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  • 05.06.2023 · IWW-Abrufnummer 235601

    Finanzgericht Hamburg: Urteil vom 23.02.2023 – 5 K 191/19

    Der Nachweis einer seelischen Behinderung und der behinderungsbedingten Unfähigkeit zum Selbstunterhalt i.S.d. § 32 Abs. 1 und Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG kann auch durch Einholung eines Sachverständigengutachtens eines Diplom Psychologen und Psychologischen Psychotherapeuten erfolgen.


    Finanzgericht Hamburg

    Urteil vom 23.02.2023


    Tatbestand

    Streitig ist, ob die Tochter der Klägerin als behindertes Kind, das wegen seiner Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, kindergeldrechtlich zu berücksichtigen ist.

    Die Klägerin ist die Mutter von D (geb. XX. August 1996). Im Juni 2015 schloss D die Schule mit dem Abitur ab und jobbte in einer Bäckerei. Bei D wurde im Jahr 2015 ein Schilddrüsen-Tumor erkannt und im September 2015 daraufhin die Schilddrüse entfernt. Im Juli 2016 wurde ein Tumor in der Brust diagnostiziert, der sich bei einer radiologischen Untersuchung im August 2016 als gutartig herausstellte und schließlich im April 2017 entfernt wurde. Die Untersuchung des entfernten Tumors bestätigte dessen Gutartigkeit. D erzielte im Zeitraum Oktober 2016 bis Oktober 2017 monatlich maximal Einkünfte i.H.v. 450 €/Monat.

    Am 4. März 2016 beantragte die Klägerin Kindergeld unter Vorlage einer Schulbescheinigung der H Berufsfachschule (im Folgenden H) für einen voraussichtlichen Schulbesuch von D für den Zeitraum April 2016 bis einschließlich März 2018. Mit Bescheid vom X. März 2016 setzte die Beklagte daraufhin Kindergeld für D ab März 2016 fest. Mit Bescheid vom X. Februar 2018 hob die Beklagte Kindergeld für D ab April 2018 auf und forderte die Klägerin zur Vorlage von Unterlagen über den Abschluss der Ausbildung auf. Mit Antrag vom X. April 2018 teilte die Klägerin mit, D bemühe sich um einen Ausbildungsplatz und werde im August 2018 eine Ausbildung an der Berufsfachschule S beginnen. Hierfür legte die Klägerin eine Bestätigung vom 21. März 2018 vor, aus der sich ein Schulbeginn am 16. August 2018 ergab. Mit Bescheid vom X. April 2018 setzte die Beklagte Kindergeld für D ab April 2018 fest, da diese sich ernsthaft um eine Ausbildung bemühe bzw. diese mangels Ausbildungsplatz noch nicht beginnen könne.

    Mit Schreiben vom 16. Mai 2018 teilte die Klägerin mit, D habe die Ausbildung leider nicht beenden können, da sie wegen einer Krebserkrankung mehrfach habe operiert werden müssen und sich zwei Mal einer Radiotherapie unterzogen habe. Nachdem zunächst Besserung eingetreten und sie zur Schule gegangen sei, sei erneut Krebs diagnostiziert worden. Sie, die Klägerin, habe leider vergessen, die Familienkasse zu informieren. Im Laufe des Verfahrens übersandte sie auf dem Formular "Ärztliche Bescheinigung zum möglichen Umfang der Erwerbstätigkeit" die Stellungnahme der Hausärztin W vom X. August 2018, in der diese ankreuzte, eine Stellungnahme sei nicht möglich. Sie übersandte zudem die "Ärztliche Bescheinigung über das Vorliegen einer Behinderung" vom X. Mai 2018 W, wonach keine Behinderung vorliege. Zudem legte sie eine Schulbescheinigung der H über den Schulbesuch vom 1. April 2016 bis 30. September 2016 vor. Mit einer von der Beklagten vorgeschlagenen ärztlichen Begutachtung durch den Ärztlichen Dienst der Agentur für Arbeit erklärte sich die Klägerin nicht einverstanden, da ihre Tochter in stetiger ärztlicher Behandlung sei.

