08.10.2024 · IWW-Abrufnummer 244164
Finanzgericht Münster: Urteil vom 19.01.2023 – 12 K 2791/22 F
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Münster
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
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T a t b e s t a n d
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Streitig ist, ob die im Gegenzug für die Freigabeerklärung einer selbständigen Tätigkeit nach § 35 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 295 Abs. 2 Insolvenzordnung in den Fassungen des Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte vom 15.07.2013 (BGBl I 2013, 2379) sowie des Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) 2015/848 über Insolvenzverfahren vom 05.06.2017 (BGBl I 2017, 1476) ‒ InsO ‒ zu leistenden Zahlungen als Betriebsausgaben steuermindernd zu berücksichtigen sind.
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Der Kläger wohnte im Streitjahr 2017 zusammen mit seiner Ehefrau in U und wurde mit ihr zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger war als Wirtschaftsprüfer und Steuerberater selbständig in R tätig.
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Mit Beschluss des Amtsgerichts U vom 00.00.2017 wurde über das Vermögen des Klägers wegen Zahlungsunfähigkeit das Insolvenzverfahren eröffnet und Herr Rechtsanwalt O aus U zum Insolvenzverwalter bestellt. Dieser bewertete das Risiko der unternehmerischen Tätigkeit des Klägers ‒ welche dieser auch im Insolvenzverfahren weiter auszuüben beabsichtigte ‒ für die Insolvenzmasse höher als deren Nutzen. Zur Vermeidung von Verlusten zu Lasten der Insolvenzmasse und um die Insolvenzmasse vor Zahlungsansprüchen Dritter zu schützen, gab der Insolvenzverwalter die selbständige Tätigkeit als Steuerberater und Wirtschaftsprüfer gem. § 35 Abs. 2 InsO aus der Insolvenzmasse frei. Zugleich wies der Insolvenzverwalter darauf hin, dass der Kläger gem. §§ 35 Abs. 2, 295 Abs. 2 InsO verpflichtet sei, die Insolvenzmasse so zu stellen, wie sie stünde, wenn der Kläger mit Rücksicht auf seine berufliche Qualifikation in einem angemessenen Dienstverhältnis beschäftigt wäre. Unter Zugrundelegung der durchschnittlichen monatlichen Bruttogehälter von angestellten Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern errechnete der Insolvenzverwalter ein (fiktives) durchschnittliches Nettoeinkommen des Klägers in Höhe von 3.725,02 EUR und einen monatlich pfändbaren Betrag in Höhe von 1.338,91 EUR. Ferner wies der Insolvenzverwalter darauf hin, dass dieser Betrag nicht monatlich zu zahlen sei, sondern es ausreichen würde, wenn die Gesamtsumme am Ende der Laufzeit der Abtretungserklärung nach § 287 Abs. 2 InsO gezahlt werde. Die Nichteinhaltung der Zahlungsverpflichtung am Ende der Wohlverhaltensphase könne allerdings zur Versagung der Restschuldbefreiung gem. § 296 InsO führen. Um dies zu vermeiden, könne der Kläger freiwillig den Betrag durch monatliche Zahlungen in Höhe von 1.338,91 EUR leisten. Der Kläger erklärte sein Einverständnis zur Freigabevereinbarung. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Schreiben des Insolvenzverwalters vom 00.00.2017 Bezug genommen.
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Mit Beschluss des Amtsgerichts U vom 00.00.2018 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Antragstellers aufgehoben, nachdem die Bestätigung des Insolvenzplans vom 00.00.2018 in der am 00.00.2018 und erneut im Erörterungs- und Abstimmungstermin am 00.00.2018 abgeänderten Fassung rechtskräftig geworden war (§ 258 Abs. 1 InsO).
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In seiner ‒ zusammen mit seiner Ehefrau ‒ beim Finanzamt N eingereichten Einkommensteuererklärung für 2017 vom 00.00.2018 erklärte der Kläger einen durch Betriebsvermögensvergleich ermittelten Gewinn aus seiner selbständigen Tätigkeit als Wirtschaftsprüfer und Steuerberater in Höhe von X EUR. In der Bilanz zum 31.12.2017 war ein Betrag in Höhe von 69.114,00 EUR als „sonstige Verbindlichkeit“ gegenüber dem Insolvenzverwalter ausgewiesen. Dieser Betrag ergab sich durch Abzinsung des zu zahlenden Betrages in Höhe von 96.401,52 EUR (1.338,91 EUR monatlich für 6 Jahre) abzgl. der bereits im Streitjahr geleisteten Zahlungen (6.072,91 EUR) mit einem Zinssatz von 5,5 % für eine Restlaufzeit von fünf Jahren. In der Gewinn- und Verlustrechnung des Streitjahres setzte der Kläger insoweit Betriebsausgaben in Höhe von 75.186,91 EUR an (69.114,00 EUR + 6.072,91 EUR).
