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  • 08.05.2024 · IWW-Abrufnummer 241384

    Finanzgericht Düsseldorf: Urteil vom 04.10.2023 – 4 K 1072/23 VSt

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Finanzgericht Düsseldorf


    Tenor:

    Der Beklagte wird unter Aufhebung seines Bescheids vom 23. September 2022 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 2. Mai 2023 verpflichtet, der Klägerin für das Kalenderjahr 2020 eine Steuerentlastung nach § 12c Abs. 1 StromStV von ... € zu gewähren.

    Der Beklagte wird unter Aufhebung seines Bescheids vom 23. September 2022 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 2. Mai 2023 verpflichtet, der Klägerin für das Kalenderjahr 2021 eine Steuerentlastung nach § 12c Abs. 1 StromStV von ... € zu gewähren.

    Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war notwendig.

    Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

    Die Revision wird zugelassen.

    1
    T a t b e s t a n d

    2
    Die Klägerin betrieb an unterschiedlichen Standorten in einer Entfernung von mehreren Kilometern in A, B, C, D, E, F, G, H, I, J, K, L, M, N, O, P, Q, R, S, T, U und V ...Einzelhandelsgeschäfte (Bl. 213 ff. der Gerichtsakte). An diesen Standorten erzeugte sie unter Einsatz von Photovoltaikanlagen Strom. Sie betrieb an den Standorten im Kalenderjahr 2020  ... und im Kalenderjahr 2021  ... Photovoltaikanlagen. Die elektrische Nennleistung der Anlagen betrug zwischen 119,6 Kilowatt (KW) und 203,13 KW.

    3
    Die Klägerin entnahm den mit den Photovoltaikanlagen erzeugten Strom an dem jeweiligen Standort der Anlage zum Selbstverbrauch. Einen Teil des Stroms leistete sie an einen Letztverbraucher zum Betrieb von im räumlichen Zusammenhang zu den Anlagen vorhandenen Paketstationen. Überschüssige Strommengen speiste die Klägerin in das allgemeine Versorgungsnetz ein. Im Kalenderjahr 2020 wurde der von ... Photovoltaikanlagen, im Kalenderjahr 2021 wurde der von ... Photovoltaikanlagen erzeugte und nicht zum Selbstverbrauch entnommene überschüssige Strom durch die W AG direkt vermarktet. Die W AG konnte die Photovoltaikanlagen zum Zweck der Vermarktung dieses Stroms zentral steuern.

    4
    Die Klägerin gab am 31. Dezember 2021 für das Kalenderjahr 2020 beim beklagten Hauptzollamt eine Steueranmeldung ab, in der sie eine Menge von ... Megawattstunden (MWh) Strom angab, den sie mit den Photovoltaikanlagen erzeugt und zum Selbstverbrauch entnommen hatte. In ihrer für das Kalenderjahr 2021 im Mai 2022 beim beklagten Hauptzollamt abgegebenen Steueranmeldung gab sie eine Menge von ... MWh Strom an, den sie mit den Photovoltaikanlagen erzeugt und zum Selbstverbrauch entnommen hatte. Gleichzeitig mit ihren Steueranmeldungen für die Kalenderjahre 2020 und 2021 reichte sie beim beklagten Hauptzollamt Anträge ein, mit denen sie hinsichtlich der vorgenannten zum Selbstverbrauch entnommenen Mengen Strom die Gewährung einer Steuerentlastung nach § 12c Abs. 1 der Verordnung zur Durchführung des Stromsteuergesetzes (StromStV) i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 3 Buchst. a des Stromsteuergesetzes (StromStG) begehrte. Am 21. Januar 2022 gab sie beim beklagten Hauptzollamt hinsichtlich des Kalenderjahres 2020 einen korrigierten Antrag für eine Menge von ... MWh Strom ab.

    5
    Das beklagte Hauptzollamt lehnte die Gewährung der Steuerentlastungen für die Kalenderjahre 2020 und 2021 mit Bescheiden vom 23. September 2022 ab. Zur Begründung führte es aus: Die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG lägen nicht vor. Die Photovoltaikanlagen gälten nach § 12b Abs. 2 StromStV zwar auf Grund ihrer Fernsteuerbarkeit als eine Anlage mit einer elektrischen Nennleistung von mehr als zwei MW. Die Nennleistung der Anlagen an den einzelnen Standorten betrage jedoch weniger als 2 MW.

