07.11.2023 · IWW-Abrufnummer 238149
Finanzgericht Köln: Urteil vom 19.04.2023 – 9 K 1179/20
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Köln
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
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Tatbestand
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Die Beteiligten streiten über die Erstattung von in Deutschland einbehaltener und in Belgien nicht anrechenbarer Kapitalertragsteuer für das Jahr 2015.
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Der Kläger lebt mit seiner Ehefrau im Ortsteil R der Gemeinde Z in Belgien und unterliegt dort der unbeschränkten Steuerpflicht nach belgischem Steuerrecht. Er war im Streitjahr wesentlich an der Y GmbH (im Folgenden: GmbH) mit Sitz in X beteiligt und auch einer ihrer Geschäftsführer. Von der GmbH bezog er neben seinem Gehalt als Geschäftsführer in Höhe von ... € auch eine Gewinnausschüttung. Ausweislich der Steuerbescheinigung der GmbH vom 16. Juni 2015 zahlte die Gesellschaft an den Kläger am selben Tag aufgrund des Gesellschafterbeschlusses vom ... 2015 einen Betrag in Höhe von ... €, wovon sie Kapitalertragsteuer in Höhe von ... € und Solidaritätszuschlag in Höhe von ... € einbehielt und an das Finanzamt X abführte. Daneben erzielte er aus Vermietung und Verpachtung eines in Deutschland gelegenen Grundstücks einen Verlust in Höhe von ... €.
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Mit Bescheid vom 5. November 2015 setzte der Beklagte antragsgemäß zu erstattende Kapitalertragsteuer in Höhe von ... € und zu erstattenden Solidaritätszuschlag in Höhe von ... € fest.
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Mit Schreiben vom 1. März 2016 beantragte der Kläger beim Finanzamt X die Erstattung der einbehaltenen Kapitalertragsteuern des Streitjahres, soweit diese nicht bereits vom Beklagten erstattet worden seien. Der Erstattungsanspruch ergebe sich unmittelbar aus der europarechtlichen Kapitalverkehrsfreiheit. Nach der Rechtsprechung des EuGH (Rechtssache Miljoen, Urteil vom 17. September 2015 ‒ C-14/14) widerspreche es der Kapitalverkehrsfreiheit, wenn ein Mitgliedstaat für gebietsansässige Steuerpflichtige ein Verfahren zum Abzug der Kapitalertragsteuer vorsehe, für gebietsfremde natürliche Personen dagegen nicht, wenn dies zu einer höheren steuerlichen Belastung führe. Diese Ungleichbehandlung könne zwar durch ein Doppelbesteuerungsabkommen beseitigt werden, im vorliegenden Fall enthalte das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und zur Regelung verschiedener anderer Fragen auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen einschließlich der Gewerbesteuer und der Grundsteuern (DBA) jedoch keine Vorschrift, nach der der Wohnsitzstaat Belgien die in Deutschland gezahlte Kapitalertragsteuer in Höhe von höchstens 15 % zwingend anzurechnen habe. Das belgische Recht sehe eine solche Anrechnung grundsätzlich nicht vor. Die in Deutschland einbehaltene Kapitalertragsteuer vermindere lediglich die Bemessungsgrundlage der belgischen Einkommensteuer. Aufgrund dessen komme es statt zu einer Besteuerung der Ausschüttung in Höhe von 25 % zu einer Besteuerung in Höhe von 36,25 %. Für die Bearbeitung des Antrags sei das Finanzamt X und nicht der Beklagte zuständig, da sich die geltend gemachte niedrigere Kapitalertragsteuer unmittelbar aus der europarechtlichen Kapitalverkehrsfreiheit und nicht aus den §§ 43b, 50 des Einkommensteuergesetzes (EStG) oder eines Doppelbesteuerungsabkommens ergebe und sich der wesentliche Teil des Vermögens des Klägers ‒ die Anteile an der GmbH ‒ im Zuständigkeitsbezirk des Finanzamts X befinde.
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Auf der Grundlage einer internen Abstimmung mit dem Finanzamt X lehnte das Finanzamt V, das auch zuletzt für den Kläger als unbeschränkt Steuerpflichtigen zuständig war, mit Bescheid vom 6. Oktober 2017 dessen Antrag vom 1. März 2016 ab, da die von gebietsfremden Steuerpflichtigen in Deutschland zu tragende endgültige steuerliche Belastung hinsichtlich dieser Dividenden nicht höher sei als die von den gebietsansässigen Steuerpflichtigen zu tragende. Unabhängig hiervon sei nicht hinreichend dokumentiert, ob bzw. wie hoch die Belastung mit belgischer Einkommensteuer erfolgt und ob die Vermeidung der bemängelten Doppelbelastung auf Ebene des Wohnsitzstaates durch Anträge auf Änderung der Steuerbescheide bzw. auf Einleitung eines Verständigungsverfahrens erfolglos betrieben worden sei. Aus dem vorgelegten belgischen Steuerbescheid sei nicht ersichtlich, inwieweit die erhaltene Bruttodividende in Höhe von ... € bzw. die Nettodividende in Höhe von ... € in der Berechnung der belgischen Einkommensteuer enthalten sei.
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Gegen diesen Bescheid legte der Kläger mit Schreiben vom 11. Oktober 2017 Einspruch ein und verwies zur Begründung auf den bisherigen Schriftverkehr. Hinsichtlich des Verständigungsverfahrens sei es auch nach deutschem Verfahrensrecht so, dass ein diesbezüglicher Antrag erst gestellt werden solle, wenn die normalen Rechtsbehelfe erschöpft seien. Insoweit behalte man sich den Antrag auf Durchführung des Verständigungsverfahrens vor.
