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  • 22.06.2023 · IWW-Abrufnummer 235928

    Finanzgericht Münster: Urteil vom 23.03.2023 – 1 K 3593/19 E

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Finanzgericht Münster


    Tenor:

    Die Klage wird abgewiesen.

    Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

    Tatbestand

    1
    Die Beteiligten streiten im Zusammenhang mit von der Republik Argentinien begebenen Staatsanleihen über die einkommensteuerrechtliche Behandlung von Zahlungen im Rahmen des sogenannten Fast Track Settlements.

    2
    Die Kläger sind Ehegatten und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger hielt unter seiner Kundennummer xxx bei der Privatbank Y seit Juli 2016 (vgl. Bericht der Oberfinanzdirektion und Nordrhein-Westfalen vom 09.05.2018, S. 2) Anteile an 13 Anleihen, die von der Republik Argentinien begeben worden waren (sog. Argentinien-Anleihen).

    3
    Seit ihrer Staatspleite im Jahre 2001 konnte die Republik Argentinien keine Zinszahlungen auf die Argentinien-Anleihen mehr leisten. Aufgrund diverser Zahlungsklagen, unter anderem beispielsweise in den USA und in Deutschland, wurde der Druck auf die Republik Argentinien zunehmend größer, sodass sie im sogenannten Settlement Proposal vom 17.02.2016 anbot, die Ansprüche der Anleihegläubiger auf vollständige Kapitalrückzahlung und eines Teilbetrags der Zinsen im Rahmen des sogenannten Fast Track Settlements zu erfüllen. Dieser Vereinbarung stimmte der Kläger zu mit der Folge, dass er 50% des Nominalwerts als Zinsertrag erhielt (vgl. Stockakte, Trennblatt 2016, Schreiben der Bank Y vom 02.12.2016, zum jeweiligen Barausgleich). Nach der Vereinbarung wurden zudem 100% des Nominalwerts als Verkaufspreis für die Anleihe gewährt. Da die historischen Anschaffungskosten des Klägers durchweg oberhalb dieses Verkaufspreises lagen, erzielte er insoweit jeweils einen Veräußerungsverlust. Der Verlust aus der Veräußerung der jeweiligen Anleihe lag jeweils unterhalb des insoweit erzielten Zinsertrags.

    4
    Im Einzelnen erzielte der Kläger ausweislich der von ihm eingereichten Abrechnungen der Bank Y (im Folgenden: Kreditinstitut) im Streitjahr die nachstehend aufgelisteten Zinserträge beziehungsweise Veräußerungsverluste:

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    Die Entscheidung enthält an dieser Stelle ein Bild oder eine Grafik.

    6
    Die Kläger beantragten im Rahmen ihrer gemeinsam eingereichten Einkommensteuererklärung für die Kapitaleinkünfte des Klägers eine Überprüfung des Kapitalertragsteuereinbehalts.

    7
    In der Folge setzte der Beklagte die Einkommensteuer zunächst mit Bescheid vom 16.03.2018 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung fest. Dabei rechnete er von den auf die Argentinien-Anleihen entfallenden ausländischen Einkünften und auf weitere Kapitalerträge unstreitig entfallenden ausländische Quellensteuern in Höhe von 43.075 € an. Eine vollständige Anrechnung habe aufgrund der vorhandenen Verluste nicht erfolgen können (vgl. Erläuterungstext im Bescheid vom 16.03.2018 sowie Schreiben des Finanzamts vom 20.03.2018 zur Erläuterung der zunächst erfolgten Einkommensteuerfestsetzung).

    8
    Sodann änderte der Beklagte nach Abstimmung mit der Oberfinanzdirektion Nordrhein-Westfalen und dem Ministerium der Finanzen des Landes Nordrhein-Westfalen (Finanzministerium) mit verfahrensgegenständlichem Bescheid vom 15.04.2019 die bisherige Einkommensteuerfestsetzung dahingehend ab, dass er die bisher in Höhe von 43.074,17 € angerechnete Quellensteuer um 581,50 € kürzte.

