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  • 04.01.2010

    Bundesfinanzhof: Urteil vom 08.07.2009 – XI R 51/07

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Gründe:
    I.
    Streitig ist die Berechtigung des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) zum Vorsteuerabzug aus Rechnungen des Herrn X (Firma X-Automobile).
    Der Kläger betrieb im Streitjahr (1998) als Einzelunternehmer einen Gebrauchtwagenhandel. Zwischen dem 13. Januar und dem 13. März 1998 erwarb er von der Firma X-Automobile verschiedene hochwertige Kraftfahrzeuge. Die in den Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer von 39.456,52 DM machte er in der --zu einer Vorbehaltsfestsetzung führenden-- Umsatzsteuererklärung für 1998 als Vorsteuer geltend.
    Im Anschluss an Ermittlungen der Steuerfahndung und von Umsatzsteuer-Sonderprüfungen versagte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) mit Änderungsbescheid vom 24. August 2001 den Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der Firma X-Automobile. Den dagegen eingelegten Einspruch wies das FA als unbegründet zurück, die Klage hatte jedoch Erfolg.
    Der in den Rechnungen angegebene Sitz des Unternehmens "X-Automobile" habe zwar nur bis zu einem nicht näher ermittelbaren Zeitpunkt vor dem 15. Dezember 1997 bestanden, der Vorsteuerabzug sei jedoch aus Gründen des Vertrauensschutzes zu gewähren. Das Urteil ist veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 631.
    Mit der gegen dieses Urteil eingelegten Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Es ist der Ansicht, der vom Finanzgericht (FG) festgestellte Rechnungsmangel könne nicht durch einen Gutglaubensschutz in die Richtigkeit der Rechnungsangaben "geheilt" werden. Ein Schutz des guten Glaubens ergebe sich insbesondere nicht aus der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 6. Juli 2006 Rs. C-439/04 und C-440/04 --Kittel und Recolta Recycling-- (Slg. 2006, I-6161). Darin habe der EuGH einen zusätzlichen Vorsteuerversagungsgesichtspunkt bei Bösgläubigkeit geschaffen, nicht aber eine zusätzliche Einschränkung bei der Vorsteuerversagung.
    Das FA beantragt,
    das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
    Der Kläger beantragt sinngemäß,
    die Revision zurückzuweisen.
    Es sei aus Sicht des Gemeinschaftsrechts zweifelhaft, ob das Recht auf Vorsteuerabzug von der zutreffenden Anschrift des leistenden Unternehmers abhängig gemacht werden könne, wenn ihm eine ansonsten ordnungsgemäße Rechnung vorliege und die Identität des leistenden Unternehmers auch auf andere Art und Weise nachgewiesen sei. Abgesehen davon ergebe sich der Vorsteuerabzug jedenfalls aus der Rechtsprechung des EuGH zum Vertrauensschutz.
    II.
    Die Revision des FA ist begründet. Das Urteil des FG war aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
    Die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 14 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG) lagen hinsichtlich der aus den streitigen Rechnungen geltend gemachten Vorsteuerbeträge nicht vor. Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes können im Festsetzungsverfahren nicht berücksichtigt werden.
    1.
    Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG kann der Unternehmer die in Rechnungen i.S. des § 14 UStG gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen oder sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen.
    a)
    Eine ordnungsgemäße Rechnung mit gesondertem Umsatzsteuerausweis gehört nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zu den materiell-rechtlichen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug (vgl. Beschluss vom 31. Juli 2007 V B 156/06, BFH/NV 2008, 416, m.w.N.; Urteil vom 1. Juli 2004 V R 33/01, BFHE 206, 463, BStBl II 2004, 861, unter II.2.).
    b)
    Dabei müssen die Angaben im Abrechnungspapier eine eindeutige und leicht nachprüfbare Feststellung des leistenden Unternehmers ermöglichen. Rechnungsaussteller und leistender Unternehmer müssen grundsätzlich identisch sein (vgl. BFH-Urteil vom 17. September 1992 V R 41/89, BFHE 169, 540, BStBl II 1993, 205, unter II.2.b; BFH-Beschluss vom 31. Januar 2002 V B 108/01, BFHE 198, 208, BStBl II 2004, 622, m.w.N.). Hierfür ist die Angabe der zutreffenden Anschrift in der Rechnung erforderlich (vgl. BFH-Urteil vom 6. Dezember 2007 V R 61/05, BFHE 221, 55, BStBl II 2008, 695, unter II.3.). Denn diese ermöglicht der Finanzverwaltung zu überprüfen, ob tatsächlich der abrechnende Unternehmer den in der Rechnung ausgewiesenen Umsatz ausgeführt hat.
