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  • 02.06.2021 · IWW-Abrufnummer 222738

    Finanzgericht Köln: Urteil vom 23.09.2020 – 3 K 3048/17

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Finanzgericht Köln


    Tenor:

    Der Abrechnungsbescheid der Agentur für Arbeit B vom 15.9.2017 und die Einspruchsentscheidung der Beklagten vom 14.11.2017 werden aufgehoben.

    Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen.

    Das Urteil wird wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung erklärt. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

    Die Revision wird zugelassen.

    1

    Tatbestand

    2

    Streitig ist die hinreichende inhaltliche Bestimmtheit (§ 119 Abs. 1 AO) eines Abrechnungsbescheids über Säumniszuschläge, die die Beklagte ausgehend von der Summe von zurückzuzahlendem Kindergeld für 18 Monate geltend macht.

    3

    Die Familienkasse NRW West gewährte der Klägerin antragsgemäß für ihren am ....1984 geborenen Sohn Z, der körperlich behindert ist, für die Monate Januar 2013 bis Juni 2014 (Streitzeitraum) Kindergeld nach dem EStG in Höhe von jeweils 184 €. Durch Bescheid vom 12.12.2014 hob diese Familienkasse gegenüber der Klägerin die bisherige Kindergeldfestsetzung rückwirkend für den Streitzeitraum mit der Begründung auf, dass der Sohn nicht wegen der körperlichen Behinderung außerstande gewesen sei, sich selbst zu unterhalten (§ 70 Abs. 2 in Verbindung mit § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG). Zugleich verlangte sie von der Klägerin unter der Überschrift „Rückforderung“, das aufgrund der Aufhebung für den Streitzeitraum überzahlte Kindergeld in Höhe von zusammen 3.312 € nach § 37 Abs. 2 AO zu erstatten. Die Klägerin sollte den Betrag bis zum 15.1.2015 auf ein näher bezeichnetes Bankkonto der Bundesagentur für Arbeit überweisen. Durch weiteren Bescheid vom 12.12.2014 lehnte die Familienkasse NRW West ferner den Antrag der Klägerin ab, für ihren Sohn Kindergeld für die Monate Juli bis September 2014 festzusetzen. Die Klägerin legte gegen beide Bescheide Einspruch ein und zahlte zunächst kein Kindergeld zurück.

    4

    Am 25.3.2015 schrieb die Agentur für Arbeit B als Inkasso-Service der Bundesagentur der Klägerin eine Mahnung, mit der neben den seit dem 15.1.2015 fälligen 3.312 € aus dem Bescheid vom 12.12.2014 für den Zeitraum 16.1.2015 bis 24.3.2015 ein Säumniszuschlag in Höhe 33 € für jeden angefangenen Monat, zusammen 99 €, gefordert wurden. Nach einem Telefonat mit der Klägerin erklärte sich der Inkasso-Service in einer schriftlichen Ratenzahlungsvereinbarung vom 2.4.2015 einverstanden, dass zur Tilgung der Forderung monatliche Raten von 250 € beginnend ab dem 20.4.2015 geleistet werden. Diese Entscheidung sei keine Stundung im Sinne des § 222 AO, die Forderung bleibe fällig und durchsetzbar und Säumniszuschläge würden weiterhin anfallen. Die Klägerin überwies darauf insgesamt 552 € (jeweils 250 € am 20.4.2015 und am 20.5.2015 sowie 52 € am 20.6.2015), danach zahlte sie nichts mehr. In der Folgezeit erteilte ihr der Inkasso-Service weitere Mahnungen (16.7.2015, 24.8.2015, 15.9.2015, 5.1.2016 und 10.6.2016) wegen des Restbetrags des zurückgeforderten Kindergelds von 2.760 € (3.312 € ./. 552 €) zuzüglich eines Säumniszuschlags von 27,50 € pro Monat. Für die elf (angefangenen) Säumnismonate Juli 2015 bis Juni 2016 ergab dies zusammen weitere Säumniszuschläge in Höhe von 302,50 €.

