26.11.2013 · IWW-Abrufnummer 133706
Finanzgericht München: Urteil vom 30.07.2013 – 2 K 3966/10
Muss im Zuge der Installation einer Fotovoltaikanlage eine tritt- und druckfeste Wärmedämmung auf dem Dach angebracht werden,
um zu verhindern, dass sich die Dachbahnen bei den Montagearbeiten für die Fotovoltaikanlage „durchschüsseln” und es zu Schäden
oder Folgeschäden beim Betrieb der Fotovoltaikanlage kommt, und wäre ohne den Einbau der Fotovoltaikanlage auch keine Wärmedämmung
installiert worden, so sind die Mehrkosten für die tritt- und druckfeste Dämmung zum Zwecke der Ausübung einer steuerpflichtigen
Tätigkeit (Betrieb der Fotovoltaikanlage) entstanden und es besteht der für den Vorsteuerabzug erforderliche direkte und unmittelbare
Zusammenhang zwischen den geltend gemachten Vorsteuerbeträgen und den mittels der Fotovoltaikanlage ausgeführten steuerpflichtigen
Ausgangsumsätzen.
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
In der Streitsache
hat der 2. Senat des Finanzgerichts München durch den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht …, den Richter am Finanzgericht
… und die Richterin am Finanzgericht …, sowie den ehrenamtlichen Richter … und die ehrenamtliche Richterin … auf Grund der
mündlichen Verhandlung vom 30. Juli 2013 für Recht erkannt:
1. Unter Aufhebung des Umsatzsteuerbescheids für 2009 vom 4. Februar 2011 wird die Umsatzsteuer für 2009 auf einen Negativbetrag
von 20.545,38 EUR festgesetzt.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in
Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit
in derselben Höhe leistet.
Gründe
I.
Streitig ist die Berechtigung zum Vorsteuerabzug aus den Kosten für die Anbringung einer tritt- und druckfesten Dämmung auf
dem Dach eines Pfarrheims im Zusammenhang mit der Errichtung einer Fotovoltaikanlage.
Die Klägerin erzielt steuerpflichtige Umsätze aus dem Betrieb einer Fotovoltaikanlage mit einer Kollektorfläche von 418 m²,
die im Zusammenhang mit der Aufstockung eines Gebäudes der Klägerin auf dem Westdach mit einer Fläche von ca. 515 m² montiert
wurde. Das Westdach wurde nach einer sog. Bedenkensanmeldung der Fa. S vom 14. August 2009 mit einer druckfesten Wärmedämmung
versehen, um zu verhindern, dass sich die Dachbahnen bei den Montagearbeiten für die Fotovoltaikanlage „durchschüsseln” und
es zu Schäden oder Folgeschäden kommt. Die Mehrkosten hierfür betrugen, gegenüber den Kosten für die ursprünglich vorgesehene
Dämmung, die auf der Ostseite des Daches angebracht ist, lt. Rechnung der Fa. S (Meisterbetrieb für Bauspenglerei und Bedachungen)
vom 9. September 2009 22,– EUR/m² zuzüglich 19 % MwSt, insgesamt lt. Rechnungskorrektur 10.766,85 EUR zuzüglich 2.045,70 EUR
MwSt (Bl. 10-12 FG-Akte).
Mit ihrer Umsatzsteuer-Voranmeldung für Dezember 2009 machte die Klägerin abziehbare Vorsteuerbeträge in Höhe von 2.045,70
EUR aus dieser Rechnung geltend.
Davon abweichend setzte der Beklagte (das Finanzamt) die Umsatzsteuer-Vorauszahlung für Dezember 2009 mit Bescheid vom 1.
März 2010 ohne Berücksichtigung dieses Betrages auf einen Negativbetrag von 18.499,68 EUR fest. Den hiergegen eingelegten
Einspruch wies das Finanzamt mit Einspruchsentscheidung vom 25. November 2010 als unbegründet zurück. Mit Umsatzsteuerjahresbescheid
vom 4. Februar 2011 setzte das Finanzamt die Umsatzsteuer für 2009 ebenfalls auf einen Negativbetrag von 18.499,68 EUR fest.