    Mit Bescheid vom X. April 2019 hob die Beklagte die Kindergeldfestsetzung für D für den Zeitraum Oktober 2016 bis Februar 2018 sowie ab April 2018 auf und forderte das Kindergeld für den Zeitraum Oktober 2016 bis Februar 2018 sowie April 2018 bis September 2018 i.H.v. insgesamt 4.426 € zurück. Am X. Mai 2019 legte die Klägerin Einspruch ein und übersandte den Feststellungsbescheid des Versorgungsamts Hamburg vom X. Februar 2019, welcher einen Grad der Behinderung von 50 ab dem X. September 2018 feststellte. Dabei wurden als Gesundheitsstörungen berücksichtigt: Gewebeneubildung der Schilddrüse in Heilungsbewährung, Struma nodosa li. Nicht berücksichtigt wurden ein Fibroadenom li, da es keinen Grad der Behinderung von mindestens 10 bedinge, und Migräne, da diese nicht ärztlich bestätigt worden bzw. nur als Diagnose aufgeführt sei. Im Einspruchsverfahren erklärten sich die Klägerin und D zu einer Untersuchung durch den Ärztlichen Dienst der Agentur für Arbeit bereit. Die Klägerin reichte zudem eine ärztliche Bescheinigung von W vom X. Juli 2019 ein, wonach bei D im Sommer 2015 ein bösartiger Tumor der Schilddrüse entdeckt worden sei. Die Schilddrüse sei im September 2015 entfernt worden und im Anschluss eine Radiotherapie durchgeführt worden. Während der Radiotherapie habe D eine Depression entwickelt, welche sich nach der Diagnose eines Brustdrüsentumors verstärkt habe. Wegen der Depression sei D in fachärztlicher Behandlung.

    Mit Einspruchsentscheidung vom X. September 2019 wies die Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Eine Behinderung sei nur für den Zeitraum ab September 2018 nachgewiesen. Zudem sei jedenfalls für die Zeit Oktober 2016 bis Februar 2018 sowie ab April 2018 eine Ursächlichkeit einer (möglichen) Behinderung für die Unfähigkeit zum Selbstunterhalt nicht festzustellen.

    Hiergegen hat die Klägerin am X. Oktober 2019 Klage erhoben. Sie trägt vor, dass D wegen einer Depression unfähig gewesen sei, selbst für ihren Unterhalt zu sorgen.

    Das Gericht hat W schriftlich als Zeugin befragt. Für das Ergebnis wird auf das Schreiben der Zeugin vom X. Oktober 2021 Bezug genommen (...). Nachdem die Klägerin mitgeteilt hatte, dass D sich wegen der Depressionen nicht in fachärztliche Behandlung begeben habe, hat das Gericht ein Sachverständigengutachten zur Frage des Vorliegens einer Behinderung und der möglichen Ursächlichkeit einer solchen für die Fähigkeit zum Selbstunterhalt eingeholt. Auf das Gutachten des Diplom-Psychologen und Psychologischen Psychotherapeuten A vom X. Juli 2022 wird Bezug genommen. In der mündlichen Verhandlung ist das Verfahren hinsichtlich des Kindergeldanspruches der Monate April 2018 bis September 2019 abgetrennt und hinsichtlich des Zeitraums September 2018 bis September 2019 nach Klagrücknahme eingestellt worden.

    Die Klägerin beantragt,

    den Kindergeldaufhebungs- und -rückforderungsbescheid vom X. April 2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom X. September 2019 aufzuheben.

    Die Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Sie hält an der Auffassung fest, dass eine Behinderung für Zeiten vor September 2018 nicht festgestellt und im Übrigen jedenfalls eine Ursächlichkeit der (möglichen) Behinderung zum Selbstunterhalt nicht gegeben sei. Das Gutachten sei ungeeignet, da der Gutachter lediglich Psychologe, nicht aber Arzt sei. Dies sei jedoch nach der Dienstanweisung Kindergeld und der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) erforderlich (BFH, Urteile vom 16. April 2002, VIII R 62/99, Bundessteuerblatt Teil II -BStBl II- , 738; vom 9. Februar 2012, III R 47/08, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH -BFH/NV- 2012, 939; Beschluss vom 30. November 2005, III B 117/05, BFH/NV 2006, 540).

    Auf die Niederschriften über den Erörterungstermin vom 3. November 2020 und die mündliche Verhandlung vom 23. Februar 2023 wird Bezug genommen.

    ...

    Entscheidungsgründe

    Die Klage ist zulässig und zum Teil begründet.

    I.

    Streitgegenstand ist, nachdem das Verfahren für die Monate April 2018 bis September 2019 abgetrennt worden ist, der Kindergeldanspruch und die Rückforderung des Kindergeldes für die Monate Oktober 2016 bis Februar 2018.

    II.

    Die Klage ist zum Teil begründet. Der angefochtene Kindergeldaufhebungs- und -rückforderungsbescheid ist teilweise rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung -FGO-). Die Klägerin hat einen Anspruch auf Kindergeld für D als behindertes Kind für den Zeitraum Oktober 2016 bis einschließlich Oktober 2017.

