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  • 09.07.2024 · IWW-Abrufnummer 242546

    Finanzgericht Berlin-Brandenburg: Urteil vom 20.03.2024 – 16 K 16092/23

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Finanzgericht Berlin-Brandenburg 

    Urteil vom 20.03.2024


    In dem Rechtsstreit
    A...
    - Kläger -
    gegen
    Finanzamt
    - Beklagter -

    wegen Einkommensteuer 2022

    hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg - 16. Senat - im Einverständnis der
    Beteiligten ohne mündliche Verhandlung vom 20. März 2024 durch
    den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht ...
    den Richter am Finanzgericht ...
    die Richterin ...
    den ehrenamtlichen Richter ...
    den ehrenamtlichen Richter ...

    für Recht erkannt:

    Tenor:

    Die Klage wird abgewiesen.

    Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

    Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.

    Tatbestand

    Die Beteiligten streiten um die Höhe der Entfernungspauschale im Streitjahr 2022, in dem der Kläger nichtselbständig tätig war. Die Entfernung zwischen seiner Wohnung und seiner ersten Tätigkeitsstätte betrug acht Kilometer.

    Der Kläger beantragte in seiner Einkommensteuererklärung für 2022, dass ihm für jeden Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte die volle Entfernungspauschale von 0,38 km je Kilometer gewährt werde (§ 9 Abs. 3 Satz 8 EStG). Mit Einkommensteuerbescheid vom 16.05.2023 lehnte der Beklagte den Antrag ab und gewährte insoweit die gesetzlich vorgesehene, reduzierte Pendlerpauschale von 0,30 €/km. Das Einspruchsverfahren hatte keinen Erfolg.

    Im Einspruchsverfahren trug der Kläger vor, dass die Versagung der vollen Pendlerpauschale gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz verstoße. Ein sachlich rechtfertigender Grund dafür, dass die volle Pendlerpauschale erst ab dem 20. Kilometer gewährt werde, sei nicht ersichtlich. Der Beklagte lehnt den Einspruch des Klägers mit Einspruchsentscheidung vom 23.06.2023 ab und begründete die Ablehnung damit, dass die erhöhte Entfernungspauschale durch die Inflation, die hohen Energiekosten und das schlechte ÖPNV-Angebot im öffentlichen Raum begründet sei.

    Der Kläger trägt vor, dass der Bescheid des Beklagten rechtswidrig sei und ihn in seinen Rechten verletze. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 8 EStG regele unter welchen Voraussetzungen die erhöhte Entfernungspauschale gewährt werde.

    Die Regelung verstoße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Er habe Anspruch auf die volle Entfernungspauschale in Höhe von 0,38 €. Die Versagung der vollen Entfernungspauschale verstoße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz) und das Leistungsfähigkeitsprinzip. Das Leistungsfähigkeitsprinzip, das eine steuerliche Gleichbehandlung bei gleicher individueller Leistungsfähigkeit fordere, werde im Einkommensteuerrecht weiter durch das objektive Nettoprinzip konkretisiert. Durch die Regelung zur sog. Pendlerpauschale erkenne der Gesetzgeber die Aufwendungen für die Wege von Wohnung zur ersten Tätigkeitsstätte als beruflich veranlasst und damit als Werbungskosten an. Der Gesetzgeber dürfe das objektive Nettoprinzip bei Vorliegen gewichtiger Gründe durchbrechen und sich dabei generalisierender, typisierender und pauschalierender Regelungen bedienen. Die Entfernungspauschale stellte eine solche pauschalierende Regelung dar, durch die ein pauschaler Betrag als Werbungskosten für die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte angesetzt werden könne. Eine Durchbrechung dieser Belastungsgrundentscheidung des Gesetzgebers sei nur bei Vorliegen sachlich rechtfertigender Gründe zulässig. Ein sachlich rechtfertigender Grund für die Unterscheidung zwischen Wegstrecken mit einer Entfernung von bis zu 20 Kilometern und Wegstrecken, die länger als 20 Kilometer seien, sei nicht ersichtlich.

