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  • 01.04.2022 · IWW-Abrufnummer 228464

    Finanzgericht Rheinland-Pfalz: Urteil vom 06.07.2021 – 5 K 1714/20

    Bei einem mittels E-Mail gestellten Kindergeldantrag ist dieser wirksam, wenn er ausreichende Angaben enthält, um der Familienkasse eine Ermittlung der Kinder, für die das Kindergeld beantragt wird, zu ermöglichen.


    Finanzgericht Rheinland-Pfalz

    Urteil vom 06.07.2021


    In dem Finanzrechtsstreit
    der Frau
    - Klägerin -
    prozessbevollmächtigt:
    gegen
    die Familienkasse
    - Beklagte -
    prozessbevollmächtigt:

    wegen Kindergeld

    hat das Finanzgericht Rheinland-Pfalz - 5. Senat - ohne mündliche Verhandlung am 6. Juli 2021 durch die Richterin am Finanzgericht xxx als Einzelrichterin für Recht erkannt:

    Tenor:

    I.
    Der Bescheid vom 31.03.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29.06.2020 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, an die Klägerin Kindergeld für ihre Kinder L.M., geboren am ... 2004, und K.M., geboren am ... 2006, für den Zeitraum Mai 2018 bis einschließlich April 2019 zu zahlen.

    II.
    Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.

    III.
    Das Urteil ist wegen der Kosten zugunsten der Klägerin vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

    Tatbestand

    Die Parteien streiten darüber, ob in der E-Mail der Klägerin vom 16.07.2019 ein Kindergeldantrag im Sinne des § 67 EStG zu sehen ist.

    Die Klägerin ist die Mutter der Kinder L. (geboren am ... 2004) und K. (geboren am ... 2006). Mit E-Mail vom 16.07.2019 (Bl. 1 Kindergeldakte) schrieb sie unter dem Betreff "Kindergeld KG52..... - kein Zahlungseingang seit Mai 2018" folgendes:

    "Sehr geehrte Damen und Herren,

    leider habe ich seit Mai 2018 kein Kindergeld mehr erhalten. Könnten Sie mir bitte mitteilen, warum dies eingestellt wurde und wann ich damit rechnen kann. Die Gutschrift erfolgte letztmals am 09.04.2018, siehe unten.

    10.01.2018

    GUTSCHRIFT PN:931

    388,00 H

    Bundesagentur fuer Arbeit - Familienkasse

    KG52....

    .........

    0118

    48030584897/3000009997319

    EREF:48030584897

    08.02. 08.02.2018

    GUTSCHRIFT PN:931 388,00 H

    Bundesagentur fuer Arbeit - Familienkasse

    KG52....

    ........

    0218

    62030618518/3000009997319

    EREF:62030618518

    08.03 08.03.2018

    GUTSCHRIFT PN:931 388,00 H

    Bundesagentur fuer Arbeit - Familienkasse

    KG52....

    ...........

    0318

    74031900354/3000009997319

    EREF: 74031900354

    09.04.2018 09.04 GUTSCHRIFT PN:931 388,00 H

    Bundesagentur fuer Arbeit - Familienkasse

    KG52....

    ..........

    0418

    20030757627/3000009997319

    EREF: 20030757627

    Ab Mai 2018 kein Zahlungseingang mehr.

    Mit der Bitte um Begleichung der offenen Zahlungen,

    mit freundlichen Grüßen

    S...... M....

    ....

    Straße

    PLZ ... Ort

    Phone: ..........."

    Auf die Erinnerungsmail der Klägerin vom 30.07.2019 (Bl. 5 Kindergeldakte) teilte die Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 01.08.2019 mit (Bl. 3 Kindergeldakte), dass die Kinder nicht mehr im Haushalt des bisherigen Kindergeldberechtigten leben würden, daher sei das Kindergeld in der dortigen Akte aufgehoben worden. Da die Kinder im Haushalt der Klägerin lebten, sei ein Antrag von ihr zu stellen. Über ihren Anspruch auf Kindergeld könne noch nicht bzw. noch nicht endgültig entschieden werden, weil noch die Vorlage eines Antrags auf Kindergeld erforderlich sei. Es seien die "Anlage Kind" zum Antrag auf Kindergeld für L. und K. auszufüllen. Für jedes Kind, für das sie Kindergeld beanspruche, sei eine "Anlage Kind" zum Antrag auf Kindergeld erforderlich. Des Weiteren sei ein Nachweis über die Haushaltsaufnahme für die Kinder L. und K. zu erbringen. Sofern eine Antwort bis zum 29.08.2019 nicht erfolge, müsse der Antrag auf Kindergeld ab Mai 2018 abgelehnt werden.

