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  • 08.05.2024 · IWW-Abrufnummer 241383

    Finanzgericht Düsseldorf: Urteil vom 21.02.2024 – 4 K 1324/22 VSt

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Finanzgericht Düsseldorf

     
    Tenor:

    Der Stromsteuerbescheid vom 19.3.2021 für das Kalenderjahr 2019 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 5.5.2022 wird insoweit aufgehoben, als für eine Menge von ... MWh von der Klägerin zum Selbstverbrauch entnommenen Strom nicht die Steuerbefreiung nach § 9a Abs. 1 Nr. 1 StromStG n.F. gewährt worden ist.

    Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

    Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin zu 88 % und der Beklagte zu 12 %.

    Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.

    Die Revision wird zugelassen.

    1
    Tatbestand

    2
    Die Klägerin sammelt ...Reste ein und entsorgt diese. Die nach der Zerkleinerung der ...Reste entstehende Biomasse wird zu Biogasanlagen verbracht, welche die Klägerin an den Standorten W., Q., P., V. und Y. betreibt. Durch die Vergärung der Biomasse gewinnt die Klägerin Biogas, das sie zur Erzeugung von Strom verwendet. Hierzu betreibt sie an den fünf Standorten jeweils zwei Blockheizkraftwerke in Modulbauweise. Diese Anlagen hatten in den Kalenderjahren 2018 und 2019 folgende elektrische Nennleistungen:

    3
    W. ... kW
    P. ... kW (bis 24.06.2019) bzw. ... kW (ab 25.06.2019)
    Y.  ... kW
    Q. ... kW
    V. ... kW

    4
    Die Klägerin entnahm den von ihr erzeugten Strom an dem jeweiligen Standort ihrer Anlagen zum Selbstverbrauch. Ferner leistete sie den Strom an Letztverbraucher, die den Strom auf dem Betriebsgelände der jeweiligen Anlage dem dort von ihr unterhaltenen Netz entnahmen. Darüber hinaus speiste die Klägerin den überschüssigen Strom im Wege der Direktvermarktung in das allgemeine Versorgungsnetz ein. Die Klägerin erhielt von der K. AG in den Kalenderjahren 2018 und 2019 die Marktprämie nach § 20 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes vom 21.7.2014 (Bundesgesetzblatt ‒ BGBl. ‒ I 2014, 1066), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 13.10.2016 (BGBl. I 2016, 2258) (EEG 2017), ausgezahlt.

    5
    Nach der Anzeige der Stromerzeugung durch die Klägerin ging der Beklagte nach den §§ 1a Abs. 7, 2 Abs. 3, 3 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung zur Durchführung des Stromsteuergesetzes vom 31.5.2000 (BGBl. I 2000, 794), zuletzt geändert durch Art. 4 der Verordnung vom 2.1.2018 (BGBl. I 2018, 84, 154) (Stromsteuerverordnung ‒ StromStV ‒ a.F.), seit dem 1.1.2018 von dem Bestehen einer Erlaubnis als Versorgerin aus. Ferner erteilte der Beklagte der Klägerin mit Wirkung ab dem 1.7.2019 die Erlaubnis, nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 des Stromsteuergesetzes vom 24.3.1999 (BGBl. I 1999, 378), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 22.6.2019 (BGBl. I 2019, 856) (StromStG n.F.), von der Steuer befreiten Strom sowie an ihren Standorten in W., P. und Y. nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 StromStG n.F. von der Steuer befreiten Strom entnehmen zu dürfen. Darüber hinaus erteilte der Beklagte der Klägerin mit Wirkung ab dem 1.7.2019 die Erlaubnis, Strom aus erneuerbaren Energieträgern als Betreiberin der Anlagen in Q. und V. am Ort der Erzeugung zum Selbstverbrauch nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG n.F. steuerfrei entnehmen zu dürfen.

    6
    Die Klägerin meldete am 31.5.2019 beim Beklagten die Strommengen an, die sie ihrer Ansicht nach im Kalenderjahr 2018 steuerfrei entnommen und geleistet hatte. Für das Kalenderjahr 2019 gab sie am 2.6.2020 beim Beklagten eine Steueranmeldung ab, in der sie die ihrer Ansicht nach steuerfrei entnommenen und geleisteten Strommengen angab.

    7
    Der Beklagte folgte den Anmeldungen der Klägerin nicht. Er setzte gegen die Klägerin mit Steuerbescheid vom 17.12.2020 für das Kalenderjahr 2018 Stromsteuer von ... € fest. Dabei berücksichtigte er eine Menge von ... MWh von der Klägerin entnommenen Strom sowie eine Menge von ... MWh von ihr geleisteten Strom, mithin insgesamt ... MWh, den sie nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 des Stromsteuergesetzes i.d.F. vom 27.8.2017 (StromStG a.F.) als steuerfrei angesehen hatte. Ferner berücksichtigte der Beklagte eine Menge von ... MWh von der Klägerin entnommenen und eine Menge von ... MWh von ihr geleisteten Strom, insgesamt ... MWh (rechnerisch richtig: ... MWh), den sie nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 StromStG a.F. als steuerfrei angesehen hatte.