    Neben dem Leistungsfähigkeitsprinzip stelle das Folgerichtigkeitsgebot einen wichtigen verfassungsrechtlichen Grundsatz dar. Demnach habe der Steuergesetzgeber einen weitreichenden Entscheidungsspielraum, sei jedoch verpflichtet eine einmal getroffene Belastungsgrundentscheidung unter Beachtung von Art. 3 GG widerspruchsfrei und folgerichtig im Sinne steuerlicher Lastengleichheit umzusetzen. Abweichungen von der getroffenen Belastungsgrundentscheidung bedürften eines besonderen, sachlich rechtfertigenden Grundes. Allgemeine wirtschaftliche Effekte wie Inflation oder gestiegene Energiekosten schieden als sachlich rechtfertigender Grund aus, da die Folgen dieser Effekte die Steuerpflichtigen ungeachtet der Entfernung zur Arbeit treffen würden. Eine mit zunehmender Entfernung steigende Betroffenheit sei nicht ersichtlich.

    Der allgemeine Gleichheitssatz belasse dem Gesetzgeber bei der Auswahl des Steuergegenstandes ebenso wie bei der Bestimmung des Steuersatzes einen weitreichenden Entscheidungsspielraum. Der Grundsatz der gleichen Zuteilung steuerlicher Lasten verlange sodann eine gesetzliche Ausgestaltung der Steuer, die den Steuergegenstand in den Blick nimmt und mit Rücksicht darauf eine gleichheitsgerechte Besteuerung des Steuerschuldners sicherstelle. Unter dem Gebot möglichst gleichmäßiger Belastung der betroffenen Steuerpflichtigen müsse die Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestandes folgerichtig im Sinne von belastungsgleich erfolgen. Ausnahmen von einer belastungsgleichen Ausgestaltung der getroffenen gesetzgeberischen Entscheidung bedürften eines besonderen sachlichen Grundes, der die Ungleichbehandlung nach Art und Ausmaß zu rechtfertigen vermag (BVerfG, Beschl. v. 28.07.2023 - BvL 22/17 m.w.N.). Der Gesetzgeber dürfe bei der Ausgestaltung der mit der Wahl des Steuergegenstandes getroffenen Belastungsentscheidung generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen treffen, ohne allein schon wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen. Typisierung bedeute, bestimmte in wesentlichen Elementen gleich geartete Lebenssachverhalte normativ zusammenzufassen. Besonderheiten, die im Tatsächlichen durchaus bekannt seien, könnten generalisierend vernachlässigt werden. Der Gesetzgeber dürfe sich grundsätzlich am Regelfall orientieren und sei nicht gehalten, allen Besonderheiten jeweils durch Sonderregelungen Rechnung zu tragen. Die gesetzlichen Verallgemeinerungen müssten allerdings von einer möglichst breiten, alle betroffenen Gruppen und Regelungsgegenstände einschließenden Beobachtung ausgehen. Insbesondere dürfe der Gesetzgeber keinen atypischen Fall als Leitbild wählen, sondern müsse realitätsgerecht den typischen Fall als Maßstab zugrunde legen. Die Vorteile der Typisierung müssten im rechten Verhältnis zu der mit ihr notwendig verbundenen Ungleichheit der steuerlichen Belastung stehen. Typisierung setze voraus, dass die durch sie eintretenden Härten und Ungerechtigkeiten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären, lediglich eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen beträfen und das Ausmaß der Ungleichbehandlung gering sei (BVerfG, Beschl. v. 28.07.2023 - BvL 22/17 m.w.N.). Die Begründung für die unterschiedliche Behandlung derjenigen Steuerpflichtigen, die eine Entfernung von bis zu 20 Kilometer zwischen Wohnung und erster Tätigkeit zurücklegen müssten, und derjenigen Steuerpflichtigen, bei denen diese Entfernung mehr als 20 Kilometer betrage, genüge den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Typisierung nicht. Der Gesetzgeber habe eine Belastungsentscheidung dahingehend getroffen, dass die Aufwendungen für die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte grundsätzlich beruflich veranlasst seien und mit einer Pauschale abgegolten ("Pendlerpauschale") würden. Diese Belastungsentscheidung sei folgerichtig umzusetzen, wobei Ausnahmen von der gesetzgeberischen Entscheidung eines sachlichen Grundes bedürften. Ein sachlicher Grund für die unterschiedliche Behandlung der Entfernung von bis zu bzw. von mehr als 20 km sei nicht ersichtlich. Eine typisierende Regelung genüge nur dann den verfassungsrechtlichen Anforderungen, wenn sich die als gleichartig zusammengefassten Sachverhalte am Regelfall orientierten. Die vorliegend angeführte Begründung lasse nicht erkennen, welcher Regelfall der Typisierung genau zugrunde gelegt sein solle. Das BVerfG fordere, dass hierzu eine breite und alle betroffenen Gruppen umfassende Beobachtung angestellt werden müsse (BVerfG, Beschl. v. 28.07.2023 - BvL 22/17 m.w.N.). Die Beobachtung, dass das Angebot an öffentlichem Nahverkehr in ländlichen Regionen geringer als in Ballungsräumen sei, mag intuitiv zunächst nachvollziehbar erscheinen. Daraus abzuleiten, dass für eine Entfernung von bis zu 20 km die Möglichkeit der Nutzung öffentlichen Nahverkehrs bestehe, für eine Entfernung über 20 km hingegen nicht, sei hingegen keine breite und alle betroffenen Gruppen umfassende Beobachtung. Da die Entfernung zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte keinen Einfluss auf die Qualität des öffentlichen Nahverkehrs habe, könne die Entfernung nicht als Differenzierungsmerkmal für eine Typisierung herangezogen werden. Die Unterscheidung nach der Entfernung des Weges zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte orientiere sich nicht am Regelfall. Ob ein Steuerpflichtiger den öffentlichen Nahverkehr nutzen könne, hänge nicht von der Entfernung zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte ab. Ein Steuerpflichtiger, der von B... nach C... pendelt (Entfernung laut Google Maps: 44,9 km), könne hierfür den öffentlichen Nahverkehr nutzen. Ein Steuerpflichtiger, der von D... (Brandenburg) nach E... (Brandenburg) (Entfernung laut Google Maps: 12,7 km) pendelt, werde diese Möglichkeit wahrscheinlich nicht haben. Beispielsweise lasse sich innerhalb B...s die Strecke G... nach H... (Entfernung: 27,1 km) mit dem öffentlichen Nahverkehr zurücklegen. Diese willkürlich gewählten Beispiele zeigen, dass der behauptete Zusammenhang zwischen einer Entfernung von bis zu oder mehr 20 km einerseits und der Möglichkeit, den öffentlichen Nahverkehr zu nutzen, nicht bestehe und daher kein taugliches Differenzierungsmerkmal für eine typisierende Regelung sei. Berücksichtige man zudem die Bevölkerungsdichte und den Umstand, dass in den oben beispielhaft genannten Ballungsgebieten (Nordrhein-Westfalen bzw. F...) eine große Zahl Steuerpflichtiger trotz der Möglichkeit öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen, in den Genuss der erhöhten Pendlerpauschale komme, erscheint es offensichtlich, dass die getroffene Unterscheidung im Hinblick auf die daraus resultierende Ungleichbehandlung nicht verhältnismäßig sei. Die Differenzierung nach der Entfernung werde auch damit begründet, dass "diese Bevölkerungsgruppe" offensichtlich höher belastet sei. Der Bezug auf "diese Bevölkerungsgruppe" suggeriere, dass gerade Geringverdiener von der Pendlerpauschale profitierten und die getroffene Unterscheidung auf eine höhere Verteilungsgerechtigkeit abziele. Das sei indes nicht der Fall. Die Pendlerpauschale komme überwiegend den Bezieher hoher Einkommen zugute (Stöwhase/Altstadt, Quantifizierung der Verteilungswirkung der Pendlerpauschale, 30. September 2022; abrufbar unter: https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/366/dokumente/quantifizierungen_der_verteilungswirkungen_zur_entfernungspauschale.pdf). Die Unterscheidung nach der Entfernung könne daher nicht mit dem Lenkungszweck der Verteilungsgerechtigkeit begründet werden.