    9
    Hiergegen legten die Kläger mit beim Beklagten am 16.05.2019 eingegangenem Schreiben vom 12.05.2019 Einspruch ein. Die Berücksichtigung anrechenbarer Quellensteuer habe sich seit der Einführung der Abgeltungssteuer im Jahre 2009 dergestalt geändert, dass die Quellensteuer direkt mit der Kapitalertragsteuerschuld verrechnet werde und nicht mehr eine nach Ländern getrennte Erstattung im Rahmen der Veranlagung erfolge. Nur nach den überholten Regelungen sei es damals auf „Anrechnungshöchstbeträge“ angekommen. Eigens für Fälle wie demjenigen der Kläger, in denen bei einem Wertpapier mehr anrechenbare Quellensteuer vorhanden sei, als überhaupt an Kapitalertragsteuern beim Verkauf des Wertpapiere einbehalten werde, sei der Verlustverrechnungstopf „anrechenbare ausländische Quellensteuer“ bei der Einführung der Abgeltungssteuer eingerichtet worden. Auf diesem Wege hätte das Kreditinstitut die noch nicht angerechnete fiktive Quellensteuer in Höhe von 43.191 € mit der deutlich höheren Kapitalertragsteuerschuld des Klägers verrechnen müssen.

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    Mit Schreiben vom 16.08.2019 teilte der Beklagte den Klägern mit, dass der Einspruch keine Aussicht auf Erfolg habe. Nach § 32d Abs. 5 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) seien ausländische Steuern nur bis zur Höhe der deutschen Steuer anzurechnen, die auf die im Veranlagungszeitraum bezogenen Kapitalerträge anfalle. Dies sei nach § 43 Abs. 3 Satz 1 EStG von der auszahlenden Stelle umzusetzen. Dabei habe die auszahlende Stelle (hier also das Kreditinstitut) negative Kapitalerträge nach § 43 Abs. 3 Satz 2 EStG bis zur Höhe der positiven Kapitalerträge auszugleichen. Insoweit sei auf das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 18.01.2016 IV C 1-S 2252/08/10004:017, 2015/0468306 (BStBl I 2016, 85, Rz. 201 bis 211) zu verweisen. Daher sei die höchstens anrechenbare fiktive Quellensteuer wie folgt zu ermitteln:

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    Tatsächlich sei die fiktive Quellensteuer in Höhe von 33.435,89 € angerechnet worden, weil das Kreditinstitut den anteiligen verbleibenden Ertrag für Zwecke der Quellensteueranrechnung mit insgesamt 133.743,56 € ermittelt habe. In dem angefochtenen Änderungsbescheid vom 15.04.2019 sei die anrechenbare Quellensteuer dann durch den Beklagten zutreffend um 581,50 € gekürzt worden. Es verbleibe ein Rest von 92.854,39 €. Tatsächlich müssten also im hier anhängigen Einspruchsverfahren noch einmal weitere 1.046,02 € (32.854,39 € abzgl. 31.808,37 €) an Steuern nacherhoben werden. Hierauf sei gemäß § 367 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) hinzuweisen. Eine Änderung der Einkommensteuerfestsetzung für das Jahr 2016 zum Nachteil der Kläger könne durch Rücknahme des Einspruchs vermieden werden.

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    Ausgehend vom BMF-Schreiben vom 18.01.2016 IV C 1-S 2252/08/10004:017, 2015/0468306 (BStBl I 2016, 85, Rz. 202, Berechnungsbeispiel 3) ergebe sich folgende Berechnung:

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    Diese Berechnungsweise ergebe sich nicht nur aus dem BMF-Schreiben vom 27.09.2016 IV C 1-S 2252/08/10002, FMNR438000016 (BStBl I 2016, 1018) und der Rechtsauffassung der (weiteren) dem Beklagten vorgesetzten Stellen, sondern auch aus der per E-Mail erfolgten Abstimmung des Sparkassenverbandes mit dem Bundesministerium der Finanzen.