    8
    Nachdem der Beklagte gegen die Klägerin mit Bescheid vom 22.7.2020 für das Kalenderjahr 2019 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ... € Stromsteuer festgesetzt hatte, setzte er die Steuer mit Bescheid vom 19.3.2021 auf ... € neu fest. Dabei berücksichtigte er eine Menge von ... MWh von der Klägerin im ersten Halbjahr 2019 entnommenen Strom sowie eine Menge von ... MWh von ihr im ersten Halbjahr 2019 geleisteten Strom, mithin insgesamt ... MWh, den sie nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG a.F. als steuerfrei angesehen hatte. Ferner berücksichtigte er eine Menge von ... MWh von der Klägerin im ersten Halbjahr 2019 entnommenen Strom sowie eine Menge von ... MWh von ihr im ersten Halbjahr 2019 geleisteten Strom, mithin insgesamt rund ... MWh, den sie nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 StromStG a.F. als steuerfrei angesehen hatte. Darüber hinaus berücksichtigte er eine Menge von ... MWh von der Klägerin im zweiten Halbjahr 2019 entnommenen Strom sowie eine Menge von ... MWh von ihr im zweiten Halbjahr 2019 geleisteten Strom, mithin insgesamt ... MWh, den sie nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 StromStG n.F. als steuerfrei angesehen hatte.

    9
    Zur Begründung führte der Beklagte aus: Der Klägerin stehe die Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG a.F. nicht zu, weil der Strom nicht aus einem ausschließlich mit Strom aus erneuerbaren Energieträgern gespeisten Netz oder einer entsprechenden Leitung entnommen worden sei. Da Zusatzstrom aus dem allgemeinen Versorgungsnetz entnommen worden sei, sei es zu einer Vermischung mit dem aus anderen Energieträgern erzeugten Strom gekommen. Eine unschädliche Vermischung in einem Eigennetz am Ort der Erzeugung scheide im Streitfall aus, weil die Klägerin Versorgerin gewesen sei und deshalb kein Eigennetz mehr vorliegen könne (Hinweis auf Bundesfinanzhof ‒ BFH ‒ v. 24.2.2016 ‒ VII R 7/15). Die Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 StromStG stehe der Klägerin gleichfalls nicht zu, weil der Strom nicht in Anlagen mit einer elektrischen Nennleistung von bis zu zwei MW erzeugt worden sei. Die Anlagen in W., P. und Y. seien gemäß § 12b Abs. 2 Satz 1 StromStV als eine Anlage zur Stromerzeugung anzusehen. Die Anlagen seien fernsteuerbar gewesen. Dies sei für die Zahlung der Marktprämie an die Klägerin durch die K. AG als Direktvermarktungsunternehmen nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EEG 2017 erforderlich gewesen.

    10
    Mit ihren hiergegen eingelegten Einsprüchen vom 15.1.2021 (Kalenderjahr 2018) bzw. vom 22.4.2021 (Kalenderjahr 2019) trug die Klägerin vor: Der Inanspruchnahme der Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG a.F. stehe der sehr seltene, geringfügige Bezug von Zusatzstrom an ihren ... Standorten nicht entgegen. Die Rechtslage sei insoweit vergleichbar mit den in § 9 Abs. 1 Nr. 4 StromStG geregelten Fällen. Sie habe den Strom aus erneuerbaren Energieträgern erzeugt. In Bezug auf den von ihr erzeugten Strom sei sie keine Versorgerin, sondern Eigenerzeugerin gewesen, so dass ein Eigennetz vorgelegen habe. Die Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 StromStG stehe ihr zu, weil die Anlagen an den Standorten W. und Y. in den Jahren 2018 und 2019 nicht zentral gesteuert worden seien. Die K. AG und die F. AG (F. AG), mit der sie ebenfalls bei der Direktvermarktung zusammenarbeite, hätten jede der Anlagen an den fünf Standorten nur einzeln manuell ansteuern können. Dies sei nur bei der Anlage in Q. tatsächlich geschehen. Im Übrigen sei die Steuerung nicht darauf ausgerichtet gewesen, die Stromerzeugung der Anlagen zu steuern. Sie habe die Anlagen vielmehr produktionsgeführt betrieben, weil es ihr um die Verwertung der ...Reste gegangen sei. Die Einspeisung des Stroms in das Versorgungsnetz sei nicht der in erster Linie von ihr verfolgte Zweck gewesen. Im Übrigen sei keine Strommenge als Steuerungsgröße festgelegt worden und die Betriebszeit der Anlagen habe jeweils mehr als 4.000 Stunden jährlich betragen.

