02.11.2010
Finanzgericht Köln: Urteil vom 14.07.2010 – 10 K 4061/09
Abfindungszahlungen, die anlässlich der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses gezahlt werden (hier Altersteilzeit im Blockmodell), sind grundsätzlich nur dann ermäßigt zu besteuernde außerordentliche Einkünfte i.S.v. § 34 Abs. 1 und 2 EStG, wenn sie zusammengeballt in einem Veranlagungszeitraum zufließen. Ob Hintergrund der Abfindungsleistung eine tarifvertragliche Bestimmung oder eine individuelle Verhandlung war, ist in diesem Zusammenhang unmaßgeblich.
Im Namen des Volkes
URTEIL
In dem Rechtsstreit
hat der 10. Senat in der Besetzung: Vorsitzender Richter am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht … ehrenamtlicher Richter … ehrenamtliche Richterin … auf Grund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 14.07.2010 für Recht erkannt:
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit des Einkommensteuerbescheids 2006.
Die Kläger sind Eheleute und wurden im Streitjahr gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt.
Der Kläger schloss mit seinem Arbeitgeber am 18.06.2002, am 13.12.2002 und zuletzt am 01.10.2004 Altersteilzeitarbeitsverträge mit Altersteilzeit im Blockmodell. Die Arbeitsphase nach dem letzten – maßgeblichen – Vertrag lief vom 01.01.2003 bis zum 31.12.2004. Daran schloss sich eine Freistellungsphase bis zum 31.12.2006 an.
§ 3 Abs. 3 dieses Altersteilzeitarbeitsvertrages lautet:
„Neben der Abfindung nach § 5 Abs. 7 TV ATZ” (Tarifvertrag zur Regelung der Altersteilzeit) „erhält der Arbeitnehmer eine freiwillige Abfindung in Höhe von EUR 115.000,– brutto. Die Abfindung wird am 31.01.2005 nach Abzug der gesetzlich vorgeschriebenen Abgaben in Form eines Einmalbetrages ausgezahlt. Die Abfindung nach § 5 Abs. 7 TV ATZ zzgl. einer weiteren freiwilligen Abfindung in Höhe von EUR 12.000,– werden im Dezember 2006 ebenfalls nach Abzug der gesetzlich vorgeschriebenen Abgaben in Form eines Einmalbetrages ausgezahlt. (…)”.
Dem Altersteilzeitarbeitsvertrag waren Verhandlungen zwischen dem Kläger und seinem Arbeitgeber vorausgegangen, in welchen auch die Zeitpunkte der Auszahlungen der nichttarifvertraglichen Abfindungsleistungen thematisiert wurden (vgl. die vom Kläger vorgelegten Unterlagen, Bl. 97-101 der Gerichtsakten zum Verfahren 10 K 699/08, die das Gericht beigezogen hat).
§ 5 Abs. 7 TV ATZ in der vom Kläger zu den Akten gereichten Fassung lautet:
„Arbeitnehmer, die nach Inanspruchnahme der Altersteilzeit eine Rentenkürzung wegen vorzeitiger Inanspruchnahme der Rente zu erwarten haben, erhalten für je 0,3 v.H. Rentenminderung eine Abfindung in Höhe von 5 v.H. der Vergütung (…) und der in Monatsbeträgen festgelegten Zulagen bzw. des Monatsregellohns (…) ggf. zuzüglich des Sozialzuschlags bzw. des Monatsgrundlohnes (…) und der ständigen Lohnzuschläge, die bzw. der dem Arbeitnehmer im letzten Monat vor dem Ende des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses zugestanden hätte, wenn er mit der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit beschäftigt gewesen wäre. Die Abfindung wird zum Ende des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses gezahlt.”
Die Abfindungen wurden entsprechend der vertraglichen Regelung ausgezahlt, wobei die gemäß § 5 Abs. 7 TV ATZ ausbezahlte Abfindung 7.981,14 EUR betrug. Diese Abfindung wurde zusammen mit der Abfindung i.H.v. 12.500,– EUR in einer Summe im Dezember 2006 an den Kläger überwiesen.