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Den Einspruch wies das Finanzamt V mit Einspruchsentscheidung vom 27. April 2020 als unbegründet zurück. Die Einbehaltung der Quellensteuer auf Dividendeneinkünfte entspreche der gültigen Rechtslage. Aufgrund von Art. 10 Abs. 2 DBA liege das Besteuerungsrecht zwar in Belgien, jedoch sei Deutschland berechtigt, die von einer in Deutschland ansässigen Gesellschaft ausgeschütteten Dividenden im Umfang von 15 % des Bruttobetrags zu besteuern. Die zunächst gemäß § 32d EStG einbehaltene Kapitalertragsteuer in Höhe von 25 % sei durch den Beklagten auf verbleibende und insoweit Art. 10 Abs. 2 DBA entsprechende 15 % und hinsichtlich des einbehaltenen Solidaritätszuschlags auf 0,00 € reduziert worden. Einer aus der beidseitigen Inanspruchnahme der jeweiligen Besteuerungsbefugnisse der DBA-Staaten resultierenden Doppelbesteuerung stehe das Unionsrecht nicht entgegen. Nach dem vom Kläger zitierten EuGH-Urteil Miljoen sei eine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit dahingehend zu prüfen, ob der Quellenstaat die Dividendenausschüttungen ansässiger Gesellschaften an gebietsfremde Anteilseigner höher besteuere als Ausschüttungen an gebietsansässige Anteilseigner. Erst auf zweiter Stufe sei zu prüfen, ob die Höherbesteuerung des gebietsfremden Anteilseigners im Quellenstaat durch ein DBA neutralisiert werden könne. Die Mitgliedstaaten seien für die Festlegung von Kriterien für die Besteuerung des Einkommens und des Vermögens und die etwaige Beseitigung einer Doppelbesteuerung im Vertragsweg zuständig. Eine Pflicht zur Beseitigung einer Doppelbesteuerung sei dem Unionsrecht nicht zu entnehmen.
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Am 26. Mai 2020 hat der Kläger Klage zunächst gegen das Finanzamt V erhoben.
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Seit dem 22. Oktober 2021 führt der Beklagte das Verfahren weiter, nachdem durch die Änderung des § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 des Finanzverwaltungsgesetzes durch das Gesetz zur Abwehr von Steuervermeidung und unfairem Steuerwettbewerb und zur Änderung weiterer Gesetze vom 2. Juni 2021 dieser die Aufgabe der Erstattung von Kapitalertragsteuer und von im Wege des Steuerabzugs nach § 50a EStG erhobene Steuer an beschränkt Steuerpflichtige erhalten hat, soweit die Einkommensteuer oder die Körperschaftsteuer mit dem Steuerabzug abgegolten ist und die beschränkte Steuerpflicht nicht auf § 2 Nummer 2 des Körperschaftsteuergesetzes beruht. Mit dem Einverständnis der Beteiligten wurde das Rubrum am 23. November 2021 im Hinblick auf den Beklagten berichtigt.
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Zur Begründung seiner Klage wiederholt und vertieft der Kläger den bisherigen Vortrag im Antrags- und Einspruchsverfahren beim zuvor beklagten Finanzamt V.
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Ergänzend hierzu führt er aus, dass er diskriminiert werde, da ihm die den in Deutschland ansässigen Steuerpflichtigen zustehenden Antragsrechte nach § 32d Abs. 4 EStG bzw. nach § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG, die zu einer Anrechnung der Quellensteuer auf die Einkommensteuer führen könnten, verwehrt würden.
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Entgegen der Auffassung des zunächst beklagten Finanzamts V sei das EuGH-Urteil Miljoen dahingehend zu verstehen, dass sich die Möglichkeit einer Doppelbesteuerung nicht auf die Besteuerung innerhalb eines Staates, also an der Quelle einerseits und beim Dividendenempfänger andererseits beziehe, sondern dass die Ausübung der Steuerhoheit durch den Quellenstaat die Gefahr einer mehrfachen Belastung mit sich bringe.
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Der Föderale Öffentliche Dienst in Belgien habe den Antrag des Klägers auf Einleitung des Verständigungsverfahrens trotz mehrfacher Anläufe unter Hinweis auf das DBA-Belgien als unzulässig abgewiesen. In Deutschland habe der Kläger mangels Ansässigkeit kein Verständigungsverfahren einleiten können.
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Anders als der Beklagte meint, sei von der Bestandskraft des Erstattungsbescheids vom 5. November 2015 nicht der hier streitgegenständliche, über das DBA hinausgehende Erstattungsanspruch erfasst. Weder sei der Beklagte nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs seinerzeit für eine solche Entscheidung zuständig gewesen, noch sei der Erstattungsbescheid von dem Willen getragen gewesen, über den ‒ damals noch gar nicht beantragten ‒ europarechtlich begründeten Erstattungsantrag zu entscheiden. Auf eine Durchbrechung der Bestandskraft komme es gar nicht an.
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Schließlich führe eine umfängliche Klagestattgabe zu keiner vom Beklagten befürchteten Besserstellung des Klägers im Vergleich zu anderen belgischen Dividendenempfängen, da zu erwarten sei, dass die zunächst berücksichtigte deutsche Kapitalertragsteuer im Falle einer Erstattung auch der belgischen Dividendenbesteuerung zu unterwerfen wäre, was im Ergebnis zu einer Steuerbelastung von 25 % führe.
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Der Kläger beantragt,
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den Beklagten zu verpflichten, unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 6. Oktober 2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27. April 2020 einen Erstattungsbescheid zu erlassen, in dem die bisher für die Gewinnausschüttung 2015 aus der Y GmbH einbehaltenen Kapitalertragsteuer von ... € erstattet wird,
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hilfsweise das Verfahren auszusetzen und dem EuGH die vorliegend streitige Rechtsfrage der Nichtanrechnung der Kapitalertragsteuer vorzulegen,
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äußerst hilfsweise im Unterliegensfall die Revision zuzulassen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen,
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hilfsweise im Unterliegensfall die zu erstattende Kapitalertragsteuer von ... € um den in Belgien erfolgten Werbungskostenabzug zu vermindern (3,75% des Dividendenbetrags von ... €).
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Zur Begründung führt er aus, dass einer weitergehenden Teilfreistellung des Klägers von der einbehaltenen Quellensteuer die Bestandskraft des Erstattungsbescheids vom 5. November 2015 entgegenstehe, durch den der Kläger bis auf den Reststeuersatz von 15 % von der deutschen Kapitalertragsteuer freigestellt wurde. Gegen diese ‒ eine nach Vortrag des Klägers diskriminierende Belastung auslösende ‒ Quellensteuerfestsetzung habe der Kläger keinen Einspruch eingelegt. Infolge der hierdurch eingetretenen Bestandskraft komme eine Änderung mangels einschlägiger Änderungsvorschriften nicht mehr in Betracht. Auch die vom BFH zwischenzeitlich angenommene Zuständigkeit der Landesfinanzbehörden führe zu keiner anderen Beurteilung, da weder ihm, dem Beklagten, noch einer Landesfinanzbehörde eine gesetzliche Änderungsmöglichkeit zur Verfügung stehe.
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Die vom Kläger bemängelte Besteuerung resultiere aus einer sich widersprechenden Anwendung des DBA durch die deutschen und belgischen Finanzbehörden, für deren Auflösung das Institut des Verständigungsverfahrens etabliert worden sei. Für den Beklagten sei insoweit nicht nachvollziehbar, weshalb die belgische zuständige Stelle angesichts der aus Sicht des Beklagten unausgewogenen Besteuerung die Einleitung eines Verständigungsverfahrens verweigert habe. Über Inhalt und Anlass der Ablehnung habe die zuständige deutsche Stelle keine Informationen erhalten.
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Sollte der Erstattungsbescheid vom 5. November 2015 aus Sicht des Senats noch änderbar sein, würde der Beklagte jedenfalls auf einen verbleibenden Quellensteueranspruch der Bundesrepublik Deutschland bestehen, um eine Besserstellung des Klägers im Vergleich zu belgischen Dividendenempfängern zu verhindern.
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Entscheidungsgründe
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I. Zur Entscheidung über die Klage war auch nach dem Wechsel des Beklagten vom Finanzamt V auf das Q der erkennende 9. Senat des Finanzgerichts Köln berufen.
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Das Finanzgericht entscheidet im ersten Rechtszug über alle Streitigkeiten, für die der Finanzrechtsweg gegeben ist, § 35 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Örtlich zuständig ist das Finanzgericht, in dessen Bezirk die Behörde, gegen welche die Klage gerichtet ist, ihren Sitz hat, § 38 Abs. 1 FGO. Die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtsweges wird auch hinsichtlich des angerufenen Gerichts durch eine nach Rechtshängigkeit eintretende Veränderung der sie begründenden Umstände nicht berührt, § 70 S. 1 FGO i. V. m. 17 Abs. 1 S. 1 GVG (sog. perpetuatio fori). Dies gilt nach dem für die am 26. Mai 2020 eingegangene Klage maßgeblichen richterlichen Geschäftsverteilungsplan des Finanzgerichts Köln in der Fassung vom 27. Februar 2020 auch für die interne Zuständigkeit der Senate des Finanzgerichts Köln im Falle eines Zuständigkeitswechsels auf Seiten des Beklagten aufgrund einer hoheitlichen Organisationsänderung (vgl. Buchstabe C. I. 6. Satz 1).
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Für die ursprüngliche Klage gegen das Finanzamt V waren nach § 38 Abs. 1 FGO das Finanzgericht Köln und nach dem damals maßgeblichen richterlichen Geschäftsverteilungsplan der 9. Senat zuständig. Die nach Klageerhebung im Jahr 2021 gegebene Zuständigkeit des beklagten Q für die Entscheidung über Anträge auf Erstattung der Kapitalertragsteuer beruht auf der Änderung des § 5 FVG und damit auf einem hoheitlichen Organisationsakt im Sinne des gerichtlichen Geschäftsverteilungsplans.
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II. Die Klage ist unbegründet.
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Der Ablehnungsbescheid vom 6. Oktober 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 101 S. 1 FGO. Der Beklagte hat den Antrag des Klägers auf Erstattung der Kapitalertragsteuer, soweit dieser über den nach dem DBA erstatteten Betrag in Höhe von ... € Kapitalertragsteuer (und ... € hier nicht streitiger Solidaritätszuschlag) hinausgeht, zurecht abgelehnt.
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1. Über eine Anrechnung der Kapitalertragsteuer nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 a EStG etwa im Abrechnungsteil eines Einkommensteuerbescheids und eine sich daraus ggf. ergebenden Erstattung konnte nicht im Rahmen eines Veranlagungsverfahrens, sondern musste in einem gesonderten Antragsverfahren entschieden werden, da ein Veranlagungsverfahren gemäß § 50 Abs. 2 S. 1 EStG für Kapitalerträge von beschränkt Steuerpflichtigen nicht durchzuführen ist.
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2. Für diesen Antrag war im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung am 27. April 2020 das ursprünglich beklagte und mit der Veranlagung des Klägers als beschränkt Steuerpflichtigen hinsichtlich seiner Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit und Vermietung und Verpachtung befasste Finanzamt V zuständig, nachdem dieses mit dem vom Kläger zunächst angerufenen Finanzamt X als Betriebsstättenfinanzamt der GmbH die Zuständigkeit vereinbart hatte, § 27 AO.
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Durch die Änderung des § 5 FVG durch das Gesetz zur Abwehr von Steuervermeidung und unfairem Steuerwettbewerb und zur Änderung weiterer Gesetze vom 2. Juni 2021 erhielt der Beklagte die Aufgabe der Erstattung von Kapitalertragsteuer und von im Wege des Steuerabzugs nach § 50a EStG erhobenen Steuer an beschränkt Steuerpflichtige, soweit die Einkommensteuer oder die Körperschaftsteuer mit dem Steuerabzug abgegolten ist und die beschränkte Steuerpflicht nicht auf § 2 Nummer 2 des Körperschaftsteuergesetzes beruht.
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3. Über den streitgegenständlichen Antrag wurde entgegen der Auffassung des Beklagten schon vor dem Hintergrund des erst nach der (Einspruchs-)Entscheidung des Finanzamts V erfolgten Zuständigkeitswechsels mit Bescheid vom 5. November 2015 noch nicht bestandskräftig entschieden.
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Da der Beklagte im Zeitpunkt seiner Entscheidung vom 5. November 2015 lediglich für die Erstattung des Differenzbetrags zwischen der einbehaltenen Kapitalertragsteuer und dem der Bundesrepublik Deutschland nach DBA zustehender Quellensteuer zuständig war und der an den Beklagten gerichtete Antrag des Klägers nicht hierüber hinausging, durfte der Beklagte seinerzeit über eine darüberhinausgehende Erstattung gar nicht entscheiden. Schon deshalb war der vom Finanzamt V beschiedene Antrag des Klägers vom 1. März 2016 nicht vom Regelungsgehalt des Bescheids des Beklagten vom 5. November 2015 erfasst.
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Im Bescheid vom 5. November 2015 wurde allein über die Erstattung des Differenzbetrages entschieden, um den die als Kapitalertragsteuer einbehaltene Einkommensteuer in Höhe von 25 % der Dividende den der Bundesrepublik Deutschland nach dem DBA zustehenden Teil der Einkommensteuer auf Kapitalerträge in Höhe von 15 % übersteigt. Zum einen hatte der Kläger einen weitergehenden Antrag gar nicht gestellt. Zum anderen enthält der Tenor des Bescheides keine ablehnende Regelung hinsichtlich des nach DBA der Bundesrepublik Deutschland zustehenden Teils der einbehaltenen Steuer (vgl. ausführlich FG Köln, Urteil vom 16. März 2022 ‒ 2 K 2802/20, EFG 2022, 1342-1346).
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4. Der Beklagte hat die Erstattung der einbehaltenen Kapitalertragsteuer zurecht abgelehnt, da das für die Kapitalerträge maßgebliche Steuerrecht der Bundesrepublik Deutschland jedenfalls im vorliegenden Fall nicht gegen die europäischen Grundfreiheiten des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), namentlich die Kapitalverkehrs- oder Niederlassungsfreiheit, verstößt und der Kläger daher keinen Anspruch auf die beantragte Erstattung hat.
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a) Nach Artikel 49 Absatz 1 AEUV sind Beschränkungen der freien Niederlassung von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen verboten. Das Gleiche gilt für Beschränkungen der Gründung von Agenturen, Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften durch Angehörige eines Mitgliedstaats, die im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats ansässig sind. Vorbehaltlich des Kapitels über den Kapitalverkehr umfasst die Niederlassungsfreiheit die Aufnahme und Ausübung selbstständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen, insbesondere von Gesellschaften im Sinne des Artikels 54 Absatz 2 AEUV, nach den Bestimmungen des Aufnahmestaats für seine eigenen Angehörigen.
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Im Rahmen der Bestimmungen des IV. Kapitels des AEUV sind alle Beschränkungen des Kapital- und Zahlungsverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern verboten. Zulässig bleibt die Anwendung derjenigen Beschränkungen auf dritte Länder, die am 31. Dezember 1993 aufgrund einzelstaatlicher Rechtsvorschriften oder aufgrund von Rechtsvorschriften der Union für den Kapitalverkehr mit dritten Ländern im Zusammenhang mit Direktinvestitionen einschließlich Anlagen in Immobilien, mit der Niederlassung, der Erbringung von Finanzdienstleistungen oder der Zulassung von Wertpapieren zu den Kapitalmärkten bestehen.
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Beschränkungen der Grundfreiheiten liegen vor, wenn Mitgliedstaaten solche Maßnahmen ergreifen, die die Inanspruchnahme dieser Freiheiten unterbinden, behindern oder weniger attraktiv machen (vgl. für die Niederlassungsfreiheit EuGH, Urteil vom 29. November 2011 - C‑371/10 (National Grid Indus BV) Rn. 36, für die Kapitalverkehrsfreiheit EuGH, Urteil vom 18. Dezember 2007 ‒ C-101/05 Rn. 40). Im Falle steuerrechtlicher Regelungen können Beschränkungen der Grundfreiheiten vorliegen, wenn die steuerrechtliche Behandlung eines Sachverhalts für die Beteiligten ungünstiger ausfällt, weil sie einen Bezug zu einem anderen Mitgliedstaat aufweisen, als dies der Fall wäre, wenn der Sachverhalt keinen Auslandsbezug aufweisen würde. Im Hinblick auf die Besteuerung von Kapitalerträgen kann eine Beschränkung der Grundfreiheiten vorliegen, wenn ein Mitgliedstaat Dividendenausschüttungen einer im Inland ansässigen Gesellschaft an einen nicht im Inland ansässigen Anteilseigner höher besteuert als die an einen im Inland ansässigen Anteilseigner (vgl. EuGH, Urteil vom 13. November 2019 ‒ C-641/17 (College Pension Plan of British Columbia) Rn. 49 m.w.N.). Diese höhere Besteuerung kann sich z.B. daraus ergeben, dass der betroffene Mitgliedstaat für im Ausland ansässige Dividendenempfänger kein Veranlagungsverfahren vorsieht, in dessen Rahmen Freibeträge oder Betriebsausgaben/Werbungskosten steuermindernd berücksichtigt werden können, während dies für im Inland ansässige Steuerpflichtige möglich ist.
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Beschränkungen der Kapitalverkehrsfreiheit sind jedoch nicht per se unzulässig. Nach Artikel 65 Absatz 1 AEUV berührt Artikel 63 AEUV nicht das Recht der Mitgliedstaaten, die einschlägigen Vorschriften ihres Steuerrechts anzuwenden, die Steuerpflichtige mit unterschiedlichem Wohnort oder Kapitalanlageort unterschiedlich behandeln, die unerlässlichen Maßnahmen zu treffen, um Zuwiderhandlungen gegen innerstaatliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften, insbesondere auf dem Gebiet des Steuerrechts und der Aufsicht über Finanzinstitute, zu verhindern, sowie Meldeverfahren für den Kapitalverkehr zwecks administrativer oder statistischer Information vorzusehen oder Maßnahmen zu ergreifen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit gerechtfertigt sind. Diese Maßnahmen dürfen weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des freien Kapital- und Zahlungsverkehrs darstellen, Artikel 65 Abs. 3 AEUV (vgl. EuGH, Urteil vom 17. Oktober 2013 ‒ C-181/12 (Welte) Rn. 42 f.) In der Auslegung dieser Bestimmungen durch den EuGH kann eine nationale Steuerregelung nur dann als mit den Vertragsbestimmungen über den freien Kapitalverkehr vereinbar angesehen werden, wenn die Ungleichbehandlung Situationen betrifft, die nicht objektiv miteinander vergleichbar sind, oder durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist (vgl. EuGH, Urteil vom 17. September 2019 ‒ C-10/14, C-14/14, C-17/14 (Miljoen u. a.) Rn. 89; vom 10. Mai 2012 ‒ C-338/11 bis C-347/11 (Santander Asset Management SGIIC u.a.) Rn. 23 m.w.N.).
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Im Hinblick auf die Vergleichbarkeit der Situationen im Falle eines Quellensteuerabzugs ist zu beachten, dass sich die Situation der gebietsfremden Steuerpflichtigen derjenigen der gebietsansässigen Steuerpflichtigen annähert, sobald ein Mitgliedstaat einseitig oder im Wege eines Abkommens nicht nur die gebietsansässigen, sondern auch die gebietsfremden Steuerpflichtigen hinsichtlich der Dividenden, die sie von einer gebietsansässigen Gesellschaft beziehen, der Einkommensteuer unterwirft. Allein schon die Ausübung der Steuerhoheit innerhalb eines Mitgliedstaats birgt, unabhängig von einer Besteuerung in einem anderen Mitgliedstaat, die Gefahr einer mehrfachen Belastung oder einer wirtschaftlichen Doppelbelastung in sich (vgl. EuGH, Urteil vom 17. September 2019 ‒ C-10/14, C-14/14, C-17/14 (Miljoen u. a.) Rn. 67 f. m.w.N). Damit sich gebietsfremde steuerpflichtige Dividendenempfänger nicht einer unzulässigen Beschränkung des freien Kapitalverkehrs gegenübersehen, hat in einem solchen Fall der Mitgliedstaat des Sitzes der ausschüttenden Gesellschaft dafür zu sorgen, dass gebietsfremde Steuerpflichtige hinsichtlich des in seinem nationalen Recht vorgesehenen Mechanismus zur Vermeidung oder Abschwächung einer mehrfachen Belastung oder einer wirtschaftlichen Doppelbesteuerung eine Behandlung erfahren, die derjenigen der gebietsansässigen Steuerpflichtigen gleichwertig ist (vgl. EuGH, Urteil vom 17. September 2019 ‒ C-10/14, C-14/14, C-17/14 (Miljoen u. a.) Rn. 68.).
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Behält ein Mitgliedstaat von den Dividenden, die in diesem Staat ansässige Gesellschaften ausschütten, an der Quelle eine Dividendensteuer ein, muss der Vergleich zwischen der steuerlichen Behandlung eines gebietsfremden Steuerpflichtigen und der eines gebietsansässigen Steuerpflichtigen im Hinblick auf die vom gebietsfremden Steuerpflichtigen geschuldete Dividendensteuer einerseits und die vom gebietsansässigen Steuerpflichtigen geschuldete Einkommen- oder Körperschaftsteuer, deren Bemessungsgrundlage die Einkünfte aus den Anteilen umfasst, aus denen die Dividenden fließen, andererseits durchgeführt werden.
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Bei der Beurteilung, ob derartige Rechtsvorschriften eines Mitgliedsstaats Beschränkungen der Grundfreiheiten darstellen, ist es Aufgabe des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob hinsichtlich der in Rede stehenden Dividenden ein im Ausland ansässigen Steuerpflichtiger eine höhere steuerliche Belastung trägt, als sie Gebietsansässigen bei den gleichen Dividenden auferlegt wird (vgl. EuGH, Urteil vom 17. September 2019 ‒ C-10/14, C-14/14, C-17/14 (Miljoen u. a.) Rn. 48). Diesbezüglich sind Artikel 63 und 65 AEUV dahin auszulegen, dass sie Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats, die bei den von einer gebietsansässigen Gesellschaft ausgeschütteten Dividenden sowohl für gebietsansässige als auch für gebietsfremde Steuerpflichtige einen Steuerabzug an der Quelle vorschreiben, wobei sie nur für die gebietsansässigen Steuerpflichtigen ein Verfahren zum Abzug oder zur Erstattung der Quellensteuer vorsehen, während diese für steuerpflichtige gebietsfremde natürliche Personen und Gesellschaften eine endgültige Steuer darstellt, entgegenstehen, sofern die von den gebietsfremden Steuerpflichtigen in diesem Staat zu tragende endgültige steuerliche Belastung hinsichtlich dieser Dividenden höher ist als die von den gebietsansässigen Steuerpflichtigen zu tragende. (vgl. EuGH, Urteil vom 17. September 2019 ‒ C-10/14, C-14/14, C-17/14 (Miljoen u. a.) Rn. 90).
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Liegt eine Beschränkung des Kapitalverkehrs vor, kann diese durch die Wirkungen eines bilateralen Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung zwischen dem Mitgliedstaat des Sitzes oder Wohnsitzes und dem Mitgliedstaat, aus dem die Dividenden stammen, gerechtfertigt sein, falls die unterschiedliche Behandlung von Steuerpflichtigen mit Sitz oder Wohnsitz im letztgenannten Staat und Steuerpflichtigen mit Sitz oder Wohnsitz in anderen Mitgliedstaaten bei der Besteuerung von Dividenden beseitigt wird (vgl. EuGH, Urteil vom 17. September 2019 ‒ C-10/14, C-14/14, C-17/14 (Miljoen u. a.) Rn. 90).
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b) Bei Anwendung dieser ‒ vom Senat geteilten ‒ Rechtsprechungsgrundsätze des EuGH wird der Kläger, der in Deutschland eine endgültige steuerliche Belastung hinsichtlich der von der GmbH ausgeschütteten Dividenden in Höhe von lediglich 15 % zu tragen hat, im Hinblick auf diese Kapitalerträge durch das deutsche Steuerrecht nicht schlechter gestellt als vergleichbare inländische Steuerpflichtige, sodass keine unionsrechtswidrige Beschränkung der Kapitalverkehrs- oder Niederlassungsfreiheit vorliegt.
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aa) Da im zu entscheidenden Fall mit reinem EU-Bezug der Anwendungsbereich sowohl der Kapitalverkehrs- wie auch der Niederlassungsfreiheit eröffnet ist, kann dahinstehen, welche Freiheit im vorliegenden Fall vorrangig einschlägig ist. Nur in Drittstaatenfällen wäre aufgrund des unterschiedlichen Anwendungsbereichs beider Grundfreiheiten eine Entscheidung notwendig.
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bb) Eine unionsrechtswidrige Beschränkung der beiden Grundfreiheiten liegt nicht schon deshalb vor, weil die Kapitalerträge des Klägers aufgrund der doppelten Steuerpflicht im Königreich Belgien (dort unbeschränkt) und in der Bundesrepublik Deutschland (hier beschränkt) die inländischen Kapitalerträge insgesamt prozentual einer höheren Steuerbelastung unterliegen als im Falle einer einfachen Steuerpflicht in einem der beiden Länder. Dass es aufgrund der kumulativen Ausübung des jeweiligen Besteuerungsrechts der Mitgliedstaaten zu einer Doppelbesteuerung kommt, ist aus europarechtlichen Gesichtspunkten nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unproblematisch, solange im innerstaatlichen Recht keine wirksame Ungleichbehandlung von aus- und inländischen Steuerpflichtigen vorliegt (vgl. EuGH, Urteil vom 16 Juli 2009 ‒ C-128/08 (Damseaux) Rn. 26 f., vom 14. November 2006 ‒ C-513/04 (Kerckhaert und Morres); vom 20. Mai 2008 ‒ C-194/06 (Orange European Smallcap Fund)).
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cc) Der Kläger unterliegt als beschränkt Steuerpflichtiger aufgrund inländischen Rechts hinsichtlich seiner Kapitalerträge im Inland keiner höheren Steuerbelastung als ein mit ihm hinsichtlich seiner Einkünfte vergleichbarer inländischer Steuerpflichtiger.
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Nach der vorzitierten Rechtsprechung des EuGH kommt es bei der Untersuchung einer Ungleichbehandlung allein auf die innerstaatlichen steuerrechtlichen Mechanismen und deren Auswirkung auf die endgültige steuerliche Belastung eines gebietsansässigen Steuerpflichtigen einerseits und eines nicht gebietsansässigen Steuerpflichtigen andererseits an.
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Im Hinblick auf die Erhebung der Einkommensteuer auf Kapitalerträge unterliegen unbeschränkt und beschränkt Steuerpflichtige demselben Mechanismus des Kapitalertragsteuerabzugs. Die Kapitalertragsteuer in Höhe von 25 % (zzgl. Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer) wird an der Quelle ‒ also bei der Dividendenausschüttung ‒ nach §§ 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 43a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG einbehalten. Die einbehaltene Kapitalertragsteuer hat im Hinblick auf die dem Steuerabzug unterliegenden Kapitalerträge sowohl für unbeschränkt als auch beschränkt Steuerpflichtige grundsätzlich Abgeltungswirkung, sodass für beide eine Einkommensteuerbelastung für Kapitalerträge in Höhe von 25 % der bezogenen Kapitalerträge besteht. Für beschränkt Steuerpflichtige reduziert sich diese Belastung nach Maßgabe der geltenden Doppelbesteuerungsabkommen; im vorliegenden Fall beträgt die Kapitalertragsteuerbelastung in Deutschland für in Belgien unbeschränkt Steuerpflichtige 15 % (Art. 10 Abs. 2 des DBA).
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Im Unterschied zu dem für beschränkt Steuerpflichtige geltenden § 50 Abs. 2 S. 1 EStG sehen § 43 Abs. 5 Sätze 2 und 3 EStG vor, dass unbeschränkt Steuerpflichtige eine besondere Besteuerung der Kapitalerträge nach Maßgabe des § 32d EStG im Rahmen eines Veranlagungsverfahrens beantragen können. In diesen Fällen entfällt die Abgeltungswirkung der Kapitalertragsteuer. Die besondere Besteuerung nach § 32d EStG sieht einerseits die Möglichkeit vor, im Rahmen einer Veranlagung die Berücksichtigung eines nicht vollständig ausgeschöpften Sparer-Pauschbetrags, die Anwendung der Ersatzbemessungsgrundlage nach § 43a Absatz 2 Satz 7 EStG, die Einbeziehung eines noch nicht im Rahmen des § 43a Absatz 3 EStG berücksichtigten Verlusts, eines Verlustvortrags nach § 20 Absatz 6 EStG und noch nicht berücksichtigter ausländischer Steuern, die Überprüfung des Steuereinbehalts dem Grund oder der Höhe nach oder zur Anwendung von Absatz 1 Satz 3 zu beantragen. In diesen Fällen reduziert sich die Bemessungsgrundlage der Kapitalertragsteuer, auf die dann der Steuersatz von 25 % Anwendung findet. Andererseits haben unbeschränkt Steuerpflichtige nach § 32d Abs. 6 EStG die Möglichkeit, eine sogenannte Günstigerprüfung zu beantragen, wonach die Kapitalerträge den übrigen Einkünften hinzugerechnet und mit dem sich dann ergebenden persönlichen Steuersatz des Steuerpflichtigen besteuert werden, wenn die hieraus resultierende Gesamtsteuerbelastung geringer ist. Für beschränkt Steuerpflichtige findet dieses Veranlagungsverfahren aufgrund der absoluten Abgeltungswirkung nach § 50 Abs. 2 S. 1 EStG nicht statt.
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dd) Diese ‒ offenkundige ‒ Ungleichbehandlung von unbeschränkt und beschränkt Steuerpflichtigen führt im zu entscheidenden Fall nicht zu einer ‒ aus dem deutschen Steuerrecht resultierenden ‒ Schlechterstellung des Klägers im Vergleich zu unbeschränkt Steuerpflichtigen. Im Gegenteil: Im Vergleich mit einer fiktiven einkommensteuerlichen Behandlung des Klägers als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig bzw. im Vergleich mit einer dem Kläger vergleichbaren unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Person in Deutschland ergibt sich für den Kläger, der im Inland mit 15 % Einkommensteuer auf seine Dividenden belastet ist, eine Besserstellung, da die unbeschränkt einkommensteuerpflichtige Vergleichsperson mit 25 % Einkommensteuer auf die Kapitalerträge belastet ist und bleibt. Die nach dem deutschen Steuerrecht theoretisch bestehenden Möglichkeit einer Veranlagung nach § 32d EStG führt beim Umfang der Einkünfte des Klägers nicht zu einer geringeren Einkommensteuerbelastung im Hinblick auf die Dividenden.
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Entgegen der Auffassung des Klägers kommt es beim Vergleich der von den Steuerpflichtigen in dem Staat, in dem die Dividenden ausschüttende Gesellschaft sitzt, zu tragenden endgültigen steuerlichen Belastung nicht auf die globale Gesamtbelastung an, die sich aus dem Zusammenwirken der beschränkten Steuerpflicht in Deutschland und der unbeschränkten Steuerpflicht in Belgien ergibt, sondern allein auf die Belastung, die sich aufgrund der nationalen Regelungen ergibt. Nur so ist die Formulierung des EuGH im Urteil Miljoen „in diesem Staat zu tragende endgültige steuerliche Belastung“ zu verstehen. Der Prüfungsmaßstab des EuGH bezieht sich allein auf das Ergebnis einer Ungleichbehandlung von Steuerpflichtigen durch einen Mitgliedstaat aufgrund der nationalen Vorschriften. Dass sich aufgrund der Ausübung der Besteuerungsbefugnisse sowohl des Wohnsitz- wie auch des Quellenstaates eine höhere Besteuerung ergeben kann, ist aus Sicht des EuGH solange unproblematisch, wie diese nicht auf einer Diskriminierung eines im Ausland Ansässigen beruht. Dies ist gerade nicht der Fall. Würde die Auffassung des Klägers zutreffen, dann wäre ‒ entgegen der Rechtsprechung des EuGH ‒ jede Doppelbesteuerung unzulässig. Das ist sie ausdrücklich nicht.
57
Die Anwendung der für unbeschränkt Steuerpflichtige geltenden Regelungen der §§ 43 Abs. 5 S. 2 u. 3, 32d Abs. 4 und 6 EStG sowie des DBA im vorliegenden Fall unter Außerachtlassung des § 50 Abs. 2 S. 1 EStG, im Ergebnis also die Behandlung des Klägers als unbeschränkt Steuerpflichtiger, würde eine ‒ nach Überzeugung des Senats ‒ europarechtlich zulässige Globalbelastung des Klägers von 43,75 % ergeben (25 % in Deutschland + 25 % auf 75 % in Belgien, vgl. Berechnung des Klägers auf Blatt 3 der Gerichtsakte).
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ee) Das vom EuGH gefundene Ergebnis im Urteil Miljoen, dessen Anwendung nach den dortigen Ausführungen eine vom nationalen Gericht durchzuführende vergleichende Prüfung der steuerlichen Belastung voraussetzt, ist aufgrund der Unterschiede des niederländischen und des deutschen Steuerrechts nicht ohne Weiteres auf den hier zu entscheidenden Fall übertragbar. Es macht jedoch deutlich, dass der EuGH das nationale Steuerrecht im Hinblick auf eine Ungleichbehandlung von im Ausland einerseits und im Inland andererseits ansässigen Personen überprüft.
59
Soweit es sich aus den Ausführungen des EuGH im Urteil Miljoen für den erkennenden Senat ergibt, funktioniert das niederländische Steuerrecht im Hinblick auf die Besteuerung von Kapitalerträgen insoweit gänzlich anders als das deutsche Steuerrecht, als die Ermittlung der Quellensteuer auf Kapitalerträge (sog. Dividendensteuer), die von im Ausland und in den Niederlanden Ansässigen gleichermaßen erhoben wird, von der Ermittlung der von in den Niederlanden Ansässigen zu tragende tatsächliche Einkommensteuer erheblich abweicht. Die vom EuGH im Urteil Miljoen beanstandete Ungleichbehandlung durch das niederländische Steuerrecht ergibt sich nach dem Verständnis des erkennenden Senats daraus, dass für Gebietsfremde die niederländische Quellensteuer immer eine endgültige Steuer im Hinblick auf die Dividenden darstellt, während in den Niederlanden ansässige Steuerpflichtige die pauschale Dividendensteuer mit einer hiervon gänzlich abweichend zu ermittelnden Einkommensteuer auf Kapitalvermögen (!) verrechnen können. Der Ausschluss der Anrechnungsmöglichkeit für im Ausland ansässige Steuerpflichtige kann ‒ unabhängig von der Besteuerung in einem anderen Mitgliedstaat ‒ zu einer im nationalen Recht begründeten mehrfachen Belastung oder einer wirtschaftlichen Doppelbesteuerung führen.
60
Im deutschen Steuerrecht aber entspricht die einbehaltene Kapitalertragsteuer grundsätzlich der späteren Einkommensteuer auf Kapitalerträge. Der Steuerabzug entfaltet zunächst Abgeltungswirkung (vgl. §§ 43 Abs. 5 S. 1, 50 Abs. 2 S. 1 EStG). Lediglich in den Fällen des § 32d EStG kommt es zu einer Reduzierung der tatsächlichen Steuerbelastung auf Kapitalerträge. Die aufgrund des Ausschlusses von beschränkt Steuerpflichtigen von der Veranlagungsmöglichkeit bestehende Ungleichbehandlung wirkt sich tatsächlich nur in den Fällen aus, in denen die Anwendung des § 32d EStG zu einer geringeren Steuer führen würde als die, die als Kapitalertragsteuer (endgültig) einbehalten wurde.
61
c) Da die für unbeschränkt und beschränkt Steuerpflichtige geltenden Vorschriften des deutschen Steuerrechts im vorliegenden Fall zwar eine ungleiche Behandlung nach sich ziehen, aber nicht zu einem für den Kläger nachteiligen Ergebnis führen, bedarf es keiner Entscheidung darüber, ob die Ungleichbehandlung durch Vorschriften des DBA im Einklang mit dem europäischen Recht beseitigt wird.
62
Würden sich die Einkommensverhältnisse des Klägers so darstellen, dass sich bei einer vergleichsweisen hypothetischen Anwendung der den unbeschränkt Steuerpflichtigen vorbehaltenen Regelung des § 32d EStG eine auf die Dividenden bezogene Steuerbelastung im Inland von weniger als 15 % ergäbe, läge eine wirksame Ungleichbehandlung vor, deren Rechtfertigung zu prüfen wäre.
63
Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass das vom Kläger als unzutreffend empfundene Ergebnis nicht auf der Anwendung des deutschen Steuerrechts, sondern auf der Nichtanrechnung der Quellensteuer durch die belgischen Finanzbehörden beruht. Eine Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland zur Erstattung der Quellensteuer resultiert hieraus jedenfalls nicht.
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III. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO.
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IV. Die Revision war nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.