    1. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Kindergeld für D für den Zeitraum Oktober 2016 bis einschließlich Oktober 2017, denn diese ist nach § 32 Abs. 1 und Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) als Kind zu berücksichtigen, welches wegen einer vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetretenen körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Eine Behinderung, welche für die Unfähigkeit, sich selbst zu unterhalten, ursächlich ist, liegt vor.

    a) Nach §§ 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG, 63 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 1 Satz 2 EStG, 32 Abs. 1 und Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG besteht für volljährige leibliche Kinder - wie die Tochter der Klägerin - ein Anspruch auf Kindergeld, wenn das Kind wegen einer vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetretenen körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten.

    aa) (1) Das Gesetz und die Gesetzesmaterialien enthalten keine Begriffsbestimmung der Behinderung, insbesondere keine Beschränkung auf einen bestimmten Grad der Behinderung bzw. das Vorliegen einer "Schwer" behinderung, sondern verlangt allein zusätzlich die Ursächlichkeit der Behinderung für die Unfähigkeit zum Selbstunterhalt.

    Der BFH bezieht sich für die Definition der Behinderung i.S.v. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG regelmäßig auf diejenige (im jeweiligen Streitzeitraum gültige) in § 2 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX; BFH, Urteile vom 27. November 2019, III R 44/17, BStBl II 2020, 558; vom 19. Januar 2017, III R 44/14, BFH/NV 2017, 735; vom 21. Oktober 2015, XI R 17/14, BFH/NV 2016, 190; vom 23. Februar 2012, V R 39/11, BFH/NV 2012, 1584). Danach ist ein Mensch behindert, wenn seine körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher seine Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Mit der ab dem 1. Januar 2018 gültigen Fassung des § 2 Abs. 2 SGB IX (Bundesteilhabegesetz vom 23. Dezember 2016, Bundesgesetzblatt Teil I -BGBl I- 2016, 3234) erfolgte im Wesentlichen lediglich eine sprachliche Anpassung an das Partizipationsmodell der Weltgesundheitsorganisation (Jabben in Rolfs/Giesen/Meßling/Udsching, BeckOK Sozialrecht, Stand 1. September 2020, § 2 SGB IX Rn. 2f.; Bundestagdrucksache -BT-Drs.- 18/9522, 192).

    Seelisch behindert ist, wer infolge seelischer Störung in der Funktionsfähigkeit entsprechend gemindert ist. Als solche seelischen Störungen kommen körperlich nicht begründbare Psychosen, seelische Störungen als Folge von Krankheit oder Verletzung des Gehirns, Anfallsleiden oder körperliche Beeinträchtigungen, Suchtkrankheiten, Neurosen und Persönlichkeitsstörungen in Betracht. Eine seelische Störung allein genügt nicht für die Annahme einer seelischen Behinderung. Hinzukommen muss vielmehr die Beeinträchtigung der Fähigkeit zur Eingliederung in die Gesellschaft. Für die Frage, ob in Folge des altersuntypischen gesundheitlichen Zustands die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist, kommt es auf das Ausmaß und den Grad der körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsbeeinträchtigung an. Entscheidend ist, ob die Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheit nach Breite, Tiefe und Dauer so intensiv ist, dass sie die Fähigkeit zur Eingliederung in die Gesellschaft beeinträchtigt. Relevante Teilhabebereiche ergeben sich aus der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit. Danach werden die Bereiche Lernen und Wissensanwendung, allgemeine Aufgaben und Anforderungen, Kommunikation, Mobilität, Selbstversorgung, häusliches Leben, interpersonelle Interaktionen und Beziehungen, bedeutende Lebensbereiche (wozu insbesondere Erziehung und Bildung, Arbeit und Beschäftigung zu zählen sind) sowie gemeinschafts-, sozial- und staatsbürgerliches Leben unterschieden. Die Prüfung einer Teilhabebeeinträchtigung hat aufgrund einer umfassenden Kenntnis des sozialen Umfelds des betroffenen Kindes zu erfolgen, wobei ggf. neben medizinischem Sachverstand auch der anderer Wissensgebiete (insbesondere sozialpädagogischer und psychologischer Art) heranzuziehen ist. Eine Behinderung setzt zudem eine mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate sich erstreckende Gesundheitsstörung voraus. Für die Dauer ist nicht die seit Beginn der Erkrankung oder deren ärztlicher Feststellung tatsächlich abgelaufene Zeit entscheidend, sondern die ihrer Art nach prognostisch zu erwartende Dauer der von ihr ausgehenden Funktionsbeeinträchtigung (hierzu und allg. zu den Voraussetzungen insbesondere seelischer Behinderung: BFH, Urteile vom 27. November 2019, III R 44/17, BStBl II 2020, 558; vom 19. Januar 2017, III R 44/14, BFH/NV 2017, 735).