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Das Finanzamt N erkannte diese Aufwendungen nicht als Betriebsausgaben an und erließ am 10.10.2018 einen Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr, in dem es Einkünfte des Klägers aus selbständiger Tätigkeit in Höhe von 79.333,00 EUR berücksichtigte. Zur Begründung führte es aus, dass die Zahlungen bzw. Zahlungsverpflichtungen an den Insolvenzverwalter keine steuerlich abzugsfähigen Betriebsausgaben, sondern eine Verpflichtung nach § 295 InsO, die Ausfluss des Insolvenzverfahrens (Gewinnverwendung) sei, darstellen würden.
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Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren (Einspruchsentscheidung vom 02.01.2020) am 08.01.2020 erhobene Klage (Aktenzeichen 8 K 59/20 E) wurde vertagt, weil der Kläger erstmalig in der mündlichen Verhandlung vom 09.06.2022 vorgetragen hatte, dass seine Einkünfte aus selbstständiger Arbeit gesondert festzustellen seien.
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Mit Bescheid für 2017 über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vom 30.11.2022 stellte der Beklagte die Einkünfte des Klägers aus seiner selbständigen Arbeit auf 79.334,42 EUR fest.
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Mit seiner am 05.12.2022 eingereichten Sprungklage macht der Kläger noch geltend, dass es sich bei den Zahlungen nach § 35 Abs. 2 InsO an den Insolvenzverwalter um Betriebsausgaben nach § 4 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) handele, die im Rahmen der beim Kläger vorliegenden Bilanzierung im Jahre des Anfalles (hier: 2017) ‒ ggfls. als abgezinste Verbindlichkeiten oder Rückstellungen ‒ zu passivieren seien. Ergänzend verweist der Kläger auf einen die Rechtsfrage betreffenden Aufsatz zum anhängigen Klageverfahren, Aktenzeichen 8 K 59/20 E (DStR 2020, 1605).
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Außerdem sei der Insolvenzverwalter aufgrund seiner Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis steuerlich als wirtschaftlicher Eigentümer der Masse zu betrachten, so dass seine Zahlungen in diese Masse zu einem Vermögensabfluss bei ihm führten. Entsprechend müsste im Falle einer (fiktiven) Bilanzierung die Bilanz des Insolvenzverwalters sämtliche Vermögensgegenstände und Verbindlichkeiten ausweisen, während beim Schuldner kein Ansatz erfolgen würde. Durch die Freigabeerklärung nach § 35 Abs. 2 InsO erlange der Schuldner die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die freigegebenen Vermögensgegenstände wieder und dadurch auch das wirtschaftliche Eigentum. Entsprechend müsse er, der Kläger, die Wirtschaftsgüter des Neuerwerbs und die damit zusammenhängenden Verbindlichkeiten nun in seiner Bilanz ausweisen. Dies betreffe jedoch nicht die ihm, dem Kläger, nur zivilrechtlich, nicht aber wirtschaftlich zuzurechnenden Wirtschaftsgüter der Masse. Wenn Vermögen aus der Verfügungsmacht des Klägers in die Verfügungsmacht des Insolvenzverwalters überführt werde, führe dies zu einem bilanziellen Vermögensabfluss und damit zu Aufwendungen. Auch sei zu berücksichtigen, dass der Bundesfinanzhof umsatzsteuerlich trotz bestehender Unternehmereinheit zwischen den drei Bereichen „Vorinsolvenz“, „Insolvenzmasse“ und „freigegebenes Vermögen“ unterscheide und jeweils gesonderte Umsatzsteuerfestsetzungen ergehen müssten, obwohl jeweils zivilrechtlich die gleiche Person betroffen sei. Ferner habe die Aufhebung des Insolvenzverfahrens durch Beschluss vom 30.07.2018 dazu geführt, dass es seitdem weder einen Insolvenzverwalter noch eine Insolvenzmasse, an die er, der Kläger, etwas zahlen könnte, geben würde. Die Zahlungen nach § 35 Abs. 2 Satz 2 InsO seien allesamt nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens an ein Anderkonto des Herrn O erfolgt. Er, der Kläger, habe die Zahlungen daher nicht in das Sondervermögen und damit „an sich selbst“ geleistet, sodass ein Vermögensabfluss gegeben sei.