    Die Klägerin übersandte hierauf mit Schreiben vom 22.08.2019 eine Vollmacht, wonach sie die Kanzlei X bevollmächtige, sie in Kindergeldangelegenheiten gegenüber der Familienkasse zu vertreten (Bl. 7 Kindergeldakte). Weitere Unterlagen übersandte sie nicht.

    Mit Kindergeldbescheid vom 10.09.2019 erging die folgende Entscheidung der Beklagten (Bl. 8 Kindergeldakte):

    "Ihr formloser Antrag auf Kindergeld vom 16.07.2019 für die Kinder L., geboren am ... 2004 und K., geboren am ... 2006 wird ab dem Monat Mai 2018 abgelehnt".

    Zur Begründung wurde angeführt, dass die Klägerin zur Feststellung des Kindergeldanspruchs zuletzt mit Schreiben vom 01.08.2019 darum gebeten worden sei, Antragsformulare und die Vordrucke "Anlage Kind" sowie einen Nachweis über die Haushaltsaufnahme der Kinder vorzulegen. Die für die Entscheidung über den Kindergeldanspruch notwendigen Unterlagen seien bisher nicht eingereicht worden. Es könne daher nicht festgestellt werden, ob ein Anspruch auf Kindergeld bestehe.

    Mit hiergegen mit Schreiben vom 09.10.2019 eingelegten Einspruch machte der anwaltliche Vertreter der Klägerin geltend, dass bei dieser Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich oder die im Zusammenhang mit einer Leistungserklärung abzugeben seien, nicht eingetreten seien (Bl. 12 Kindergeldakte). Die beiden Kinder der Klägerin lebten seit jeher in ihrem Haushalt. Eine Änderung der Bezugsberechtigung habe sich nie ergeben. Die bislang zurückgehaltenen Kindergeldzahlungen seien ab März 2018 kurzfristig nachzuholen.

    Mit E-Mail vom 14.11.2019 (Bl. 31 Kindergeldakte) reichte der anwaltliche Vertreter der Klägerin eine erweiterte Meldebescheinigung der Klägerin der Stadt L. vom 07.11.2019 (Bl. 33 Kindergeldakte), eine Haushaltsbescheinigung (Bl. 37 Kindergeldakte) sowie das Formular "Antrag auf Kindergeld" vom 07.11.2019 ein (Bl. 38 Kindergeldakte). Auf Nachfrage der Beklagten vom 21.11.2019 (Bl. 40 Kindergeldakte) reichte die Klägerin darüber hinaus mit anwaltlichem Schreiben vom 12.12.2019 noch das Formular "Anlage Kind" für L. (Bl. 44 Kindergeldakte) und K. (Bl. 47 Kindergeldakte) ein.

    Mit Kindergeldbescheid vom 17.12.2019 (Bl. 50 Kindergeldakte) änderte die Beklagte den Bescheid vom 10.09.2019 nach § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Buchst. a AO dahingehend, dass für L. und K. ab dem Monat Mai 2018 bis einschließlich Juni 2019 das Kindergeld in Höhe von EUR 194 und ab Juli 2019 in Höhe von EUR 204 monatlich festgesetzt wurde, wobei bzgl. L. die Festsetzung bis Juni 2022 und bzgl. K. die Festsetzung bis Februar 2024 erfolgte. Dem Einspruch vom 11.10.2019 sei damit in vollem Umfang entsprochen worden. Es ergebe sich eine Nachzahlung für L. und K. für den Zeitraum Mai 2019 bis Dezember 2019. Auf Grund der gesetzlichen Änderung nach § 70 Abs. 1 S. 2 EStG könnten jedoch Anträge, die nach dem 18.07.2019 eingegangen seien, unabhängig vom festgesetzten Zeitraum rückwirkend nur noch zu einer Nachzahlung für die letzten sechs Kalendermonate vor dem Eingang des Antrages bei der Familienkasse führen. Der Anspruch auf Kindergeld nach § 62 bleibe von dieser Auszahlungsbeschränkung unberührt.