In seiner Steuererklärung für das Jahr 2005 beantragte der Kläger erfolglos den Abfindungsbetrag i.H.v. 115.000 EUR nach Abzug des steuerfreien Anteils gem. § 3 Nr. 9 EStG i.H.v. 11.000 EUR nach § 34 Abs. 1 und 2 EStG zu versteuern. Ein unter dem Aktenzeichen 10 K 699/08 geführtes Klageverfahren endete durch Klagerücknahme.
Mit Einkommensteuerbescheid 2006 vom 15.08.2007 erfasste der Beklagte sowohl die nach § 5 Abs. 7 TV ATZ gezahlte Abfindung in Höhe von 7.981,14 EUR als auch die Abfindung in Höhe von 12.500,– EUR als Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit und besteuerte diese mit dem normalen Steuersatz. Der Bescheid erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.
Mit Bescheid vom 18.02.2008 hob der Beklagte den Vorbehalt der Nachprüfung auf.
Gegen diesen Bescheid legten die Kläger am 26.02.2008 unter Hinweis auf das beabsichtigte Klageverfahren wegen der Einkommensteuerfestsetzung 2005 Einspruch ein. Die in dem Klageverfahren zu treffende Entscheidung sei danach maßgeblich für die Behandlung des Sachverhalts „Arbeitslohn für mehrere Jahre” auch im Streitjahr 2006.
Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 16.11.2009 als unbegründet zurück. Die im Streitjahr gezahlte Abfindung erfülle nicht die Voraussetzungen des § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH setze die Begünstigung nach § 34 EStG voraus, dass die gesamten Entschädigungsleistungen in einem Veranlagungszeitraum zuflössen und durch die Zusammenballung von Einkünften erhöhte steuerliche Belastungen entstünden. Einer der eng begrenzten Ausnahmefälle, in denen die Steuerermäßigung auch bei Zufluss der Entschädigung in zwei verschiedenen Veranlagungszeiträumen gewährt würde, läge nicht vor. Er verwies insoweit auf das Urteil des BFH vom 21.04.1993 (XI R 67/92). Die im Jahr 2006 ausgezahlten Abfindungszahlungen seien einheitlich zu beurteilen. Irrelevant sei, ob die Zahlung aufgrund freier Verhandlungen oder aufgrund von Tarifverträgen erfolge.
Daraufhin erhoben die Kläger die vorliegende Klage vom 16.12.2009.
Diese richte sich „gegen die Versagung der Fünftelung in 2006 von 7.981,14 EUR gemäß Bescheid vom 16.11.2009.” Weiterhin führen die Kläger aus: „Hilfsweise weitere Anträge: (…) abweichende Steuerfestsetzung und Erlass (…), alle gegebenen Möglichkeiten dem Klageantrag zu entsprechen oder das entsprechende Ergebnis herbeizuführen”.
Die Klage wird dahingehend begründet, dass die Zahlungen von 115.000,– EUR und 12.500,– EUR freiwillige Abfindungszahlungen gewesen seien, die der Kläger mit seinem Arbeitgeber verhandelt habe. Die Zahlung von 7.981,14 EUR sei nie Gegenstand der Verhandlungen gewesen. Vielmehr habe der Anspruch auf diese Zahlung bereits seit den ersten Altersteilzeitverträgen aus dem Jahr 2002 festgestanden.
Die Zahlung von 7.981,14 EUR sei der ermäßigten Besteuerung zu unterwerfen. Hierdurch ergebe sich eine Minderung der Einkommensteuer von 424,– EUR.
Anträge auf Erlass und abweichende Steuerfestsetzung seien beim Beklagten am 21.11.2009 gestellt worden.
In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger erklärt, dass die schriftlich gestellten Hilfsanträge auf Erlass bzw. abweichende Steuerfestsetzung nicht aufrecht erhalten werden.
Die Kläger beantragen,
die im Jahr 2006 zugeflossene Abfindungszahlung i.H.v. 7.981,14 EUR gemäß § 34 Abs. 1 EStG ermäßigt zu besteuern.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verweist auf die Einspruchsbegründung.
Entscheidungsgründe
Die Klage unbegründet.
Soweit sich der Kläger gegen die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung mit dem Einspruch gewandt hat, begegnet es keinen Bedenken, dass dies als Einspruch gegen die Steuerfestsetzung auszulegen war. Der Aufhebungsbescheid kann mit allen Einwendungen bekämpft werden, die gegen die Steuerfestsetzung möglich sind (Klein, § 164 AO, Rz. 59).
1. Die Kläger sind durch den Erlass des angefochtenen Einkommensteuerbescheids 2006 nicht in ihren Rechten verletzt (§ 100 Abs. 1 FGO).
Den Klägern steht auf die gewährte Abfindungszahlung in Höhe von 7.981,14 EUR, die im Jahr 2006 gezahlt wurde, der ermäßigte Steuersatz nach § 34 Abs. 1 i.V.m. 2 Nr. 2 EStG nicht zu.
Die Besteuerung einer Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 EStG gemäß § 34 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 EStG setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) grundsätzlich einen zusammengeballten Zufluss der Entschädigung in einem Veranlagungszeitraum voraus, da die ermäßigte Besteuerung nach § 34 Abs. 1 und 2 EStG bezweckt, die Härten auszugleichen, die sich aus der progressiven Besteuerung der Entschädigung ergeben. Dementsprechend sind Entschädigungen i.S. des § 24 Nr. 1a) EStG grundsätzlich nur dann außerordentliche Einkünfte, wenn die Entschädigung für entgangene oder entgehende Einnahmen, die sich bei normalem Ablauf auf mehrere Jahre verteilt hätte, vollständig in einem Betrag gezahlt wird. Bei einer Entschädigungszahlung, die sich auf zwei oder mehr Veranlagungszeiträume verteilt, ist eine Zusammenballung nicht gegeben; eine Anwendung des § 34 EStG kommt grundsätzlich nicht in Betracht (vgl. BFH-Urteile vom 21.06.2006 XI R 29/05, BFH/NV 2006, 1833; vom 21. März 1996 XI R 51/95, BStBl II 1996, 416; vom 3. Juli 2002 XI R 80/00, BStBl II 2004, 447; vom 16. Juni 2004 XI R 55/03, BStBl II 2004, 105503.07.2002 XI R 80/00, BStBl II 2004, 447; vom 14.08.2001 XI R 22/00, BStBl II 2002, 180; Schmidt/Seeger, EStG § 34 Rz. 17 und § 24 Rz. 12; Mellinghoff in Kirchhof, EStG § 34 Rz. 19). Liegt eine Zusammenballung nicht vor und ist mithin der Tatbestand des § 34 Abs. 1 EStG nicht erfüllt, ist die Besteuerung der in unterschiedlichen Veranlagungszeiträumen zugeflossenen Entschädigung mit dem regulären Steuersatz die vom Gesetz vorgesehene Rechtsfolge. Ein Ermessen für den Beklagten gibt es dabei nicht. Dass die Anwendung des normalen, anstelle des ermäßigten Steuersatzes bei Auszahlung einer Entschädigung in zwei Veranlagungszeiträumen nach der ständigen Rechtsprechung zu einer steuerlichen Mehrbelastung führt, hat der Gesetzgeber gesehen. Der ermäßigte Steuersatz des § 34 Abs. 1 EStG ist bei einer Aufteilung einer Entschädigung auf zwei Veranlagungszeiträume selbst dann zu versagen, wenn die Aufteilung keine oder nur eine unwesentliche steuerliche Entlastung zur Folge hat. Der tatsächliche Progressionseffekt ist ohne Bedeutung. Der Steuersatz ist auch im umgekehrten Fall selbst dann zu ermäßigen, wenn durch die Entschädigung keine zusätzliche Progressionsbelastung eintritt (vgl. BFH-Urteil in BFHE 180, 152, BStBl II 1996, 416, m.w.N.).
Im Streitfall fehlt es an einer Zusammenballung, da Abfindungsleistungen, die als Entschädigungen für ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis geleistet wurden in zwei aufeinanderfolgenden Veranlagungszeiträumen ausgezahlt wurden.