    16
    Es sei nach dem Verständnis des Beklagten auch nicht nachzuvollziehen, dass fiktive Quellensteuern, die die Kläger als Anleger nicht wirtschaftlich belastet hätten, bei der Ermittlung der deutschen Steuer über das vorgenannte Maß hinaus abgezogen würden. Tatsächlich erfolge bei der bisherigen Vorgehensweise eine Anrechnung nur auf den echten „Ertrag“, den die Kläger per Saldo aus dem Kauf und Verkauf der Argentinien-Anleihen hätten erzielen können. Dies erscheine wirtschaftlich angemessen.

    17
    Nachdem die Kläger den Einspruch nicht zurückgenommen hatten (auf das entsprechende Schreiben vom 20.09.2019 wird Bezug genommen), verböserte der Beklagte die Einkommensteuerfestsetzung entsprechend mit Einspruchsentscheidung vom 30.10.2019. Dabei ergänzte er in rechtlicher Hinsicht, dass der anzurechnende Betrag an fiktiver Quellensteuer nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Argentinischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen in der Fassung vom 13.07.1978 (BGBl II 1998 S. 18, BStBl I 1998 I, S. 187) ‒ DBA-Argentinien ‒ nicht den Teil der vor der Anrechnung ermittelten deutschen Steuer übersteigen dürfe, der auf diese Einkünfte entfalle (vgl. S. 6 f. der Einspruchsentscheidung).

    18
    Mit ihrer bei Gericht am 02.12.2019 eingegangen Klage begehren die Kläger im Kern die Berücksichtigung der anrechenbaren fiktiven Quellensteuern in Höhe von 15% des Zinsertrags ohne Deckelung auf die deutsche Einkommensteuer, die auf die im Streitjahr bezogenen Kapitalerträge aus der Argentinien-Anleihe entfällt. Richtigerweise sei der Zinsertrag wie folgt zu besteuern:

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    Da der Beklagte lediglich fiktive Quellensteuer in Höhe von 31.808,37 € in Abzug gebracht habe, seien zusätzlich (76.727,80 € ./. 31.808,37 € =) 44.919,43 € anzurechnen. Da die Kläger ausweislich des Steuerbescheides im Streitjahr Abgeltungssteuer in Höhe von deutlich mehr als 44.919,43 € gezahlt hätten, könne die mit der Klage begehrte Anrechnung in voller Höhe erfolgen.

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    Soweit der Beklagte die Ansicht vertrete, dass gemäß Art. 23 Abs. 2 Satz 2 DBA-Argentinien eine Begrenzung der Anrechnung der fiktiven Quellensteuer zu erfolgen habe, sei dies in zweierlei Hinsicht unzutreffend: Zum einen sei eine Obergrenze, die sich aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 DBA-Argentinien ergebe, gerade nicht überschritten. Zum anderen sei die Auffassung des Beklagten unzutreffend, die Veräußerungsverluste begrenzten die Anrechnung der fiktiven Quellensteuer. Denn das DBA gelte ausschließlich für Zinseinkünfte. Eine Ausdehnung des Art. 23 Abs. 2 Satz 2 DBA-Argentinien auf Veräußerungsverluste sei hier ipso jure ausgeschlossen. Dies bestätige auch das BMF in seinem Schreiben vom 27.09.2016 IV C 1-S 2252/08/10002, FMNR438000016 (BStBl I 2016, 1018) wenn es ausführe, für den Kapitalertragsteuerabzug gölten auf den Unterschiedsbetrag von 2/3 des Einlösungsbetrages (gleich Nominalforderung von 100%) und den Anschaffungskosten der Anleihe die allgemeinen Regelungen zum Kapitalertragsteuerabzug und eine Anrechnung fiktiver Quellensteuer komme insoweit nicht in Betracht. Wenn es aber bei Veräußerungsgewinnen nicht zu einer zusätzlichen Anrechnung fiktiver Quellensteuer auf den Kursgewinn komme, dann erfolge logischerweise auch kein Abzug der Quellensteuer aufgrund des Kurswerts bei Käufen über pari. In diesen Fällen mit einem Verlust aus einer Kapitalrückzahlung zu argumentieren, sei deswegen schlichtweg unzutreffend. Für eine Vermischung der Komponenten „Rückzahlung zum vertraglich geschuldeten Nennwert“ und „Zinszahlung“ bestehe überhaupt keine Rechtsgrundlage.