Mit ihrer Klage bringt die Klägerin im Wesentlichen Folgendes vor:
Die streitgegenständliche Dämmung sei allein durch die Fotovoltaikanlage veranlasst und nicht dem Gebäude zuzurechnen. Aus
den Aussagen des Meisterbetriebs für Bauspenglerei und Bedachungen S und des Architekturbüros M ergebe sich, dass konstruktionsbedingt
stärker auftretende Beanspruchungen durch Druck, Schub und Windsog berücksichtigt hätten werden müssen. Um einen entsprechenden
Mehraufwand bei der Montage der Fotovoltaikanlage und damit verbundene erhebliche Mehrkosten zu vermeiden, sei die Ausführung
mit druckfester Dämmung empfohlen worden, um Folgeschäden für die Fotovoltaikanlage zu vermeiden und um mögliche Streitpunkte
bei der Gewährleistung auszuschließen.
Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung des Umsatzsteuerbescheids für 2009 vom 4. Februar 2011 die Umsatzsteuer für 2009 auf einen Negativbetrag von
20.545,38 EUR (= 18.499,68 + 2.045,70) festzusetzen.
Das Finanzamt beantragt, die Klage abzuweisen.
Es bringt vor, dass die druckfeste Wärmedämmung nicht durch die Fotovoltaikanlage veranlasst sei, da sie ausschließlich der
Nutzung des Gebäudes als Pfarrheim diene. Die geltend gemachte Erhöhung der Gesamtlast auf 195 kg/m² (Schneelast 170 kg/m²,
Fotovoltaikanlage 25 kg/m²) sei nicht schlüssig, da die Schneelast auch ohne die Fotovoltaikanlage statisch zu berücksichtigen
sei und die Module nur 13,38 kg/m² wögen. Im Übrigen werde auf die Einspruchsentscheidung Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akten des Finanzamts sowie
die im Verfahren eingereichten Schriftsätze und die Niederschrift über die mündliche Verhandlung verwiesen.
II.
Die Klage ist begründet.
1. Gegenstand des Verfahrens ist der Umsatzsteuerjahresbescheid für 2009 vom 4. Februar 2011, weil er den ursprünglich angefochtenen
Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid für Dezember 2009 gemäß § 68 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) ersetzt hat (vgl. Bundesfinanzhof-BFH-Beschluss
vom 22. Oktober 2003 V B 103/02, BFH/NV 2004, 502).
2. Das Finanzamt hat den Vorsteuerabzug aus den Mehrkosten für die druckfeste Wärmedämmung zu Unrecht versagt.
a) Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 Umsatzsteuergesetz (UStG) kann der Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für
Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen. Den Unternehmer,
der den Vorsteuerabzug begehrt und damit einen Anspruch auf Minderung seiner Umsatzsteuerzahllast geltend macht, trifft für
das Vorliegen der den Vorsteuerabzug begründenden Tatsachen die Darlegungs- und Feststellungslast (BFH-Beschluss vom 6. Dezember
2007 V R 61/05, BFHE 221, 55, BStBl II 2008, 69).
b) Vorliegend ist die Klägerin als Unternehmer tätig geworden und war deshalb nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG zum Vorsteuerabzug
aus der Rechnung vom 9. September 2009 berechtigt.
aa) Der Betrieb der Fotovoltaikanlage durch die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen einer unternehmerischen Tätigkeit, weil
er als Nutzung eines Gegenstandes der nachhaltigen Erzielung von Einnahmen dient (vgl. BFH-Urteile vom 19. Juli 2011 XI R
29/09, BFH/NV 2011, 2198, BStBl II 2012, 430, und XI R 21/10, BFH/NV 2011, 2201, BStBl II 2012, 434; Urteil des Gerichtshofs
der Europäischen Union – EuGH – vom 20. Juni 2013 C-219/12, MwStR 2013, 371).
bb) Die streitgegenständlichen Leistungen sind auch für das Unternehmen der Klägerin (Betrieb der Fotovoltaikanlage) ausgeführt
worden, da der für den Vorsteuerabzug erforderliche direkte und unmittelbare Zusammenhang zwischen Eingangs- und zum Abzug
berechtigenden Ausgangsumsätzen vorliegt.