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Der Kläger beantragt,
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1. den Bescheid für 2017 über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vom 30.11.2022 dahingehend zu ändern, dass die Einkünfte aus selbständiger Arbeit auf 4.147,51 EUR festgestellt werden,
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2. hilfsweise, für den Fall des Unterliegens, die Revision zuzulassen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte hat der Sprungklage am 22.12.2022 zugestimmt.
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Bei den Zahlungen des Klägers an den Insolvenzverwalter nach Freigabe seiner selbständigen Tätigkeit nach § 35 Abs. 2 InsO handele es sich nicht um Betriebsausgaben i. S. d. § 4 Abs. 4 EStG.
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Der Begriff der "Aufwendungen" werde im EStG als Oberbegriff für "Ausgaben" und "Aufwand" verwendet und sei im Sinne aller Wertabflüsse zu verstehen, die nicht Entnahmen sind (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 20.08.1986 ‒ I R 29/85, BStBl II 1987, 108, unter II.2.b und vom 20.08.1986 ‒ I R 80/83, BStBl II 1986, 904, unter II.2.). „Aufwendungen" im Sinne des EStG und damit auch im Sinne von § 4 Abs. 4 EStG seien alle Ausgaben, die in Geld oder Geldeswert bestehen und aus dem Vermögen des Steuerpflichtigen abfließen, d. h. ihn wirtschaftlich tatsächlich belasten (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH, Urteil vom 16.12.2021 ‒ VI R 41/18, BStBl II 2022, 321, Rz. 26).
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Im Insolvenzverfahren gebe es zwar zwei Vermögenssphären des Insolvenzschuldners, nämlich die von der Verwaltungs- und Verfügungsmacht des Insolvenzverwalters gem. § 80 InsO erfasste und die insolvenzfreie Vermögensmasse, über die der Schuldner alleine verfügen kann. Rechtsträger beider Vermögensmassen sei aber der Insolvenzschuldner, so dass die Überführung von Vermögensgegenständen aus dem zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögen in das insolvenzfreie Vermögen zwar insolvenz- bzw. vollstreckungsrechtliche Wirkungen habe, nicht aber steuerrechtliche (vgl. Roth in: Roth, Insolvenzsteuerrecht, 3. Aufl. 2020, Materielles Steuerrecht in der Insolvenz, Rz. 4_222). Durch die Zahlungen würden Schulden des Klägers getilgt; die Zahlungen gelangten, anders als z. B. die Insolvenzverwaltervergütung, nicht in das eigene Vermögen des Insolvenzverwalters.
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Die an den Treuhänder abgetretenen und vom diesem zur Befriedigung der Insolvenzgläubiger verwendeten Teile seines Einkommens dienten der Befriedigung der Insolvenzgläubiger im Rahmen des im laufenden Insolvenzverfahren durch den Kläger vorgelegten Insolvenzplans. Der auslösende Moment für die Zahlungen sei damit der im Insolvenzplan vereinbarte Verzicht der Gläubiger auf weitere Ansprüche gegen den Kläger und die damit verbundene Restschuldbefreiung (§ 227 InsO), die mit Bestandskraft des Insolvenzplans eingetreten sei. Die Zahlungen seien insbesondere nicht Voraussetzung für die Freigabe der selbständigen Tätigkeit des Klägers gewesen, denn diese sei allein Ausfluss der Bewertung des Risikos der unternehmerischen Tätigkeit des Klägers für die Insolvenzmasse durch den Insolvenzverwalter gewesen. Bei der Freigabeerklärung handele es sich um eine einseitige Willenserklärung des Insolvenzverwalters, die unwiderruflich und bedingungsfeindlich sei (vgl. RegE BT-Drucks. 16/3227, 17; Lüdtke in: Schmidt, Hamburger Kommentar zur Insolvenzordnung § 35 InsO Rz. 67). Die Bedingung einer Zahlung, um die Freigabe herbeizuführen, wäre demnach unrechtmäßig.