    Der Kläger beantragt,

    den Bescheid des Beklagten vom 16.05.2023 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23.06.2023 dahingehend zu ändern, dass für jeden Tag, an dem er seine erste Tätigkeitsstätte aufgesucht hat, für jeden vollen Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte eine Entfernungspauschale von 0,38 € gewährt wird.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Der Beklagte trägt vor, dass die streitbefangene Neuregelung der Entfernungspauschale, die eine Erhöhung ab dem 01. Januar 2022 befristet bis 31. Dezember 2026 ab dem 21. Kilometer auf 0,38 Euro je vollen Entfernungskilometer vorsehe, vor dem Hintergrund der vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 09. Dezember 2008 (BVerfG, Urteil vom 09.12.2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210) bei der Ausgestaltung der Abzugsfähigkeit von Aufwendungen für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte aufgezeigten, wesentlichen Prinzipien des Einkommensteuerrechts nicht zu beanstanden sei. Im Urteil gehe das Bundesverfassungsgericht von dem Grundsatz aus, dass dem Gesetzgeber im Bereich des Steuerrechts grundsätzlich ein weitreichender Entscheidungsspielraum bei der Auswahl des Steuergegenstands und auch bei der Bestimmung des Steuersatzes zustehe. Unstrittig ergebe sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz, welcher auch für allgemeine Begünstigungen gelte, je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber. Wenn der Gesetzgeber Ausnahmen von der Leitlinienausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit und dem Folgerichtigkeitsgebot machen wolle, bedürfe es besonderer sachlicher Gründe, welche aber gegeben seien. Das Bundesverfassungsgericht halte außerfiskalische Förderungs- und Lenkungszwecke aus Gründen des Gemeinwohls sowie Typisierungs- und Vereinfachungsgründe für anerkennenswert. Wegeaufwendungen seien laut dem Bundesverfassungsgericht nicht ausschließlich beruflich, sondern auch privat (mit-) veranlasst. Aufgrund dieses Umstandes seien dem Gesetzgeber bei der Regelung dieses Themenkomplexes erhebliche Typisierungsspielräume eröffnet. Für die Beurteilung der finanziellen Leistungsfähigkeit komme es auch auf die Unterscheidung zwischen freien und zwangsläufigem Aufwand an. Die Wahl des Verkehrsmittels könne weitgehend beliebig oder auch zwingend sein. Dies sei von der vorhandenen Infrastruktur abhängig. Es sei dem Gesetzgeber nicht verwehrt, bestimmte Faktoren zu berücksichtigen, welche die Wahl des Verkehrsmittels beeinflussen würden. Die ausdrückliche gesetzliche Begrenzung sei aber Ausdruck der Tatsache, dass die Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) gerade großen Teilen der nicht in Ballungsräumen /Großstädten ansässigen Bevölkerung derzeit noch verwehrt sei und diese Bevölkerungsgruppe eben ganz offensichtlich durch die Kohlendioxidbepreisung erheblich höher belastet sei, wenn ein längerer Arbeitsweg vorliege. Ebenso sei es derzeit diesem Teil der Bevölkerung offensichtlich stark erschwert, den Weg in die Elektromobilität zu nutzen, denn die Ladeinfrastruktur sei im ländlichen Raum zumindest derzeit noch nicht so ausgebaut wie in Ballungsräumen. Insofern sei nicht erkennbar, dass die Kläger einer höheren Belastung unterliege, wenn der 01. Kilometer ihres Arbeitsweges nicht derart entlastet werde, wie der 30. Kilometer, der Steuerpflichtigen, die keinen Zugriff auf einen regelmäßig verkehrenden ÖPNV hätten und ggf. auf andere Verkehrsmittel angewiesen seien. Vielmehr sei es so, dass der Gesetzgeber, stärker belasteten Teilen der Bevölkerung für einen gesetzlich begrenzten Zeitraum, diese stärkere Belastung mildere. Die vorgenommene Vergünstigung ab dem 21. Kilometer sei erkennbar von gesetzgeberischen Entscheidungen getragen und gleichheitsgerecht ausgestaltet. Dass keine zweckgerechte Ausgestaltung vorliegt, sei nicht erkennbar, somit ist auch diesbezüglich der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gefolgt worden. Dem möglichen Argument der "überhöhten" Vergünstigung für Fernpendler, sei die Begrenzung entgegenzusetzen. Entgegen der klägerischen Auffassung sei es schlicht falsch, dass mit steigender Entfernung keine höhere Betroffenheit vorliege. Dem wäre ggf. so, wenn dem weitgehend überwiegenden Teil der Bevölkerung der Zugang zu einem regelmäßig nutzbarem ÖPNV eröffnet wäre, was der Gesetzgeber jedoch zumindest bis zum Ende der Begrenzung offensichtlich als nicht gegeben ansehe.

    Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet (Bl. 30 und Bl. 34 der Gerichtsakte).

    Wegen des weiteren Vorbringens Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf die beigezogene Akte des Beklagten verwiesen.

    Entscheidungsgründe

    Die Klage ist unbegründet. Denn der angefochtene Steuerbescheid ist nicht rechtswidrig und der Kläger ist durch ihn nicht in seinen Rechten verletzt, § 100 Abs. 1 S. 1 Finanzgerichtsordnung - FGO -.

    Nach der Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 8 EStG hat der Kläger keinen Anspruch auf eine Entfernungspauschale von 0,38 € pro Kilometer, da die Entfernung zu seiner Stätte lediglich acht Kilometer beträgt

    Der Senat ist nicht von der Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung überzeugt, was Voraussetzung für eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 GG wäre. Es liegt weder ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz vor, auch das Leistungsfähigkeitsprinzip und das Folgerichtigkeitsprinzip sind nicht verletzt.

    Der Gesetzgeber hat im Rahmen des Ansatzes von Pauschalen einen weiten Gestaltungsspielraum.

    Im Interesse der verfassungsrechtlich gebotenen Lastengleichheit (vgl. Urteile des BVerfG vom 27.6.1991 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654; vom 07.12.1999 2 BvR 301/98, BVerfGE 101, 297, BStBl II 2000, 162) hat sich der Gesetzgeber dafür entschieden, im Einkommensteuerrecht die objektive finanzielle Leistungsfähigkeit nach dem Saldo aus den Erwerbseinnahmen einerseits und den beruflichen Erwerbsaufwendungen andererseits zu bemessen (objektives Nettoprinzip; vgl. Beschluss des BVerfG vom 11.11.1998 2 BvL 10/95, BVerfGE 99, 280, BStBl II 1999, 502). Zwar ist weiterhin offen, ob die Geltung des objektiven Nettoprinzips im Einkommensteuerrecht verfassungsrechtlich geboten ist. Selbst wenn dem so wäre, könnte der Gesetzgeber dieses Prinzip beim Vorliegen gewichtiger Gründe durchbrechen. Bei der Normierung solcher Ausnahmen ist der Gesetzgeber allerdings nicht völlig frei. Insbesondere muss er darauf achten, dass sich die Fälle, in denen er eine beruflich veranlasste Aufwendung nicht als absetzbaren Erwerbsaufwand anerkennt, so weitgehend von allen übrigen Fällen unterscheiden, dass diese unterschiedliche Behandlung im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitssatz sachlich gerechtfertigt ist (BVerfG-Beschluss vom 23.1.1990 1 BvL 4, 5, 6, 7/87, BVerfGE 81, 228, BStBl II 1990, 483). Außerdem kann er sich - wie stets bei der Ordnung von Massenerscheinungen - bei der Ausgestaltung generalisierender, typisierender und pauschalierender Regelungen bedienen.

    Das objektive Nettoprinzip wird durch das Gebot der Folgerichtigkeit im Einkommensteuerrecht geprägt. Zu den gesetzgeberischen Grundentscheidungen, die im gesamten Einkommensteuerrecht folgerichtig umgesetzt werden müssen, gehört die Beschränkung des steuerlichen Zugriffs nach Maßgabe des objektiven Nettoprinzips als Ausgangstatbestand der Einkommensteuer. Hat der Gesetzgeber, wie im Einkommensteuerrecht, den Steuergegenstand ausgewählt und in einer Bemessungsgrundlage definiert, so muss er die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umsetzen. Zumindest über den Gedanken der Folgerichtigkeit erlangt damit das objektive Nettoprinzip auch verfassungsrechtlich im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG Bedeutung und zeigt damit trotz seiner zunächst nur einfachgesetzlichen Verankerung Konsequenzen für den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab auf.