    Der Nachweis der Behinderung kann dabei nicht nur durch Vorlage eines entsprechenden Schwerbehindertenausweises oder Feststellungsbescheids gemäß § 69 SGB IX sowie eines Rentenbescheids erfolgen, sondern auch in anderer Form erbracht werden (BFH, Urteil vom 16. April 2002, VIII R 62/69, BStBl II 2002, 738 [BFH 16.04.2002 - VIII R 62/99]). In Betracht kommt beispielsweise die Vorlage einer Bescheinigung bzw. eines Zeugnisses des behandelnden Arztes oder auch eines ärztlichen Gutachtens (BFH, Urteil vom 21. Oktober 2015, XI R 17/14, BFH/NV 2016, 190). Das Finanzgericht soll in der Regel ein ärztliches Gutachten einholen oder entsprechende Erkenntnisse durch Einvernahme von Ärzten als Zeugen gewinnen (BFH Urteil vom 9. Februar 2012 III R 47/08, BFH/NV 2012, 939 Tz.16).

    Auf der anderen Seite handelt es sich nach Auffassung des BFH bei der Frage, ob eine Behinderung vorliegt, um eine Rechtsfrage, die nicht einem Sachverständigen übertragen werden darf, sondern die nur das Ergebnis der durch das Gericht vorzunehmenden Gesamtwürdigung sein kann (BFH, Urteil vom 19. Januar 2019, III R 44/14, BFH/NV 2017, 735 [BFH 19.01.2017 - III R 44/14] Tz. 21; dagegen FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28. Juni 2017, 3 K 3079/17, Deutsches Steuerrecht Entscheidungsdienst -DStRE- 2018, 755).

    (2) Ausgehend von diesen Grundsätzen steht nach dem Gesamtergebnis der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung des Gerichtes das Vorliegen einer Behinderung von D im Zeitraum Oktober 2016 bis einschließlich Oktober 2017 fest. Dies ergibt sich aus dem Gutachten des Sachverständigen A.

    (a) Der gesundheitliche Zustand von D wich von dem für das Lebensalter typischen Zustand ab.

    Nach dem Gutachten litt D im Zeitraum Juli 2016 bis einschließlich Oktober 2017 unter einer psychischen Störung (Neurose, mittelgradige depressive Episode). Diese hatte sich aus einer psychischen Anpassungsstörung heraus entwickelt, die unbehandelt geblieben war. Ursächlich war die Übermittlung eines (vermeintlichen) Krebsbefundes an D im Juli 2016. Hierauf reagierte D depressiv bzw. ängstlich. Die Übermittlung der Tumordiagnose hat bei D - angesichts der bereits vorangegangenen Schilddrüsen-Krebserkrankung mit der Entfernung der Schilddrüse - zu der Erwartung geführt, die Brust müsse entfernt werden. D verarbeitete diese Information irrational und phobisch. Dies führte zu schlechter, depressiver Stimmung, Lustlosigkeit, dem Vernachlässigen bisher ausgeübter angenehmer Dinge, Schlafstörungen, anhaltendem Grübeln über die Situation der Diagnoseübermittlung und den angenommenen (katastrophisierten) Folgen einer vermeintlich unausweichlichen Brustamputation, Selbstwertstörungen und vermindertem Appetit. Dass D keine ärztliche Hilfe in Anspruch nahm, ist im konkreten Fall gerade Teil bzw. Folge der Erkrankung und kein Zeichen fehlenden Leidensdrucks.

    Die Erkrankung besserte sich nach Entfernung des Tumors im April 2017 nicht schlagartig, sondern blieb zunächst bis Oktober 2017 erhalten, was sich durch fortbestehende Krankheitsangst und einem daraus folgenden "Checking Behaviour" (hier dem täglichen Abtasten der Brust) zeigte.

    (b) D war seelisch behindert, denn sie war infolge der seelischer Störung und deren Breite, Tiefe und Dauer in ihrer Fähigkeit zur Eingliederung in die Gesellschaft unter Berücksichtigung des sozialen Umfelds beeinträchtigt.