    5

    Am 29.9.2015 wies die Familienkasse NRW West die Einsprüche der Klägerin gegen die beiden Bescheide vom 12.12.2014 als unbegründet zurück. Darauf erhob die Klägerin beim FG Köln wegen des Aufhebungs- und Rückforderungsbescheids (14 K 2907/15) und des Ablehnungsbescheids (14 K 2908/15) Klage. Den von ihr noch im Einspruchsverfahren gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Aufhebungs- und Rückforderungsbescheides lehnte die Familienkasse NRW West am 2.11.2015 ab. Die Klage 14 K 2907/15 nahm die Klägerin nach einem Hinweis des Gerichts wegen des Kindergeldes Januar 2013 bis Juli 2013 zurück, worauf dieser Teil des Klageverfahrens abgetrennt und eingestellt wurde. Nach einem Gutachten des ärztlichen Dienstes der Bundesagentur zu der materiell streitigen Frage, ob der Sohn der Klägerin wegen der körperlichen Behinderung außerstande war, sich selbst zu unterhalten, half die Familienkasse NRW West im Übrigen den beiden Klagen ab. Durch Bescheid vom 1.6.2017 änderte sie mit Hinweis auf § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a AO die beiden Bescheide vom 12.12.2014 in der Fassung der Einspruchsentscheidungen vom 29.9.2015. Darin heißt es: „Kindergeld […] wurde für die Zeit August 2013 bis Juni 2014 in Höhe von insgesamt 2.024 € (11 x 184 €) zu Recht gezahlt und ist in dieser Höhe […] nicht zu erstatten.“ Das beantragte Kindergeld Juli bis September 2014 setzte die Familienkasse in Höhe von 184 € monatlich fest. Wegen der Aufhebung und Rückforderung des Kindergelds Januar 2013 bis Juli 2013 in Höhe von 1.288 € (7 x 184 €) blieb der Bescheid vom 12.12.2014 unverändert. Von dieser Rückforderung zog die Familienkasse die 552 € ab, die die Klägerin in 2015 überwiesen hatte und rechnete außerdem mit den weiteren 552 € (3 x 184 €) Kindergeldnachzahlungsanspruch für Juli bis September 2014 auf. Es verblieb ein der Höhe nach unstreitiger Rückforderungsanspruch gegen die Klägerin von 184 €. Die beiden Klageverfahren wurden in der Hauptsache für erledigt erklärt. Die von der Klägerin im Klageverfahren beantragte Aussetzung der Vollziehung des Aufhebungs- und Rückforderungsbescheids vom 12.12.2014 lehnte die Familienkasse am 22.6.2017 in vollem Umfang ab. Anträge auf Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung beim FG Köln stellte die Klägerin nicht.

    6

    Unter dem 4.9.2017 mahnte der Inkasso-Service bei der Klägerin die Zahlung von insgesamt 401,50 € Säumniszuschlägen an. Diese setzen sich ‒ chronologisch geordnet ‒ wie folgt zusammen:

    7

    Forderung

    Bescheid

    Fälligkeit

    Ursprungsbetrag

    Restbetrag

    Säumniszuschläge

    Mahnung 25.3.2015


    99,00 €

    99,00 €

    16.1.2015-24.3.2015





    Säumniszuschläge

    Mahnung 16.7.2015


    27,50 €

    27,50 €

    13.7.2015-15.7.2015





    Säumniszuschläge

    Mahnung 24.8.2015


    27,50 €

    27,50 €

    16.7.2015-23.8.2015





    Säumniszuschläge

    Mahnung 15.9.2015


    27,50 €

    27,50 €

    24.8.2015-14.9.2015





    Säumniszuschläge

    Mahnung 5.1.2016


    82,50 €

    82,50 €

    15.9.2015-4.1.2016





    Säumniszuschläge

    Mahnung 10.6.2016


    137,50 €

    137,50 €

    5.1.2016-9.6.2016





    Gesamtsumme



    401,50 €

    401,50 €



    8

    Unter Bezugnahme auf diese Mahnung wandte sich die Klägerin am 8.9.2017 an den Inkasso-Service und rügte, die Säumniszuschläge würden zu Unrecht geltend gemacht. Im gerichtlichen Verfahren habe sich zwischenzeitlich herausgestellt, dass die Restforderung über Kindergeld ‒ was zutrifft ‒ nur 184 € betrage.

    9

    Am 15.9.2017 erteilte der Inkasso-Service der Klägerin aufgrund ihres Schreibens einen als solchen bezeichneten Abrechnungsbescheid mit folgendem Inhalt:

    10

    „Kindergeld lt. Bescheid der Familienkasse NRW West vom 12.12.2014, fällig zum 15.1.2015

    11

    Da die Forderung nicht rechtzeitig überwiesen wurde, fallen für die rückständige Forderung gem. § 240 Abgabenordnung (AO) Säumniszuschläge von ein Prozent pro angefangenen Monat der Säumnis an.

    12

    Säumniszuschläge in Höhe von 401,50 Euro berechnet bis 9.6.2016.“

    13

    Den dagegen eingelegten Einspruch der Klägerin wies die hier beklagte Familienkasse NRW Nord am 14.11.2017 als unbegründet zurück. Auszugehen sei von der seit dem 15.1.2015 fälligen Forderung aus dem Bescheid vom 12.12.2014 in Höhe von 3.312 €. Im Bescheid vom 15.9.2017 seien über die seit der Fälligkeit dieser Forderung verwirkten Säumniszuschläge Abrechnung erteilt und Säumniszuschlage in Höhe von 401,50 € erhoben worden. Die Beklagte erläuterte die Regelung in § 240 Abs. 1 AO und wies insbesondere darauf hin, dass die Aufhebung der Festsetzung einer Steuervergütung die bis dahin verwirkten Säumniszuschläge unberührt lasse (§ 240 Abs. 1 Satz 4 AO). Die Anträge der Klägerin auf Aussetzung der Vollziehung seien ‒ was ebenfalls zutrifft ‒ allesamt abgelehnt worden. Von dem auf die Fälligkeit folgenden Tag habe die Klägerin Säumniszuschläge verwirkt. Diese hätten sich angesichts der Forderungshöhe auf zunächst 33,00 € monatlich und nach Zahlung eines Teils der Forderung auf 27,50 € monatlich belaufen. Für 14 Monate ergebe dies die in dem angegriffenen Bescheid angegebene Summe.