    Hiergegen erhob die Klägerin über ihren anwaltlichen Vertreter am 20.01.2020 Einspruch (Bl. 57 Kindergeldakte). Eine weitere Begründung wurde nicht abgegeben. Eine Einspruchsentscheidung zu diesem Einspruch hat die Beklagte nach Aktenlage bislang nicht getroffen.

    Mit weiterem Bescheid vom 31.03.2020 (Bl. 67 Kindergeldakte) teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass auf Grund der gesetzlichen Änderung nach § 70 Abs. 1 S. 2 EStG Anträge, die nach dem 18.07.2019 eingegangen seien, unabhängig vom festgesetzten Zeitraum rückwirkend nur noch zu einer Nachzahlung für die letzten sechs Kalendermonate vor dem Eingang des Antrages bei der Familienkasse führen könnten. Der Anspruch auf Kindergeld nach § 62 EStG bliebe von dieser Auszahlungsbeschränkung unberührt. Der Antrag der Klägerin auf Kindergeld sei mit der erforderlichen Unterschrift am 14.11.2019 bei der Familienkasse eingegangen. Somit sei eine Auszahlung des Kindergeldes für den Zeitraum Mai 2018 bis April 2019 nicht möglich. Das Schreiben enthält eine Rechtsbehelfsbelehrung.

    Hiergegen erhob der anwaltliche Vertreter am 07.05.2020 Einspruch (Bl. 72 Kindergeldakte). Der Bescheid vom 31.03.2020 sei am 08.04.2020 zugegangen. Eine gesonderte Begründung wurde nicht eingereicht.

    Mit Einspruchsentscheidung vom 29.06.2020 wurde der Einspruch gegen den Bescheid vom 31.03.2020 als unbegründet zurückgewiesen (Bl. 74 Kindergeldakte). Die Begründung entspricht der des Bescheides vom 31.03.2020.

    Mit der hiergegen am 03.08.2020 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihren Anspruch weiter. Zur Begründung führt der Prozessbevollmächtigte aus, dass die Beklagte mit Schreiben vom 10.09.2019 bestätigt habe, dass ein formloser Antrag auf Zahlung von Kindergeld für die Kinder L. und K. am 16.07.2019 bei ihr eingegangen sei. Für diesen Antrag gelte daher die gesetzliche Neufassung des § 70 Abs. 1 S. 2 EStG nicht, wonach rückwirkende Zahlungen nur noch für die letzten sechs Kalendermonate nach Eingang des Antrages möglich seien. Der Klägerin sei daher für den Zeitraum Mai 2018 bis April 2019 Kindergeld zu gewähren.

    Zwar sehe § 67 Abs. 1 S. 1 EStG die Stellung eines schriftlichen Antrages vor. Mit ihrer E-Mail vom 16.07.2019 habe die Klägerin jedoch einen schriftlichen Antrag gestellt. Eine zwingende Unterzeichnung durch Unterschrift zur Einhaltung der Schriftform sei nicht erforderlich. Es solle nach § 67 Abs. 1 S. 1 EStG lediglich ausgeschlossen werden, dass eine mündliche Antragstellung erfolge. Das Erfordernis einer eigenhändigen Unterschrift sei dem Gesetz nicht zu entnehmen. Eine ausreichende Konkretisierung und Individualisierung auf den Antragsteller sei durch die E-Mail-Adresse und die Verwendung der Kindergeldnummer möglich.

    Die Klägerin beantragt (sinngemäß),

    den Bescheid vom 31.03.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29.06.2020 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, für ihre Kinder L., geboren am ... 2004, und K., geboren am ... 2006, Kindergeld für den Zeitraum von Mai 2018 bis einschließlich April 2019 auszuzahlen.

    Die Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Mit Bescheid vom 31.03.2020 sei die Auszahlung des ab Mai 2018 festgesetzten Kindergeldes für die Kinder K. und L. auf den Zeitraum ab Mai 2019 beschränkt worden. Die Beklagte müsse aus Gründen der Rechtssicherheit erkennen können, für welches Kind der Antragsteller Kindergeld begehre. Deshalb müsse der Kindergeldantrag erkennen lassen, dass und für welches Kind der Antragsteller Kindergeld begehre. Im Antrag müssten neben der Person des Antragstellers auch die Kinder, für die Kindergeld begehrt werde, namentlich benannt werden. Dies gelte auch dann, wenn die Klägerin, wie im Streitfall, für alle Kinder Kindergeld begehre.

    Die Klägerin habe erstmals mit ihrer Sachstandsanfrage vom 16.07.2019 Kindergeld beansprucht. Bis zum Jahr 2018 hätte der Ehegatte, Herr T.M., Kindergeld erhalten. Bei Eingang der Sachstandsanfrage vom 16.07.2019 habe die Familienkasse keine Kenntnis von der Anzahl der Kinder der Klägerin gehabt, für die diese Kindergeld begehrt habe. Da die Klägerin bislang kindergeldrechtlich nicht geführt worden sei, habe die Familienkasse auch nicht auf andere, außerhalb der auszulegenden Sachstandsanfrage liegende Umstände zurückgreifen können. Die Angaben in der E-Mail vom 16.07.2019 erfüllten deshalb die Anforderungen an einen Kindergeldantrag nicht. Im Übrigen diene die Unterschrift der Klägerin und des Ehegatten der Berechtigtenbestimmung und liege im Aufklärungsinteresse der Familienkasse, weil sie einen weiteren Antrag durch den Ehegatten ausschließe. Es sei daher auf den Antrag vom 14.11.2019 abzustellen, so dass § 70 Abs. 1 S. 2 EStG anwendbar sei.

    Mit Schriftsatz vom 20.11.2020 (Bl. 33 Gerichtsakte) verweist der Prozessbevollmächtigte darauf, dass im Betreff der E-Mail der Klägerin vom 16.07.2019 die Kindergeldnummer KG52....... genannt sei, ferner, dass kein Zahlungseingang seit Mai 2018 erfolgt sei. Des Weiteren habe die Klägerin für die Monate Januar, Februar, März und April 2018 noch die Zahlungseingänge für zwei Kinder (EUR 388 je Kalendermonat) unter der Kindergeldnummer aufgeführt. Es sei damit erkennbar, dass der Zahlungsantrag für beide Kinder zu stellen sei.

    Es ergebe sich eindeutig, dass es sich um einen auf beide Kinder beziehenden Antrag handele, dies auch vor dem Hintergrund, dass in der Vergangenheit keine getrennte Beantragung und auch keine getrennte Zahlung des Kindergeldes an zwei Elternteile erfolgt sei. Es wäre für den zuständigen Sachbearbeiter ein leichtes gewesen, sich anhand der Kindergeldnummer über die Umstände zu informieren.

    Mit weiterem Schriftsatz vom 29.01.2021 teilt der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit, dass die Antragstellung nach § 67 EStG auch per einfacher E-Mail möglich sei, sofern diese den Absender zweifelsfrei erkennen lasse (Bl. 43 Gerichtsakte). Zwar treffe es zu, dass in der besagten E-Mail die Namen der beiden Kinder nicht ausdrücklich genannt worden seien, jedoch sei die Mail ausreichend individualisiert und eindeutig der Klägerin zuzuordnen.

    Die Beklagte wiederholte auf richterlichen Hinweis vom 07.04.2021 (Bl. 48 Gerichtsakte) mit Schreiben vom 05.05.2021 (Bl. 52 Gerichtsakte), dass eine Abhilfe nicht möglich sei. Nach § 67 S. 1 EStG sei der Antrag auf Kindergeld schriftlich zu stellen. Schriftlichkeit setze nach allgemeinen Grundsätzen eine eigenhändige Unterschrift des Antragstellers voraus. Ein mittels Mail übersandter Antrag erfülle nicht das geforderte Unterschriftsformerfordernis. Die Schriftform solle gewährleisten, dass der Inhalt der Erklärung und die erklärende Person hinreichend zuverlässig festgestellt werden könnten. Des Weiteren solle das aus dem Schriftformerfordernis abgeleitete Gebot der Unterschrift des Erklärenden sicherstellen, dass das Schriftstück mit Wissen und Wollen des Erklärenden unverändert übersandt worden sei.

    Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin trug mit Schreiben vom 18.05.2021 ergänzend vor (Bl. 55 Gerichtsakte), dass die Beklagte selbst auf die Erinnerungsmail der Klägerin vom 30.07.2019, die an die hierfür vorgehaltene und auf der Homepage der Arbeitsagentur hinterlegte E-Mail-Adresse familienkasse-rheinland-pfalz-saarland@arbeitsagentur.de mit der Übermittlung ihres Antrags am 01.08.2019 an die Klägerin reagiert habe. In dem Antrag sei bereits die vollständige Kindergeldnummer hinterlegt worden, ferner seien weitere Anlagen für Kinder beigefügt worden. Daher habe eine Zuordnung ohne größere Anstrengungen erfolgen können. Das Argument, es sei lediglich durch ein unterzeichnetes Schreiben möglich zu gewährleisten, die erklärende Person hinreichend zuverlässig feststellen zu können, gehe damit ins Leere. Das Abstellen auf eine Unterschrift des Antragstellers finde im Gesetz keine Stütze. § 87a Abs. 1 AO lasse die Kommunikation per E-Mail ausdrücklich zu.

    Die Beklagte erklärte mit Schreiben vom 16.06.2021, dass auch bei der Online-Antragstellung ausdrücklich darauf hingewiesen werde, dass der Kindergeldantrag schriftlich mit einer Unterschrift erfolgen müsse (Bl. 76 Gerichtsakte).

    Mit Beschluss vom 02.07.2021 wurde der Rechtsstreit gemäß § 6 Abs. 1 FGO der Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen (Bl. 80 Gerichtsakte).

    Die Parteien haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet (Bl. 40, 44 Gerichtsakte).

    Entscheidungsgründe
    Die Klage, über die das Gericht im Einverständnis der Beteiligten nach § 90 Abs. 2 FGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist begründet. Der Bescheid vom 31.03.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29.06.2020 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten und ist daher aufzuheben (§ 101 FGO).

    1. Die E-Mail der Klägerin vom 16.07.2019 stellt einen wirksamen Antrag auf die Festsetzung von Kindergeld für die Kinder L. und K. dar.

    Nach § 67 S. 1 EStG ist das Kindergeld bei der zuständigen Familienkasse schriftlich zu beantragen. Es entspricht höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass es bei der Stellung des Kindergeldantrags der Verwendung des amtlichen Vordrucks nicht bedarf (BFH-Beschluss vom 25.08.2009 III B 136/08, juris).

    Als außerprozessuale empfangsbedürftige Verfahrenserklärung ist ein Kindergeldantrag entsprechend §§ 133, 157 BGB auszulegen, sofern er auslegungsbedürftig ist. Hiernach ist entscheidend, wie die Erklärungsempfängerin einen Antrag nach seinem objektiven Erklärungswert verstehen musste. Dabei kann auch auf Umstände zurückgegriffen werden, die außerhalb der auszulegenden Erklärung liegen und einen Rückschluss auf den vom Antragsteller erklärten Willen erlauben (BFH-Urteil vom 09.02.2012 III R 45/10, BFHE 236, 413, BStBl II 2013, 1028).

    Als Mindestinhalt müssen in einem Kindergeldantrag nach einer Entscheidung des Finanzgerichts Niedersachsen die Person des Antragstellers und die Kinder, für die Kindergeld begehrt wird, namentlich bezeichnet werden (Finanzgericht Niedersachsen, Urteil vom 13.09.2012 15 K 249/11, EFG 2012, 2290). Auch in der Literatur wird übereinstimmend die Ansicht vertreten, dass erkennbar sein muss, für welches ganz bestimmte Kind ein Kindergeldanspruch geltend gemacht wird (Wendl in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 67 EStG Rz 2; Blümich/Selder, 155. EL November 2020, EStG § 67 Rz. 11; Felix in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 67 Rz B 16). Nur insoweit habe der Antrag Gültigkeit.

    Abweichend von dem durch das Finanzgericht Niedersachsen zu entscheidenden Fall hat die Klägerin mit ihrer E-Mail vom 16.07.2019 auf die bereits bestehende Kindergeldnummer KG52....... Bezug genommen. Des Weiteren hat sie Kindergeldgutschriften vom 10.01.2018, 08.02.2018, 08.03.2018 und 09.04.2018 über jeweils EUR 388 aufgelistet, woraus sich eindeutig ergibt, dass das Kindergeld in der Vergangenheit für zwei Kinder gezahlt wurde. Darüber hinaus hat sie erklärt, dass sie seit Mai 2018 kein Kindergeld mehr erhalten habe. Im Übrigen hat sie in der E-Mail ihren Namen, ihre Anschrift und eine Mobilfunknummer angegeben.

    Die Beklagte selbst hat auf diese E-Mail mit Schreiben vom 01.08.2019 reagiert (Bl. 3 Kindergeldakte). Sie hat eine neue Kindergeldnummer (...) vergeben und erklärt, es sei noch die Vorlage der "Anlage Kind zum Antrag auf Kindergeld für L. und K." erforderlich sowie ein "Nachweis über die Haushaltsaufnahme für das Kind L. und K.". Allein aufgrund der E-Mail der Klägerin war es daher der Beklagten möglich, die betreffenden Kinder der Klägerin zu ermitteln und dieser zuzuordnen. Sie hat offensichtlich auf außerhalb der auszulegenden Sachstandsanfrage liegende Umstände zurückgegriffen, die Namen der Kinder herausgefunden und geschlossen, dass für die Kinder L. und K. Kindergeld beantragt werden soll. Auch hinsichtlich des Zeitraums hat die Beklagte den Willen der Klägerin ermittelt, ab wann Kindergeld gezahlt werden soll. So hat sie im Schreiben vom 01.08.2019 Folgendes ausgeführt:

    "Bitte erledigen Sie dieses Schreiben bis zum 29.08.2019. Sollten Sie bis zu diesem Termin nicht antworten oder zumindest eventuelle Hinderungsgründe mitteilen, muss der Antrag auf Kindergeld ab Mai 2018 abgelehnt werden."

    Ohne dass die Klägerin weitere Unterlagen vorgelegt hatte, lehnte die Beklagte schließlich mit Bescheid vom 10.09.2019 "den formlosen Antrag auf Kindergeld vom 16.07.2019 für die Kinder L., geboren am ... 2004, und K., geboren am ... 2006, ab dem Monat Mai 2018 ab". Auch mit diesem Ablehnungsbescheid hat die Beklagte zum Ausdruck gebracht, dass ihr im Zeitpunkt der Ablehnung die Namen sowie die Geburtsdaten der Kinder der Klägerin bekannt waren und sie erkannt hatte, für welche Kinder die Klägerin Kindergeld ab welchem Zeitpunkt begehrt hatte.

    Die fehlende eigenhändige Unterschrift, die nach Vortrag der Beklagten der Berechtigtenbestimmung diene und im Aufklärungsinteresse der Familienkasse liege, hält das Gericht nach den vorliegenden Umständen für entbehrlich. Zum einen verlangt das Gesetz nicht, dass ein Kindergeldantrag eigenhändig vom Antragsteller unterschrieben wird. Vielmehr ist auch eine Vertretung des Antragstellers möglich (BFH-Beschluss vom 25.08.2009 III B 136/08, juris).

    Im Übrigen ist in der Absenderzeile der E-Mail vom 16.07.2019 der Name der Klägerin "S.M." angegeben, zum anderen schließt die E-Mail nach der Grußformel mit dem Namen und der Anschrift der Klägerin sowie ihrer Telefonnummer, so dass eine ausreichende Bestimmtheit der Antragstellerin gegeben ist.

    Der Kindergeldantrag ging damit bereits am 16.07.2019 bei der Beklagten ein. Eine Anwendbarkeit des § 70 Abs. 1 S. 2 EStG scheidet daher aus.

    2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

    3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der von der Beklagten zu tragenden Kosten beruht auf § 151 Abs. 2 und 3, 155 i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

    4. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen von § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen.

    RechtsgebieteBGB, EStGVorschriftenBGB § 133, BGB § 157, EStG § 67 S. 1