    Nach dem Gutachten waren folgende Fähigkeiten von D beeinträchtigt:

    - erheblich ausgeprägte Beeinträchtigung der Fähigkeit zur Anpassung an Regeln und Routinen,
    - mäßig ausgeprägte Beeinträchtigung der Fähigkeit zur Planung und Strukturierung von Aufgaben,
    - erheblich ausgeprägte Beeinträchtigung der Flexibilität und Umstellungsfähigkeit,
    - mäßig ausgeprägte Beeinträchtigung der Kompetenz- und Wissensanwendung,
    - herabgesetzte Entscheidungsfähigkeit,
    - erhebliche Einschränkung der Fähigkeit zu Proaktivität und Spontanaktivitäten,
    - erheblich ausgeprägte Beeinträchtigung der Widerstands- und Durchhaltefähigkeit,
    - leichte Ausprägung der Selbstbehauptungsfähigkeit,
    - erheblich ausgeprägte Beeinträchtigung der Fähigkeit zu Konversation und Kontaktfähigkeit,
    - mäßig ausgeprägte Beeinträchtigung der Fähigkeit zu engen dyadischen Beziehungen sowie
    - leichtgradige Beeinträchtigung der Fähigkeit zur Selbstpflege und Selbstfürsorge.

    Eine Beeinträchtigung der Mobilität und Verkehrsfähigkeit lag nicht vor; die Gruppenfähigkeit konnte vom Gutachter nicht beurteilt werden.

    Diese Einschränkungen beeinträchtigten die Fähigkeit der D zur Eingliederung in die Gesellschaft unter Berücksichtigung des sozialen Umfelds, was sich an den konkreten Auswirkungen der Einschränkungen zeigt: D verbrachte den Tag ohne Plan bspw. vor dem Fernseher, war lethargisch. Sie konnte Routinen nur aufrechterhalten und Termine nur wahrnehmen, wenn Familienangehörige sie hierzu motivierten. Dies führt zu einer Teilhabebeeinträchtigung im Bereich der allgemeinen Aufgaben und Anforderungen sowie der Selbstversorgung. Das stetige Grübeln erschwerte ihr insbesondere die Planung und Strukturierung von Aufgaben. Daher ist eine fehlende Teilhabe im Bereich Bildung und Beschäftigung anzunehmen. D zog sich zurück und war auf Unterstützung und Lenkung durch andere in sozialen Kontakten angewiesen. Dies zeigt eine erhebliche Teilhabebeeinträchtigung im Bereich interpersonelle Interaktion und Beziehungen.

    (c) Die prognostisch zu erwartende Dauer der Funktionsbeeinträchtigung der seelischen Erkrankung betrug mehr als sechs Monate.

    Nach dem Gutachten ist eine Anpassungsstörung eine depressive oder ängstliche Reaktion auf ein einschneidendes Lebensereignis. Es ist prognostisch etwa sechs Monate nach dem Wegfall des einschneidenden Erlebnisses mit dem Wegfall der Symptome der Anpassungsstörung zu rechnen. Angesichts der Entdeckung des Tumors um Juli 2016 und der Entfernung im April 2017 (inkl. der sicheren "Entwarnung" nach der Biopsie) war demnach prognostisch die zu erwartende Dauer der Funktionsbeeinträchtigung minimal neun und maximal 15 Monate.

    (d) Das Gericht folgt den nachvollziehbaren und in sich schlüssigen Ausführungen des Sachverständigen. Der Sachverständige hat seine Erkenntnisse über die (in der Vergangenheit liegende) Erkrankung der D derart gewonnen, dass er auf die Symptombeschreibung der D die Methode der sog. Beschwerdevalidierung angewandt hat. Ausgangspunkt ist es dabei, anzunehmen, dass der Patient die Unwahrheit sagt. Alle konkreten Gegenanzeigen werden dann als wahr angenommen. Mit dieser Methode ist der Sachverständige auch aus seiner langjährigen Tätigkeit als Sachverständiger für das Sozialgericht L, dort insbesondere im Bereich des Erwerbsminderungsrentenrechts, sowie für das Landgericht H, dort für Mietekammern bei der Frage der Prüfung von möglichen Gesundheitsgefahren bei Zwangsräumungen von Wohnungen, sehr vertraut. Auch in diesen Fällen ist häufig eine Feststellung von in der Vergangenheit liegenden Beschwerden notwendig, in vielen Fällen auch ohne fachärztliche Vorberichte.

    (e) Dass es sich bei dem Sachverständigen um einen Diplom-Psychologen und Psychologischen Psychotherapeuten und nicht um einen Arzt handelt, führt zu keiner anderen Beurteilung.

    Nach § 82 FGO i.V.m. § 404 der Zivilprozessordnung -ZPO- steht die Auswahl des Sachverständigen im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichtes. Hier war in tatsächlicher Hinsicht fraglich, ob eine mögliche psychische Erkrankung zu einer Behinderung geführt hat. Der Sachverständige weist die hierfür erforderlichen Kenntnisse auf.