    6
    Die hiergegen von der Klägerin eingelegten Einsprüche wies das beklagte Hauptzollamt mit Entscheidung vom 2. Mai 2023 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte es aus: Die Klägerin habe nach § 12c Abs. 1 StromStV keinen Anspruch auf die Steuerentlastungen, weil die Tatbestandsvoraussetzungen des § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG nicht vorlägen. Der Verordnungsgeber habe keine von dieser Gesetzesbestimmung abweichenden Anspruchsvoraussetzungen regeln dürfen. Die fraglichen Photovoltaikanlagen hätten am Ort der Erzeugung des Stroms nicht eine elektrische Nennleistung von mehr als zwei MW gehabt.

    7
    Mit ihrer Klage trägt die Klägerin vor: § 12c Abs. 1 StromStV erfordere lediglich eine Entnahme des Stroms zu den in § 9 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 3 Buchst. a StromStG genannten Zwecken. Die elektrische Nennleistung einer Anlage sei kein Zweck der Steuerbefreiung, sondern nur ein Zuordnungskriterium dafür, ob der Strom am Ort der Erzeugung oder im räumlichen Zusammenhang zu der Anlage entnommen werde. Der Gesetzgeber habe sicherstellen wollen, dass sämtliche Anlagen zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energieträgern unabhängig von der Größe der Anlagen von der Steuerbefreiung umfasst würden. Der Begriff der Anlage sei daher in § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG und § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a StromStG einheitlich auszulegen. Der Verordnungsgeber dürfe den Anwendungsbereich der gesetzlichen Steuerbefreiungen nicht einschränkend auslegen. Eine unterschiedliche Auslegung des Begriffs der Anlage widerspräche zudem der Ermächtigungsgrundlage des § 11 Satz 1 Nr. 8 Buchst. a StromStG, weil sie weder der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung, noch der Verfahrensvereinfachung, noch der Vermeidung unangemessener Belastungen diene. Finde gemäß § 12b Abs. 2 StromStV eine Zusammenrechnung der elektrischen Nennleistung von Stromerzeugungseinheiten an unterschiedlichen Standorten statt, müsse dies auch für den Tatbestand des § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG gelten. Im Streitfall sei der Strom auch am Ort der jeweiligen Photovoltaikanlage und damit am Ort der Erzeugung entnommen worden. Dies habe sie durch ein differenziertes Messkonzept und eine entsprechende Mengenabgrenzung sichergestellt. Sie begehre nur die Strommengen als steuerfrei zu behandeln, die am Standort einer Filiale erzeugt und dort zum Selbstverbrauch entnommen worden seien. Nicht am Ort der Erzeugung entnommene überschüssige Strommengen habe sie in das allgemeine Versorgungsnetz eingespeist. Diese Mengen seien an einen Versorger abgegeben worden, der sie anschließend zur Versteuerung angemeldet habe. Es habe auch keine Querleistungen von Strom zwischen den Filialen gegeben. Die vom beklagten Hauptzollamt vertretene Auslegung des § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG führe zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung von Betreibern mehrerer Photovoltaikanlagen an unterschiedlichen Standorten mit Direktvermarktung. Hierfür gebe es keinen Rechtfertigungsgrund. Sie sei zudem nach § 21 Abs. 1 des Gesetzes für den Ausbau erneuerbarer Energien verpflichtet, die Photovoltaikanlage in der Direktvermarktung zu betreiben.

    8
    Jedenfalls habe sie nach § 12c Abs. 1 StromStV i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a StromStG Anspruch auf die beantragten Steuerentlastungen. Die Voraussetzungen des § 12b Abs. 3 Satz 2 StromStV lägen vor. Die elektrische Nennleistung der von ihr betriebenen Photovoltaikanlagen betrage jeweils deutlich weniger als zwei MW.

