlicher Tätigkeit nicht dem Anwendungsbereich der Steuer unterliegt oder --ohne Anwendung von § 15 Abs. 3 UStG-- steuerfrei ist, besteht keine Berechtigung zum Vorsteuerabzug (vgl. BFH-Urteil vom 09.12.2010 - V R 17/10, BStBl II 2012, 53, Rz 14 m.w.N.). Dies gilt auch, wenn der Unternehmer eine Leistung für einen z.B. steuerfreien Ausgangsumsatz bezieht, um mittelbar seine zum Vorsteuerabzug berechtigende wirtschaftliche Gesamttätigkeit zu stärken, da "der vom Steuerpflichtigen verfolgte endgültige Zweck unerheblich ist" (vgl. BFH-Urteil vom 09.12.2010 - V R 17/10, BStBl II 2012, 53, Rz 15 m.w.N.).

    (2) Im Streitfall standen die Fahrten der Klägerin zu Vorträgen und Seminaren in direktem und unmittelbarem Zusammenhang mit ihren steuerfreien Ausgangsumsätzen. Daher besteht insofern keine Berechtigung zum Vorsteuerabzug. Der Erwerb der Fortbildungsnachweise [...] stand hingegen nur im mittelbaren Zusammenhang zu ihren steuerpflichtigen Ausgangsumsätzen als Freiberuflerin und erfolgte daher lediglich "bei Gelegenheit".

    e) Auf Grundlage der nach diesen Grundsätzen vom Senat vorgenommenen Schätzung ergibt sich ein Aufteilungsmaßstab von 15 % hinsichtlich der den Vorsteuerabzug ausschließenden Fahrten. Mithin war die Klägerin zunächst in Höhe von 9.162,07 € (85 % x 10.778,91 €) zum Vorsteuerabzug berechtigt.

    3. Der Vorsteuerabzug aus der Anschaffung des PKW ist jedoch im Streitjahr für zwei Monate gemäß § 15a Abs. 1 Satz 1 UStG zu korrigieren, da der neu angeschaffte PKW im Streitjahr tatsächlich nur zu 69,51 % zur Ausführung von steuerpflichtigen Umsätzen verwendet wurde. Der Vorsteuerabzug ist daher im Streitjahr um 55,65 € auf 9.106,42 € zu ermäßigen.

    a) Ändern sich bei einem Wirtschaftsgut, das nicht nur einmalig zur Ausführung von Umsätzen verwendet wird, innerhalb von fünf Jahren ab dem Zeitpunkt der erstmaligen Verwendung die für den ursprünglichen Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse, ist gemäß § 15a Abs. 1 Satz 1 UStG für jedes Kalenderjahr der Änderung ein Ausgleich durch eine Berichtigung des Abzugs der auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten entfallenden Vorsteuerbeträge vorzunehmen.

    b) Kommt es bereits im Kalenderjahr des ursprünglichen Vorsteuerabzugs zu einer von der ursprünglichen Verwendungsabsicht abweichenden tatsächlichen Verwendung, ist das Verhältnis von § 15 Abs. 4 UStG zu § 15a Abs. 1 UStG nicht abschließend geklärt (vgl. Meyer in BeckOK UStG, § 15a Rz 38.2). Insofern ist umstritten, ob die ursprüngliche Verwendungsabsicht und die tatsächliche Verwendung oder aber die tatsächliche Verwendung im Jahr des Leistungsbezugs und die tatsächliche Verwendung in den Folgejahren gegenüberzustellen sind.

    (1) Überwiegend wird der tatsächlichen Nutzung im Jahr des Leistungsbezugs der Vorrang gegeben. Diese sei für den erstmaligen Vorsteuerabzug maßgeblich. Eine Berichtigung nach § 15a Abs. 1 UStG scheide danach im Jahr des Leistungsbezugs aus (vgl. EUGH-Urteil Sonaecom vom 12.11.2020 - C-42/19, HFR 2021, 104; Heidner in Bunjes, UStG, 21. Aufl. 2022, § 15a Rz 17, § 15 Rz 303a ff.; Meyer in BeckOK UStG, § 15a Rz 23.2; Oelmaier in Sölch/Ringleb, UStG, § 15a Rz 86; Stadie in Stadie, UStG, § 15a Rz 68; wohl auch Frye in Rau/Dürrwächter, UStG, § 15a Rz 179