    11
    Der Beklagte wies die Einsprüche mit Entscheidung vom 5.5.2022 als unbegründet zurück und führte aus: Die Klägerin könne die Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG a.F. nicht in Anspruch nehmen. Da sie Versorgerin gewesen sei, habe kein Eigennetz vorgelegen. Unerheblich sei es deshalb, dass sich der Bezug des Zusatzstroms aus dem Versorgungsnetz im Promillebereich ihrer Stromerzeugung bewegt und nur bei unvorhersehbaren Notfällen stattgefunden habe. Der Klägerin stehe die Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 StromStG nicht zu. Die Anlagen in W., P. und Y. seien fernsteuerbar gewesen. Dafür reiche die Möglichkeit einer Fernsteuerung aus, ohne dass diese tatsächlich erfolgen müsse. Auf § 12b Abs. 3 Satz 2 der Verordnung zur Durchführung des Stromsteuergesetzes vom 31.5.2000 (BGBl. I 2000, 794), zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes vom 22.6.2019 (BGBl. I 2019, 856) (StromStV n.F.), könne sich die Klägerin nicht mit Erfolg berufen, weil die elektrische Nennleistung ihrer Anlagen zwei MW überschritten habe. Hinsichtlich des in den Anlagen in W., P. und Y. im zweiten Halbjahr 2019 erzeugten Stroms gelte die Steuerbefreiung des § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG n.F. nicht, weil diese Anlagen nicht eine elektrische Nennleistung von jeweils mehr als zwei MW gehabt hätten. § 12b Abs. 2 Satz 1 StromStV gelte nur für die Fälle des § 9 Abs. 1 Nr. 3 StromStG. Der in den Anlagen in Q. und V. erzeugte und zum Eigenverbrauch entnommene Strom von ... MWh sei nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG n.F. auf Grund der der Klägerin mit Wirkung ab dem 1.7.2019 erteilten Erlaubnis steuerfrei und nicht besteuert worden.

    12
    Hiergegen richtet sich die fristgerecht erhobene Klage, mit der das Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren wiederholt und vertieft wird. Ergänzend macht die Klägerin u.a. geltend: Nach dem Sinn und Zweck des § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG a.F. komme es nicht darauf an, ob der von einem externen Lieferanten geleistete Zusatzstrom ausschließlich aus erneuerbaren Energieträgern erzeugt worden sei. Für die geringen Mengen an Zusatzstrom, die über einen geeichten Zähler am Netzanschluss der jeweiligen Biogasanlage ermittelt worden seien, mache sie keine Steuerbefreiung geltend. Eine gemischte Nutzung des Eigennetzes lasse sich nicht vermeiden, weil der Bezug von Strom aus erneuerbaren Energieträgern nicht ausreiche, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Der vollständige Wegfall der Steuerbefreiung für Strom aus erneuerbaren Energieträgern wegen des Bezugs und der Vermischung geringer Mengen an Zusatzstrom im Eigennetz stelle eine unverhältnismäßige Sanktion dar, sei unionsrechtswidrig und mit dem Telos der Norm nicht zu vereinbaren.

    13
    Die Voraussetzungen der Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 StromStG lägen vor, weil die Anlagen in W., P. und Y. in den Kalenderjahren 2018 und 2019 nicht zentral gesteuert worden seien. Dies sei aufgrund der Besonderheiten des von ihr betriebenen Prozesses der ...Resteverwertung auch nicht möglich. Die nach dem EEG 2017 für eine Direktvermarktung vorgeschriebenen Fernwirkeinrichtungen hätten ausschließlich der Überwachung der Anlagen aus Gründen der Netzstabilität gedient. Sie habe kein virtuelles Kraftwerk betrieben, weil sie die Anlagen nicht stromgeführt, sondern produktionsgeführt betrieben habe. Nach dem Wortlaut sowie nach dem Sinn und Zweck des § 12b Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StromStV müsse eine zentrale Steuerung tatsächlich erfolgt sein, was hinsichtlich der Anlagen in W., P. und Y. nicht der Fall gewesen sei. Im Übrigen spreche die große räumliche Entfernung der vorgenannten Anlagen von etwa ... km und ... km dagegen, diese als eine Anlage anzusehen. Daher lasse sich auch das BFH-Urteil vom 17.10.2023 (VII R 50/20) nicht auf den hiesigen Fall übertragen. Bei teleologischer Auslegung könne eine gesetzlich vorgeschriebene Fernsteuerbarkeit nicht zum Begünstigungsausschluss führen. Darüber hinaus seien auch die Voraussetzungen des § 12b Abs. 3 Satz 2 StromStV n.F. erfüllt; für die dort genannte Grenze von zwei MW dürften die elektrischen Nennleistungen der verschiedenen Anlagen nicht addiert werden. Eine Steuerbefreiung für Strom aus erneuerbaren Energieträgern müsse entweder nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG oder nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 StromStG vorgesehen sein. Jedenfalls habe sie hinsichtlich des im zweiten Halbjahr 2019 zum Selbstverbrauch entnommenen Stroms nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG n.F. einen Anspruch auf eine Befreiung von der Steuer, falls die Steuerbefreiung des § 9 Abs. 1 Nr. 3 StromStG n.F. nicht eingreife. Die Regelung des § 12b Abs. 2 StromStV müsse zur Vermeidung sinnwidriger Ergebnisse auch im Rahmen des § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG n.F. angewendet werden.

    14
    Die Klägerin beantragt,

    15
    16
    1. den Steuerbescheid vom 17.12.2020 für das Kalenderjahr 2018 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 5.5.2022 aufzuheben;

    17
    2. den Steueränderungsbescheid vom 19.3.2021 für das Kalenderjahr 2019 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 5.5.2022 aufzuheben, soweit mehr als ... € Stromsteuer festgesetzt worden ist.

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    Der Beklagte beantragt,

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    die Klage abzuweisen.

    20
    Zur Begründung trägt er u.a. vor: Es komme nicht darauf an, ob die Klägerin den Betrieb ihrer Anlagen als produktionsgeführt bezeichne. Das ändere nichts an den stromsteuerrechtlich maßgebenden Gegebenheiten der Anlagen. Die Klägerin habe in dem fraglichen Zeitraum Strom ausschließlich an die K. AG geleistet, die Anteile an der F. AG erworben gehabt habe. Die von der Klägerin betriebenen Anlagen seien fernsteuerbar gewesen, weil dies Voraussetzung für eine Direktvermarktung des Stroms gewesen sei. Der Umstand, dass das Direktvermarkungsunternehmen im Rahmen der zentralen Steuerung die Möglichkeit habe, gezielt auf einzelne Anlagen zuzugreifen, führe nicht zu einer manuellen Steuerung. Da die Klägerin seit dem 1.1.2018 als Versorgerin gelte, komme nach der Entscheidung des BFH im Verfahren VII R 7/15 eine Aufspaltung des einheitlichen Netzes in ein Eigennetz und in ein Versorgernetz nicht in Betracht. § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG n.F. sei standortbezogen anzuwenden, so dass die Anlagen der Klägerin einzeln zu betrachten seien.

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    Entscheidungsgründe

    22
    Die zulässige Klage ist nur teilweise begründet. Die Stromsteuerfestsetzung für das Jahr 2018 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Stromsteuerfestsetzung für das Jahr 2019 ist insoweit rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, als für den von ihr in den Blockheizkraftwerken W., P. und Y. zum Selbstverbrauch entnommenen Strom nicht die Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG n.F. gewährt worden ist.

    23
    Der Klägerin stehen die Steuerbefreiungen nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG a.F. (1.) und nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 StromStG (2.) im Streitzeitraum nicht zu. Sie kann sich aber für den Zeitraum vom 1.7.2019 bis zum 31.12.2019 auf die Befreiung nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG n.F. berufen (3.).

    24
    1. Der Beklagte hat die Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG a.F. zu Recht versagt. Das betrifft hinsichtlich des Kalenderjahres 2018 eine Menge von ... MWh von der Klägerin entnommenen Strom sowie eine Menge von ... MWh von ihr geleisteten Strom. Bezüglich des ersten Halbjahrs 2019 betrifft dies eine Menge von ... MWh von der Klägerin im ersten Halbjahr 2019 entnommenen Strom sowie eine Menge von ... MWh von ihr im ersten Halbjahr 2019 geleisteten Strom.

    25
    Nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG a.F. war Strom aus erneuerbaren Energieträgern von der Steuer befreit, wenn dieser aus einem ausschließlich mit Strom aus erneuerbaren Energieträgern gespeisten Netz oder einer entsprechenden Leitung entnommen worden ist. Die Klägerin hat die vorgenannten Mengen im gemäß § 5 Abs. 1 StromStG maßgeblichen Zeitpunkt unstreitig aus erneuerbaren Energieträgern, nämlich aus Biomasse (§ 2 Nr. 7 StromStG) erzeugt. Allerdings hat sie die zuvor genannten Mengen im Kalenderjahr 2018 und im ersten Halbjahr 2019 nicht aus einem ausschließlich mit Strom aus erneuerbaren Energieträgern gespeisten Netz oder einer entsprechenden Leitung entnommen. Nach der Rechtsprechung des BFH sind Leitungen auf dem Gelände eines Versorgers Bestandteil des Versorgungsnetzes, das als einziges Versorgungsnetz zu verstehen ist, aus dem auch Versorger Strom entnehmen können. Das allgemeine Versorgungsnetz enthält jedoch nicht nur Strom aus erneuerbaren Energieträgern, sondern sogenannten Egalstrom, sodass die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG a.F. nicht erfüllt sind (BFH, Urteil v. 17.10.2023 ‒ VII R 50/20, juris, Rn. 46; BFH, Beschluss v. 24.2.2016 ‒ VII R 7/15, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH ‒ BFH/NV ‒ 2016, 860, Rn. 14 ff.). Da die Klägerin unstreitig Versorgerin i.S.d. § 2 Nr. 1 StromStG ist, die u.a. Strom durch Einspeisung in das allgemeine Versorgungsnetz leistet, ist eine Befreiung nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG a.F. ausgeschlossen.

    26
    Offenbleiben kann daher, ob auch der geringfügige Bezug von Zusatzstrom durch die Klägerin die Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG a.F. ausschließt (verneinend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, Urteil v. 28.11.2013 ‒ 1 K 1045/09, juris, Rn. 25; Khazzoum, StromStG ‒ eKommentar, § 9 Rn. 13 (7/2019); Möhlenkamp in Möhlenkamp/Milewski, EnergieStG/StromStG, 2. Auflage 2020, § 9 StromStG Rn. 35; Schröer-Schallenberg in Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht, 3. Auflage 2018, Rn. J 59).

    27
    Gegen dieses Ergebnis bestehen auch aus unionsrechtlicher Sicht keine Bedenken. Da es sich bei § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG a.F. um eine auf Art. 15 Abs. 1 Buchst. b) der Richtlinie 2003/96/EG des Rates vom 27.10.2003 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom (Energiesteuerrichtlinie ‒ EnergieStRL ‒) beruhende fakultative Steuerbefreiung handelt, war der nationale Gesetzgeber berechtigt, einen infolge der dargestellten Auslegung restriktiven Anwendungsbereich vorzusehen. Ob die Regelung damit ‒ wie die Klägerin geltend macht ‒ ohne praktischen Anwendungsbereich war, braucht der Senat nicht zu entscheiden.

    28
    2. Der Beklagte hat auch die Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 StromStG a.F. und § 9 Abs. 1 Nr. 3 StromStG n.F. zu Recht versagt. Das betrifft hinsichtlich des Kalenderjahres 2018 eine Menge von ... MWh von der Klägerin entnommenen und eine Menge von ... MWh von ihr geleisteten Strom. Bezüglich des ersten Halbjahres 2019 betrifft dies eine Menge von ... MWh von der Klägerin entnommenen Strom sowie eine Menge von ... MWh von ihr geleisteten Strom. Hinsichtlich des zweiten Kalenderjahres 2019 betrifft dies eine Menge von ... MWh von der Klägerin entnommenen Strom sowie eine Menge von ... MWh von ihr geleisteten Strom.

    29
    Die Anlagen in W. mit einer elektrischen Nennleistung von ... kW, in P. mit einer elektrischen Nennleistung von ... kW ab dem 25.6.2019 und in Y. mit einer elektrischen Nennleistung von ... kW sind gemäß § 12b Abs. 2 StromStV gemeinsam mit den Anlagen in Q. und V. als eine Anlage mit einer elektrischen Nennleistung von mehr als zwei MW anzusehen (§ 12b Abs. 3 Satz 1 StromStV). Die Klägerin kann sich daher nicht mit Erfolg auf die Steuerbefreiung des § 9 Abs. 1 Nr. 3 StromStG a.F. und § 9 Abs. 1 Nr. 3 StromStG n.F. berufen.

    30
    Nach § 12b Abs. 2 Satz 1 StromStV gelten Stromerzeugungseinheiten an unterschiedlichen Standorten als eine Anlage zur Stromerzeugung im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 3 StromStG, sofern die einzelnen Stromerzeugungseinheiten zum Zweck der Stromerzeugung zentral gesteuert werden und der erzeugte Strom zumindest teilweise in das Versorgungsnetz eingespeist werden soll. Letzteres ist hinsichtlich der von der Klägerin betriebenen Blockheizkraftwerke unstreitig der Fall gewesen, weil der von ihr erzeugte überschüssige Strom in das von der K. AG betriebene Versorgungsnetz eingespeist wurde.

    31
    Die einzelnen Stromerzeugungseinheiten wurden auch zum Zweck der Stromerzeugung zentral gesteuert. Dies ist nach § 12b Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StromStV insbesondere der Fall, wenn die einzelnen Stromerzeugungsanlagen nach § 36 des Erneuerbare-​Energien-​Gesetzes in der jeweils geltenden Fassung fernsteuerbar sind. Der Wortlaut des § 12b Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 1 StromStV setzt zwar voraus, dass die einzelnen Stromerzeugungseinheiten zum Zweck der Stromerzeugung gesteuert werden. Nach der Fiktion des § 12b Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 2 StromStV ist dies unter den dort genannten Voraussetzungen indes als gegeben anzusehen, ohne dass es noch darauf ankommt, dass eine Fernsteuerung tatsächlich stattfindet. Vielmehr reicht es nach der Fiktion des § 12b Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 2 StromStV („dies ist insbesondere der Fall, wenn …“) aus, wenn die Möglichkeit einer Fernsteuerung besteht (vgl. Schröer-Schallenberg in Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht, 4. Aufl. 2023, Rn. J 75; Möhlenkamp in Möhlenkamp/Milewski, EnergieStG/StromStG, 2. Aufl. 2020, § 9 StromStG Rn. 18 f.).

    32
    Nach der dynamischen Verweisung in § 12b Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StromStV auf § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EEG 2017, der Nachfolgevorschrift zu § 36 EEG a.F., ist im Streitfall von einer Fernsteuerbarkeit der Anlagen der Klägerin auszugehen. An den jeweiligen Blockheizkraftwerken waren Fernsteuerungsmodule angebracht. Die Klägerin hat deshalb für den von ihr eingespeisten Strom die Marktprämie nach § 20 EEG 2017 ausgezahlt erhalten. Unerheblich ist, ob und in welchem Umfang die K. AG oder die F. AG tatsächlich von der Fernsteuerbarkeit Gebrauch gemacht hat. Ausreichend für die Fernsteuerbarkeit der Anlagen ist nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EEG 2017, dass die entsprechenden Vorrichtungen vorgehalten wurden, sowie nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EEG 2017, dass die Klägerin der K. AG und der F. AG die Befugnis eingeräumt hatte, jederzeit die jeweilige Ist-Einspeisung abzurufen und die Einspeiseleistung ferngesteuert zu regeln (vgl. auch Möhlenkamp in Möhlenkamp/Milewski, EnergieStG/StromStG, § 9 StromStG Rn. 19). Anders als die Klägerin meint, steht der Annahme einer Fernsteuerbarkeit ihrer Anlagen im Sinne des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EEG 2017 nicht entgegen, dass die K. AG und die F. AG jede der Anlagen an den fünf Standorten nur einzeln manuell ansteuern konnten. Eine Fernsteuerbarkeit im Sinne des § 12b Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StromStV kann vielmehr auch dann vorliegen, wenn die Anlagen unabhängig voneinander einzeln gesteuert werden können (BFH, Urteil v. 23.6.2009 ‒ VII R 34/08, BFH/NV 2009, 1673, Rn. 20; BFH, Urteil v. 17.10.2023 ‒ VII R 50/20, juris, Rn. 51 ff.; Senat, Urteil v. 8.1.2020 ‒ 4 K 3223/18 VSt, juris, Rn. 24).

    33
    Die Fernsteuerbarkeit der von der Klägerin betriebenen Anlagen erfolgte auch zum Zweck der Stromerzeugung im Sinne des § 12b Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StromStV. Es kommt insoweit nicht darauf an, dass die Klägerin die Anlagen „produktionsgeführt“ betrieben haben will, weil es ihr in erster Linie um die Entsorgung der ...Reste ging. Die zentrale Steuerung der Anlagen im Sinne des § 12b Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StromStV erfolgte jedenfalls zum Zweck der Stromerzeugung, weil dieser zumindest teilweise in das allgemeine Versorgungsnetz eingespeist wurde. Diese Bestimmung erfordert auch nicht, dass die Klägerin ein virtuelles Kraftwerk betrieben hat. Ebenso wenig stellt die Vorschrift darauf ab, welche Strommengen die Klägerin mit ihren Anlagen erzeugt hat und welche Zeiten die Anlagen jährlich in Betrieb waren. Der Klägerin mag zwar einzuräumen sein, dass eine relativ große räumliche Entfernung zwischen ihren Anlagen in W., P. und Y. bestand. Dies steht nach der Fiktion des § 12b Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StromStV der Annahme einer einheitlichen Anlage zur Stromerzeugung allerdings gerade nicht entgegen.

    34
    Die Klägerin kann sich hinsichtlich des im zweiten Halbjahr 2019 erzeugten Stroms nicht mit Erfolg auf § 12b Abs. 3 Satz 2 StromStV n.F. berufen. Nach dieser Regelung gilt die Fernsteuerbarkeit nach § 12b Abs. 2 Satz 1 StromStV nicht als zentrale Steuerung zum Zweck der Stromerzeugung, wenn die Direktvermarktung des in das Versorgungsnetz eingespeisten Stroms durch einen Dritten erfolgt, die elektrische Nennleistung der Anlagen eines Betreibers dabei zwei MW nicht überschreitet und der Strom innerhalb der Kundenanlage (§ 1a Abs. 9 StromStV) entnommen wird, in der er erzeugt worden ist. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, da die elektrische Nennleistung der von der Klägerin betriebenen Anlagen zusammengerechnet zwei MW deutlich überstieg. Zur Ermittlung der maßgeblichen Nennleistung sind die verschiedenen Anlagen entgegen der Auffassung der Klägerin zu addieren. Dies ergibt sich sowohl aus dem Verordnungswortlaut („Anlagen eines Betreibers“) als auch aus der Begründung des Verordnungsentwurfs, die ausdrücklich von einer „Anlagenleistung von zusammengerechnet maximal zwei MW“ spricht (Bundestagsdrucksache ‒ BT-Drucks. ‒ 19/8037, S. 47, Hervorhebung nur hier; vgl. Senat, Urteil v. 4.10.2023 ‒ 4 K 1072/23 VSt, n.v.; Schröer-Schallenberg in Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, EnergieStG/StromStG, § 9 StromStG Rn. 63 (11/2019)).

    35
    3. Jedoch kann die Klägerin hinsichtlich des im zweiten Kalenderjahr 2019 mit den Anlagen in W., P. und Y. erzeugten sowie entnommenen Stroms von ... MWh die Steuerbefreiung des § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG n.F. in Anspruch nehmen. Diese Anlagen hatten in diesem Zeitraum zwar für sich genommen eine elektrische Nennleistung von weniger als jeweils zwei MW. Jedoch sind die Nennleistungen der von der Klägerin betriebenen Stromerzeugungseinheiten für Zwecke des § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG n.F. als eine Anlage zu betrachten (vgl. bereits Senat, Urteil v. 4.10.2023 ‒ 4 K 1072/23 VSt, n.v.).

    36
    Die folgt zwar nicht aus § 12b StromStV, der seinem Wortlaut nach nur für Anlagen im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 3 StromStG gilt. Da die StromStV hinsichtlich der Bestimmung des Begriffs der Anlage im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG n.F. keine Regelungen enthält, ist jedoch auf die Grundsätze zurückzugreifen, die der BFH zur Auslegung des stromsteuerrechtlichen Begriffs der Anlage entwickelt hat. Nach diesen Grundsätzen sind die von der Klägerin an den verschiedenen Standorten betriebenen Blockheizkraftwerke als einheitliche Anlage zu betrachten.