    9
    Die Klägerin beantragt,

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    11
    1. das beklagte Hauptzollamt unter Aufhebung seines Bescheids vom 23. September 2022 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 2. Mai 2023 zu verpflichten, ihr für das Kalenderjahr 2020 eine Steuerentlastung nach § 12c Abs. 1 StromStV von ... € zu gewähren;

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    2. das beklagte Hauptzollamt unter Aufhebung seines Bescheids vom 23. September 2022 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 2. Mai 2023 zu verpflichten, ihr für das Kalenderjahr 2021 eine Steuerentlastung nach § 12c Abs. 1 StromStV von ... € zu gewähren;

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    3. hilfsweise die Revision zuzulassen.

    14
    Das beklagte Hauptzollamt beantragt,

    15
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    1. die Klage abzuweisen;

    17
    2. hilfsweise die Revision zuzulassen.

    18
    Zur Begründung verweist es im Wesentlichen auf seine Einspruchsentscheidung. Darüber hinaus trägt es vor: Der Gesetzgeber habe mit der Neufassung des § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG nicht beabsichtigt, die Steuerbefreiungen für Strom, der aus erneuerbaren Energieträgern erzeugt worden sei, über das in der Vergangenheit gewährte Maß hinaus auszuweiten. Deshalb könne der Begriff der Anlage in § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG und in § 9 Abs. 1 Nr. 3 StromStG nicht einheitlich ausgelegt werden. Die Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG gelte nicht für Strom, der standortübergreifend über den Ort der Erzeugung hinaus entnommen werde. Daher sei im Rahmen von § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG von einem standortbezogenen Anlagenbegriff auszugehen. Im Übrigen sei der von der Klägerin erzeugte Strom nicht nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 StromStG von der Steuer befreit, weil die Voraussetzungen des § 12b Abs. 2 StromStV vorlägen. Der erzeugte Strom werde von dem Direktvermarkter zumindest teilweise in das Versorgungsnetz eingespeist. Auf § 12b Abs. 3 Satz 2 StromStV könne sich die Klägerin nicht mit Erfolg berufen, weil die elektrische Nennleistung ihrer Anlagen, mit denen Strom erzeugt werde, der direkt vermarktet werde, zwei MW überschreite.

    19
    E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

    20
    Die Klage ist begründet. Die Bescheide vom 23. September 2022 jeweils in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 2. Mai 2023 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 101 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung ‒ FGO ‒). Das beklagte Hauptzollamt hat es zu Unrecht abgelehnt, der Klägerin für das Kalenderjahr 2020 eine Steuerentlastung nach § 12c Abs. 1 StromStV von ... € und für Kalenderjahr 2021 eine Steuerentlastung nach § 12c Abs. 1 StromStV von ... € zu gewähren.

    21
    Die Klägerin hat allerdings nach § 12c Abs. 1 StromStV i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a StromStG in der Fassung des Art. 1 Nr. 4 des Gesetzes vom 22. Juni 2019 (BGBl. I, 856) keinen Anspruch auf die von ihr begehrten Steuerentlastungen.

    22
    Gemäß § 12c Abs. 1 StromStV wird eine Steuerentlastung für nachweislich nach § 3 StromStG versteuerten Strom gewährt, der aus erneuerbaren Energieträgern erzeugt und zu den in § 9 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 3 Buchst. a StromStG genannten Zwecken entnommen wurde.

    23
    Anders als die Klägerin meint, handelt es sich bei § 12c Abs. 1 StromStV um eine Rechtsgrundverweisung, so dass die Tatbestandsvoraussetzungen der Steuerbefreiungen des § 9 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 3 Buchst. a StromStG vorliegen müssen. Mit der Einfügung des § 12c Abs. 1 StromStV durch Art. 4 Nr. 16 des Gesetzes vom 22. Juni 2019 (BGBl. I, 856) sollte die Möglichkeit der Gewährung einer Steuerentlastung für die Fälle geschaffen werden, in denen insbesondere wegen des Fehlens einer Erlaubnis (§ 9 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 StromStG) die Anwendung einer Steuerbefreiung nach Ansicht des Gesetzgebers ausschied (vgl. Bundestags-Drucks. 19/8037 Seite 47). Dabei sollten sich die Voraussetzungen für die Gewährung der Steuerentlastungen nach den Anforderungen für die Erteilung einer Erlaubnis und damit nach den Tatbestandsvoraussetzungen des § 9 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 3 Buchst. a StromStG richten (vgl. Bundestags-Drucks. 19/8037, Seite 47).

