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  • 25.08.2006 · IWW-Abrufnummer 062501

    Europäischer Gerichtshof: Urteil vom 11.05.2006 – C-384/04

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    URTEIL DES GERICHTSHOFES (Dritte Kammer)

    11. Mai 2006(*)

    "Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie - Artikel 21 Absatz 3 und Artikel 22 Absatz 8 - Nationale Maßnahmen zur Bekämpfung von Steuerhinterziehungen - Gesamtschuldnerische Haftung für die Zahlung der Mehrwertsteuer - Sicherheitsleistung für die von einem anderen Wirtschaftsteilnehmer geschuldete Mehrwertsteuer"

    In der Rechtssache C‑384/04

    betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom Court of Appeal (England & Wales) (Civil Division) (Vereinigtes Königreich) mit Entscheidung vom 30. Juli 2004, beim Gerichtshof eingegangen am 4. September 2004, in dem Verfahren

    Commissioners of Customs & Excise und

    Attorney General

    gegen

    Federation of Technological Industries u. a.

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

    unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Rosas sowie der Richter J.‑P. Puissochet, S. von Bahr (Berichterstatter), U. Lõhmus und A. Ó Caoimh,

    Generalanwalt: M. Poiares Maduro,

    Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 5. Oktober 2005,

    unter Berücksichtigung der Erklärungen

    - der Federation of Technological Industries u. a., vertreten durch A. Young, Barrister, und D. Waelbroeck, avocat,

    - der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch C. Jackson als Bevollmächtigte im Beistand von J. Peacock, QC, und T. Ward, Barrister,

    - der deutschen Regierung, vertreten durch C. Schulze-Bahr als Bevollmächtigte,

    - Irlands, vertreten durch D. J. O?Hagan als Bevollmächtigten im Beistand von G. Clohessy, SC, und B. Conway, Barrister-at-law,

    - der zypriotischen Regierung, vertreten durch N. Charalampidou als Bevollmächtigte,

    - der niederländischen Regierung, vertreten durch H. G. Sevenster und C. A. H. M. ten Dam als Bevollmächtigte,

    - der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. I. Fernandes als Bevollmächtigten,

    - der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch R. Lyal als Bevollmächtigten,

    nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 7. Dezember 2005

    folgendes

    Urteil

    Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Artikel 21 Absatz 3 und Artikel 22 Absatz 8 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ? Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1) in ihrer durch die Richtlinien 2000/65/EG des Rates vom 17. Oktober 2000 (ABl. L 269, S. 44) und 2001/115/EG des Rates vom 20. Dezember 2001 (ABl. 2002, L 15, S. 24) geänderten Fassung (im Folgenden: Sechste Richtlinie).

    Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen einer Klage auf ?judicial review? von 53 Händlern des Sektors für Mobilfunktelefone und Computerprozessoren und ihrem Interessenverband, der Federation of Technological Industries (im Folgenden: Federation), gegen die Commissioners of Customs & Excise und den Attorney General (im Folgenden: Commissioners) wegen der Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht der Sections 17 und 18 des Finanzgesetzes 2003 (Finance Act 2003), die erlassen wurden, um dem betrügerischen Missbrauch des Mehrwertsteuersystems zu begegnen.

    Rechtlicher Rahmen

    Gemeinschaftsrecht

    Artikel 21 der Sechsten Richtlinie bestimmt:

    ?(1) Im inneren Anwendungsbereich schuldet die Mehrwertsteuer

    a) der Steuerpflichtige, der eine steuerpflichtige Lieferung von Gegenständen durchführt bzw. eine steuerpflichtige Dienstleistung erbringt, mit Ausnahme der unter den Buchstaben b) und c) genannten Fälle.

    Wird die steuerpflichtige Lieferung von Gegenständen bzw. die steuerpflichtige Dienstleistung von einem nicht im Inland ansässigen Steuerpflichtigen bewirkt bzw. erbracht, so können die Mitgliedstaaten gemäß den von ihnen festgelegten Bedingungen vorsehen, dass der Empfänger der steuerpflichtigen Lieferung von Gegenständen bzw. der steuerpflichtigen Dienstleistung die Steuer schuldet;

    b) der steuerpflichtige Empfänger einer in Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e) genannten Dienstleistung oder der Empfänger einer in Artikel 28b Teile C, D, E und F genannten Dienstleistung, der im Inland für Zwecke der Mehrwertsteuer erfasst ist, wenn die Dienstleistung von einem im Ausland ansässigen Steuerpflichtigen erbracht wird;

    c) der Empfänger der Lieferung, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

    - Der steuerpflichtige Umsatz ist eine Lieferung von Gegenständen nach Maßgabe des Artikels 28c Teil E Absatz 3;

    - der Empfänger dieser Lieferung ist ein anderer Steuerpflichtiger oder eine nicht steuerpflichtige juristische Person, die im Inland für Zwecke der Mehrwertsteuer erfasst ist;

    - die von dem nicht im Inland ansässigen Steuerpflichtigen ausgestellte Rechnung entspricht Artikel 22 Absatz 3.

    Die Mitgliedstaaten können jedoch eine Ausnahme von dieser Verpflichtung für den Fall vorsehen, dass ein nicht im Inland ansässiger Steuerpflichtiger in diesem Land einen Steuervertreter benannt hat;

    d) jede Person, die die Mehrwertsteuer in einer Rechnung ausweist;

    e) die Person, die einen steuerpflichtigen innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen bewirkt.

    (2) Abweichend von Absatz 1:

    a) Ist der Steuerschuldner im Sinne von Absatz 1 ein nicht im Inland ansässiger Steuerpflichtiger, so können die Mitgliedstaaten ihm gestatten, einen Steuervertreter zu benennen, der die Steuer schuldet. Diese Option unterliegt den von jedem Mitgliedstaat festgelegten Bedingungen und Modalitäten.

    b) Wird der steuerpflichtige Umsatz von einem nicht im Inland ansässigen Steuerpflichtigen vorgenommen und besteht mit dem Staat, in dem dieser Steuerpflichtige ansässig ist oder seinen Geschäftssitz hat, keine Rechtsvereinbarung über die gegenseitige Amtshilfe, deren Anwendungsbereich mit dem der Richtlinien 76/308/EWG und 77/799/EWG sowie der Verordnung (EWG) Nr. 218/92 des Rates vom 27. Januar 1992 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der indirekten Besteuerung (MwSt.) vergleichbar ist, so können die Mitgliedstaaten Regelungen treffen, nach denen ein von dem nicht im Inland ansässigen Steuerpflichtigen benannter Steuervertreter die Steuer schuldet.

    (3) In den Fällen nach den Absätzen 1 und 2 können die Mitgliedstaaten bestimmen, dass eine andere Person als der Steuerschuldner die Steuer gesamtschuldnerisch zu entrichten hat.

    (4) Bei der Einfuhr wird die Mehrwertsteuer von der Person oder den Personen geschuldet, die vom Mitgliedstaat der Einfuhr als Steuerschuldner bezeichnet oder anerkannt wird oder werden.?

    Artikel 22 Absätze 7 und 8 der Sechsten Richtlinie sieht vor:

    -(7) Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, damit die Personen, die nach Artikel 21 Absätze 1 und 2 anstelle eines im Ausland ansässigen Steuerpflichtigen als Steuerschuldner angesehen werden, die vorstehend erwähnten Verpflichtungen zur Erklärung und Zahlung erfüllen; sie ergreifen darüber hinaus die erforderlichen Maßnahmen, damit die Personen, die nach Artikel 21 Absatz 3 die Steuer gesamtschuldnerisch zu entrichten haben, die vorstehend erwähnten Zahlungspflichten erfüllen.

    (8) Die Mitgliedstaaten können unter Beachtung der Gleichbehandlung der von Steuerpflichtigen im Inland und zwischen Mitgliedstaaten bewirkten Umsätze weitere Pflichten vorsehen, die sie als erforderlich erachten, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und Steuerhinterziehungen zu vermeiden, sofern diese Pflichten im Handelsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten nicht zu Förmlichkeiten beim Grenzübertritt führen.

    ..."

    Nationales Recht

    Paragraph 4 des Schedule 11 des Mehrwertsteuergesetzes 1994 (Value Added Tax Act 1994, im Folgenden: VAT Act 1994), geändert durch Section 17 des Finanzgesetzes 2003, lautet wie folgt:

    "(1) Die Commissioners können als Voraussetzung für die Gewährung oder die Erstattung von Vorsteuer an eine Person die Vorlage von Nachweisen über die Mehrwertsteuer verlangen, die sie spezifizieren können.

    (1A) Halten die Commissioners es zum Schutz der Einnahmen für erforderlich, so können sie als Voraussetzung für eine Mehrwertsteuergutschrift die Leistung einer ihnen angemessen erscheinenden Sicherheit in Höhe dieses Betrages verlangen.

    (2) Halten die Commissioners es zum Schutz der Einnahmen für erforderlich, so können sie einen Steuerpflichtigen auffordern, als Voraussetzung für die Erbringung oder den Erhalt einer Warenlieferung oder einer Dienstleistung im Rahmen eines steuerpflichtigen Umsatzes eine Sicherheit oder eine weitere Sicherheit für die Zahlung eines Mehrwertsteuerbetrags zu leisten, der von

    a) dem Steuerpflichtigen oder

    b) einer Person, von der oder an die die betreffenden Waren oder Dienstleistungen geliefert oder erbracht werden,

    geschuldet wird.

    (3) Die "betreffenden Waren oder Dienstleistungen" gemäß Subparagraph 2 sind die Gegenstände oder Dienstleistungen, die von dem oder an den Steuerpflichtigen geliefert oder erbracht werden.

    (4) Die Sicherheit nach Subparagraph 2 ist in der Höhe und in der Form zu leisten, die die Commissioners bestimmen.

    (5) Die den Commissioners in Subparagraph 2 verliehenen Befugnisse lassen ihre Befugnisse nach Section 48 (7) unberührt."

    Section 77A des VAT Act 1994, die durch Section 18 des Finanzgesetzes 2003 eingefügt wurde, bestimmt:

    ?Gesamtschuldnerische Haftung von Händlern in einer Lieferkette, wenn die Steuer nicht gezahlt wurde

    (1) Diese Section gilt für Waren der folgenden Beschreibungen:

    a) Telefone und andere zur Verwendung im Zusammenhang mit Telefonen oder Telekommunikation hergestellte oder modifizierte Geräte, einschließlich Teile und Zubehör;

    b) Computer und andere zur Verwendung im Zusammenhang mit Computern oder Computersystemen hergestellte oder modifizierte Geräte, einschließlich Teile, Zubehör und Software.

    (2) Wenn

    a) an einen Steuerpflichtigen eine steuerpflichtige Lieferung von Waren, auf die diese Section Anwendung findet, bewirkt worden ist und

    b) dieser Steuerpflichtige im Zeitpunkt der Lieferung wusste oder für ihn hinreichende Verdachtsgründe dafür bestanden, dass die aufgrund dieser oder einer früheren oder späteren Lieferung dieser Waren fällige Mehrwertsteuer ganz oder teilweise unbezahlt bleiben würde,

    können die Commissioners ihm eine Mitteilung zustellen, in der die Höhe der ausstehenden fälligen Mehrwertsteuer und die Wirkung der Mitteilung angegeben sind.

    (3) Die Wirkung einer Mitteilung nach dieser Section besteht darin, dass

    a) die Person, der die Mitteilung zugestellt worden ist, und

    b) die Person, die unabhängig von dieser Section in Höhe des in der Mitteilung angegebenen Betrages haftet,

    hinsichtlich dieses Betrages Gesamtschuldner der Commissioners sind.

    (4) Für die Zwecke von Subsection 2 ist der Mehrwertsteuerbetrag, der hinsichtlich einer Lieferung fällig ist, der geringere Betrag der folgenden beiden Beträge:

    a) der für die Lieferung zu entrichtende Betrag,

    b) der Betrag, der auf der Steuererklärung des Lieferers (sofern er eine abgegeben hat) für den fraglichen vorgeschriebenen Abrechnungszeitraum als geschuldet ausgewiesen wird, zusammen mit jedem Betrag, der als von ihm für diesen Zeitraum geschuldet festgestellt ist (vorbehaltlich von Einwendungen von seiner Seite).

    (5) Die Bezugnahme in Subsection 4 (b) auf die Feststellung eines Betrages als von einer Person geschuldet umfasst auch den Fall, dass ihr dieser Betrag nicht mitgeteilt wird, weil dies nicht durchführbar ist.

    (6) Für die Zwecke der Subsection 2 wird vermutet, dass für eine Person hinreichende Verdachtsgründe für unter b genannte Umstände bestehen, wenn der von ihr für die betreffenden Waren zu zahlende Preis

    a) niedriger war als der niedrigste Preis, dessen Erzielung für diese Waren auf dem freien Markt vernünftigerweise erwartet werden könnte, oder

    b) niedriger war als der Preis für eine frühere Lieferung derartiger Waren.

    (7) Die Vermutung in Subsection 6 kann durch den Beweis widerlegt werden, dass der niedrige Preis der Waren auf Umstände zurückzuführen war, die mit der Nichtabführung der Mehrwertsteuer nicht im Zusammenhang standen.

    (8) Subsection 6 steht anderweitigen Nachweisen für hinreichende Verdachtsgründe nicht entgegen.

    (9) Der Finanzminister kann Subsection 1 durch Verordnung ändern; in einer derartigen Verordnung können alle Sekundär‑, Ergänzungs‑, Folge‑ und Übergangsvorschriften getroffen werden, die der Finanzminister für angemessen hält.

    (10) Für die Zwecke dieser Section

    a) schließt der Begriff "Waren" Dienstleistungen mit ein;

    b) gilt ein Mehrwertsteuerbetrag als unbezahlt nur bis zu der Höhe, in der er einen geschuldeten Erstattungsbetrag übersteigt."

    Ausgangsverfahren und Vorabentscheidungsfragen

    Die Sections 17 und 18 des Finanzgesetzes 2003 wurden erlassen, um gegen innergemeinschaftliche Steuerhinterziehungen durch einen "missing trader" einschließlich Karussellbetrugs im Bereich der Mehrwertsteuer vorzugehen.

    Die Federation hat eine Klage auf "judicial review" (rechtliche Überprüfung) gegen diese Bestimmungen erhoben und insbesondere geltend gemacht, dass sie durch das Gemeinschaftsrecht nicht gestattet seien.

    Diese Klage wurde zunächst vom High Court of Justice (England & Wales), Queen?s Bench Division (Administrative Court), geprüft und dann in der Berufung vor den Court of Appeal (England & Wales) (Civil Division) gebracht.

    Dieses Gericht stellt fest, dass nach Auffassung der Commissioners die in Rede stehende Art der Steuerhinterziehung normalerweise unter eine der beiden in Randnummer 7 des vorliegenden Urteils erwähnten Kategorien falle.

    Die erste Kategorie werde von den Commissioners als "Erwerbsbetrug" bezeichnet. Im Wesentlichen führe dabei ein im Vereinigten Königreich zur Mehrwertsteuer angemeldeter Händler − der "missing trader" − Gegenstände eines Lieferers aus der Europäischen Union ein und verkaufe sie im Allgemeinen im Einzelhandel im Vereinigten Königreich weiter, und zwar entweder unmittelbar oder über einen Großhändler. Der "missing trader" führe dann die für seine Weiterlieferung geschuldete Mehrwertsteuer nicht an die Commissioners ab. Es könne sich auch um einen Wirtschaftsteilnehmer handeln, der vorgebe, ein existierendes, zur Mehrwertsteuer angemeldetes Unternehmen zu vertreten, der aber in keiner Verbindung zu dem betreffenden Unternehmen stehe. (Ein solcher Händler werde oft als Händler, der eine "entwendete Umsatzsteuer-Identifikationsnummer" benutzt, bezeichnet.)

    Die zweite Kategorie sei als "Karussellbetrug" bekannt. Diese Kategorie leite ihren Namen aus der Art und Weise ab, in der ein und dieselben Gegenstände innerhalb der Union von einem Mitgliedstaat zu einem anderen und wieder zurück gelangten, ohne dabei einen Endverbraucher zu erreichen. In seiner einfachsten Form seien für den Karussellbetrug drei zur Mehrwertsteuer angemeldete Händler in zwei verschiedenen Mitgliedstaaten erforderlich, obwohl üblicherweise mindestens sechs oder sieben Händler in zwei oder mehr Mitgliedstaaten beteiligt seien.

    Der erste Teil des Karussellbetrugs funktioniere wie der oben in Randnummer 11 beschriebene. Dann verkaufe der "missing trader" die Gegenstände zum Selbstkostenpreis an eine Puffergesellschaft, die daraufhin von den Commissioners die gezahlte Mehrwertsteuer zurückverlange. Diese Puffergesellschaft verkaufe ihrerseits die betreffenden Gegenstände mit Gewinn an eine andere Puffergesellschaft. Schließlich gelangten die Gegenstände − möglicherweise nach weiteren Verkäufen und Käufen − zu einem Unternehmen, das sie an einen in einem anderen Mitgliedstaat zur Mehrwertsteuer angemeldeten Händler verkaufe; manchmal handele es sich dabei um den im ersten Mitgliedstaat ansässigen ursprünglichen Lieferer. Dieser letzte Verkauf sei von der Mehrwertsteuer befreit und führe daher zu einem Recht auf Abzug der Vorsteuer, die das ausführende Unternehmen später von den Commissioners zurückerstattet haben wolle.

    Der Karussellbetrug koste das Vereinigte Königreich Steuereinnahmen von mehr als 1,5 Milliarden GBP im Jahr.

    Nach der Vorlageentscheidung machen die Commissioners geltend, dass die Sections 17 und 18 des Finanzgesetzes 2003 auf der Grundlage der Artikel 21 Absatz 3 und 22 Absatz 8 der Sechsten Richtlinie erlassen worden seien.

    Die Federation macht geltend, dass weder Artikel 21 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie noch Artikel 22 Absatz 8 dieser Richtlinie den Mitgliedstaaten die Befugnis verliehen, Bestimmungen wie die Sections 17 und 18 zu erlassen.

    Aufgrund dieser Erwägungen hat der Court of Appeal (England & Wales) (Civil Division) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

    1. Ermächtigt Artikel 21 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie 77/388 in der durch die Richtlinie 2000/65 geänderten Fassung die Mitgliedstaaten, vorzusehen, dass jede Person mit einer anderen Person, die nach Artikel 21 Absatz 1 oder Absatz 2 Steuerschuldner ist, gesamtschuldnerisch auf Zahlung der Steuer in Anspruch genommen werden kann, sofern nur die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts gewahrt sind, nämlich dass eine solche Maßnahme objektiv gerechtfertigt, vernünftig und verhältnismäßig sein und dem Grundsatz der Rechtssicherheit genügen muss?

    2. Erlaubt Artikel 22 Absatz 8 der Sechsten Richtlinie 77/388 in ihrer geänderten Fassung den Mitgliedstaaten, anzuordnen, dass jede Person in dieser Weise haftbar gemacht werden kann oder dass von einer Person Sicherheitsleistung für die Steuerschuld eines anderen verlangt werden kann, sofern nur die vorgenannten allgemeinen Grundsätze gewahrt sind?

    3. Falls Frage 1 verneint wird, welche anderen Grenzen als diejenigen, die sich aus den genannten allgemeinen Grundsätzen ergeben, gelten für die durch Artikel 21 Absatz 3 verliehene Befugnis?

    4. Falls Frage 2 verneint wird, welche anderen Grenzen als diejenigen, die sich aus den genannten allgemeinen Grundsätzen ergeben, gelten für die durch Artikel 22 Absatz 8 verliehene Befugnis?

    5. Ist es den Mitgliedstaaten nach der Sechsten Richtlinie 77/388 in ihrer geänderten Fassung untersagt, eine gesamtschuldnerische Haftung von Steuerpflichtigen vorzusehen oder von einem Steuerpflichtigen Sicherheitsleistung für die Steuerschuld eines anderen zu verlangen, um einen Missbrauch des Mehrwertsteuersystems zu verhindern und die nach diesem System ordnungsgemäß geschuldeten Einnahmen zu sichern, wenn diese Maßnahmen im Einklang mit den genannten allgemeinen Grundsätzen stehen?

    Zur ersten und zur dritten Vorabentscheidungsfrage

    Mit seiner ersten und seiner dritten Frage, die zusammen zu prüfen sind, fragt das vorlegende Gericht im Wesentlichen danach, ob Artikel 21 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er einen Mitgliedstaat ermächtigt, eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende zu erlassen, wonach ein Steuerpflichtiger, an den eine Lieferung von Gegenständen oder eine Dienstleistung bewirkt worden ist und der wusste oder für den hinreichende Verdachtsgründe dafür bestanden, dass die aufgrund dieser oder einer früheren oder späteren Lieferung oder Dienstleistung fällige Mehrwertsteuer ganz oder teilweise unbezahlt bleiben würde, gesamtschuldnerisch mit dem Steuerschuldner auf Zahlung der Steuer in Anspruch genommen werden kann.

    Beim Gerichtshof eingereichte Erklärungen

    Zur Beantwortung der ersten und der dritten Frage trägt die Federation vor, dass Artikel 21 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie die Mitgliedstaaten nur in den in Artikel 21 Absatz 1 Buchstabe a Unterabsatz 2 und Buchstabe c sowie Absatz 2 Buchstaben a und b genannten Fällen ermächtige, eine Rechtsvorschrift zu erlassen, wonach eine Person gesamtschuldnerisch mit der Person auf Zahlung der Mehrwertsteuer in Anspruch genommen werden könne, die diese Steuer schulde. Für die Anordnung dieser gesamtschuldnerischen Verpflichtung gälten die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts.

    Diese allgemeinen Grundsätze hinderten die Mitgliedstaaten daran, Durchführungsvorschriften zu Artikel 21 der Sechsten Richtlinie zu erlassen, die den Käufern zusammen mit anderen Einzelpersonen oder Unternehmen derselben Lieferkette aufgrund von Vermutungen hinsichtlich des für die Gegenstände oder die Dienstleistungen gezahlten Preises eine gesamtschuldnerische Verpflichtung zur Zahlung der Mehrwertsteuer auferlegten.

    Die Regierung des Vereinigten Königreichs, die deutsche Regierung, Irland, die zypriotische und die portugiesische Regierung und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften sind der Auffassung, dass Artikel 21 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie die Mitgliedstaaten ermächtige, vorzusehen, dass jede Person mit einer anderen Person, die nach Artikel 21 Absatz 1 oder Absatz 2 Schuldner der Mehrwertsteuer sei, gesamtschuldnerisch auf deren Zahlung in Anspruch genommen werden könne, sofern nur die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts gewahrt seien.

    Die niederländische Regierung ist der Auffassung, dass eine Maßnahme wie die durch Section 18 des Finanzgesetzes 2003 eingeführte nicht unter die Sechste Richtlinie falle und dass es daher nicht erforderlich sei, dass sie auf diese gestützt werde. Die Maßnahme betreffe nämlich nicht die materielle Besteuerung, sondern die Steuererhebung. Der Gerichtshof habe festgestellt, dass keine Bestimmung der Sechsten Richtlinie die Erhebung behandele und dass es grundsätzlich Sache der Mitgliedstaaten sei, die Voraussetzungen festzulegen, unter denen die Mehrwertsteuer nachträglich vom Staat erhoben werden könne, wobei jedoch die Grenzen, die sich aus dem Gemeinschaftsrecht ergäben, beachtet werden müssten (vgl. Urteil vom 18. Dezember 1997 in den Rechtssachen C‑286/94, C‑340/95, C‑401/95 und C‑47/96, Molenheide u. a., Slg. 1997, I‑7281, Randnr. 43, und Beschluss vom 3. März 2004 in der Rechtssache C‑395/02, Transport Service, Slg. 2004, I‑1991, Randnrn. 27 bis 29).

    Wenn der Gerichtshof jedoch der Auffassung sei, dass die Maßnahme, um die es im Ausgangsverfahren gehe, unter die Sechste Richtlinie falle, so habe sie ihre Grundlage in Artikel 21 Absatz 3 oder Artikel 22 Absatz 8 der Sechsten Richtlinie.

    Würdigung durch den Gerichtshof

    Zunächst ist festzustellen, dass entgegen dem Vorbringen der niederländischen Regierung eine nationale Vorschrift wie die durch Section 18 des Finanzgesetzes 2003 eingeführte, die Regeln aufstellt, nach denen ein Steuerpflichtiger für die Zahlung eines von einem anderen Steuerpflichtigen geschuldeten Mehrwertsteuerbetrags gesamtschuldnerisch in Anspruch genommen werden kann, die Bestimmung der Person betrifft, die zur Zahlung dieser Steuer an den Staat verpflichtet werden kann, und nicht die Erhebung dieser Steuer. Demnach fällt sie in den Anwendungsbereich von Artikel 21 der Sechsten Richtlinie.

    Sodann ist darauf hinzuweisen, dass Artikel 21 Absatz 3 die Mitgliedstaaten ermächtigt, in den Fällen nach seinen Absätzen 1 und 2 zu bestimmen, dass eine andere Person als der Steuerschuldner die Mehrwertsteuer gesamtschuldnerisch zu entrichten hat.

    Entgegen dem Vorbringen der Federation weist nichts im Wortlaut des Artikels 21 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie oder in dem seiner Absätze 1 und 2 darauf hin, dass die Anwendung dieses Absatzes 3 nur auf bestimmte der in den ersten beiden Absätzen genannten Fälle beschränkt sei. Vielmehr ergibt sich aus dem klaren und eindeutigen Wortlaut des Artikels 21 Absatz 3, dass diese Bestimmung in allen in diesen ersten beiden Absätzen genannten Fällen anwendbar ist.

    Unter diesen Umständen kann dem Vorbringen der Federation, dass vor der Änderung von Artikel 21 der Sechsten Richtlinie durch die Richtlinie 2000/65 die Möglichkeit, einen Dritten gesamtschuldnerisch auf Zahlung der Mehrwertsteuer in Anspruch zu nehmen, eingeschränkter gewesen sei und dass die neue Fassung es nicht bezweckt habe, diese Möglichkeit zu erweitern, nicht gefolgt werden.

    Artikel 21 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie ermächtigt die Mitgliedstaaten daher grundsätzlich, Maßnahmen zu erlassen, nach denen eine Person einen Mehrwertsteuerbetrag, der von einer anderen Person, die durch eine der Bestimmungen der Absätze 1 und 2 dieses Artikels als Steuerschuldner bezeichnet wird, geschuldet wird, gesamtschuldnerisch zu entrichten hat.

    Bei der Ausübung der Befugnisse, die ihnen die Gemeinschaftsrichtlinien verleihen, müssen die Mitgliedstaaten jedoch die allgemeinen Rechtsgrundsätze, die Teil der Gemeinschaftsrechtsordnung sind und zu denen u. a. die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit gehören, beachten (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 8. Juni 2000 in der Rechtssache C‑396/98, Schloßstraße, Slg. 2000, I‑4279, Randnr. 44, und vom 26. April 2005 in der Rechtssache C‑376/02, ?Goed Wonen?, Slg. 2005, I‑3445, Randnr. 32).

    Was insbesondere den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit betrifft, so ist daran zu erinnern, dass es zwar legitim ist, dass von dem Mitgliedstaat auf der Grundlage von Artikel 21 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie erlassene Maßnahmen darauf abzielen, die Ansprüche des Staates möglichst wirksam zu schützen; sie dürfen jedoch nicht über das hinausgehen, was hierzu erforderlich ist (vgl. in diesem Sinne Urteil Molenheide u. a., Randnr. 47).

    Insoweit sehen die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Maßnahmen vor, dass ein anderer Steuerpflichtiger als der Steuerschuldner mit diesem gesamtschuldnerisch auf Zahlung der Mehrwertsteuer in Anspruch genommen werden kann, wenn dieser Steuerpflichtige im Zeitpunkt der Lieferung an ihn wusste oder für ihn hinreichende Verdachtsgründe dafür bestanden, dass die aufgrund dieser oder einer früheren oder späteren Lieferung der betreffenden Waren fällige Mehrwertsteuer ganz oder teilweise unbezahlt bleiben würde. Es wird vermutet, dass für eine Person hinreichende Verdachtsgründe dafür bestehen, dass dies der Fall ist, wenn der von ihr zu zahlende Preis niedriger war als der niedrigste Preis, dessen Erzielung für diese Waren auf dem freien Markt vernünftigerweise erwartet werden könnte, oder niedriger war als der Preis für eine frühere Lieferung derartiger Waren. Diese Vermutung kann durch den Beweis widerlegt werden, dass der niedrige Preis der Waren auf Umstände zurückzuführen war, die mit der Nichtabführung der Mehrwertsteuer nicht im Zusammenhang standen.

    Wenngleich Artikel 21 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie einen Mitgliedstaat ermächtigt, eine Person, die im Zeitpunkt der an sie bewirkten Lieferung davon Kenntnis hatte oder hätte haben müssen, dass die für diesen oder einen früheren oder späteren Umsatz geschuldete Mehrwertsteuer unbezahlt bleiben würde, gesamtschuldnerisch auf Zahlung der Mehrwertsteuer in Anspruch zu nehmen und sich insoweit auf Vermutungen zu stützen, können diese doch gleichwohl nicht in einer Art und Weise formuliert werden, dass es für den Steuerpflichtigen praktisch unmöglich oder übermäßig schwierig wird, sie durch den Gegenbeweis zu widerlegen. Wie der Generalanwalt in Nummer 27 seiner Schlussanträge festgestellt hat, würden solche Vermutungen sonst de facto ein System der unbedingten Haftung einführen, das über das hinausginge, was erforderlich ist, um die Ansprüche des Staates zu schützen.

    Wirtschaftsteilnehmer, die alle Maßnahmen treffen, die vernünftigerweise von ihnen verlangt werden können, um sicherzustellen, dass ihre Umsätze nicht zu einer Lieferkette gehören, die einen mit einem Mehrwertsteuerbetrug behafteten Umsatz einschließt, müssen nämlich auf die Rechtmäßigkeit dieser Umsätze vertrauen können dürfen, ohne Gefahr zu laufen, für die Zahlung dieser von einem anderen Steuerpflichtigen geschuldeten Steuer gesamtschuldnerisch in Anspruch genommen zu werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Januar 2006 in den Rechtssachen C‑354/03, C‑355/03 und C‑484/03, Optigen u. a., Slg. 2006, I‑0000, Randnr. 52).

    Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu beurteilen, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts genügt.

    Daher ist auf die erste und die dritte Frage zu antworten, dass Artikel 21 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er einen Mitgliedstaat ermächtigt, eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende zu erlassen, wonach ein Steuerpflichtiger, an den eine Lieferung von Gegenständen oder eine Dienstleistung bewirkt worden ist und der wusste oder für den hinreichende Verdachtsgründe dafür bestanden, dass die aufgrund dieser oder einer früheren oder späteren Lieferung oder Dienstleistung fällige Mehrwertsteuer ganz oder teilweise unbezahlt bleiben würde, gesamtschuldnerisch mit dem Steuerschuldner auf Zahlung dieser Steuer in Anspruch genommen werden kann. Eine solche Regelung muss jedoch den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die Teil der Gemeinschaftsrechtsordnung sind und zu denen u. a. die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit gehören, genügen.

    Zur zweiten und zur vierten Vorabentscheidungsfrage

    Mit seiner zweiten und seiner vierten Frage, die zusammen zu prüfen sind, fragt das vorlegende Gericht im Wesentlichen danach, ob Artikel 22 Absatz 8 der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er einem Mitgliedstaat erlaubt, eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende zu erlassen, wonach ein Steuerpflichtiger, an den eine Lieferung von Gegenständen oder eine Dienstleistung bewirkt worden ist und der wusste oder für den hinreichende Verdachtsgründe dafür bestanden, dass die aufgrund dieser oder einer früheren oder späteren Lieferung oder Dienstleistung fällige Mehrwertsteuer ganz oder teilweise unbezahlt bleiben würde, gesamtschuldnerisch mit dem Steuerschuldner auf Zahlung der Steuer in Anspruch genommen werden kann, und/oder eine Regelung zu erlassen, wonach von einem Steuerpflichtigen eine Sicherheitsleistung für die Zahlung der Mehrwertsteuer verlangt werden kann, die von demjenigen Steuerpflichtigen, von dem oder an den die betreffenden Gegenstände oder Dienstleistungen geliefert oder erbracht werden, geschuldet wird.

    Beim Gerichtshof eingereichte Erklärungen

    Zur Beantwortung der zweiten und der vierten Frage trägt die Federation vor, dass Artikel 22 Absatz 8 der Sechsten Richtlinie den Mitgliedstaaten nicht erlaube, Maßnahmen zu erlassen, mit denen einer anderen Person als dem Steuerschuldner, wie er in Artikel 21 der Richtlinie definiert sei, Verpflichtungen auferlegt würden.

    Die Regierung des Vereinigten Königreichs macht geltend, dass Artikel 22 Absatz 8 den Mitgliedstaaten erlaube, vorzusehen, dass jede Person mit jeder anderen Person, die nach Artikel 21 Absatz 1 oder Absatz 2 der Sechsten Richtlinie zur Zahlung der Mehrwertsteuer verpflichtet sei, gesamtschuldnerisch auf deren Zahlung in Anspruch genommen werden könne, oder vorzusehen, dass von einer Person eine Sicherheitsleistung für die von einer anderen Person geschuldete Mehrwertsteuer verlangt werden könne, sofern die betreffenden Vorschriften zur genauen Erhebung der Mehrwertsteuer und zur Vermeidung von Steuerhinterziehungen für erforderlich gehalten würden und sofern sie die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts beachteten.

    Irland und die zypriotische Regierung sind der Auffassung, dass Artikel 22 Absatz 8 der Sechsten Richtlinie den Mitgliedstaaten erlaube, vorzusehen, dass von jeder Person eine Sicherheitsleistung für die von einer anderen Person geschuldete Mehrwertsteuer verlangt werden könne, sofern die erwähnten allgemeinen Grundsätze gewahrt seien.

    Die portugiesische Regierung ist der Ansicht, dass Artikel 22 Absatz 8 dahin auszulegen sei, dass er den Mitgliedstaaten erlaube, entweder innerhalb der durch diese Vorschrift festgelegten Grenzen zu bestimmen, dass jede Person zur Zahlung der Mehrwertsteuer verpflichtet werden könne, oder aber − um die Erhebung dieser Steuer sowie die Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuerumgehung sicherzustellen − vorzusehen, dass dem Schuldner dieser Steuer und dem Gesamtschuldner oder Dritten weitere Verpflichtungen auferlegt würden, wenn in beiden Fällen die Anordnung dieser Verpflichtungen unter Beachtung des Gemeinschaftsrechts und insbesondere der seiner allgemeinen Grundsätze erfolge.

    Die Kommission macht geltend, dass Artikel 22 Absatz 8 der Sechsten Richtlinie den Mitgliedstaaten nicht gestatte, die Verpflichtung zur Zahlung der Mehrwertsteuer auf Personen zu erstrecken, die nicht deren Schuldner seien oder sie nach Artikel 21 der Richtlinie gesamtschuldnerisch zu entrichten hätten. Artikel 22 Absatz 8 erlaube ihnen auch nicht, vorzusehen, dass von einer Person eine Sicherheitsleistung für die von einer anderen Person geschuldete Mehrwertsteuer verlangt werden könne. Sei jedoch erst einmal gemäß einer auf der Grundlage von Artikel 21 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie erlassenen Maßnahme die gesamtschuldnerische Zahlungsverpflichtung begründet worden, so gestatte es Artikel 22 Absatz 8 in Verbindung mit Artikel 22 Absatz 7 der Sechsten Richtlinie, sofern nur die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts gewahrt seien, jeder Person, die die Mehrwertsteuer gesamtschuldnerisch zu entrichten habe, die Verpflichtung aufzuerlegen, eine Sicherheit für die geschuldeten Beträge zu leisten.

    Würdigung durch den Gerichtshof

    Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass Artikel 22 nach seiner Überschrift, wie diese in Artikel 28h der Sechsten Richtlinie erscheint, nur von den Verpflichtungen der Steuerschuldner handelt und nicht regelt, wer diese sind, was seinerseits in Artikel 21 der Richtlinie geregelt ist.

    Tatsächlich ermächtigt Artikel 22 Absatz 8 der Sechsten Richtlinie die Mitgliedstaaten, den nach Artikel 21 der Richtlinie bestimmten Schuldnern der Mehrwertsteuer und den danach bestimmten Personen, die sie gesamtschuldnerisch zu entrichten haben, weitere als die in den vorangehenden Absätzen des Artikels 22 vorgesehenen Verpflichtungen, wie z. B. die, eine Sicherheit für die Zahlung der geschuldeten Mehrwertsteuer zu leisten, aufzuerlegen, die sie für erforderlich halten, um die Erhebung dieser Steuer sicherzustellen und Steuerhinterziehungen zu vermeiden.