    Der Sachverständige ist Diplom-Psychologe und Psychologischer Psychotherapeut. Die Berufsbezeichnung Psychologischer Psychotherapeut war in § 1 des Gesetzes über die Berufe des Psychologischen Psychotherapeuten und des Kinder- und Jugendpsychotherapeuten in der bis zum 31. August 2020 geltenden Fassung (Psychotherapeutengesetz -PsychThG a.F.- vom 16. Juni 1998, BGBl I 1998, 1311) vorgesehen. Nach § 26 PsychThG (Gesetz zur Reform der Psychotherapeutenausbildung vom 15. November 2019, BGBl I 2019, 1604) führen Psychologische Psychotherapeuten ihre Berufsbezeichnung fort, dürfen die Psychotherapie nach § 1 Abs. 2 PsychThG ausüben und haben dieselben Rechte und Pflichten wie Personen mit einer Approbation nach § 1 Abs. 1 PsychThG. Ausübung der Psychotherapie im Sinne des PsychThG ist nach § 1 Abs. 2 Satz 1 PsychThG jede mittels wissenschaftlich geprüfter und anerkannter psychotherapeutischer Verfahren oder Methoden berufs- oder geschäftsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Störungen mit Krankheitswert, bei denen Psychotherapie indiziert ist. Durch das PsychThG a.F. wurden durch neu geschaffene Berufsbilder zwei Heilberufe in das Gesundheitssystem der Bundesrepublik Deutschland eingeführt, der Beruf des Psychologischen Psychotherapeuten und der Beruf des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten. Durch das Gesetz wurden die zwei neuen Heilberufe demjenigen der Ärzte in berufs- und sozialrechtlicher Hinsicht gleichgestellt (Bundesverfassungsgericht -BVerfG-, Beschluss vom 28. Juli 1999, 1 BvR 1056/99, Neue Juristische Wochenschrift -NJW- 1999, 2730). Nach § 5 PsychThG a.F. dauerte die Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten in Vollzeitform mindestens drei Jahre, in Teilzeitform mindestens fünf Jahre. Sie bestand aus praktischer Tätigkeit, die von theoretischer und praktischer Ausbildung begleitet wurde, und schloss mit dem Bestehen einer praktischen Prüfung ab. Voraussetzung für das Absolvieren der Ausbildung war beispielsweise - wie auch im Falle des hiesigen Sachverständigen - nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 PsychThG a.F. eine im Inland an einer Universität bestandene Abschlussprüfung im Studiengang Psychologie, die das Fach der Klinischen Psychologie einschloss. In der Abschlussprüfung wurden insbesondere folgende Kenntnisse verlangt (vgl. § 16 Abs. 1 i.V.m. Anlage 1 der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Psychologische Psychotherapeuten -PsychTh-APrV a.F.-, vom 18. Dezember 1998, BGBl I1998, 3749):

    Entwicklungs-, sozial-, persönlichkeits- und neuropsychologische Grundlagen der Psychotherapie

    2.

    Konzepte über die Entstehung, Aufrechterhaltung und den Verlauf psychischer und psychisch mitbedingter Erkrankungen verschiedener Altersgruppen

    2.1

    Allgemeine und spezielle Krankheitslehren der Störungen mit Krankheitswert, bei denen Psychotherapie indiziert ist, unter Berücksichtigung der wissenschaftlich anerkannten Verfahren

    2.2

    Psychosomatische Krankheitslehre

    2.3

    Psychiatrische Krankheitslehre

    3.

    Methoden und Erkenntnisse der Psychotherapieforschung

    4.

    Diagnostik und Differentialdiagnostik einschließlich Testverfahren zur Abgrenzung verschiedener Störungen mit Krankheitswert, bei denen Psychotherapie indiziert ist, psychosozial- und entwicklungsbedingter Krisen sowie körperlich begründbarer Störungen