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Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze, die Verwaltungsvorgänge und den Inhalt der beigezogenen Akten des Verfahrens 8 K 59/20 E Bezug genommen.
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Am 19.01.2023 hat der Senat die Sache mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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1. Der angefochtene Feststellungsbescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung ‒ FGO ‒). Die im Gegenzug für die Freigabe einer selbständigen Tätigkeit nach § 35 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 295 Abs. 2 InsO geleisteten bzw. auf das Streitjahr bezogen noch zu leistenden Zahlungen stellen keine steuermindernd zu berücksichtigenden Betriebsausgaben oder Verbindlichkeiten dar.
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a) Betriebsausgaben sind gem. § 4 Abs. 4 EStG Aufwendungen, die durch den Betrieb veranlasst sind.
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aa) Ob die im Streitjahr erfolgten Zahlungen in die Insolvenzmasse bereits keine Aufwendungen im bilanzsteuerlichen Sinne darstellen, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Zweifel könnten sich aufgrund der ständigen Rechtsprechung des BFH ergeben, der unter dem Begriff der „Aufwendungen“ im Sinne des EStG alle Wertabflüsse versteht, die nicht Entnahmen sind (vgl. z. B. BFH, Urteil vom 10.10.2017 ‒ X R 33/16, BStBl II 2018, 185).
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bb) Jedenfalls wären solche Aufwendungen nicht betrieblich veranlasst.
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Eine betriebliche Veranlassung ist gegeben, wenn die Aufwendungen objektiv mit dem Betrieb zusammenhängen und subjektiv dem Betrieb zu dienen bestimmt sind (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH, Urteil vom 03.02.2016 ‒ X R 25/12, BStBl II 2016, 391, Rz. 26). In subjektiver Hinsicht ist dabei auf die Gründe als sog. „auslösendes Moment“ abzustellen, die den Steuerpflichtigen bewogen haben, die Kosten zu tragen (u.a. BFH, Urteile vom 14.07.2020 ‒ VIII R 28/17, BStBl II 2021, 14 und vom 12.07.2017 ‒ VI R 59/15, BStBl II 2018, 461, Rz. 15).
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(1) Nach der Rechtsprechung des BFH zur Absetzbarkeit der Insolvenztreuhändervergütung dient die Durchführung eines Insolvenzverfahrens dazu, die Gläubiger eines Schuldners gemeinschaftlich zu befriedigen, indem das Vermögen des Schuldners verwertet und der Erlös verteilt wird (§ 1 InsO). Das Verbraucherinsolvenzverfahren betrifft damit die wirtschaftliche Stellung des Steuerpflichtigen als Person und mithin die private Lebensführung, indem es eine geordnete Befriedigung der Gläubiger für den Fall ermöglicht, dass das Einkommen und Vermögen nicht zu deren vollständiger Befriedigung ausreicht. Bei der erforderlichen wertenden Beurteilung kommt diesem privaten Umstand ‒ die Schuldentilgung ist dem Vermögensbereich des Steuerpflichtigen zuzurechnen ‒ das entscheidende Gewicht zu. Es ist das „auslösende Moment“ für das Entstehen der getätigten Aufwendungen, welche damit insgesamt der Privatsphäre und nicht der einkommensteuerrechtlich relevanten Erwerbssphäre zuzuordnen sind. Die Aufwendungen bzw. Verbindlichkeiten sind daher auch dann nicht bei der Einkünfteermittlung abziehbar, wenn Bezüge zu einzelnen Einkunftsarten vorliegen (vgl. BFH, Urteil vom 04.08.2016 ‒ VI R 47/13, BStBl. II 2017, 276). Diese Rechtsgrundsätze sind dabei nicht nur auf Verbraucherinsolvenzverfahren, sondern auch auf nach den allgemeinen Grundsätzen durchgeführte Insolvenzverfahren anzuwenden, in dem eine Restschuldbefreiung nach dem neunten Teil der InsO beantragt wird (FG Münster, Urt. vom 04.09.2018 ‒ 11 K 1108/17 E, EFG 2018, 2044).