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    Die Klägerin hat den Strom, den sie in den Kalenderjahren 2020 und 2021 zum Selbstverbrauch entnommen hat, nicht in Anlagen mit einer elektrischen Nennleistung von bis zu zwei MW erzeugt. Dem steht die Bestimmung des § 12b Abs. 2 Satz 1 StromStV entgegen, deren Voraussetzungen erfüllt sind. Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung reicht es aus, dass nur ein Teil des von der Klägerin erzeugten Stroms in das Versorgungsnetz eingespeist wurde und die W AG die Photovoltaikanlagen zum Zweck der Vermarktung dieses Stroms zentral steuern konnte.

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    Die Klägerin kann sich nicht mit Erfolg auf § 12b Abs. 3 Satz 2 StromStV berufen. Eine Anwendung dieser Ausnahmeregelung scheitert im Streitfall daran, dass die elektrische Nennleistung der Photovoltaikanlagen der Klägerin insgesamt zwei MW überschritt. Die Bestimmung stellt nach ihrem Wortlaut auf die elektrische Nennleistung aller Anlagen eines Betreibers ab (vgl. Schröer-Schallenberg in Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, EnergieStG/StromStG, § 9 StromStG Randnr. 63). Dadurch sollte der Anwendungsbereich auf Fälle mit einer Anlagenleistung von zusammengerechnet höchstens zwei MW beschränkt werden (Bundestags-Drucks. 19/8037, Seite 47).

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    Die Klägerin hat indessen nach § 12c Abs. 1 StromStV i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG einen Anspruch auf die von ihr begehrten Steuerentlastungen.

    27
    Der in Rede stehende Strom ist in Anlagen mit einer elektrischen Nennleistung von mehr als zwei MW aus erneuerbaren Energieträgern (§ 2 Nr. 7 StromStG) erzeugt worden. Die elektrische Nennleistung der an unterschiedlichen Standorten von der Klägerin in den Kalenderjahren 2020 und 2021 betriebenen Photovoltaikanlagen ist zusammenzurechnen, so dass es sich hierbei insgesamt um Anlagen mit einer elektrischen Nennleistung von mehr als zwei MW handelte.

    28
    § 12b StromStV gilt seinem Wortlaut nach nur für Anlagen im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 3 StromStG. Da die StromStV hinsichtlich der Bestimmung des Begriffs der Anlage im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG keine Regelungen enthält, ist auf die Grundsätze zurückzugreifen, die der Bundesfinanzhof (BFH) zur Auslegung des stromsteuerrechtlichen Begriffs der Anlage entwickelt hat. Danach handelte es sich bei den von der Klägerin in den Kalenderjahren 2020 und 2021 betriebenen Photovoltaikanlagen um Anlagen mit einer elektrischen Nennleistung von insgesamt mehr als zwei MW.

    29
    Im Stromsteuerrecht ist von einem funktionsbezogenen Anlagenbegriff auszugehen, der eine isolierte Betrachtung einzelner Stromerzeugungseinheiten verbietet. Danach ist auf die Gesamtheit der technischen Einrichtungen und auf den Funktionszusammenhang abzustellen (BFH, Urteil vom 15. September 2020 VII R 30/19 Randnr. 25 f., BFH/NV 2021, 455). Anders als das beklagte Hauptzollamt meint, gilt im Rahmen des § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG kein standortbezogener Anlagenbegriff. Dies würde zu einer Vermengung der zwei unterschiedlichen Tatbestandsvoraussetzungen der Gesetzesbestimmung führen, die sich einerseits auf die Nennleistung der Anlagen, mit dem der Strom erzeugt wird, und andererseits auf den Ort der Entnahme des erzeugten Stroms beziehen. Durch den Wegfall des Erfordernisses eines sog. „Grünstromnetzes“ und die Beschränkung auf den Selbstverbrauch sollte die Befreiung des § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG künftig einen klar definierten Anwendungsbereich erhalten (vgl. Bundestags-Drucks. 19/8037, Seite 24). Diese Neuregelung, die sich ausschließlich auf den Ort der Entnahme des erzeugten Stroms bezieht, enthält jedoch keine Neubestimmung des durch die Rechtsprechung des BFH bereits geklärten Anlagenbegriffs.

    30
    Als Kriterien für die Auslegung des Begriffs der Anlage können im Stromsteuerrecht unter anderem die räumliche Anordnung und Unterbringung der Einheiten, die messtechnische Erfassung der eingesetzten Energieträger und des erzeugten Stroms, die Steuerungsmöglichkeiten oder die Leitungsführung herangezogen werden. Starke, wenn auch nicht allein ausschlaggebende Indizien für das Vorliegen einer Gesamtanlage sind die räumliche Zusammenfassung mehrerer Aggregate an einem Standort sowie der Betrieb mehrerer Stromerzeugungseinheiten durch einen Betreiber und die Versorgung eines bestimmten Abnehmerkreises mit Strom (BFH, Urteil vom 15. September 2020 VII R 30/19 Randnr. 25 f., BFH/NV 2021, 455).

    31
    Ausgehend von diesen Grundsätzen sprechen im Streitfall die messtechnische Erfassung des erzeugten Stroms durch die Klägerin und die zentralen Steuerungsmöglichkeiten der Photovoltaikanlagen durch die W AG zum Zwecke der Stromvermarktung für die Annahme, dass es sich um Anlagen mit einer elektrischen Nennleistung von mehr als zwei MW handelt. Die Klägerin hat unwidersprochen vorgetragen, ein differenziertes Messkonzept und eine entsprechende Mengenabgrenzung entwickelt zu haben. Ferner wurden sämtliche Stromerzeugungseinheiten von derselben Person, der Klägerin, betrieben. Darüber hinaus diente der mit den Photovoltaikanlagen erzeugte Strom ganz überwiegend der Versorgung eines bestimmten Abnehmerkreises, nämlich der Klägerin selbst und dem Betreiber der auf den Geländen der Filialen vorhandenen Paketstationen. Vor dem Hintergrund dieser Gesichtspunkte, die für die Annahme sprechen, dass es sich um Anlagen mit einer elektrischen Nennleistung von mehr als zwei MW handelte, kommt allein dem Umstand, dass die Anlagen nicht räumlich an einem Standort zusammengefasst worden sind, keine ausschlaggebende Bedeutung zu (a.A. offenbar Schröer-Schallenberg in Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, EnergieStG/StromStG, § 9 StromStG Randnr. 15). Dies wird durch § 12b Abs. 2 Satz 1 StromStV bestätigt, nach dem auch Stromerzeugungseinheiten an unterschiedlichen Standorten als eine Anlage zur Stromerzeugung angesehen werden können. Würde man dies anders sehen, würde sich die Frage stellen, ob § 12b Abs. 2 Satz 1 StromStV noch durch die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage des § 11 Satz 1 Nr. 8 Buchst. a Satz 1 StromStG gedeckt ist. Das wurde bislang indes nicht in Zweifel gezogen (vgl. Senat, Urteil vom 8. Januar 2020 ‒ 4 K 3223/18 VSt, juris Randnr. 25; ähnlich zu § 12b Abs. 1 StromStV: BFH, Urteil vom 15. September 2020 VII R 30/19 Randnr. 28, BFH/NV 2021, 455).

    32
    Gegen die Auslegung des Begriffs der Anlagen mit einer elektrischen Nennleistung von mehr als zwei MW im Sinne eines funktionsbezogenen Anlagenbegriffs spricht nicht, dass der mit den Anlagen erzeugte Strom nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG am Ort der Erzeugung zum Selbstverbrauch entnommen werden muss. Dieses Tatbestandsmerkmal bedeutet nicht, dass der Strom auf demselben Grundstück entnommen werden muss, auf dem sich die Stromerzeugungsanlage befindet. Vielmehr können hiervon auch mehrere Grundstücke oder Betriebsgelände umfasst sein (vgl. Bundestags-Drucks. 19/8037, Seite 37).