    Neben diesen theoretischen Kenntnissen - die auch die Beklagte nicht in Abrede stellt - ist der Sachverständige in seiner tatsächlichen Arbeit von 2011 bis 2015 als Stationspsychologe tätig gewesen. Seit 2015 ist er als Leitender Psychologe der Fachabteilung der X Klinik, Bereich Persönlichkeits- und Traumafolgestörungen, und seit 2017 zudem auch als Therapeutischer Leiter der dazugehörigen Ambulanz tätig gewesen. Seit 2022 ist er Leitender Psychologischer Psychotherapeut der C Klinik im Bereich Abhängigkeitserkrankungen. Ab März 2023 wird er erneut als Leitender Psychologe einer Fachabteilung der X Klinik tätig sein und darüber hinaus als Koordinator der dortigen Akut-Psychiatrie. Die Tätigkeit als Leitender Psychologe entspricht dabei einer Psychiatrieoberarztstelle. Aufgabe des Leitenden Psychologen ist die Fach- und Dienstaufsicht über die Stationsärzte und -psychologen. Lediglich im Hinblick auf die Medikamentengabe und Unterbringungen nach § 13 des Hamburgischen Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (HmbPsychKG) übt er keine Fachaufsicht über die Stationsärzte aus, da diese Tätigkeiten Ärzten vorbehalten sind. Aufgabe eines Leitenden Psychologen ist es, im Rahmen der Visiten die Behandlung zu überwachen und einen psychopathologischen Befund zu erheben. Dies geschieht durch Selbstauskunft des Patienten und durch Verhaltensbeobachtung. Die Diagnosen werden im Laufe des stationären Aufenthalts des Patienten stetig überprüft. Ein Leitender Psychologe ist nicht mehr direkt als Therapeut der Patienten tätig, diese Tätigkeit wird durch die Stationsärzte und -psycholgen ausgeübt. Auf der Station für Persönlichkeits- und Traumafolgestörungen werden Patienten behandelt, die Depressionen, Psychosen oder auch Abhängigkeiten zeigen, die jeweils durch eine Persönlichkeitsstörung bedingt sind. Um auszuschließen, dass bei den Patienten der Station eine Veränderung des Gehirns (Tumor/Demenz) Ursache der Depression/Psychose ist, werden sie (von den Stationsärzten) körperlich untersucht, ggf. auch durch Anforderung eines radiologischen Konsils.

    Angesichts der vorhandenen theoretischen und praktischen Kenntnisse des Sachverständigen als Psychologischer Psychotherapeut ist der Nachweis des Vorliegens einer Behinderung bei D aufgrund einer psychischen Erkrankung nicht nur durch die in der Rechtsprechung bisher benannten Möglichkeiten, sondern auch durch ein Gutachten eines Psychologischen Psychotherapeuten möglich, denn die Ausbildung umfasst nach der PsychTh-APrV a.F. gerade auch die Diagnostik und Differentialdiagnostik einschließlich Testverfahren zur Abgrenzung verschiedener Störungen mit Krankheitswert, bei denen Psychotherapie indiziert ist. Da D auch keine Medikamente wegen ihrer Depression verordnet worden waren, ist es unerheblich, ob bei dem Sachverständigen insoweit Sachkunde vorliegt.

    Schließlich zeigt auch ein Vergleich mit der Regelung des § 35a Abs. 1 und 1a SGB VIII, dass ein Psychologischer Psychotherapeut fachlich geeignet ist, eine seelische Behinderung festzustellen.

    Nach § 35a Abs. 1 SGB VIII haben Kinder und Jugendliche Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht (§ 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII) und daher ihre Teilnahme am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche zu erwarten ist (§ 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII). Dabei hat der Träger der öffentlichen Jugendhilfe hinsichtlich der Abweichung der seelischen Gesundheit nach § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII die Stellungnahme eines Arztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, einer Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, eines Psychotherapeuten mit Weiterbildung für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen oder eines Arztes oder eines psychologischen Psychotherapeuten, der über besondere Erfahrung auf dem Gebiet seelischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen verfügt, einzuholen.

    Da auch die Eingliederungshilfe nach § 35a Abs. 1 SGB VIII eine (drohende) seelische Behinderung voraussetzt und schon der Gesetzgeber eine Stellungnahme eines psychologischen Psychotherapeuten für geeignet hält, erscheint es folgerichtig, dass auch bei der hiesigen Fragestellung ein solcher als Sachverständiger herangezogen werden kann.

    bb) (1) Nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG führt eine Behinderung nur dann zu einer Berücksichtigung beim Kindergeld, wenn das Kind nach den Gesamtumständen des Einzelfalles wegen der Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Ein behindertes Kind kann sowohl wegen der Behinderung als auch wegen der allgemeinen ungünstigen Situation auf dem Arbeitsmarkt oder wegen anderer Umstände (z.B. mangelnder Mitwirkung bei der Arbeitsvermittlung, Ablehnung von Stellenangeboten) arbeitslos und damit außerstande sein, sich selbst zu unterhalten. Ein Anspruch auf Kindergeld besteht nur dann, wenn die Behinderung nach den Gesamtumständen des Einzelfalles in erheblichem Umfang mitursächlich dafür ist, dass das Kind nicht seinen (gesamten) Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit bestreiten kann (vgl. BFH, Urteil vom 22. Oktober 2009, III R 50/07, BStBl II 2011, 38 m.w.N.). Dabei ist eine konkrete Bewertung der jeweiligen Situation des behinderten Kindes nach den Gesamtumständen des Einzelfalles vorzunehmen. Eine abstrakte Betrachtung genügt nicht (BFH, Urteile vom 14. Dezember 2001, VI B 178/01, BStBl II 2002, 486; vom 19. November 2008, III R 105/07, BStBl II 2010, 1057). Die Behinderung muss nicht die alleinige Ursache sein (BFH, Urteile vom 22. Oktober 2009, III R 50/07, BStBl II 2011, 38; vom 19. November 2008, III R 105/07, BStBl II 2010, 1057). Die Ursächlichkeit der Behinderung kann angenommen werden, wenn im Schwerbehindertenausweis das Merkmal "H" (hilflos) eingetragen ist oder der GdB 50 oder mehr beträgt und besondere Umstände hinzutreten, aufgrund derer eine Erwerbstätigkeit unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes ausgeschlossen erscheint (BFH, Urteile vom 19. November 2008, III R 105/07, BStBl II 2010, 1057, vom 26. Juli 2001, VI R 56/98, BStBl II 2001, 832). Es handelt sich bei diesen Regelungen um eine im Interesse der Rechtsanwendungsgleichheit vorgenommene Konkretisierung des Grundsatzes, dass die Frage, ob die Behinderung ursächlich für das Außerstandesein des Kindes zum Selbstunterhalt ist, nach den Gesamtumständen des Einzelfalles zu beurteilen ist (BFH, Urteil vom 26. August 2003, VIII R 58/99, BFH/NV 2004, 326).

    (2) Ausgehend von diesen Grundsätzen steht für den Zeitraum Oktober 2016 bis einschließlich Oktober 2017 zur Überzeugung des Gerichtes fest, dass die Behinderung nach den Gesamtumständen des Einzelfalles in erheblichem Umfang mitursächlich für die Unfähigkeit zum Selbstunterhalt der D war.

    Dies ergibt sich aus den konkreten Auswirkungen der Behinderung, wie sie im Gutachten beschrieben sind. Insbesondere die herabgesetzte Entscheidungsfähigkeit, die erheblich herabgesetzte Fähigkeit zu Konversation und Kontaktfähigkeit, die erhebliche Beeinträchtigung der Anpassung an Regeln und Routinen, die erhebliche Einschränkung von Widerstands- und Durchhaltefähigkeit sowie Proaktivität angesichts der Lethargie sowie die mäßig ausgeprägte Beeinträchtigung der Fähigkeit zur Planung und Strukturierung von Aufgaben haben die Fähigkeit, am Arbeitsmarkt teilzunehmen, ganz erheblich eingeschränkt. Das ergibt sich bereits daraus, dass angesichts der konkreten Einschränkungen bereits die Beschäftigung mit der Frage, ob und welche Beschäftigung bzw. Ausbildung sie absolvieren könne, nicht möglich war, da D ständig über die befürchtete Amputation der Brust grübelte. Erst Recht wäre eine Übernahme von Arbeitstätigkeiten von mehr als 15 Stunden/Woche nicht zu erwarten, denn dies erfordert ein Mindestmaß an Einhaltung von Tagesstruktur, das regelmäßige Aufsuchen einer Beschäftigungsstelle, den regelmäßigen Austausch mit Vorgesetzten und/oder Kollegen bzw. Kunden, woran es nach den Ausführungen des Sachverständigen aber fehlte. Denn D verbrachte den Tag ohne Plan bspw. vor dem Fernseher und war lethargisch. Sie konnte Routinen nur aufrechterhalten und Termine nur wahrnehmen, wenn Familienangehörige sie hierzu motivierten. Auch im Hinblick auf soziale Kontakte bedurfte sie der Unterstützung und Lenkung durch den Familienkreis.

    2. Aufgrund der teilweisen Rechtswidrigkeit des Aufhebungsbescheids ist auch der Rückforderungsbescheid insoweit nicht von § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) gedeckt und damit teilweise rechtswidrig.

    3. Für den übrigen Streitzeitraum (November 2017 bis Februar 2018) besteht kein Kindergeldanspruch, da die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 EStG nicht erfüllt sind.

    III.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 155 Satz 1, 151 Abs. 3 FGO, §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Revision wird gem. § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen.

    RechtsgebietEStGVorschriftenEStG § 32 Abs. 1, EStG § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3

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