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(2) Diese Ausführungen sind nach Auffassung des Senats auf Zahlungen an den Insolvenzverwalter nach § 35 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 295 Abs. 2 InsO zu übertragen, da auch diese Zahlungen der Gläubigerbefriedigung dienen und damit die private Lebensführung des Steuerpflichtigen / Insolvenzschuldners betreffen.
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Nach § 35 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 295 Abs. 2 InsO obliegt es dem Schuldner, der eine selbständige Tätigkeit ausübt, die Insolvenzgläubiger durch Zahlungen an den Treuhänder so zu stellen, wie wenn er ein angemessenes Dienstverhältnis eingegangen wäre. Hierbei handelt es sich nicht lediglich um eine Obliegenheit des Insolvenzschuldners, sondern um eine eigenständige Abführungspflicht, auf deren Einhaltung der Insolvenzverwalter unmittelbar einen Anspruch hat (Bundesgerichtshof ‒BGH-, Urteil vom 13.03.2014 ‒ IX ZR 43/12, DB 2014, 888). Neben einem erheblichen Anreiz zur Wiederaufnahme der Selbständigkeit (Hirte/Praß in Uhlenbruck, InsO, 15. Aufl. 2019, § 35 Rz. 105) dient die Regelung dem Zweck, eine Besserstellung der Selbständigen gegenüber den abhängig Beschäftigten zu vermeiden (BT-Drucks. 16/3227, 17). Denn der Insolvenzschuldner, der sich in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis befindet, muss im Rahmen der §§ 850 ff. Zivilprozessordnung (ZPO) alle pfändbaren Beträge an die Insolvenzmasse abführen (u.a. Andres in Nerlich/Römermann, InsO, Stand: 43. Erg.lfg., Mai 2021, § 35 Rz. 91; BGH, Urteil vom 13.03.2014 ‒ IX ZR 43/12, DB 2014, 888). Indem der Insolvenzschuldner ‒ der einer freigegebenen, selbständigen Tätigkeit nachgeht ‒ Ausgleichszahlungen an die Insolvenzmasse leistet, dient die Norm reflexartig und zwingend (auch) der Befriedigung der Gläubiger (ähnlich Hirte/Praß in Uhlenbruck, InsO, 15. Aufl. 2019, § 35 Rz. 105 ‒ „Über die Ausgleichszahlung hinaus sind die Gläubigerinteressen jedoch nicht … berücksichtigt“). Dies verkennt der Kläger, wenn er meint, dass die Befriedigung der Gläubiger nur bei der direkten Anwendung von § 295 Abs. 2 InsO ‒ nicht jedoch bei entsprechender Anwendung über § 35 Abs. 2 Satz 2 InsO ‒ Gesetzeszweck sei.
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Demgegenüber kommt nach Auffassung des Senats der Bereitschaft des Insolvenzschuldners, eine selbständige Tätigkeit fortzuführen, nicht das entscheidende Gewicht und somit auch nicht das „auslösende Moment“ zu. Zwar dürfte dem Kläger zuzustimmen sein, dass eine Freigabevereinbarung vom Insolvenzschuldner nur eingegangen wird, wenn er einen oberhalb seines möglichen fiktiven Einkommens aus einer fiktiven nichtselbständigen Tätigkeit liegenden Gewinn erwartet. Dies führt jedoch nicht dazu, dass die Zahlungen zugunsten der Insolvenzmasse bei wirtschaftlicher Betrachtung ihren Charakter als Tilgung bereits bestehender nichtbetrieblicher Verbindlichkeiten verlieren. Würde man die steuerliche Abzugsfähigkeit dieser Schuldentilgung bei einer freigegebenen, selbständigen Tätigkeit des Insolvenzschuldners zulassen, würde man diesen gegenüber einem abhängig beschäftigen Insolvenzschuldner ‒ dessen Tilgung beispielsweise durch nicht als Werbungskosten absetzbare Lohnpfändungen erfolgt ‒ eine steuerrechtlich vor dem Hintergrund des Leistungsfähigkeitsprinzips nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung vornehmen.
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Sofern der Kläger zur Begründung der Abzugsfähigkeit unter Verweis auf einen Aufsatz in DStR 2020, 1605 anführt , dass die steuerliche Behandlung der Zahlungen auf Empfängerseite irrelevant sei, trifft dies zwar zu. Daraus folgt hingegen nicht, dass die aus § 35 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 295 Abs. 2 InsO resultierenden Zahlungen betrieblich veranlasst sind. Denn unabhängig davon, wie Zahlungen des Insolvenzschuldners auf Empfängerseite behandelt werden, handelt es sich auf Ebene des Insolvenzschuldners selbst um Zahlungen zur privaten Schuldentilgung.