    22
    Die vom Beklagten vertretene Ansicht, die verbleibende und nicht angerechnete fiktive Quellensteuer könne nicht mit anderen Kapitaleinkünften verrechnet werden, gehe völlig fehl. Gerade dies sei seit Einführung der Abgeltungssteuer im Jahre 2009 obligatorisch. Hierzu möge man nur einen Blick auf die Anwendungsbeispiele im BMF-Schreiben vom 18.01.2016 IV C 1-S 2252/08/10004:017, 2015/0468306 (BStBl I 2016, 85, Rz. 202 ff.) im Hinblick auf die Verrechnung der fiktiven Quellensteuer werfen. Mittlerweile gelte, dass die Abgeltungssteuer die sogenannte per-country-limitation abgelöst habe.

    23
    Schließlich weisen die Kläger darauf hin, dass auch bei der Veräußerung von Anleihen gegen Stückzinsen in der Praxis keine Saldierung für Zwecke der Ermittlung des Anrechnungshöchstbetrags vorgenommen werde. Der Streitfall müsse mit derartigen Fällen gleich behandelt werden.

    24
    Die Kläger beantragen,

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    den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2016 vom 15.04.2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30.10.2019 dergestalt abzuändern, dass bisher nicht angerechnete fiktive Quellensteuer in Höhe von 44.919,43 € in Abzug gebracht wird,

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    hilfsweise, die Revision zuzulassen.

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    Der Beklagte beantragt,

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    die Klage abzuweisen,

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    hilfsweise, die Revision zuzulassen.

    30
    Er verweist wegen der Gründe auf die Ausführungen in der angefochtenen Einspruchsentscheidung. Soweit die Kläger im Klageverfahren geltend gemacht hätten, es seien weitere positive, dem DBA-Argentinien unterfallende Kapitalerträge angefallen, ändere dies nichts an dem Umfang der möglichen Anrechnung. Durch die bislang praktizierte Handhabung habe sich der größtmögliche steuerliche Vorteil für die Kläger ergeben. Der Anrechnung liege die Rechtsauffassung des BMF-Schreibens vom 27.09.2016 IV C 1-S 2252/08/10002, FMNR438000016 (BStBl I 2016, 1018) zugrunde. Es entspreche den Überlegungen des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 22.06.2011 I R 103/10 (BFHE 234, 174, BStBl II 2012, 115). Darin werde im Falle einer „Brasilien-Anleihe“ eine wirtschaftliche Einheit zwischen Anleiheerträgen und Währungsverlusten angenommen, so dass eine Verrechenbarkeit mit anderen Kapitalerträgen ausgeschlossen sei. Im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung sei nach § 32d Abs. 5 EStG grundsätzlich die Verrechnung der Quellensteuerüberhänge mit anderweitig angefallenen Kapitalertragsteuern beziehungsweise entstehenden Einkommensteuern direkt möglich. Das BMF-Schreiben vom 27.09.2016 IV C 1-S 2252/08/10002, FMNR438000016 (BStBl I 2016, 1018) schränke jedoch die Anrechnung der fiktiven Quellensteuern auf übrige erzielte Kapitalerträge ein. Die Anrechnung der fiktiven Quellensteuer sei hier nur isoliert auf die Argentinien-Anleihen zu betrachten. Vorliegend sei die Problematik der Verlustverrechnung nach § 20 Abs. 6 EStG im Zusammenhang mit ausländischen Steuern nicht gegeben.

    31
    Am 17.11.2021 hat ein Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage vor der damaligen Berichterstatterin stattgefunden. Vor dem Senat wurde am 23.03.2023 mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsprotokolle wird Bezug genommen.