Besonderheiten aufgrund derer die Besteuerung der Entschädigung mit dem normalen Steuersatz als mit dem Zweck des Gesetzes nicht mehr vereinbar erscheinen, liegen nicht vor.
a) Die Auszahlung der Entschädigungen in zwei Veranlagungszeiträumen war zwischen den Vertragspartnern von vornherein vorgesehen und vertraglich vereinbart. Es macht auch keinen Unterscheid, dass die Rechtsgrundlage der hier streitigen Abfindung ein Tarifvertrag ist, während die übrigen Abfindungszahlungen auf einer individuellen Abrede basieren, denn es handelt sich bei der individuellen Abrede nicht um eine vom Tarifvertrag völlig unabhängige Vereinbarung. Soweit der Kläger diese Ansicht vertritt, steht dies im Widerspruch zu den vom Kläger eingereichten Unterlagen, insbesondere dem letzten Altersteilzeitarbeitsvertrag aus dem Jahr 2004. Im Rahmen des § 3 Abs. 3 werden ausdrücklich sämtliche zu zahlende Abfindungsbeträge benannt. Dies zeigt, dass alle Abfindungen – also auch die tarifvertragliche Abfindungszahlung – im Rahmen der abschließenden Abfindungsregelung einheitlich Beachtung gefunden haben. Der Kläger und sein Arbeitgeber haben ausdrücklich vereinbart, dass die insgesamt vorgesehenen Abfindungsleistungen in zwei verschiedenen Veranlagungszeiträumen ausbezahlt werden sollten. Hierbei macht es keinen Unterschied, ob Hintergrund der Abfindungsleistungen eine tarifvertragliche Bestimmung oder eine individuelle Verhandlung war. Aus dem Wortlaut des Altersteilzeitvertrages wird deutlich, dass die Vertragsparteien einheitlich den Themenkomplex „Abfindungen” anlässlich des vorzeitigen Ausscheidens des Klägers aus dem Arbeitsverhältnis abschließend regeln wollten, ansonsten hätte es der Aufnahme des tarifvertraglichen Abfindungsanspruches in den Vertragstext nicht bedurft.
Da die begünstigte Besteuerung nur zur Vermeidung von Härten gewährt wird, die sich aus dem Zufluss von zusammengeballten Abfindungsleistungen in einem Veranlagungszeitraum ergeben, kann es bei der Beurteilung, ob eine solche begünstigte Besteuerung hinsichtlich von Abfindungen zu gewähren ist, nur auf den Anlass der Abfindung, nicht aber darauf ankommen, ob die Abfindung wegen tarifvertraglicher oder wegen individuell ausgehandelter Verpflichtungen ausgezahlt wird. Der Anlass der unterschiedlichen Abfindungszahlungen war in allen Fällen derselbe, nämlich das vorzeitige Ausscheiden des Klägers aus der aktiven Arbeit.
b) Eine der ausdrücklich vom BFH zugelassenen Ausnahmesituationen (Gründe der sozialen Fürsorge oder Existenzbedrohung des Empfängers oder wirtschaftlicher Schwierigkeiten des Zahlungsverpflichteten), in denen trotz Auszahlung in zwei oder mehr Jahren eine Zusammenballung i.S.d. § 34 EStG angenommen wird, liegt im Streitfall nicht vor. Weder wurde dazu von der Klägerseite vorgetragen noch gibt es Anhaltspunkte, nach denen eine solche Situation aus den Akten erkennbar wäre.
c) In der Summe sind dem Kläger im Jahr 2006 Abfindungsleistungen von 20.481,14 EUR zugeflossen. Im Verhältnis zu dem Gesamtbetrag der zugeflossenen Abfindungszahlungen (135.481,14 EUR) ist dies ein Anteil von 15 %. Dies führt auch unter Heranziehung der Rechtsprechung des BFH, wonach eine die Anwendung von § 34 EStG rechtfertigende Zusammenballung von Einkünften auch dann in Betracht kommt, wenn zu einer Hauptentschädigungsleistung eine in einem anderen Veranlagungszeitraum zufließende minimale Teilleistung hinzukommt (BFH vom 25.August 2009 IX R 11/09, BFH/NV 2009, 2034), zu keinem anderen Ergebnis, da der im Jahr 2006 ausbezahlte Anteil weder die Hauptentschädigungsleistung, noch eine lediglich minimale Teilleistung darstellt.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.