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Unerheblich ist nach Auffassung des Senats, dass dem Kläger im Rahmen des Insolvenzverfahrens keine Restschuldbefreiung erteilt, sondern das Insolvenzverfahren durch Insolvenzplanverfahren abgeschlossen wurde. Denn der Abschluss des Insolvenzverfahrens ist ohne Auswirkungen für den wirtschaftlichen Charakter der zu leistenden Zahlungen.
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b) Die aufgrund der Vereinbarung mit dem Insolvenzverwalter noch nach dem Streitjahr zu zahlenden Beträge können nicht gewinnmindernd als betriebliche Verbindlichkeit passiviert werden.
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aa) Der Ansatz einer Verbindlichkeit im Rahmen der bilanziellen Gewinnermittlung setzt u. a. voraus, dass eine dem Inhalt und der Höhe nach bestimmte Leistungsverpflichtung gegenüber einem Dritten besteht, die erzwingbar ist und für den Steuerpflichtigen eine wirtschaftliche Belastung darstellt (BFH, Urteile vom 05.06.2002 ‒ I R 96/00, BStBl II 2005, 736, Rz. 18 und vom 19.08.2020 ‒ XI R 32/18, BStBl II 2021, 279, Rz. 24). Innenverpflichtungen des Steuerpflichtigen gegen sich selbst begründen hingegen keine bilanzrechtlichen Verbindlichkeiten (Richter/Anzinger/Tiedchen in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, 310. Lfg. 12/2021, § 5 EStG Rz. 670). Diese Definition des Begriffs der „Verbindlichkeit“ ist zwar ‒ soweit erkennbar ‒ zu nach § 5 Abs. 1 EStG bilanzierenden Steuerpflichtigen ergangen. Nach Auffassung des Senats ist jedoch auch bei Steuerpflichtigen, die wie der Kläger ihren Gewinn gem. § 4 Abs. 1 EStG durch Betriebsvermögensvergleich ermitteln, vom identischen Verbindlichkeitsbegriff auszugehen, weil die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung für alle bilanzierenden Steuerpflichtigen einheitlich zu beurteilen sind (vgl. u.a. BFH, Urteile vom 27.11.1997 ‒ IV R 95/96, BStBl II 1998, 375, Rz. 9 und vom 15.02.2017 ‒ VI R 96/13, BStBl II 2017, 884).
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(1) Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gehen gem. § 80 Abs. 1 InsO die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse über das massezugehörige Vermögen auf den Insolvenzverwalter über. Trotz eröffnetem Insolvenzverfahren bleibt der Schuldner jedoch Eigentümer sowie Rechtsinhaber der Massegegenstände (Webel in Graf-Schlicker, InsO, 6. Aufl. 2022, § 80 Rz. 7 f.; Leithaus in Andres/Leithaus, InsO, 4. Aufl. 2018, § 80 Rz. 8; Riewe/Kaubisch in BeckOK InsO, 26. Edit. 01/2022, § 80 Rz. 64; Kroth in Braun, InsO, 9. Aufl. 2022, § 80 Rz. 11). Bei der Insolvenzmasse handelt es sich somit weder um ein eigenständiges Rechtssubjekt noch um Vermögen der Gläubiger, sondern um sog. Sondervermögen des Schuldners (Webel in Graf-Schlicker, InsO, 6. Aufl. 2022, § 35 Rz. 6; Hirte/Praß in Uhlenbruck, InsO, 15. Aufl. 2019, § 35 Rz. 1 ff.; Peters in MüKo InsO, 4. Aufl. 2019, § 35 Rz. 22). Entsprechend wird der Schuldner auch selbst Inhaber der vom Insolvenzverwalter für die Masse neu hinzu erworbenen Rechte (Kayser in Kayser/Thole, Heidelberger Kommentar zur InsO, 10. Aufl. 2020, § 80 Rz. 19; Vuia in MüKo InsO, 4. Aufl. 2019, § 80 Rz. 11; Mock in Uhlenbrock, InsO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rz. 11 f.). Ebenso stellen die noch an die Insolvenzmasse zu leistenden Zahlungen ‒ die zwar vom Insolvenzverwalter gerichtlich einklag- und zwangsvollstreckbar sind (vgl. BGH, Urt. v. 13.03.2014, IX ZR 43/12, DB 2014, 888; Ries in Kayser/Thole, Heidelberger Kommentar zur InsO, 10. Aufl. 2020, § 35 Rz. 83) ‒ keine Verpflichtungen gegenüber Dritten, sondern gegenüber der Insolvenzmasse und damit in rechtlicher Hinsicht bloße Innenverpflichtungen dar. Vor diesem Hintergrund kann der Senat weder der Rechtsauffassung des Klägers folgen, dass die Insolvenzmasse ein eigenständiger Betrieb sei, noch, dass der Insolvenzverwalter neben der dem Kläger freigegebenen Tätigkeit als Wirtschaftsprüfer und Steuerberater noch einen (eigenen) Steuerberatungsbetrieb in der Insolvenzmasse betreibe.