    Entscheidungsgründe

    32
    Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

    33
    1. Der Einkommensteuerbescheid für 2016 vom 15.04.2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30.10.2019 ist nicht rechtswidrig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung ‒ FGO ‒). Die von den Klägern begehrte Anrechnung weiterer fiktiver argentinischer Quellensteuer scheidet aus, da gemäß Art. 23 Abs. 2 Satz 2 DBA-Argentinien die ausländischen Steuern nur bis zur Höhe der auf die im jeweiligen Veranlagungszeitraum bezogenen Kapitalerträge entfallenden deutschen Steuer anzurechnen sind und insoweit nach § 32d Abs. 5 Sätze 1 bis 3 EStG eine Einzelbetrachtung vorzunehmen ist.

    34
    a) Gemäß Art. 23 Abs. 2 Satz 1 DBA-Argentinien wird auf die von den aus der argentinischen Republik stammenden Einkünften zu erhebende deutsche Einkommensteuer die argentinischer Steuer angerechnet, die nach argentinischen Recht und in Übereinstimmung diesem Abkommen gezahlt worden ist. Für Zwecke dieser Anrechnung wird davon ausgegangen, dass die argentinische Steuer bei Zinsen 15% des Bruttobetrags der Zahlung beträgt (Art. 23 Abs. 3 Buchst. b DBA-Argentinien, sog. fiktive Quellensteuer). Diese Vorschriften gelten ausschließlich für Zinsen i. S. von Art. 11 Abs. 4 DBA-Argentinien, nicht aber für Veräußerungsgewinne bzw. -verluste aus Kapitalanlagen, die in Art. 13 Abs. 5 DBA-Argentinien gesondert geregelt sind. Demnach beträgt die fiktive Quellensteuer im Streitfall 76.727,80 € (15% des Zinsertrags von 511.518,66 €).

    35
    Der anzurechnende Betrag ist jedoch auf die auf die Differenz zwischen den Zinserträgen und den Veräußerungsverlusten entfallende deutsche Steuer in Höhe von 31.808,37 € (= 25% von 127.233,48 €) begrenzt. Gemäß Art. 23 Abs. 2 Satz 2 DBA-Argentinien darf der anzurechnende Betrag nicht den Teil der vor der Anrechnung ermittelten deutschen Steuer übersteigen, der auf „diese Einkünfte“ entfällt. Wie dieser Betrag zu berechnen ist, ist im DBA-Argentinien nicht geregelt, weshalb insoweit auf das deutsche Recht zurückzugreifen ist (vgl. BFH-Urteil vom 22.06.2011 I R 103/10, BStBl. II 2012, 115, Rn. 21, zur wortgleichen Regelung im DBA-Brasilien). Zur Berechnung des Höchstbetrags enthält § 32d Abs. 5 EStG Regelungen.

    36
    aa) Nach § 32d Abs. 5 Satz 1 ist in den Fällen des § 32d Abs. 3 EStG und des ‒ vorliegend einschlägigen ‒ § 32d Abs. 4 EStG bei unbeschränkt Steuerpflichtigen, die mit ausländischen Kapitalerträgen in dem Staat, aus dem die Kapitalerträge stammen, zu einer der deutschen Einkommensteuer entsprechenden Steuer herangezogen werden, die auf ausländische Kapitalerträge festgesetzte und gezahlte und um einen entstandenen Ermäßigungsanspruch gekürzte ausländische Steuer, jedoch höchstens 25% ausländische Steuer auf den einzelnen steuerpflichtigen Kapitalertrag, auf die deutsche Steuer anzurechnen. Soweit in einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung die Anrechnung einer ausländischen Steuer einschließlich einer als gezahlt geltenden Steuer auf die deutsche Steuer vorgesehen ist, gelten nach § 32d Abs. 5 Satz 2 EStG die Regelungen des § 32d Abs. 5 Satz 1 EStG entsprechend. Gemäß § 32d Abs. 5 Satz 3 EStG sind die ausländischen Steuern nur bis zur Höhe der auf die im jeweiligen Veranlagungszeitraum bezogenen Kapitalerträge im Sinne des § 32d Abs. 5 Satz 1 EStG entfallenden deutschen Steuer anzurechnen.