    Kosten für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte sind die einkommensteuerliche Bemessungsgrundlage mindernde Erwerbsausgaben. Sie gehören deshalb zu den im Rahmen des objektiven Nettoprinzips abzugsfähigen Aufwendungen (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 107, 27, BStBl II 2003, 534 [BVerfG 04.12.2002 - 2 BvR 400/98]). Sie sind nicht wesentlich privat motiviert. Es handelt sich um Werbungskosten i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG.

    Der Weg zur Arbeitsstätte ist notwendige Voraussetzung zur Erzielung von Einkünften. Da der Arbeitnehmer regelmäßig nicht am Ort seiner beruflichen Tätigkeit wohnt und auch nicht wohnen kann, kann er nur tätig werden, wenn er sich zur Arbeitsstätte begibt. Denkt man sich die Erwerbstätigkeit weg, entfallen die für den Weg zur Arbeitsstätte erforderlichen Aufwendungen. Der beruflich bedingte Veranlassungszusammenhang wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Erwerbstätigkeit grundsätzlich erst in der Arbeitsstätte ausgeübt wird. Denn auch Aufwendungen, die, wie die Fahrtkosten, der Vorbereitung der Erwerbstätigkeit dienen, sind zweifellos Werbungskosten i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG. Selbst wenn der Steuerpflichtige noch keine Einnahmen erzielt, liegen (vorab entstandene) Werbungskosten vor, sofern die Aufwendungen in einem hinreichend konkreten, objektiv feststellbaren Zusammenhang mit späteren Einnahmen stehen (BFH-Urteil in BFHE 201, 156, BStBl II 2003, 403 [BFH 04.12.2002 - VI R 120/01]).

    Diese Prinzipien werden mit der gegenwärtigen Regelung und Fahrtkosten zur Arbeitsstätte nicht infrage gestellt. Denn anders als in der Regelung, die das Gesetz in der Fassung des Steueränderungsgesetzes 2007 erfahren hatte und in dem die ersten 20 Kilometer zur Arbeit überhaupt nicht mehr zum Abzug zugelassen worden waren, wird mit der vorliegenden Regelung keine Beschränkung für die ersten 20 Kilometer getroffen. Vielmehr werden die Entfernungen, die darüber hinausgehen, privilegiert. Dies ist eine deutlich anders geartete Regelung, als die mit dem Steueränderungsgesetz 2007 getroffene und letztlich für verfassungswidrig befundene Regelung (vgl. BVerfG 9.12.2008, 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, juris).

    Im Bereich des Steuerrechts hat der Gesetzgeber bei der Auswahl des Steuergegenstandes und bei der Bestimmung des Steuersatzes einen weitreichenden Entscheidungsspielraum (vgl. BVerfGE 93, 121 [BVerfG 22.06.1995 - 2 BvL 37/91]). Die grundsätzliche Freiheit des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte zu bestimmen, an die das Gesetz dieselben Rechtsfolgen knüpft und die es so als rechtlich gleich qualifiziert, wird hier, insbesondere im Bereich des Einkommensteuerrechts, vor allem durch zwei eng miteinander verbundene Leitlinien begrenzt: durch das Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit und durch das Gebot der Folgerichtigkeit (vgl. BVerfGE 105, 73 [BVerfG 06.03.2002 - 2 BvL 17/99]). Danach muss im Interesse verfassungsrechtlich gebotener steuerlicher Lastengleichheit (vgl. BVerfGE 84, 239 [BVerfG 27.06.1991 - 2 BvR 1493/89]) darauf abgezielt werden, Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch zu besteuern (horizontale Steuergerechtigkeit), während (in vertikaler Richtung) die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich mit der Steuerbelastung niedriger Einkommen angemessen sein muss. Bei der Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands muss die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umgesetzt werden. Ausnahmen von einer solchen folgerichtigen Umsetzung bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes.

    Nach wie vor kann der Steuerpflichtige vom ersten Kilometer an seine Kosten geltend machen, es findet lediglich eine Privilegierung für weitere Entfernungen statt.