    Daraus folgt zum einen, dass die Einführung einer gesamtschuldnerischen Verpflichtung zur Zahlung der Mehrwertsteuer nicht auf Artikel 22 Absatz 8 der Sechsten Richtlinie gestützt werden kann, und zum anderen, dass diese Vorschrift den Mitgliedstaaten auch nicht erlaubt, von einer Person, die nicht nach Artikel 21 der Sechsten Richtlinie Schuldner der Mehrwertsteuer ist oder diese gesamtschuldnerisch zu entrichten hat, zu verlangen, eine Sicherheit für die Zahlung der von einem Dritten geschuldeten Mehrwertsteuer zu leisten.

    Es ist jedoch daran zu erinnern, dass sich die Mitgliedstaaten, wie sich aus der Beantwortung der ersten und der dritten Frage ergibt, innerhalb der durch die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts gezogenen Grenzen auf Artikel 21 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie stützen können, um eine gesamtschuldnerische Verpflichtung zur Zahlung der Mehrwertsteuer zu begründen.

    Folglich können die Personen, die nach einer auf der Grundlage von Artikel 21 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie erlassenen Maßnahme die Mehrwertsteuer gesamtschuldnerisch zu entrichten haben, von den Mitgliedstaaten gemäß Artikel 22 Absatz 8 der Richtlinie verpflichtet werden, eine Sicherheit für die Zahlung der geschuldeten Mehrwertsteuer zu leisten.

    Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die zweite und die vierte Frage dahin zu beantworten sind, dass Artikel 22 Absatz 8 der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er einem Mitgliedstaat nicht erlaubt, eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende zu erlassen, wonach ein Steuerpflichtiger, an den eine Lieferung von Gegenständen oder eine Dienstleistung bewirkt worden ist und der wusste oder für den hinreichende Verdachtsgründe dafür bestanden, dass die aufgrund dieser oder einer früheren oder späteren Lieferung oder Dienstleistung fällige Mehrwertsteuer ganz oder teilweise unbezahlt bleiben würde, gesamtschuldnerisch mit dem Steuerschuldner auf Zahlung dieser Steuer in Anspruch genommen werden kann, und/oder eine Regelung zu erlassen, wonach von einem Steuerpflichtigen eine Sicherheitsleistung für die Zahlung der Mehrwertsteuer verlangt werden kann, die von demjenigen Steuerpflichtigen, von dem oder an den die betreffenden Gegenstände oder Dienstleistungen geliefert oder erbracht werden, geschuldet wird.

    Dagegen steht diese Bestimmung nicht einer nationalen Regelung entgegen, die jede Person, die gemäß einer auf der Grundlage von Artikel 21 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie erlassenen Maßnahme die Mehrwertsteuer gesamtschuldnerisch zu entrichten hat, dazu verpflichtet, eine Sicherheit für die Zahlung der geschuldeten Mehrwertsteuer zu leisten.

    Zur fünften Frage

    Angesichts der Beantwortung der ersten vier Fragen braucht die fünfte Frage nicht beantwortet zu werden.

    Kosten

    Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

    1. Artikel 21 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage in ihrer durch die Richtlinien 2000/65/EG des Rates vom 17. Oktober 2000 und 2001/115/EG des Rates vom 20. Dezember 2001 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er einen Mitgliedstaat ermächtigt, eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende zu erlassen, wonach ein Steuerpflichtiger, an den eine Lieferung von Gegenständen oder eine Dienstleistung bewirkt worden ist und der wusste oder für den hinreichende Verdachtsgründe dafür bestanden, dass die aufgrund dieser oder einer früheren oder späteren Lieferung oder Dienstleistung fällige Mehrwertsteuer ganz oder teilweise unbezahlt bleiben würde, gesamtschuldnerisch mit dem Steuerschuldner auf Zahlung dieser Steuer in Anspruch genommen werden kann. Eine solche Regelung muss jedoch den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die Teil der Gemeinschaftsrechtsordnung sind und zu denen u. a. die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit gehören, genügen.

    2. Artikel 22 Absatz 8 der Sechsten Richtlinie 77/388 in ihrer durch die Richtlinien 2000/65 und 2001/115 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er einem Mitgliedstaat nicht erlaubt, eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende zu erlassen, wonach ein Steuerpflichtiger, an den eine Lieferung von Gegenständen oder eine Dienstleistung bewirkt worden ist und der wusste oder für den hinreichende Verdachtsgründe dafür bestanden, dass die aufgrund dieser oder einer früheren oder späteren Lieferung oder Dienstleistung fällige Mehrwertsteuer ganz oder teilweise unbezahlt bleiben würde, gesamtschuldnerisch mit dem Steuerschuldner auf Zahlung der Steuer in Anspruch genommen werden kann, und/oder eine Regelung zu erlassen, wonach von einem Steuerpflichtigen eine Sicherheitsleistung für die Zahlung der Mehrwertsteuer verlangt werden kann, die von demjenigen Steuerpflichtigen, von dem oder an den die betreffenden Gegenstände oder Dienstleistungen geliefert oder erbracht werden, geschuldet wird.

    Dagegen steht diese Bestimmung nicht einer nationalen Regelung entgegen, die jede Person, die gemäß einer auf der Grundlage von Artikel 21 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie 77/388 erlassenen Maßnahme die Mehrwertsteuer gesamtschuldnerisch zu entrichten hat, dazu verpflichtet, eine Sicherheit für die Zahlung der geschuldeten Mehrwertsteuer zu leisten.

    Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

    RechtsgebieteEGRL, EWGRLVorschriftenEGRL 65/2000, EGRL 115/2001, EWGRL 388/77 Art. 21 Abs. 3, EWGRL 388/77 Art. 22 Abs. 8