    37
    bb) § 32d Abs. 5 Sätze 1 und 2 EStG geben mithin vor, dass die Anrechnung der ausländischen Quellensteuer für den jeweiligen ausländischen Kapitalertrag auf die Höhe der Einkommensteuer begrenzt ist, die auf diesen entfällt (sog. per-item-limitation) und dass der Anrechnungsbetrag an ausländischer Steuer je Kapitalertrag 25% der Einnahme (des jeweiligen Kapitalertrags) nicht übersteigen darf. Zudem ist die Summe der nach den Sätzen 1 und 2 insgesamt anrechenbaren ausländischen Steuerbeträge gemäß § 32d Abs. 5 Satz 3 EStG begrenzt, d.h. die Einkommensteuer auf die gesamten in- und ausländischen Kapitalerträge, die dem gesonderten Tarif gemäß § 32d Abs. 1 Satz 1 EStG unterliegen, kann durch die Anrechnung der ausländischen Steuerbeträge (§ 32d Abs. 1 Satz 2 EStG) maximal auf 0 € gemindert werden; ein Anrechnungsüberhang wird weder erstattet noch vorgetragen (vgl. BT-Drucks 16/10189, S. 53; BFH, Urteil vom 23.11.2021 VIII R 22/18, BFHE 275, 99, BFH/NV 2022, 502, BStBl II 2023, 18, Rz. 25, m. w. N.).

    38
    Dabei sind für die Prüfung der Anrechnungsvoraussetzungen gemäß § 32d Abs. 5 Sätze 1 und 2 EStG die ausländischen Kapitalerträge einzeln zu betrachten (vgl. BFH, Urteil vom 23.11.2021 ‒ VIII R 22/18, BFHE 275, 99 BStBl II 2023, 68, Rz. 26).

    39
    Die gesetzlich zwingend vorgesehene Verrechnung nach dem hier einschlägigen § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG für die unterjährige Verlustverrechnung (vgl. Buge in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 20 EStG Rz. 617 ) kann zur Folge haben, dass die nichtanrechenbare ausländische Quellensteuer verfällt (vgl. Levedag, HFR 2022, 645, für den Fall der Verrechnung negativer inländischer Kapitalerträge mit positiven ausländischen Kapitalerträgen). Der Steuerpflichtige kann ausländische quellensteuerbelastete Kapitalerträge nicht von der Verlustverrechnung gemäß § 20 Abs. 6 EStG ausnehmen, um die Anrechnung der ausländischen Quellensteuerbeträge gemäß § 32d Abs. 5 EStG und einen höheren Verlustabzug in den Folgejahren zu erreichen (Jachmann-Michel, jurisPR-SteuerR 20/2022 Anm. 3, unter D.II.).

    40
    b) Nach diesen Grundsätzen ist die im Rahmen der streitigen Einkommensteuerfestsetzung vom Beklagten vorgenommene Anrechnung der fiktiven argentinischen Quellensteuer unter (vorrangiger) Verrechnung der beim jeweiligen ausländischen Kapitalertrag entstandenen Verluste nicht zu beanstanden.

    41
    aa) Dabei ist im Rahmen der sogenannten Einzelbetrachtung oder „per-item-limitation“ jeder der einzelnen Kapitalerträge für sich zu betrachten.