    Dass trotz einer fehlerhaften Anschrift der leistende Unternehmer auf andere Weise ermittelt werden kann, ist entgegen der Ansicht des Klägers für die Frage, ob die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug vorliegen, ohne Bedeutung. Denn die Angabe der richtigen Anschrift in der Rechnung dient gerade dazu, die Voraussetzungen für den Sofortabzug der Vorsteuer überprüfen zu können. Der Vorsteuerabzug steht dem Unternehmer deshalb erst bei Vorlage einer Rechnung mit der zutreffenden Anschrift des leistenden Unternehmers zu.
    c)
    Dem Kläger steht der Vorsteuerabzug aus den streitigen Rechnungen der Firma X-Automobile mangels zutreffender Rechnungsanschrift nicht zu. Denn nach der revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Würdigung des FG hat der in den Rechnungen angegebene Sitz im Zeitpunkt der Erstellung der Rechnungen des X zwischen dem 13. Januar und dem 13. März 1998 nicht mehr bestanden. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens stand für das FG fest, dass W nur bis zu einem nicht näher ermittelbaren Zeitpunkt vor dem 15. Dezember 1997 an der Rechnungsadresse nachweisbar geschäftlich aktiv gewesen sei. Das FG stützt sich insoweit im Wesentlichen auf die Feststellungen, dass weder der Verwalter der Immobilie (Herr D) noch der Prüfer des Finanzamts Y zu verschiedenen Zeitpunkten W in den Geschäftsräumen angetroffen haben. Zwar habe der Kläger den W am 13. Februar 1998 vor den Geschäftsräumen getroffen, um ein Fahrzeug abzuholen. Dies schließe aber nicht aus, dass die Geschäftsräume selbst nicht mehr genutzt worden seien. Auch der Zusammenhang mit der angekündigten Sonderprüfung durch das Finanzamt Y lege den Schluss nahe, dass W die Geschäftsräume geräumt habe, um der Prüfung zu entgehen. Diese Würdigung ist möglich, verstößt nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze und bindet den Senat daher (§ 118 Abs. 2 FGO).
    Die Angabe einer Anschrift, an der im Zeitpunkt der Rechnungsausstellung keinerlei geschäftliche Aktivitäten stattfinden, reicht als zutreffende Anschrift nicht aus (vgl. BFH-Urteile vom 27. Juni 1996 V R 51/93, BFHE 181, 197, BStBl II 1996, 620; vom 19. April 2007 V R 48/04, BFHE 217, 194, BStBl II 2009, 315, unter II.C.1.a; in BFHE 221, 55, BStBl II 2008, 695, unter II.3.c).
    2.
    Die vom Kläger geltend gemachten Vorsteuerbeträge sind im Festsetzungsverfahren auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes abziehbar. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH sieht § 15 UStG den Schutz des guten Glaubens an die Erfüllung der Vorsteuerabzugsvoraussetzungen nicht vor. Dem steht auch die Entscheidung des EuGH in der Rs. Kittel und Recolta Recycling (Slg. 2006, I-6161) nicht entgegen. Hinsichtlich der Begründung verweist der Senat auf das in einem Parallelfall ergangene Grundsatzurteil des V. Senats des BFH vom 30. April 2009 V R 15/07 (BFHE 225, 254, BStBl II 2008, 744).
    3.
    Allerdings haben die Mitgliedstaaten bei der Ausübung der Befugnisse, die ihnen die Gemeinschaftsrichtlinien übertragen, die allgemeinen Rechtsgrundsätze, die Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung sind, zu beachten. Hierzu zählen insbesondere die Grundsätze der Rechtssicherheit, der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes (vgl. EuGH-Urteile vom 21. Februar 2008 Rs. C-271/06 --Netto-Supermarkt--, Slg. 2008, I-771, Randnr. 18; vom 14. September 2006 Rs. C-181/04 bis C-183/04 --Elmeka--, Slg. 2006, I-8167, Randnr. 31; vom 11. Mai 2006 Rs. C-384/04 --Federation of Technological Industries--, Slg. 2006, I-4191, Randnr. 29; vom 18. Dezember 1997 Rs. C-286/94, C-340/95, C-401/95, C-47/96 --Molenheide--, Slg. 1997, I-7281, Randnrn. 45 ff.).
    Der Senat schließt sich dem BFH-Urteil in BFHE 225, 254, BStBl II 2008, 744 auch insoweit an, als Vertrauensschutz aufgrund besonderer Verhältnisse des Einzelfalls nach nationalem Recht nicht im Rahmen der Steuerfestsetzung nach §§ 16, 18 UStG, sondern nur im Rahmen einer Billigkeitsmaßnahme gemäß §§ 163, 227 der Abgabenordnung zu gewähren ist.
    Da das FG von anderen Voraussetzungen ausgegangen ist, war seine Entscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

    RechtsgebietUStGVorschriftenUStG 1993 § 15 Abs. 1 Nr. 1, UStG 1993 § 14