    14

    Mit der gegen die Beklagte erhobenen Klage wendet sich die Klägerin weiterhin gegen den Abrechnungsbescheid über die Säumniszuschläge. Es möge richtig sein, dass einmal verwirklichte Säumniszuschläge bei Veränderung der Schuld wirksam blieben, da dem Steuerpflichtigen der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung zur Verfügung stehe. Die Beklagte verkenne jedoch, dass eben dies wiederholt beantragt worden sei, die Familienkasse NRW West die Vollziehung aber nicht ausgesetzt habe. Die Säumniszuschläge könnten daher keinen Bestand haben.

    15

    Die Klägerin beantragt,

    16

    den Bescheid des Inkasso-Services vom 15.9.2017 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung der Beklagten vom 14.11.2017 aufzuheben.

    17

    Die Beklagte beantragt,

    18

    die Klage abzuweisen,

    19

    und regt an, im Unterliegensfall die Revision zuzulassen.

    20

    Das Gericht hat seine Rechtsauffassung mitgeteilt, dass die Säumniszuschläge nicht von der Summe des zurückgeforderten Kindergelds, also von 3.312 € bzw. 2.760 €, sondern nur von der Rückforderung des Kindergelds für die 18 einzelnen Monate des Streitzeitraums von jeweils 184 € zu berechnen sind. Diesbezüglich fehle dem Abrechnungsbescheid die hinreichende inhaltliche Bestimmtheit im Sinne des § 119 Abs. 1 AO. Hierzu hat das Gericht auf das BFH-Urteil vom 19.3.2019 VII R 27/17 (BStBl II 2020, 31) hingewiesen.

    21

    Die Beklagte hat es abgelehnt, den Abrechnungsbescheid wegen fehlender hinreichender Bestimmtheit aufzuheben. Sie meint, ihre Berechnung der Säumniszuschläge sei vom Wortlaut des Gesetzes gedeckt. Die Rechtsfrage sei ‒ was zutrifft ‒ für das Kindergeld bisher durch den BFH nicht entschieden worden. Ohne ein höchstrichterliches Urteil werde der Inkasso-Service der Bundesagentur seine langjährige Verwaltungspraxis nicht ändern.

    22

    Entscheidungsgründe

    23

    A)

    24

    Die Klage ist zulässig und begründet.

    25

    I. Für das Begehren der Klägerin ist gemäß § 40 Abs. 1 in Verbindung mit § 44 Abs. 2 FGO die Anfechtungsklage statthaft. Die Klägerin beantragt die Aufhebung des Abrechnungsbescheids des Inkasso-Service in der Gestalt der Einspruchsentscheidung der Beklagten. Die Anfechtungsklage ist selbst dann statthaft, wenn dem Verwaltungsakt das Erfordernis der hinreichenden inhaltlichen Bestimmtheit aus § 119 Abs. 1 AO fehlen sollte, obwohl das in der Regel die Nichtigkeit und Unwirksamkeit des Verwaltungsakts (§§ 125 Abs. 1,  124 Abs. 3 AO) zur Folge hat (vgl. Szymczak, AO-eKommentar, § 119 Rn. 8 [Stand November 2019 m. w. N.]). Im Streitfall geht von dem Abrechnungsbescheid wegen der von der Klägerin geforderten 401,50 € Säumniszuschläge der Schein der Rechtswirksamkeit aus, und dieser ist durch die förmliche Zurückweisung des Einspruchs durch die Beklagte noch bekräftigt worden. Zur Beseitigung eines solchen Scheins kann auch ein nichtiger und unwirksamer Verwaltungsakt im Wege der Anfechtungsklage durch das Finanzgericht ausdrücklich aufgehoben werden (BFH, Urteile vom 7.8.1985 I R 309/82, BStBl II 1986, 42, vom 27.2.1997 IV R 38/96, BFH/NV 1997, 388 und vom 19.8.1999 IV R 34/98, BFH/NV 2001, 409). Die Unsicherheit in der rechtlichen Bewertung, ob ein Verwaltungsakt (schon) nichtig oder nur rechtswidrig ist, kann nicht zu Lasten des Klägers gehen (Lange, Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 100 FGO Rn. 44 [Stand Oktober 2019]). Dass ein Kläger bei Nichtigkeit eines Verwaltungsakts anstelle der Feststellungsklage auch Anfechtungsklage erheben kann, folgt schließlich im Umkehrschluss aus der Regelung in § 41 Abs. 2 Satz 2 FGO (von Beckerath in Gosch, AO/FGO, § 40 FGO Rn. 61 [Stand Mai 2018]).

    26

    II. Das Gericht hebt den Abrechnungsbescheid des Inkasso-Service vom 15.09.2017 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14.11.2017 der Beklagten gemäß § 100 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 44 Abs. 2 FGO auf, weil der Verwaltungsakt rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt. Es ist zwar gemäß § 218 Abs. 2 Satz 1 AO über die Entstehung und den Fortbestand der Säumniszuschläge zu Recht durch Abrechnungsbescheid entschieden worden (1). Der Abrechnungsbescheid in der Gestalt der Einspruchsentscheidung verstößt jedoch gegen § 119 Abs. 1 AO (2). Der Abrechnungsbescheid ist in vollem Umfang aufzuheben (3).

    27

    1. Rechtsgrundlage für den Erlass des Abrechnungsbescheids ist § 218 Abs. 2 Satz 1 AO (in der Fassung von Art. 1 Nr. 10 Buchstabe a des Gesetzes vom 22.12.2014, BGBl. I S. 2417). Danach entscheidet die Finanzbehörde über Streitigkeiten, die die Verwirklichung der Ansprüche im Sinne des Absatzes 1 betreffen, durch Abrechnungsbescheid. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.

    28

    a) Ob die Klägerin zur Zahlung von Säumniszuschlägen verpflichtet ist, weil sie das zurückgeforderte Kindergeld für den Streitzeitraum entgegen dem Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 12.12.2014 im Säumniszeitraum 15.1.2015 bis 9.6.2016 nur teilweise zurückgezahlt hat, betrifft die Verwirklichung eines Anspruchs im Sinne des § 218 Abs. 1 AO. Diese Vorschrift bezieht sich auf alle Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, worunter gemäß § 37 Abs. 1 AO auch der Anspruch auf eine steuerliche Nebenleistung wie den Säumniszuschlag (§ 3 Abs. 4 Nr. 5 AO) fällt. Verwirklichung eines Anspruchs bedeutet unter anderem dessen Einziehung durch die Finanzbehörde (Bericht und Antrag des Finanzausschusses, Bundestags-Drucksache VII/4292, S. 33 Zu § 218). Zur Verwirklichung des Anspruchs auf Säumniszuschläge bedarf es nach § 218 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz AO zwar grundsätzlich gerade keines Verwaltungsakts, durch den die Säumniszuschläge festgesetzt werden, sondern es genügt die Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestands (§ 240 AO). Davon macht der hier einschlägige § 218 Abs. 2 Satz 1 AO jedoch eine Ausnahme, wenn gerade über die Verwirklichung des Anspruchs auf Säumniszuschläge Streitigkeiten bestehen.

    29

    b) Eine solche Streitigkeit zwischen den Beteiligten hat hier zum Erlass des Abrechnungsbescheids vom 15.9.2017 geführt. Der Inkasso-Service hat bei der Klägerin unter dem 4.9.2017 die Zahlung von insgesamt 401,50 € Säumniszuschlägen angemahnt. Darauf hat die Klägerin am 8.9.2017 gerügt, die Säumniszuschläge würden jedenfalls insoweit zu Unrecht geltend gemacht, als ihnen eine Rückforderung von mehr als 184 € Kindergeld zugrunde liege.

    30

    c) Im Streitfall ist durch den Abrechnungsbescheid vom 15.9.2017 mit der Feststellung von 401,50 € Säumniszuschlägen die von § 218 Abs. 2 Satz 1 AO vorgesehene Entscheidung über die Streitigkeiten getroffen worden. Obwohl die Vorschrift nach ihrer systematischen Stellung am Anfang des fünften Teils der AO zum Erhebungsverfahren gehört und die „Streitigkeiten“ meist das Fortbestehen oder Erlöschen von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnissen nach § 47 AO betreffen, ist speziell für Streitigkeiten über die Verwirklichung von Säumniszuschlägen anerkannt, dass die Finanzbehörde durch den Abrechnungsbescheid nicht nur über das Fortbestehen, sondern auch über das Entstehen der Säumniszuschläge entscheidet (BFH, Urteil vom 18.4.2006 VII R 77/04, BStBl II 2006, 578 Rn. 9). Ein solcher Abrechnungsbescheid hat die Wirkung einer Festsetzung und dokumentiert damit die Anspruchsverwirklichung im Sinne des § 218 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 in Verbindung mit § 240 AO; gleichzeitig enthält er eine Entscheidung über die Verwirklichung, d.h. über die Erlöschensgründe des Anspruchs (BFH, Urteil vom 12.8.1999 VII R 92/98, BStBl II 1999, 751 Rn. 21).

    31

    d) Die sachliche Zuständigkeit der Agentur für Arbeit B als Inkasso-Service der Bundesagentur für den Erlass von Verwaltungsakten im Erhebungsverfahren und die Zuständigkeit der hier beklagten Familienkasse NRW Nord für Einspruchsentscheidungen gegen Verwaltungsakte der Agentur für Arbeit B als Inkasso-Service nach §§ 16, 367 Abs. 1 AO in Verbindung mit § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 Satz 2 FVG werden von einigen Finanzgerichten abgelehnt (FG Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 14.5.2019 10 K 3317/18 AO bei juris, Revision beim BFH III R 36/19 und FG München, Urteil vom 7.7.2020 5 K 2557/19 bei juris, Revision beim BFH III R 47/20; anderer Ansicht z.B. FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17.6.2020 7 K 14045/18 bei juris, rechtskräftig, alle jeweils mit weiteren Nachweisen). Das erkennende Gericht lässt diese Fragen offen, da der vorliegenden Klage jedenfalls aus materiellen Gründen stattzugeben ist.

    32

    2. Der Abrechnungsbescheid ist rechtswidrig, weil er gegen das Erfordernis aus § 119 Abs. 1 AO verstößt, wonach ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein muss (a). Danach hätten die Säumniszuschläge nach § 240 Abs. 1 Satz 1 und 2 AO nur nach dem zurückzuzahlenden Kindergeld für die einzelnen 18 Monate des Streitzeitraums von jeweils 184 € berechnet und ausgewiesen werden müssen (b). Das ist weder im Abrechnungsbescheid noch in der Einspruchsentscheidung geschehen (c).

    33

    a) Das Erfordernis der „inhaltlich“ hinreichenden Bestimmtheit aus § 119 Abs. 1 AO gilt für den verfügenden Teil des Verwaltungsakts (§ 122 Abs. 4 Satz 1 AO), also für den Tenor, den Entscheidungssatz (vgl. BFH, Urteil vom 28.1.1983 VI R 35/78, BStBl II 1983, 472 Rn. 22). Gemeint ist die Maßnahme, die zur Regelung eines Einzelfalls getroffen wird (§ 118 Satz 1 AO). Einem Verwaltungsakt muss sicher entnommen werden können, „was von wem verlangt wird“ (Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FG, § 119 Rn. 12 [November 2013]). Bei einem Abrechnungsbescheid im Sinne des § 218 Abs. 2 Satz 1 AO sind die Anforderungen an die erforderliche inhaltliche Bestimmtheit danach auszurichten, dass die Klärung der im Einzelfall zwischen den Beteiligten bestehenden Streitigkeiten über die Verwirklichung der Ansprüche im Sinne des Absatzes 1 erreicht werden kann (BFH, Beschlüsse vom 1.10.1998 VII B 1/98, BFH/NV 1999, 738 Rn 13 und vom 18.3.2015 VI B 87/14, BFH/NV 2015, 954 Rn. 5). Im vorliegenden Fall betreffen die Streitigkeiten ‒ wie bereits ausgeführt ‒ die Entstehung des Anspruchs auf Säumniszuschläge, also gemäß § 218 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz AO die Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestands von § 240 AO. Für diese Konstellation folgt aus § 119 Abs. 1 AO, dass die Säumniszuschläge gemäß § 240 Abs. 1 Satz 1 AO im Abrechnungsbescheid nach Art, Zeitraum und Betrag aufgeführt werden und zwar bezogen auf jede einzelne Steuerschuld getrennt; es genügt nicht, wenn die Säumniszuschläge vom Gesamtbetrag der Steuerforderungen berechnet werden (BFH, Urteile vom 1.8.1979 VII R 115/76, BStBl II 1979, 714 und vom 19.3.2019 VII R 27/17, BStBl II 2020, 31 Rn. 16; Alber in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 218 AO Rn. 55 [März 2010]; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 218 AO, Rn. 26 [Februar 2019]; Szymczak in AO-eKommentar, § 119 Rn. 7.2 [November 2019]). § 240 Abs. 1 Satz 1 AO ist hier allerdings nicht unmittelbar einschlägig, da es nicht um die verspätete Entrichtung einer „Steuer“ im Sinne des § 3 Abs. 1 AO geht; die Klägerin hat zurückgefordertes Kindergeld nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages gezahlt. Grundlage für den Abrechnungsbescheid können nur Säumniszuschläge gemäß § 240 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Satz 1 AO sein. Nach dieser Norm gilt für „zurückzuzahlende Steuervergütungen“ das Gleiche wie in Satz 1.

    34

    b) Die Voraussetzungen von § 240 Abs. 1 Satz 2 AO haben im Streitfall vorgelegen.

    35

    aa) Am 15.1.2015 schuldete die Klägerin der Bundesagentur 18 zurückzuzahlende Steuervergütungen.

    36

    Das monatlich gezahlte Kindergeld nach dem EStG ist gemäß § 31 Satz 3 EStG eine Steuervergütung. Die Klägerin hatte für ihren am ....1984 geborenen Sohn Z für Januar 2013 bis Juni 2014 monatlich Kindergeld, mithin 18 Steuervergütungen, in Höhe von jeweils 184 € erhalten (§ 66 Abs. 1 Satz 1 EStG in der Fassung von Art. 1 Nr. 7 des Gesetzes vom 22.12.2009, BGBl I S. 3950).

    37

    Durch den Bescheid vom 12.12.2014 hob die Familienkasse NRW West die bisherige Kindergeldfestsetzung rückwirkend für Januar 2013 bis Juni 2014 auf und verlangte unter der Überschrift „Rückforderung“ von der Klägerin, das infolge der Aufhebung überzahlte Kindergeld für Januar 2013 bis Juni 2014 in Höhe von 3.312 € nach § 37 Abs. 2 AO zu erstatten. Bei diesem Betrag handelt es sich lediglich um eine rechnerische Zusammenfassung. Der Anspruch aus § 37 Abs. 2 AO entsteht unter anderem, wenn „eine Steuervergütung“ ohne rechtlichen Grund gezahlt worden ist oder ‒ wie hier ‒ der rechtliche Grund für die Zahlung später wegfällt. Für jede Steuervergütung ergibt sich sonach ein eigener Rückforderungsanspruch des Steuerberechtigten (zur Terminologie vgl. Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 37 AO Rn. 4, 21 [Stand Februar 2020]; Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 37 AO, Rn. 10, 109 [Stand Januar 2014]). Sind mehrere Ansprüche aus einem Steuerschuldverhältnis betroffen, wie z. B. mehrere Rückforderungsansprüche, ist für den Verwaltungsakt gemäß § 118 Satz 1 AO eine gesonderte Regelung für jeden Anspruch erforderlich, diese Regelungen können in einem sog. Sammelbescheid zusammengefasst werden (Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 118 AO, Rn. 199 und 532 [Stand November 2013]). In dem Bescheid vom 12.12.2014 wurden mithin die 18 Steuervergütungen von der Klägerin zu je 184 € von der Klägerin zurückgefordert, und aus deren Addition ergab sich zusammengefasst die Summe von 3.312 €.

    38

    bb) Für die 18 zurückzuzahlenden Steuervergütungen gilt nach § 240 Abs. 1 Satz 2 AO das Gleiche wie in § 240 Abs. 1 Satz 1 AO. Dabei ist § 240 Abs. 1 Satz 1 AO allerdings wie folgt zu lesen: Wird eine zurückzuzahlende Steuervergütung nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet, ist für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1 Prozent des abgerundeten rückständigen Betrags der zurückzuzahlenden Steuervergütung zu entrichten; abzurunden ist auf den nächsten durch 50 € teilbaren Betrag. Das erkennende Gericht folgt damit der einhelligen Auffassung im Schrifttum (Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 240 AO Rn. 37 [Oktober 2019]; Koenig in Koenig, AO, 3. Auflage 2014, § 240 Rn. 39; Oosterkamp in Pfirrmann/Rosenke/Wagner, BeckOK AO, § 240 Rn. 30; vgl. ferner Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 240 AO Rn. 77 [Februar 2015] und Kögel in Gosch, AO/FGO, § 240 AO Rn. 65 [August 2009], sowie App, DStZ 1988, 118 für den in den „Haftungsschulden“ enthaltenen einzelnen Haftungsbetrag). Rechtsprechung der Finanzgerichte oder des BFH zu dieser Frage existiert bisher ‒ soweit feststellbar ‒ nicht.

    39

    Der Auslegung der beklagten Familienkasse, die den im Plural gefassten Text des § 240 Abs. 1 Satz 2 AO („zurückzuzahlende Steuervergütungen“) unverändert in § 240 Abs. 1 Satz 1 AO hineinlesen will, berücksichtigt nicht, dass das schon sprachlich nicht möglich ist, weil die Regelung in § 240 Abs. 1 Satz 1 AO im Singular gehalten ist („Wird „eine Steuer […] nicht entrichtet“). In der Sache käme es zu einer Ungleichbehandlung zu der vergleichbaren Situation, wenn mehrere Steuern rückständig sind. Während bei den zurückzuzahlenden Steuervergütungen für die Berechnung der Säumniszuschläge nur deren Summe auf den nächsten durch 50 Euro teilbaren Betrag abgerundet würde, wäre bei den Steuern stets jede einzelne entsprechend abzurunden. Auf die Abrundung besteht ein Rechtsanspruch (Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 240 AO Rn. 47 [Oktober 2019]). Die Schuldner von mehreren zurückzuzahlenden Steuervergütungen würden dadurch mit höheren Säumniszuschlägen belastet als die Schuldner mehrerer gleich hoher Steuern. Im Streitfall hatte die Klägerin das Kindergeld für 18 einzelne Monate in Höhe von jeweils 184 € zurückzuzahlen. Die vom erkennenden Gericht favorisierte Auslegung ergibt, dass das zurückzuzahlende Kindergeld für jeden einzelnen Monat auf den nächsten durch 50 € teilbaren Betrag, also auf 150 € abzurunden ist. Für jeden angefangenen Monat der Säumnis ist ein Säumniszuschlag von 1 Prozent, also jeweils 1,50 €, zu entrichten. Die Säumniszuschläge für 18 Monate zurückzuzahlendes Kindergeld betragen zusammen 27 € für den ersten angefangenen Monat der Säumnis. Die beklagte Familienkasse kommt ausgehend von der Summe des zurückzuzahlenden Kindesgelds (3.312 €) nur zu einer Abrundung auf 3.300 € und einem Säumniszuschlag von 33 € für den ersten angefangenen Monat. Das bedeutet im Streitfall eine höhere Belastung der Klägerin um 22%. Ein Grund für diese ungleiche Behandlung ist nicht ersichtlich, nach § 240 Abs. 1 Satz 2 AO gilt ausdrücklich „[d]as Gleiche“.

    40

    Zu einer weiteren Ungleichbehandlung kommt es bei der Auslegung durch die beklagte Familienkasse innerhalb der Gruppe der Schuldner von zurückzuzahlenden Steuervergütungen. Denn je mehr Steuervergütungen zurückzuzahlen sind, umso kleiner wird der Vorteil aus der vom Gesetz in § 240 Abs. 1 Satz 1 AO vorgeschriebenen Abrundung auf den nächsten durch 50 Euro teilbaren Betrag.

    41

    Schließlich muss die beklagte Familienkasse sich fragen lassen, wie sie es bei ihrer Auslegung von § 240 Abs. 1 Satz 2 AO rechtfertigt, einen Säumniszuschlag zu erheben, wenn nur ein Monat zurückzuzahlendes Kindergeld nicht entrichtet wird. Denn bei strenger Auslegung der Vorschrift lägen dann „zurückzuzahlende Steuervergütungen“ nicht vor. Das erkennende Gericht kann auch auf diesen Fall § 240 Abs. 1 Satz 1 mit Satz 2 AO ohne Weiteres anwenden. Nach seiner Auffassung enthält die Formulierung in § 240 Abs. 1 Satz 2 AO vor dem Hintergrund des § 240 Abs. 1 Satz 1 AO ein Redaktionsversehen. Sie ist berichtigend so auszulegen, als stünde dort: „Das Gleiche gilt für eine zurückzuzahlende Steuervergütung“. So beginnt auch § 240 Abs. 1 Satz 4 AO mit den Worten: „Wird die Festsetzung einer Steuer oder Steuervergütung“ aufgehoben“ (vgl. dazu Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 240 AO Rn. 18 [Stand Oktober 2019]).

    42

    cc) Da die Säumniszuschläge für zurückzuzahlende Steuervergütungen gemäß § 240 Abs. 1 Satz 2 AO den gleichen Regeln unterliegen wie Säumniszuschlage für eine Steuer nach § 240 Abs. 1 Satz 1 AO, ist auch die oben unter 2 a bereits dargestellte Auslegung von § 119 Abs. 1 AO für die hinreichende inhaltliche Bestimmtheit von Abrechnungsbescheiden (§ 218 Abs. 2 Satz 1 AO) entsprechend anwendbar. Auch die Säumniszuschläge gemäß § 240 Abs. 1 Satz 2 AO müssen deshalb im Abrechnungsbescheid nach Art, Zeitraum und Betrag aufgeführt werden und zwar bezogen auf jede zurückzuzahlende Steuervergütung getrennt; es genügt nicht, wenn die Säumniszuschläge vom Gesamtbetrag der zurückzuzahlenden Steuervergütungen berechnet werden.

    43

    dd) Die rechtliche Selbständigkeit der einzelnen Rückzahlungsansprüche für die jeweilige Steuervergütung spielt für die hinreichende inhaltliche Bestimmtheit (§ 119 Abs. 1 AO) des Abrechnungsbescheids im Streitfall auch deshalb eine Rolle, weil die Klägerin nach der Fälligkeit Zahlungen geleistet hat, nämlich am 20.4.2015 und am 20.5.2015 jeweils 250 € sowie am 20.6.2015 nochmals 52 €.

    44

    Der Anspruch auf Rückforderung einer Steuervergütung gehört gemäß § 37 Abs. 1 AO zu den Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis, die gemäß § 47 AO unter anderem durch Zahlung (§§ 224, 224a, 225 AO) erlöschen. Schuldet ein Steuerpflichtiger mehrere Beträge und reicht bei freiwilliger Zahlung der gezahlte Betrag ‒ wie hier ‒ nicht zur Tilgung sämtlicher Schulden aus, so wird gemäß § 225 Abs. 1 AO die Schuld getilgt, die der Steuerpflichtige bei der Zahlung bestimmt. Trifft der Steuerpflichtige keine Bestimmung, gilt für die Tilgung die differenzierte Regelung des § 225 Abs. 2 AO, wonach es auf die Art der Schuld und bei gleicher Art der Schuld auf die Fälligkeit ankommt, bei gleichzeitig fällig gewordenen Beträgen bestimmt die Finanzbehörde die Reihenfolge der Tilgung. Mit Rücksicht darauf, dass die AO die Steuervergütungen an verschiedenen Stellen den Steuern gleichstellt (vgl. §§ 155 Abs. 5, 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, 170 Abs. 3, 236 Abs. 1 Satz 1, 237 Abs. 1 Satz 1, 240 Abs. 1 Satz 2 AO), ist auch § 225 Abs. 2 Satz 1 AO analog auf zurückzuzahlende Steuervergütungen (Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 225 AO Rn. 14 [Februar 2019]) anzuwenden.

    45

    Da hier alle zurückzuzahlenden Steuervergütungen gleichzeitig ‒ am 15.1.2015 ‒ fällig geworden waren, hätte die Finanzbehörde bei Eingang der Zahlungen gemäß § 225 Abs. 2 Satz 2 AO jeweils bestimmen müssen, welche zurückzuzahlende Steuervergütung ganz bzw. teilweise getilgt wird. Eine Tilgung vermindert die zukünftigen Säumniszuschläge, weil es nach § 240 Abs. 1 Satz 1 AO immer auf die aktuelle Höhe des „rückständigen Steuerbetrags“ ankommt (Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 240 AO Rn. 77 [Stand Februar 2015]) bzw. hier auf den jeweils rückständigen Betrag der zurückzuzahlenden Steuervergütung. Ggf. ist eine neue Abrundung auf den nächsten durch 50 Euro teilbaren Betrag vorzunehmen (§ 240 Abs. 1 Satz 1 AO).