    33
    Die hier vertretene Auslegung des Begriffs der Anlagen mit einer elektrischen Nennleistung von mehr als zwei MW im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG entspricht dem aus Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland folgenden Grundsatz der Folgerichtigkeit. Danach muss bei der Ausgestaltung eines steuerrechtlichen Ausgangstatbestands die getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne einer Belastungsgleichheit umgesetzt werden. Ausnahmen von einer solchen folgerichtigen Umsetzung bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes. Als besondere sachliche Gründe für Ausnahmen von einer folgerichtigen Umsetzung und Konkretisierung steuergesetzlicher Belastungsentscheidungen kommen vor allem außerfiskalische Förderungs- und Lenkungszwecke sowie Typisierungs- und Vereinfachungserfordernisse in Betracht, nicht jedoch ein rein fiskalischer Zweck staatlicher Einnahmenerhöhung (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 6. Juli 2010 ‒ 2 BvL 13/09, BverfGE 126, 268 Randnr. 36 f.).

    34
    Der Gesetzgeber hat mit der Neufassung des § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG den Zweck verfolgt, die Steuerbefreiungen für Strom, der aus erneuerbaren Energieträgern erzeugt wird, dergestalt neu auszugestalten, dass sie einen klar definierten und voneinander abgegrenzten Anwendungsbereich erhalten (vgl. Bundestags-Drucks. 19/8037, Seite 23). Dies ist insbesondere dadurch geschehen, dass § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG eine Steuerbefreiung für Strom vorsieht, der aus erneuerbaren Energieträgern in Anlagen mit einer elektrischen Nennleistung von mehr als zwei MW erzeugt wird, während § 9 Abs. 1 Nr. 3 StromStG eine Steuerbefreiung für Strom vorsieht, der aus erneuerbaren Energieträgern in Anlagen mit einer elektrischen Nennleistung von bis zu zwei MW erzeugt wird (vgl. Schröer-Schallenberg in Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, EnergieStG/StromStG, § 9 StromStG Randnr. 13; Kalker/Steinkemper/Khazzoum, StromStG ‒ eKommentar, § 9 Randnr. 14; Reuter, ZfZ 2019, 73, 74). Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber für Strom, der in den Fällen des § 12b Abs. 2 StromStV in Anlagen mit einer elektrischen Nennleistung von mehr als zwei MW aus erneuerbaren Energieträgern erzeugt wird und zum Selbstverbrauch entnommen wird, überhaupt keine Steuerbefreiung mehr vorsehen wollte. Dies würde den unionsrechtlichen Vorgaben widersprechen, insbesondere die Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energieträgern zu fördern (vgl. 25. Erwägungsgrund und Art. 15 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie (EG) 2003/96 (Richtlinie 2003/96) des Rates vom 27. Oktober 2003 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom). Vor dem Hintergrund dieses gesetzgeberischen Förderungszwecks ist nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber Anlagen im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG grundlegend anders behandeln wollte als Anlagen im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 3 StromStG (vgl. Henseler in Friedrich/Soyk, EnergieStG/StromStG, § 9 StromStG Randnr. 13). Dabei kommt es in diesem Zusammenhang nicht darauf an, dass der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG nicht beabsichtigt hat, die Steuerbefreiungen für Strom, der aus erneuerbaren Energieträgern erzeugt worden ist, über das in der Vergangenheit gewährte Maß hinaus auszuweiten (vgl. Bundestags-Drucks. 19/8037, Seite 24). Entscheidend ist vielmehr, dass für die unterschiedliche Behandlung der Anlagen zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien in den Fällen des § 12b Abs. 2 Satz 1 StromStV kein sachlicher Grund ersichtlich ist. Unbeschadet dessen enthielt die Vorgängervorschrift des § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG in der Fassung vor Inkrafttreten des Art. 1 Nr. 4 Buchst. a des Gesetzes vom 22. Juni 2019 (BGBl. I, 856) keine Beschränkung ihres Anwendungsbereichs auf Anlagen mit einer elektrischen Nennleistung von mehr als zwei MW.