    42
    (1) Dies ergibt sich aus § 32d Abs. 5 Satz 1 EStG, der nach § 32d Abs. 5 Satz 2 EStG entsprechend anzuwenden ist, soweit in einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung die Anrechnung einer ausländischen Steuer einschließlich einer als gezahlt geltenden Steuer auf die deutsche Steuer ‒ wie hier in Art. 23 Abs. 2 und Abs. 3 Buchst. b DBA-Argentinien ‒ ohne weitere Voraussetzungen vorgesehen ist (vgl. BMF-Schreiben vom 03.08.2017 IV B 4-S 1301/08/10015, BStBl I 2017, 1225, Tz. 1.1.4.). Nach dem Gesetzeswortlaut in § 32d Abs. 5 Satz 1 EStG ist „auf den einzelnen steuerpflichtigen Kapitalertrag“ abzustellen. Dementsprechend wird ‒ anders als im Rahmen des § 34c EStG ‒ nicht auf sämtliche Einkünfte aus einem Staat (per country), sondern auf einen einzelnen Zufluss (per item) aus einer Forderung, einer Beteiligung bzw. einer Veräußerung abgestellt (Werth in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, § 32d EStG Rz. 110 ; Kühner/Gabert-Pipersberg in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 32d EStG Rz. 81 ; Oellerich in Bordewin/Brandt, EStG, § 32d Rz. 117 ).

    43
    Die Einwendung der Kläger, mittlerweile greife keine „per-country-limitation“, trifft zwar zu (vgl. auch Werth in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, § 32d EStG Rz. 14 ), lässt jedoch die stattdessen geltende „per-item-limitation“ außer Acht. Wegen der „per-item-limitation“ (Werth in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, § 32d EStG Rz. 110 ; Oellerich in Bordewin/Brandt, EStG, § 32d Rz. 117 ) war auch nicht dem weiteren Einwand der Kläger nachzugehen, sie hätten im Jahr 2016 weitere Erträge erzielt, die dem DBA-Argentinien unterfielen.

    44
    (2) Die in § 32d Abs. 5 Satz 1 EStG vorgesehene „per-item-limitation“ gilt nach der ausdrücklichen Bestimmung in § 32d Abs. 5 Satz 2 EStG auch dann, wenn wie in Art. 23 Abs. 2, 3 DBA-Argentinien die Anrechnung einer (auch fiktiven) ausländischen Quellensteuer vorgesehen ist (BT-Drs. 16/10189, S. 53; Werth in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, § 32d EStG Rz. 111 ; Oellerich in Bordewin/Brandt, EStG, § 32d Rz. 118 ).

    45
    Die mithin auch im Streitfall maßgebliche „per-item-limitation“ bewirkt im Streitfall, dass bei jedem einzelnen Zinsertrag im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG in Höhe von 50% des Nominalwerts der Anleihe der bei jeder einzelnen Anteilsveräußerung zugleich entstandene Veräußerungsverlust im Sinne des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG abzuziehen ist. Dass der Beklagte insoweit im Schreiben vom 16.08.2019 und (der Sache nach) in der verfahrensgegenständlichen Einspruchsentscheidung eine den einzelnen Kapitalertrag übergreifende Gesamtbetrachtungsweise vorgenommen hat, ist im Ergebnis deshalb nicht zu beanstanden, weil die einzelnen Zinserträge jeweils die Veräußerungsverluste überschreiten und mithin rechnerisch keiner der bei einer Argentinien-Anleihe angefallenen Veräußerungsverluste den aus einer anderen Argentinien-Anleihe erzielten Zinsertrag mindert.

    46
    (3) Hinzu kommt im Streitfall, dass der Kläger die Argentinien-Anleihen erst zu einem Zeitpunkt erworben hatte, als die Republik Argentinien das Angebot an die Anleger, die Anleihen zum Nennwert zurückzuerwerben und 50% des Nennwerts als Zinsen zu zahlen, bereits gemacht hatte. Damit stand im Erwerbszeitpunkt bereits fest, dass der Kläger einen Zinsertrag erwirtschaften und zugleich einen Veräußerungsverlust erleiden würde. In solchen Fällen nimmt der BFH eine wirtschaftliche Einheit mit der Folge an, dass für Zwecke des Anrechnungshöchstbetrags eine Saldierung vorzunehmen ist (vgl. BFH-Urteil vom 22.06.2011 I R 103/10, BFHE 234, 174, BStBl II 2012, 115, Rz. 25). Vor diesem Hintergrund kann offen bleiben, wie die von den Klägern dargelegte Handhabung bei der Veräußerung von Anleihen gegen Stückzinsen ist; denn jedenfalls aufgrund der Besonderheiten des Streitfalls ist vorliegend eine Saldierung vorzunehmen.