    37
    Im Stromsteuerrecht ist von einem funktionsbezogenen Anlagenbegriff auszugehen, der eine isolierte Betrachtung einzelner Stromerzeugungseinheiten verbietet. Danach ist auf die Gesamtheit der technischen Einrichtungen und auf den Funktionszusammenhang abzustellen (BFH, Urteil v. 15.9.2020 ‒ VII R 30/19, BFH/NV 2021, 455, Rn. 25 f.). Im Rahmen des § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG n.F. gilt entgegen der Auffassung des Beklagten insbesondere kein standortbezogener Anlagenbegriff. Dies würde zu einer Vermengung der zwei unterschiedlichen Tatbestandsvoraussetzungen der Gesetzesbestimmung führen, die sich einerseits auf die Nennleistung der Anlagen, mit dem der Strom erzeugt wird, und andererseits auf den Ort der Entnahme des erzeugten Stroms beziehen. Durch den Wegfall des Erfordernisses eines ausschließlich mit Strom aus erneuerbaren Energieträgern gespeisten Netzes und die Beschränkung auf den Selbstverbrauch sollte die Befreiung des § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG n.F. einen klar definierten Anwendungsbereich erhalten (vgl. BT-Drucks. 19/8037, S.  24). Diese Neuregelung, die sich ausschließlich auf den Ort der Entnahme des erzeugten Stroms bezieht, enthält jedoch keine Neubestimmung des durch die Rechtsprechung des BFH bereits geklärten Anlagenbegriffs.

    38
    Als Kriterien für die Auslegung des Begriffs der Anlage können im Stromsteuerrecht unter anderem die räumliche Anordnung und Unterbringung der Einheiten, die messtechnische Erfassung der eingesetzten Energieträger und des erzeugten Stroms, die Steuerungsmöglichkeiten oder die Leitungsführung herangezogen werden. Starke, wenn auch nicht allein ausschlaggebende Indizien für das Vorliegen einer Gesamtanlage sind die räumliche Zusammenfassung mehrerer Aggregate an einem Standort sowie der Betrieb mehrerer Stromerzeugungseinheiten durch einen Betreiber und die Versorgung eines bestimmten Abnehmerkreises mit Strom (BFH, Urteil v. 15.9.2020 ‒ VII R 30/19, BFH/NV 2021, 455, Rn. 25 f.).

    39
    Ausgehend von diesen Grundsätzen sprechen im Streitfall die zentrale Steuerungsmöglichkeit der Blockheizkraftwerke und der Umstand, dass sämtliche Stromerzeugungseinheiten von derselben Person, der Klägerin, betrieben worden sind, für die Annahme einer einheitlichen Anlage. Darüber hinaus diente der erzeugte Strom vorrangig der Versorgung eines bestimmten Abnehmerkreises, nämlich der Klägerin selbst und der Verbraucher, die den Strom auf ihrem Betriebsgelände abnahmen. Vor dem Hintergrund dieser Gesichtspunkte, die für die Annahme sprechen, dass es sich um Anlagen mit einer elektrischen Nennleistung von mehr als zwei MW handelte, kommt den Umständen, dass die Stromerzeugungseinheiten nicht räumlich an einem Standort zusammengefasst worden sind und dass die erzeugten Strommengen getrennt gemessen werden können, keine ausschlaggebende Bedeutung zu (gl.A. zu letzterem Aspekt BFH, Urteil v. 15.9.2020 ‒ VII R 30/19, BFH/NV 2021, 455, Rn. 34, m.w.N.). Dieses Ergebnis entspricht den Wertungen des § 12b Abs. 2 Satz 1 StromStV, nach dem insbesondere auch Stromerzeugungseinheiten an unterschiedlichen Standorten ‒ wie vorliegend, siehe oben ‒ als eine Anlage zur Stromerzeugung angesehen werden können.

    40
    Die hier vertretene Auslegung des Begriffs der Anlagen mit einer elektrischen Nennleistung von mehr als zwei MW im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG entspricht dem aus Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland folgenden Grundsatz der Folgerichtigkeit. Danach muss bei der Ausgestaltung eines steuerrechtlichen Ausgangstatbestands die getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne einer Belastungsgleichheit umgesetzt werden. Ausnahmen von einer solchen folgerichtigen Umsetzung bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes. Als besondere sachliche Gründe für Ausnahmen von einer folgerichtigen Umsetzung und Konkretisierung steuergesetzlicher Belastungsentscheidungen kommen vor allem außerfiskalische Förderungs- und Lenkungszwecke sowie Typisierungs- und Vereinfachungserfordernisse in Betracht, nicht jedoch ein rein fiskalischer Zweck staatlicher Einnahmenerhöhung (vgl. etwa Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 6.7.2010 ‒ 2 BvL 13/09, Entscheidungen des BVerfG 126, 268, Rn. 36 f.).

    41
    Der Gesetzgeber hat mit der Neufassung des § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG den Zweck verfolgt, die Steuerbefreiungen für Strom, der aus erneuerbaren Energieträgern erzeugt wird, derart neu auszugestalten, dass sie einen klar definierten und voneinander abgegrenzten Anwendungsbereich erhalten (vgl. BT-Drucks. 19/8037, S. 23). Dies ist insbesondere dadurch geschehen, dass § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG eine Steuerbefreiung für Strom vorsieht, der aus erneuerbaren Energieträgern in Anlagen mit einer elektrischen Nennleistung von mehr als zwei MW erzeugt wird, während § 9 Abs. 1 Nr. 3 StromStG eine Steuerbefreiung für Strom vorsieht, der aus erneuerbaren Energieträgern in Anlagen mit einer elektrischen Nennleistung von bis zu zwei MW erzeugt wird (vgl. Schröer-Schallenberg in Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, EnergieStG/StromStG, § 9 StromStG Rn. 13 (11/2019); Kalker/Steinkemper/Khazzoum, StromStG ‒ eKommentar, § 9 Rn. 14 (12/2023)). Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber für Strom, der in den Fällen des § 12b Abs. 2 StromStV in Anlagen mit einer elektrischen Nennleistung von mehr als zwei MW aus erneuerbaren Energieträgern erzeugt wird und zum Selbstverbrauch entnommen wird, überhaupt keine Steuerbefreiung mehr vorsehen wollte. Die grundsätzliche Gewährung einer Befreiung entspricht vielmehr dem auch auf Unionsebene verfolgten Ziel, die Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energieträgern zu fördern (vgl. 25. Erwägungsgrund und Art. 15 Abs. 1 Buchst. b EnergieStRL). Vor dem Hintergrund dieses gesetzgeberischen Förderungszwecks ist nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber Anlagen im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG grundlegend anders behandeln wollte als Anlagen im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 3 StromStG. Dabei kommt es in diesem Zusammenhang nicht darauf an, dass der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG nicht beabsichtigt hat, die Steuerbefreiungen für Strom, der aus erneuerbaren Energieträgern erzeugt worden ist, über das in der Vergangenheit gewährte Maß hinaus auszuweiten (vgl. BT-Drucks. 19/8037, S. 24). Entscheidend ist vielmehr, dass für die unterschiedliche Behandlung der Anlagen zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien in den Fällen des § 12b Abs. 2 Satz 1 StromStV kein sachlicher Grund ersichtlich ist. Unbeschadet dessen enthielt die Vorgängervorschrift des § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG a.F. keine Beschränkung ihres Anwendungsbereichs auf Anlagen mit einer elektrischen Nennleistung von mehr als zwei MW.

    42
    Es würde zudem dem unionsrechtlichen Grundsatz der Gleichbehandlung widersprechen, Strom, der in Stromerzeugungseinheiten erzeugt wird, die auf Grund der Regelung des § 12b Abs. 2 StromStV als eine Anlage mit einer elektrischen Nennleistung von mehr als zwei MW anzusehen sind und deshalb nicht unter § 9 Abs. 1 Nr. 3 StromStG fallen, von jeglicher Steuerbefreiung auszuschließen, weil im Rahmen des § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG keine Gesamtbetrachtung der einzelnen Stromerzeugungseinheiten stattfinden soll. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, ihr Ermessen, über das sie nach Art. 15 Abs. 1 Buchst. b EnergieStRL verfügen, unter Beachtung des Unionsrechts und seiner allgemeinen Grundsätze, insbesondere unter Beachtung des Grundsatzes der Gleichbehandlung auszuüben (vgl. EuGH, Urteil v. 30.1.2020, C-513/18, Autoservizi Giordano, Rn. 35; EuGH, Urteil v. 9.9.2021, C-100/20, Hauptzollamt B, Rn. 31). Der unionsrechtliche Grundsatz der Gleichbehandlung verlangt, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden, es sei denn, dass eine solche Behandlung objektiv gerechtfertigt ist (EuGH, Urteil v. 30.1.2020, C-513/18, Autoservizi Giordano, Rn. 37; EuGH, Urteil v. 9.9.2021, C-100/20, Hauptzollamt B, Rn. 32).

    43
    Wie dargelegt, ist keine Rechtfertigung dafür ersichtlich, den Begriff der Anlagen im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG n.F. grundlegend anders auszulegen als den Begriff der Anlagen im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 3 StromStG, so dass für die Stromerzeugungseinheiten, deren elektrische Nennleistungen gemäß § 12b Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 StromStV zusammenzurechnen sind, ohne dass sie bei isolierter Betrachtung eine elektrische Nennleistung von mehr als zwei MW haben, jegliche Steuerbefreiung ausscheiden würde. Dies würde eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung im Vergleich zu Anlagen darstellen, die ohne Zusammenrechnung der elektrischen Nennleistungen ihrer Stromerzeugungseinheiten entweder unter § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG n.F. oder unter § 9 Abs. 1 Nr. 3 StromStG zu subsumieren sind.

    44
    Die Klägerin hat die mit den Blockheizkraftwerken erzeugte Strommenge von ... MWh zudem am Ort der Erzeugung, dem jeweiligen Blockheizkraftwerk, zum Selbstverbrauch entnommen. Sie hat den Strom nicht i.S.d. § 9 Abs. 1a StromStG n.F. in ein Netz der allgemeinen Versorgung mit Strom (§ 2 Nr. 11 StromStG n.F.) eingespeist.

    45
    4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 151 Abs. 3, 155 Satz 1 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung. Der Senat lässt die Revision nach § 115 Abs. 2 FGO insbesondere im Hinblick auf das beim BFH unter dem Aktenzeichen VII R 29/23 anhängige Revisionsverfahren gegen das Senatsurteil vom 4.10.2023 (4 K 1072/23 VSt) zu.

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