    Diese hat auch einen sachlichen Grund. Denn bis zu einer Entfernung von 20 Kilometer sind die anfallenden Kosten natürlich begrenzter als bei weiten darüber hinaus gehenden Entfernungen. In der Regel werden Entfernungen bis zu 20 Kilometer auch noch mit dem öffentlichen Personennahverkehr oder sogar mit dem Fahrrad zu bewältigen sein. Gerade im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass der Kläger in B... seine Arbeitsstätte unproblematisch mit dem öffentlichen Nahverkehr erreichen kann. Das vom Kläger gewählte Beispiel D... und E... weist zudem die Besonderheit auf, dass gerade diese Strecke zweimal pro Stunde mit einem Regionalexpress bedient wird. Der Senat folgt nicht der Auffassung des Klägers, dass die Entfernung kein taugliches Unterscheidungsmerkmal wäre. Gerade bei höheren Entfernungen wird die Möglichkeit, öffentlichen Nahverkehr zu benutzen, nicht oder nur unter nicht zumutbaren Bedingungen bestehen. Der Gesetzgeber ist auch nicht verpflichtet, von der Sondersituation im Land B... auszugehen, sondern kann durchaus eine generalisierende Betrachtung anstellen.

    Da der Gesetzgeber einen weiten Ermessensspielraum hat bei der Bemessung von Pauschalen und die Pauschale für die ersten 20 km auch nicht völlig realitätsfern ist, vermag der Senat ein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot oder das Nettolohnprinzip bzw. das Folgerichtigkeitsprinzip nicht zu ersehen.

    In seiner Entscheidung aus dem Jahr 2008 hatte das BVerfG darauf abgestellt, dass die sich insoweit ergebende Ungleichbehandlung (angegriffene Regelung war die Bestimmung, das die ersten 20 Kilometer überhaupt nicht absetzbar seien) die Grenze zulässiger Typisierung überschreit, auch wenn nach Auffassung des BMF eine "überdurchschnittliche" Belastung von Pendlern erst ab einem Fahrtweg von mehr als 20 km eintreten könne. Der Gleichheitssatz fordert nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG zwar nicht, dass der Gesetzgeber stets gewillkürten Aufwand berücksichtigen muss; vielmehr könne es der materiellen Gleichheit auch genügen, wenn der Gesetzgeber für bestimmte Arten von Aufwendungen nur den Abzug eines typisiert festgelegten Betrages gestattet (so BVerfG-Entscheidungen vom 10.4.1997 2 BvL 77/92, BVerfGE 96, 1, BStBl II 1997, 518; in BVerfGE 101, 297, BStBl II 2000, 162 [BVerfG 07.12.1999 - 2 BvR 301/98]). § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG in der angegriffenen Form enthalte jedoch keine quantifizierende Regelung in diesem Sinne. Eine (qualifizierende) Bestimmung, die den Abzug von Erwerbsaufwand schon dem Grunde nach verbiete, sei durch die dem Gesetzgeber zustehende Befugnis zur Typisierung nach Auffassung nicht gedeckt. Es komme hinzu, dass für eine solche Typisierung kein erkennbares Bedürfnis bestehe (vgl. dazu BVerfG-Beschluss vom 6.11.1985 1 BvL 47/83, BVerfGE 71, 146), da die durch die Regelung eintretende ungerechtfertigte Belastung nicht nur eine kleine Zahl, sondern die große Mehrheit der Pendler betreffe und nicht erkennbar sei, dass die Härte nur unter Schwierigkeiten zu vermeiden wäre. Mit der nunmehr vorliegenden Form des Gesetzes ist aber weder ein völliger Ausschluss des Ansatzes von Aufwendungen verbunden, noch findet eine Schlechterstellung im Vergleich zu bisherigen Gesetzesfassung statt. Denn wie bisher kann der Kläger 0,30 € pro Kilometer geltend machen.

    Die Entlastungswirkung bei höheren Einkommen ist jeder pauschalierenden Werbungskostenregelung immanent und daher vorliegend unbeachtlich.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Da die Entscheidung für eine Vielzahl von Fällen Bedeutung hat, war die Revision zuzulassen.

    RechtsgebietEStGVorschriften§ 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 S. 8 EStG