Das Westdach des Gebäudes, für dessen druckfeste Dämmung die streitigen Vorsteuerbeträge angefallen sind, dient der von der
Klägerin betriebenen Fotovoltaikanlage. Die Klägerin hat mit den vorgelegten Unterlagen und in der mündlichen Verhandlung
nachvollziehbar dargelegt, dass die Anbringung der druckfesten Dämmung auf dem Westdach für die Installation und zum ordnungsgemäßen
Betrieb der Fotovoltaikanlage erforderlich gewesen ist und sie die zusätzlichen Ausgaben hierfür nicht getätigt hätte, wenn
sie keine Fotovoltaikanlage auf dem Westdach angebracht hätte. Die Mehrkosten für die druckfeste Dämmung sind demnach zum
Zwecke der Ausübung einer steuerpflichtigen Tätigkeit, hier Betrieb der Fotovoltaikanlage, entstanden. Es besteht deshalb
ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen den geltend gemachten Vorsteuerbeträgen und den von der Klägerin mittels
der Fotovoltaikanlage ausgeführten steuerpflichtigen Ausgangsumsätzen (vgl. BFH-Urteile vom 19. Juli 2011 XI R 29/09, BFH/NV
2011, 2198, BStBl II 2012, 430, und XI R 21/10, BFH/NV 2011, 2201, BStBl II 2012, 434; EuGH-Urteil vom 21. Februar 2013, C-104/12,
DStR 2013, 411).
Aber selbst wenn man davon ausginge, dass insoweit ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem streitgegenständlichen
Eingangsumsatz (Anbringung einer druckfesten Dämmung) und den Ausgangsumsätzen mit der Fotovoltaikanlage fehlt, ist die Klägerin
deshalb zum Vorsteuerabzug berechtigt, weil die streitgegenständlichen Mehrkosten zu ihren allgemeinen Aufwendungen für den
Betrieb der Fotovoltaikanlage gehören und – als solche – Bestandteile des Preises der von ihr erbrachten Leistungen sind.
Derartige Kosten hängen direkt und unmittelbar mit ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit zusammen (vgl. BFH-Urteil vom 24. April
2013 XI R 25/10, DStR 2013, 1544). Dies gilt selbst dann, wenn die Klägerin für die von ihr erzeugte Energie eine gesetzlich
festgelegte Vergütung nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz 2009 erhält (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 14. März 2012 XI R 26/11,
BFH/NV 2012, 789).
3. Für eine Aufteilung (Zurechnung) der Vorsteuer nach § 15 Abs. 4 UStG besteht kein Anlass, weil die Klägerin ausschließlich
steuerpflichtige und damit zum Vorsteuerabzug berechtigende Umsätze ausführt.
Die allein geltend gemachten Mehrkosten für die streitgegenständliche Dämmung berechtigen, anders als in den vom BFH z. B.
in seinen Urteilen vom 19. Juli 2011 XI R 29/09 (BStBl II 2012, 430), XI R 21/10 (BStBl II 2012, 434), und vom 14. März 2012
XI R 26/11 (BFH/NV 2012, 789) entschiedenen Fällen, in denen jeweils die gesamten Kosten für die Errichtung eines Holzschuppens,
eines Carports oder die Sanierung eines asbesthaltigen Daches geltend gemacht wurden, zum vollen Vorsteuerabzug. Für diese
Baumaßnahme (Anbringung druckfeste Dämmung) besteht, wie bei der aus statischen Gründen für eine Fotovoltaikanlage erforderlichen
Verstärkung eines Dachstuhls (vgl. Verfügung des Bayer. Landesamts für Steuern vom 7. August 2012, S 7300.2.1 – 14/48/St 33),
kein unmittelbarer Nutzungs- und Funktionszusammenhang mit dem Gebäude selbst.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
5. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und über den Vollstreckungsschutz folgt aus
§ 151 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.