    47
    bb) Wie bereits ausgeführt sind nach § 32d Abs. 5 Satz 3 EStG die ausländischen Steuern nur bis zur Höhe der auf die im jeweiligen Veranlagungszeitraum bezogenen Kapitalerträge „im Sinne des § 32d Abs. 5 Satz 1 EStG“ entfallenden deutschen Steuer anzurechnen. Der ausdrückliche Bezug auf die jeweiligen Kapitalerträge bewirkt, dass auch im Rahmen der nach § 32d Abs. 5 Satz 3 EStG anzurechnenden ausländischen Steuern die „per-item-limitation“ greift. Zudem stellt § 32d Abs. 5 Satz 3 EStG ausweislich der Gesetzesmaterialien ausdrücklich klar, dass durch die Anrechnung ausländischer Steuer die deutsche Steuer bis auf 0 € reduziert werden kann, es aber nicht zu einer Erstattung kommen kann (BT-Drs. 16/10189, S. 53). Der damit verfolgte Gesetzeszweck der Verhinderung von Anrechnungen, die über den für den jeweiligen Kapitalertrag festgesetzten Steuerbetrag hinausgehen, verbietet es ‒ wie vom Beklagten im Schreiben vom 16.08.2019 ausgeführt ‒, dass die fiktive argentinische Quellensteuer zu einer oberhalb der tatsächlichen Steuerbelastung des einzelnen Kapitalertrags liegenden Anrechnung kommt.

    48
    cc) Aus den vorgenannten Gründen ist eine Anrechnung nicht in Höhe von 15% des jeweils erzielten Bruttobetrags vorzunehmen, sondern die Höhe des Anrechnungsbetrags ist auf den Betrag begrenzt, mit dem die jeweiligen Kapitalerträge der deutschen Einkommensteuer unterliegen. Da insoweit der gesonderte Steuertarif von 25% für Einkünfte aus Kapitalvermögen nach § 32d Abs. 1 Satz 1 EStG maßgeblich ist (sog. Abgeltungssteuer), ergibt sich eine Begrenzung auf 25% der um die jeweils erzielten Veräußerungsverluste gekürzten jeweiligen Zinserträge. Dementsprechend sind von der dem Kläger im Zusammenhang mit den Argentinien-Anleihen insgesamt bescheinigten Abgeltungssteuer in Höhe von 94.443,77 € nur 31.808,37 € anzurechnen.

    49
    dd) Die Einzelheiten lassen sich der folgenden Übersicht entnehmen.

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    Die Entscheidung enthält an dieser Stelle ein Bild oder eine Grafik.

    51
    c) Nicht zu beanstanden ist schließlich, dass der Beklagte die verfahrensgegenständliche Einkommensteuer im Nachgang zur Einspruchseinlegung höher festgesetzt, die Einkommensteuerfestsetzung also verbösert hat. Denn er hat gemäß § 367 Abs. 2 Satz 2 AO die Kläger mit Schreiben vom 16.08.2019 auf die Möglichkeit einer verbösernden Entscheidung unter Angabe von Gründen hingewiesen und ihnen Gelegenheit gegeben, sich hierzu zu äußern.

    52
    2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

    53
    3. Die Revision war nicht zuzulassen, weil kein Revisionszulassungsgrund i. S. von § 115 Abs. 2 FGO eingreift. Die Rechtssache hat insbesondere keine grundsätzliche Bedeutung, da die Grundsätze zur Berechnung eines in einem DBA geregelten Anrechnungshöchstbetrags bereits höchstrichterlich geklärt sind. Diese Rechtsprechung hat der Senat angewandt und dabei die Besonderheiten des Streitfalls berücksichtigt.