    35
    Es würde zudem dem unionsrechtlichen Grundsatz der Gleichbehandlung widersprechen, Strom, der in Stromerzeugungseinheiten erzeugt wird, die auf Grund der Regelung des § 12b Abs. 2 StromStV als eine Anlage mit einer elektrischen Nennleistung von mehr als zwei MW anzusehen sind und deshalb nicht unter § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a StromStG fallen, von jeglicher Steuerbefreiung auszuschließen, weil im Rahmen des § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG keine Gesamtbetrachtung der einzelnen Stromerzeugungseinheiten stattfinden soll. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, ihr Ermessen, über das sie nach Art. 15 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2003/96 verfügen, unter Beachtung des Unionsrechts und seiner allgemeinen Grundsätze, insbesondere unter Beachtung des Grundsatzes der Gleichbehandlung auszuüben (vgl. EuGH, Urteile vom 30. Januar 2020, Rs. C-513/18, ECLI:EU:C:2020:59 Randnr. 35; vom 9. September 2021 Rs. C-100/20, ECLI:EU:C:2021:716 Randnr. 31). Der unionsrechtliche Grundsatz der Gleichbehandlung verlangt, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden, es sei denn, dass eine solche Behandlung objektiv gerechtfertigt ist (EuGH, Urteile vom 30. Januar 2020, Rs. C-513/18, ECLI:EU:C:2020:59 Randnr. 37; vom 9. September 2021 Rs. C-100/20, ECLI:EU:C:2021:716 Randnr. 32).

    36
    Wie bereits dargelegt, ist keine Rechtfertigung dafür ersichtlich, den Begriff der Anlagen im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG grundlegend anders auszulegen als den Begriff der Anlagen im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 3 StromStG, so dass für die Stromerzeugungseinheiten, deren elektrische Nennleistungen gemäß § 12b Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 StromStV zusammenzurechnen sind, ohne dass sie bei isolierter Betrachtung eine elektrische Nennleistung von mehr als zwei MW haben, jegliche Steuerbefreiung ausscheiden würde. Dies würde eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung im Vergleich zu Anlagen darstellen, die ohne Zusammenrechnung der elektrischen Nennleistungen ihrer Stromerzeugungseinheiten entweder unter § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG oder unter § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a StromStG zu subsumieren sind.

    37
    Die Klägerin hat den mit den Photovoltaikanlagen erzeugten Strom zudem am Ort der Erzeugung entnommen. Der in Rede stehende Strom ist von der Klägerin an dem jeweiligen Standort der Photovoltaikanlagen zur Versorgung der dort vorhandenen Verkaufsfilialen entnommen worden. Die Klägerin hat nachvollziehbar dargelegt, dass keine sog. Querleistungen zwischen den Filialen stattgefunden haben. Das liegt bei ... Photovoltaikanlagen im Jahr 2020 bzw. ... Photovoltaikanlagen im Jahr 2021 an unterschiedlichen Standorten auch nahe.

    38
    Die Klägerin hat den in Rede stehenden Strom auch zum Selbstverbrauch im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG entnommen. Daher spielen etwaige beihilferechtliche Bedenken hier keine Rolle. § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG beruht zwar auf der fakultativen Steuerbefreiung des Art. 15 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2003/96 und kann daher einer beihilferechtlichen Prüfung unterliegen (Art. 26 Abs. 2 der Richtlinie 2003/96). Mit der Neuregelung des § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG durch Art. 1 Nr. 4 Buchst. a des Gesetzes vom 22. Juni 2019 (BGBl. I, 856) und der damit einhergehenden Begrenzung der Steuerbefreiung auf zum Selbstverbrauch entnommenen Strom wurde indessen den beihilferechtlichen Bedenken der Kommission entsprochen (vgl. BFH, Urteil vom 17. Januar 2023 VII R 54/20, BFHE 279, 341 Randnr. 29; Bundestags-Drucks. 19/8037, Seite 1).

    39
    Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 135 Abs. 1, 139 Abs. 3 Satz 3 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 151 Abs. 3, 155 Satz 1 FGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung. Der Senat hat die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.