    46

    Mit § 225 Abs. 2 Satz 2 AO ist es nicht vereinbar, dass der Inkasso-Service seinerzeit im Ergebnis nur die Gesamtsumme von ursprünglich 3.312 € um 552 € auf 2.760 € gemindert und lediglich diesen Betrag auf 2.750 € abgerundet hat, so dass sich ein Säumniszuschlag von 27,50 € für jeden weiteren Monat ergab. Da die 552 € ausreichen, um drei zurückzahlende Steuervergütungen in Höhe von je 184 € vollständig zu tilgen (§ 47 AO), gab es nach dem 20.6.2015 höchstens noch 15 zurückzuzahlende Steuervergütungen zu je 184 €, die einzeln auf 150 € abrunden waren. 15 Säumniszuschläge zu je 1,50 € ergeben rechnerisch zusammen 22,50 € für einen Monat. Es ist aber von der Finanzbehörde jedenfalls nicht entschieden worden, welche der 18 Kindergeldmonate Januar 2013 bis Juni 2014 getilgt bzw. welche ab dem 20.6.2015 weiter rückständig waren.

    47

    c) Zusammengefasst erfüllt der Abrechnungsbescheid vom 15.9.2017 auch in der Gestalt, die er durch die Einspruchsentscheidung vom 14.11.2017 gefunden hat (§ 44 Abs. 2 FGO), nicht die vorstehend dargestellten Anforderungen an die hinreichende inhaltliche Bestimmtheit (§ 119 Abs. 1 AO) eines Abrechnungsbescheids (§ 218 Abs. 2 Satz 1 AO) über Säumniszuschläge nach § 240 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Satz 1 AO.

    48

    3. Dem erkennenden Gericht ist bewusst, dass die Klägerin bezogen auf die einzelne zurückzuzahlende Steuervergütung nach § 240 Abs. 1 Satz 1 und 2 AO Säumniszuschläge zu entrichten hat, wenn auch nicht in der im Abrechnungsbescheid festgestellten Höhe von 401,50 €.

    49

    a) Die Einwendungen der Klägerin greifen in der Sache nicht durch.

    50

    Die Rückforderungsansprüche aus dem Bescheid vom 12.12.2014 sind durch die Ratenzahlungsvereinbarung vom 2.4.2015 nicht gemäß § 222 Satz 1 AO gestundet worden. Das hat der Inkasso-Service der Klägerin seinerzeit mitgeteilt und ausdrücklich geschrieben, die Forderung bleibe fällig und durchsetzbar und Säumniszuschläge würden weiterhin anfallen. Es handelt sich um einen Vollstreckungsaufschub gemäß § 258 AO.

    51

    Der Bescheid vom 12.12.2014 wurde zwar wegen der Rückforderung des Kindergelds für August 2013 bis Juni 2014 durch den Bescheid vom 1.6.2017 der Sache nach aufgehoben, nach § 240 Abs. 1 Satz 4 AO bleiben aber die bis dahin verwirkten Säumniszuschläge unberührt. Über einen Erlass dieser Säumniszuschläge aus Billigkeitsgründen (§ 227 AO) wegen der im Verwaltungsverfahren von der Familienkasse NRW West zu Unrecht abgelehnten Aussetzung der Vollziehung (§ 361 Abs. 2 Satz 2 AO, § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO) ist im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden. Hinsichtlich der Rückforderung des Kindergelds für Januar 2013 bis Juli 2013 ist der Bescheid vom 12.12.2014 infolge der teilweisen Rücknahme der Klage im Verfahren 14 K 2907/15 sogar bestandskräftig geworden.

    52

    b) Trotzdem muss das Gericht den Abrechnungsbescheid und die Einspruchsentscheidung in vollem Umfang aufheben. Die nach § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO mögliche teilweise Aufhebung eines Verwaltungsakts, „soweit“ dieser rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, kommt nur dann in Betracht, wenn der Verwaltungsakt teilbar ist (BFH, Urteile vom 25.1.1989 X R 158/87, BStBl II 1989, 483 Rn. 53 und vom 8.2.1989 II R 85/86, BStBl II 1990, 587 Rn. 17, Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 100 FGO Rn. 22 [Februar 2019]; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 100 FGO, Rn. 53 [Stand Oktober 2019]) und zumindest ein rechtmäßiger Teil vorhanden ist. Für die teilweise Aufrechterhaltung des Abrechnungsbescheids reicht es nicht aus, dass die Klägerin „irgendwelche“ Säumniszuschläge zu entrichten hat. Das Gericht müsste zu dem Ergebnis kommen, dass gerade von den im Abrechnungsbescheid festgestellten Säumniszuschlägen zu je 33 € bzw. den elf Säumniszuschlägen zu je 27,50 € jedenfalls Teilbeträge nach § 240 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Satz 2 AO wirklich entstanden sind. Das ist aber nicht der Fall. Von diesen nach der Summe der zurückzuzahlenden Steuervergütungen berechneten Säumniszuschlägen ist keiner gerechtfertigt. Säumniszuschläge zu einzelnen zurückzuzahlenden Steuervergütungen sind ‒ ausgehend von der abweichenden Rechtsauffassung der beklagten Familienkasse ‒ nicht festgestellt worden.

    53

    B)

    54

    I. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 151 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 FGO, § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

    55

    II. Die Zulassung der Revision beruht auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 AO. Die Auslegung von § 240 Abs. 1 Satz 2 AO hinsichtlich der Säumniszuschläge für zurückzuzahlende Steuervergütungen hat nach Auffassung des erkennenden Gerichts grundsätzliche Bedeutung.