    (2) Nach anderer Ansicht sind die ursprüngliche Verwendungsabsicht und die tatsächliche Verwendung ab dem Zeitpunkt der erstmaligen Verwendung miteinander zu vergleichen (vgl. Hundt-Eßwein in Offerhaus/Söhn/Lange, UStG, § 15a Rz 61; Neeser in Wäger, UStG, 2. Aufl. 2022, § 15a Rz 39; wohl auch BFH-Urteil vom 09.02.2011 - XI R 35/09, BStBl II 2011, 1000, Rz 28; und BTDrucks 14/7341, 22). Danach könne es zu einer Berichtigung nach § 15a Abs. 1 UStG im Jahr des Leistungsbezugs kommen.

    (3) Der Senat braucht den Streit --jedenfalls unter Berücksichtigung der Besonderheiten im Streitfall-- im Ergebnis nicht zu entscheiden. § 15a Abs. 1 Satz 1 UStG stellt auf "die für den ursprünglichen Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse" ab. Diese richten sich bei der Anschaffung des PKW durch die Klägerin --wie bereits ausgeführt (vgl. unter Ziff. 2.)-- nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 4 UStG. Insofern liegt dem ursprünglichen Vorsteuerabzug eine Aufteilung mittels sachgerechter Schätzung zugrunde, die ihrerseits wiederum die tatsächlichen Verhältnisse des gesamten Kalenderjahres 2014 berücksichtigt. Wegen der Besonderheit, dass die Klägerin im Jahr der Anschaffung des PKW bereits zuvor einen anderen "funktionsgleichen" PKW für die gleichen Umsätze genutzt hatte, ist für die "den ursprünglichen Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse" daher auf die "tatsächliche Verwendung" --sowohl des alten als auch des neuen PKW-- im gesamten Kalenderjahr abzustellen. Für die "tatsächliche Verwendung" ab dem Zeitpunkt der erstmaligen Verwendung i.S. des § 15a Abs. 1 Satz 1 UStG ist demgegenüber ausschließlich auf den neu angeschafften PKW abzustellen. Daher kann es jedenfalls in Fällen, bei denen --wie im Streitfall-- ein bereits vorhandenes Wirtschaftsgut durch ein funktionsgleiches ausgetauscht wird, zu einem Nebeneinander der Anwendung von § 15 Abs. 4 UStG und § 15a Abs. 1 Satz 1 UStG kommen.

    c) Der ursprüngliche Vorsteuerabzug in Höhe von 9.162,07 € bzw. --pro Monat des Berichtigungszeitraums-- in Höhe 152,70 € (9.162,07 € / 60 Monate) wäre daher auf Grund der tatsächlichen Verwendung vom 11.11.2014 bis 31.12.2014 nur in Höhe von 124,87 € ((69,51 % x 10.778,91 €) / 60 Monate) pro Monat zulässig. Die Vorsteuer ist daher in Höhe der Differenz zwischen 305,40 € (152,70 € x 2 Monate, vgl. § 45 der Umsatzsteuerdurchführungsverordnung) und 249,75 € (124,87 € x 2 Monate), mithin in Höhe von 55,65 € gemäß § 15a Abs. 1 Satz 1 UStG zu berichtigen. Im Streitjahr kann die Klägerin aus der Anschaffung des PKW somit insgesamt Vorsteuer in Höhe von 9.106,42 € abziehen.

    4. Die im Streitjahr abziehbare Vorsteuer beträgt daher --unter Berücksichtigung der zwischen den Beteiligten unstreitig vorzunehmenden Vorsteuerkorrektur hinsichtlich des aus dem Unternehmensvermögen ausgeschiedenen PKW in Höhe von 116,50 €-- insgesamt 11.150,21 €. Ausgehend von einer Umsatzsteuer auf Lieferungen, sonstigen Leistungen und unentgeltliche Wertabgaben in Höhe von 15.235,64 € ist die Umsatzsteuer somit auf 4.085,43 € festzusetzen

    5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO.

    RechtsgebietUStGVorschriften§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG, § 15 Abs. 4 Satz 1 UStG

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