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(2) Entgegen der Auffassung des Klägers kommt die Annahme einer steuerrechtlich zu berücksichtigen Verbindlichkeit auch nicht unter dem Gesichtspunkt in Betracht, den Insolvenzverwalter als wirtschaftlichen Eigentümer des zivilrechtlichen Sondervermögens anzusehen und dadurch eine Außenverbindlichkeit zu begründen. Denn ein Insolvenzverwalter ist gerade nicht wirtschaftlicher Eigentümer im Sinne des § 39 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) im Hinblick auf die zur Insolvenzmasse gehörenden Wirtschaftsgüter.
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Nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO ist, wenn ein anderer als der Eigentümer die tatsächliche Herrschaft über ein Wirtschaftsgut in der Weise ausübt, dass er den Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausschließen kann, diesem das Wirtschaftsgut zuzurechnen. Bei Treuhandverhältnissen sind die Wirtschaftsgüter dem Treugeber zuzurechnen, § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 AO. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH setzt die Begründung wirtschaftlichen Eigentums voraus, dass der zivilrechtliche Nichteigentümer über den Gegenstand wie über eigenes Vermögen verfügt. Entsprechend begründet die tatsächliche Herrschaftsgewalt, die jemand ausschließlich oder ganz überwiegend im Interesse (für Rechnung) eines Dritten ausüben darf und tatsächlich ausübt, kein wirtschaftliches Eigentum (BFH, Urteile vom 27.09.1988 ‒ VIII R 193/83, BStBl II 1989, 414 m. w. N. und; vom 07.11.2001 ‒ II R 14/99, BFH/NV 2002, 468). Diese Voraussetzungen sind im Falle eines Insolvenzverwalters, dem die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis fremder Wirtschaftsgüter gerade nicht auf eigene Rechnung zusteht, nicht erfüllt (so auch Brandis in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, 161. Lfg. 03/2022, § 7 EStG Rz. 165). Dieser Einordnung steht auch nicht entgegen, dass umsatzsteuerlich im Falle einer Insolvenz nach unterschiedlichen Vermögensbereichen differenziert wird.
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(3) Dahinstehen kann, ob die Aufhebung des Insolvenzverfahrens durch Beschluss vom 00.00.2018 und der Übergang in ein Insolvenzplanverfahren dazu führen sollte, dass das Sondervermögen „Insolvenzmasse“ nicht mehr bestand und der frühere Insolvenzverwalter, auf dessen Anderkonto die Zahlungen geleistet wurden, nunmehr als Dritter anzusehen seien sollte. Denn jedenfalls lagen bis zum Bilanzstichtag (31.12.2017) lediglich Zahlungsverpflichtungen gegenüber dem Kläger selbst vor, sodass die Verbindlichkeit zu diesem Zeitpunkt nicht gewiss war (vgl. zum Erfordernis der Gewissheit Weber-Grellet in Schmidt, EStG, 41. Aufl. 2022, § 5 Rz. 311).
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bb) Aber selbst wenn man eine Außenverbindlichkeit annehmen sollte, wäre eine solche Verbindlichkeit nicht betrieblich veranlasst. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen zur betrieblichen Veranlassung von Aufwendungen verwiesen.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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3. Die Revision war nicht zuzulassen. Die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH.