08.01.2010
Finanzgericht Thüringen: Beschluss vom 15.01.2004 – I 1216/03 V
Weder ist ernstlich zweifelhaft, dass das RennwLottG i.d.F. vom 17.5.2000 gegen Art. 3 Abs. 1, Art. 12, Art. 14, Art. 105 Abs. 2 und Art. 72 Abs. 2 GG verstößt noch dass der Inhaber einer Wettkonzession, der als Veranstalter einer Wette von der Konzession Gebrauch macht, nach § 19 Abs. 1 Satz 1 RennwLottG Steuerschuldner ist.
Beschluss
In dem Rechtsstreit
wegen Aussetzung der Vollziehung in Bezug auf Lotteriesteuer April 2000 bis April 2002
hat der I. Senat des Thüringer Finanzgerichts am 15. Januar 2004 beschlossen:
1. Der Antrag wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat die Antragstellerin zu tragen.
3. Die Beschwerde wird zugelassen.
4. Der Streitwert wird auf … Euro festgesetzt.
Tatbestand
I.
Die Parteien streiten über die Lotteriesteuerpflicht bei Sportwetten.
Die Antragstellerin betreibt gewerbsmäßig den Abschluss und die Vermittlung von Sportwetten („Oddset-Wetten”); die Ausübung dieses Gewerbes wurde ihr durch den Rat des Bezirks A-Stadt am … Mai 1990 genehmigt. Die Wetten werden auf Sportereignisse in der Weise abgeschlossen, dass der Wettkunde einen Einsatz auf eines oder mehrere von ihm vorausgesagte Sportergebnisse leistet und bei dem tatsächlichen Eintritt des vorausgesagten Ergebnisses eine bei dem Abschluss der Wette feststehende Quote seines Einsatzes (so genannte Odds) als Wettgewinn beanspruchen kann; anderenfalls verfällt der Einsatz. Die Wetten werden vorwiegend im Internet, per Telefax, brieflich oder telefonisch abgeschlossen.
Nach einer Außenprüfung setzte der Antragsgegner, der in X für die Lotteriesteuer zuständig ist, durch Bescheide vom … gegen die Antragstellerin Lotteriesteuer für 1991, 1992 und 1993 fest. Nach zunächst erfolglosem Rechtsmittel hob der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 19. Juni 1996 II R 29/95 (Sammlung der amtlich nicht veröffentlichten Entscheidungen des BFH – BFH/NV – 1997, 68) die Festsetzungen auf, weil die Umsätze der Antragstellerin nicht den für die Lotteriesteuer maßgebenden Begriff einer „Lotterie” erfüllten. Seither meldete die Antragstellerin, wie schon vor den Festsetzungen durch den Antragsgegner, bei ihrem Betriebsfinanzamt A-Stadt für die Wettumsätze Umsatzsteuer an; dabei setzte sie den Unterschiedsbetrag zwischen den vereinnahmten Wetteinsätzen und den ausgezahlten Wettgewinnen als Bruttoumsatz an, ermittelte den entsprechenden Nettobetrag und zog die Vorsteuer ab.
Als sich abzeichnete, dass die lotteriesteuerpflichtigen Tatbestände des Rennwett- und Lotteriegesetzes (RennwLottG) um Oddset-Wetten ergänzt würden, wie es dann im Gesetz zur Änderung des RennwLottG (vom 17. Mai 2000, BGBl I 715) auch geschah, schloss die Antragstellerin am … 2000 einen Vertrag mit der Gesellschaft Y-Ltd. (nachfolgend: Y) mit Sitz in B-Stadt, der Hauptstadt des … eines selbstständigen Inselstaats in der Karibik; darin wurde die Antragstellerin als „Agent” und Y als „Wettveranstalter” (Bet Organiser) bezeichnet. Die Antragstellerin wurde dabei durch ihren – seinerzeit noch zu 45 v. H. an ihr beteiligten – Geschäftsführer vertreten; dieser soll nach den Feststellungen der Steuerfahndung (dazu näher unten) selbst Gründer der Y sein.
In dem genannten Vertrag verpflichtete sich die Antragstellerin, im Namen und für Rechnung der Y Oddset-Wetten abzuschließen (Nr. 1 Abs. 1 Satz 1 und 2 des Vertrages). Nach Nr. 1 Abs. 4 des Vertrages sollte sie in ihren Anzeigen ihr eigenes Firmenzeichen (Logo) verwenden. Die Antragstellerin sollte die Wetteinsätze vereinnahmen und „im Namen und für Rechnung” von Y einbehalten (Nr. 2 Abs. 5 des Vertrages). Die Entscheidung über die Annahme der Wette sollte Y vorbehalten bleiben (Nr. 2 Abs. 6 des Vertrages). Das „Geldmanagement” sollte von einem dritten Dienstanbieter durchgeführt werden (Nr. 3 Abs. 1 Satz 3 des Vertrages; offenbar ist dies die im Schriftsatz der Antragstellerin angesprochene T-Ltd. in E). Jeder Wettkunde sollte das Recht haben, seinen Wettgewinn unmittelbar bei Y geltend zu machen; gleichzeitig sollte es aber die Aufgabe der Antragstellerin sein, die Wettgewinne im Namen und für Rechnung von Y am Ort des Wettabschlusses auszuzahlen (Nr. 3 Abs. 2 Satz 1 und 2 und Abs. 3 des Vertrages). Die Provision der Antragstellerin betrug nach Nr. 4 Abs. 1 des Vertrages 6 v. H. (englischer Wortlaut des Vertrages, eine vollständige Übersetzung fehlt).
Abschnitt … der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) der Antragstellerin lautet (Stand Juli 2002; frühere Angaben liegen dem Gericht nicht vor):
„Die … T-GmbH A-Stadt vermittelt auch Wetten an geprüfte und zuverlässige Kooperationspartner mit staatlicher Erlaubnis im Ausland. Sie als Kunde haben hierzu die Möglichkeit auf dem Spielschein oder im Internet Ihre Zustimmung und den Auftrag zur Vermittlung an den ausländischen Kooperationspartner unwiderruflich zu erteilen. In diesem Fall wird T-GmbH A-Stadt die Wette vermitteln und Ihr Konto wie üblich mit dem bekannten Service für Sie führen. Es ergeben sich für Sie außer der Zustimmung zur Vermittlung keine weiteren Änderungen im Wettablauf. Die Rechte und Pflichten des Veranstalters übt in diesem Fall die Fa. International Y Limited, … aus. Die T-GmbH A-Stadt hat die Zuverlässigkeit als Veranstalter geprüft und steht Ihnen gern als Vermittlungspartner zur Verfügung. Im Fall, dass Sie ausschließlich mit der T-GmbH A-Stadt einen Wettvertrag als Veranstalter schließen wollen, so nutzen Sie hierzu die Entscheidungsmöglichkeit auf dem Spielschein oder in unserer Internetplattform.”
Unmittelbar danach heißt es in der Internetversion:
„Ich stimme der Vermittlung meiner Wetten an ausländische Veranstalter nicht zu:
Name: ……… Kundennummer: ……… Passwort: ………
Ihre Wette wird, wie bisher, über Ihr persönliches Wettkonto geführt. Es ergeben sich keinerlei Änderungen. Veranstalter und Vertragspartner sind in diesem Fall die T-GmbH A-Stadt.”
Alsbald nach Verkündung des am 1. April 2000 in Kraft getretenen Gesetzes zur Änderung des RennwLottG vom 17. Mai 2000 reichte die Antragstellerin beim Antragsgegner Lotteriesteueranmeldungen für die Zeit ab April 2000 ein. Darin erklärte sie als Bruttobemessungsgrundlage ausschließlich Einnahmen aus etwa 0,001 v. H. der Wetten (so die Angaben in einem Schriftsatz des Geschäftsführers der Antragstellerin an das Amtsgericht C-Stadt), die sie nach ihrem Verständnis als selbstständiger Veranstalter und nicht über Y erhalten hatte; der Gesamtbetrag der angemeldeten Steuerbeträge des Streitzeitraums belief sich auf umgerechnet etwa 22.420 Euro. Ferner meldete sie offenbar bei dem Finanzamt A-Stadt Umsatzsteuer für die Vermittlung von Oddset-Wetten an (Tz. 5 des Zwischenberichts über die Fahndungsprüfung).
Die Antragstellerin erhob gegen ihre Anmeldung für April 2000 sogleich Sprungklage, der der Antragsgegner zustimmte; das Klageverfahren trägt das Aktenzeichen …; die Akten sind für das vorliegende Verfahren beigezogen. Gegen die übrigen Anmeldungen des Streitzeitraums legte die Antragstellerin jeweils alsbald Einspruch ein und beantragte, die Vollziehung der Anmeldungen auszusetzen. Während über die Einsprüche noch nicht entschieden ist, lehnte der Antragsgegner sämtliche Anträge auf Aussetzung der Vollziehung ab; daraufhin stellte die Antragstellerin entsprechende Anträge bei Gericht. Diese umfassten zunächst unterschiedliche Abschnitte des Streitzeitraums; der Senat hat in zwei Verbindungsbeschlüssen sämtliche Aussetzungsverfahren unter dem vorliegenden Aktenzeichen zur gemeinsamen Entscheidung verbunden; die Altakten sind beigezogen.
Gegen Ende des Jahres … betrieb die Steuerfahndungsstelle des Finanzamts D-Stadt gegen einen früheren Gesellschafter der Antragstellerin ein Ermittlungsverfahren. Dabei ergab sich für die Steuerfahndung ein Verdacht der Steuerhinterziehung gegen den Geschäftsführer und früheren Gesellschafter der Antragstellerin. In der Folgezeit wurde sie entsprechend für den Antragsgegner tätig. Bei einer Durchsuchung der Geschäftsräume der Antragstellerin am … stellte der Steuerfahndungsprüfer fest, dass auf einem dort befindlichen Rechner alle Wett-Einzahlungen „zusammenliefen”. Unter Mithilfe des EDV-Verwalters der Antragstellerin wurden alle Wettdaten ab 1. April 2000 gesichert. Der Prüfer kam zu dem Ergebnis, dass die Wettabschlüsse – deren Höhe offenbar zwischen den Parteien nicht umstritten ist – als lotteriesteuerpflichtige Eigengeschäfte der Antragstellerin anzusehen seien (Einzelheiten im Zwischenbericht über die Fahndungsprüfung).
Der Antragsgegner hat das Zahlenwerk der Steuerfahndung übernommen und mit Bescheiden vom … sämtliche Steueranmeldungen des Streitzeitraums. Daraus haben sich Steuerfestsetzungen über insgesamt aufgerundet … Euro ergeben.
Die Antragstellerin begehrt die Aussetzung der Vollziehung sämtlicher Festsetzungen in vollem Umfang ohne Sicherheitsleistung. Sie hält das Gesetz zur Änderung des RennwLottG vom 17. Mai 2000 wegen Verstoßes gegen das Grundgesetz für nichtig. Ferner macht sie geltend, dass sie nicht als Veranstalter im Sinne des § 19 Abs. 1 Satz 1 RennwLottG, sondern nahezu ausschließlich als Vermittler tätig sei.
Dass die Lotteriesteuerfestsetzungen aufgehoben werden müssten, ergibt sich nach den Ausführungen der Antragstellerin zunächst daraus, dass das Gesetz zur Änderung des Rennw-LottG vom 17. Mai 2000 mit Art. 105 Abs. 2, Art. 72 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG) unvereinbar sei; denn der Bundesgesetzgeber habe nicht im Rahmen einer sich aus diesen Vorschriften ergebenden Gesetzgebungskompetenz gehandelt. Das in Art. 72 Abs. 2 GG festgelegte Erfordernis einer bundeseinheitlichen Regelung zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder zur Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse habe nicht vorgelegen. Jedenfalls habe der Bund im Gesetzgebungsverfahren, wie aus den betreffenden Materialien hervorgehe, die ihm dafür obliegende verschärfte Begründungs- und Darlegungspflicht nicht erfüllt.
Der Gesetzgeber habe ferner das in Art. 12 GG Abs. 1 festgelegte Grundrecht der Freiheit der Berufsausübung nicht beachtet. Die Neufassung des RennwLottG zwinge die Antragstellerin, wenn sie als lotteriesteuerpflichtige Veranstalterin anzusehen sei, faktisch dazu, ihren Beruf aufzugeben, weil die Steuer eine erdrosselnde Wirkung entfalte. Das ergebe insbesondere der Vergleich einer umsatzsteuerlichen Belastung mit der durch die Lotteriesteuer. Der Markt lasse es auch nicht zu, die höhere Steuer auf den Wettkunden überzuwälzen. Die zur Antragstellerin in Konkurrenz stehenden staatlichen Lotterieunternehmen brauchten kaum Gewinne zu erzielen, weil es für ihre Träger, die Länder, nur einen geringen Unterschied ausmache, ob sie ihre Einnahmen aus dem Gewinn oder der Lotteriesteuer bezögen. Eine derartige Beschränkung der Berufsfreiheit sei allenfalls bei einem überragenden entgegenstehenden Interesse des Gemeinwohls gerechtfertigt; ein solches bestehe aber im Streitfall nicht. Die gemeinhin genannte Eindämmung der Spielsucht habe kein solches Gewicht; überdies werde diese Gefahr offenbar nur bei zwei privaten Unternehmen, darunter die Antragstellerin, gesehen, nicht aber bei den Lotterien in staatlicher Trägerschaft.
Aus der erdrosselnden Wirkung der Lotteriesteuer ergebe sich ferner ein Verletzung der Eigentumsfreiheit (Art. 14 Abs. 1 GG), die ebenso wenig, auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Art. 14 Abs. 2 GG, gerechtfertigt sein könne wie die Einschränkung der Berufsfreiheit. Schließlich verstoße die Anknüpfung der Lotteriesteuer an die Bruttobemessungsgrundlage gegen das auf Art. 3 Abs. 1 GG beruhende Leistungsfähigkeitsprinzip. Da die Steuer auch die Gewinnrückzahlungen umfasse, werde der Spielgewinn mit einer Steuerbelastung belegt, die wie eine pauschale Einkommensteuer wirke und damit aus verkehrssteuerrechtlicher Sicht eine Überbesteuerung zur Folge habe.
Jenseits der verfassungsrechtlichen Überlegungen, so meint die Antragstellerin weiter, sei sie auch nicht Steuerschuldnerin im Sinne des § 19 Abs. 1 Satz 1 RennwLottG. Sie sei nicht Veranstalter, sondern nur Vermittler der von Y durchgeführten Veranstaltungen; dabei beruft sie sich auf die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (RFH) und des BFH zum Begriff des Lotterieveranstalters. Dass sie nur Vermittlerin sei, ergebe sich auch eindeutig aus ihren AGB, die den Kunden stets zugänglich gemacht würden.
§ 41 der Abgabenordnung (AO) und insbesondere § 42 AO hätten auf die gekennzeichnete Sichtweise keinen Einfluss, selbst wenn man den Behauptungen der Steuerfahndung D-Stadt folge, dass Y der Antragstellerin wirtschaftlich zuzurechnen sei. Es handele sich bei dieser und Y um zwei eigenständige juristische Personen, die jede für sich wirtschaftlich tätig sei. Y betreibe neben der Veranstaltung von Oddset-Wetten ein eigenes Online-Casino, habe in B-Stadt ein eigenes Büro, eigene Mitarbeiter und verfüge über einen Internet-Server sowie eigene Telefonund Faxanschlüsse. Daran dass es sich bei Y nicht um eine Briefkastenfirma, sondern um ein tätiges Auslandsunternehmen handele, würde selbst eine „allfällige Gesellschafterstellung” des Geschäftsführers der Antragstellerin nichts ändern. Ein Leistungsaustausch zwischen der Antragstellerin und Y sei nicht rechtsmissbräuchlich und wäre dies auch nicht, wenn sie Schwestergesellschaften wären.
Die Antragstellerin macht ferner geltend, dass bei Berücksichtigung der von ihr dargestellten rechtlichen Einwände einer Vollziehung der angefochtenen Bescheide nicht nur ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit entgegenstünden, sondern dass angesichts der Größenordnung der vom Antragsgegner festgesetzten Steuerbeträge die Vollziehung auch unbillig und deren Aussetzung ohne Sicherheitsleistung auszusprechen sei.
Die Antragstellerin untermauert ihre Auffassung, zugleich unter Bezugnahme auf ihre Klageschrift im Hauptsacheverfahren, mit eingehenden Ausführungen zum Verfassungs- und Steuerrecht, auf die hier im Einzelnen – einschließlich der zugehörigen Anlagen – Bezug genommen wird. Auf die Stellungnahmen des Antragsgegners wird ebenfalls hingewiesen, desgleichen auf die Abschrift eines Schriftsatzes vom …, mit dem der Geschäftsführer der Antragstellerin Verfassungsbeschwerde erhoben hat; das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat nach Kenntnis des Senats darüber noch nicht entschieden. Die – unvollständige – Rechtsbehelfsakte des Antragsgegners ist beigezogen.
Die Antragstellerin beantragt,
die Vollziehung der Lotteriesteuerfestsetzungen für April 2000 bis April 2002 in Gestalt der Änderungsfestsetzungen vom … ohne Sicherheitsleistung auszusetzen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Gründe
II.
1. Zulässigkeit
Der Antrag ist zulässig. Dem steht nicht entgegen, dass sich die Antragstellerin auf die verfassungsrechtlich begründete Teilnichtigkeit des RennwLottG beruft.
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts im Sinne des § 69 Abs. 2 Satz 1 und 2, Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) können sich auch dann ergeben, wenn ernste verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Gültigkeit eines Gesetzes selbst bestehen (Entscheidung des BVerfG vom 7. Dezember 1960 1 BvR 314/60, Betriebsberater 1961, 437; Urteil des BVerfG vom 21. Februar 1961 zum gleichen Aktenzeichen, Amtliche Sammlung von Entscheidungen des BVerfG – BVerfGE – 12, 180, Bundessteuerblatt – BStBl – I 1961, 63). In diesem Fall ist allerdings zusätzlich ein besonderes Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes erforderlich; dies kann etwa wegen eines überwiegenden öffentlichen Interesses an der Vollziehung der Bescheide zu verneinen sein (BFH-Beschluss vom 6. November 2001 II B 85/01, BFH/NV 2002, 508, mit weiteren Nachweisen). Das gilt jedoch „im Hinblick auf den Geltungsanspruch jedes formell verfassungsmäßig zustande gekommenen Gesetzes” (so der BFH-Beschluss vom 6. November 2001 II B 85/01, a. a. O.). Der Senat geht daher davon aus, dass die erschwerende Zulässigkeitsvoraussetzung nicht gilt, wenn, wie im Streitfall, A-Stadt die Geltendmachung der formellen Verfassungswidrigkeit einer der Gegenstände des Aussetzungsbegehrens ist.
2. Begründetheit
Der Antrag ist unbegründet. Der Senat hat weder ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Lotteriesteuerbescheide, noch hält er die in ihrer Vollziehung liegende Härte für unbillig.
Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 2. Halbsatz, Abs. 2 Satz 2 FGO soll das Gericht der Hauptsache die Vollziehung unter anderem dann aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH bestehen ernstliche Zweifel im Sinne dieser Vorschrift, wenn bei der überschlägigen (summarischen) Prüfung der angefochtenen Verwaltungsakte im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatfragen bewirken; dabei genügt es, wenn der Erfolg des Rechtsbehelfs nicht weniger wahrscheinlich ist als der Misserfolg (vgl. zum Beispiel BFH-Beschluss vom 4. Juli 2002 IV B 44/02, BFH/NV 2002, 1559). Im Streitfall ergibt eine solche Prüfung, dass für die Richtigkeit der angefochtenen Steuerfestsetzungen mehr spricht als für ihre Rechtswidrigkeit; die Annahme ernstlicher Zweifel ist damit zu verneinen.
3. Vereinbarkeit des RennwLottStG n. F. mit Art. 105 Abs. 2, Art. 72 Abs. 2 GG
Nach Auffassung des Senats sprechen überwiegende Gründe für die Vereinbarkeit des Gesetzes zur Änderung des RennwLottG vom 17. Mai 2000 mit Art. 105 Abs. 2, Art. 72 Abs. 2 GG. Nach der erstgenannten Vorschrift des Grundgesetzes – in Verbindung mit Art. 106 Abs. 2 Nr. 4 GG – hat der Bund im Bereich der Lotteriesteuer, die als Verkehrsteuer zu den „übrigen Steuern” im Sinne des Art. 105 Abs. 2 GG gehört, die konkurrierende Gesetzgebung, wenn die Voraussetzungen des Artikels 72 Abs. 2 GG vorliegen, das heißt wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht. Diese „Erforderlichkeitsklausel” scheint dem Senat im Gesetzgebungsverfahren des genannten Änderungsgesetzes eingehalten worden zu sein.
Der Senat stützt seine Einschätzung zunächst auf die Grundsätze des Urteils des BVerfG vom 24. Oktober 2002 2 BvF 1/01 zum Altenpflegegesetz (Amtliche Sammlung von Entscheidungen des BVerfG – BVerfGE – 106, 62). Darin hat sich das BVerfG im Verfahren der Normenkontrolle eingehend zu den einzelnen Merkmalen des Art. 72 Abs. 2 GG geäußert.
Das BVerfG hat in seinem Urteil hervorgehoben, dass die Erforderlichkeitsklausel in vollem Umfang gerichtlich überprüfbar (justiziabel) sei. Wenn der Bund das Recht der konkurrierenden Gesetzgebung in Anspruch nehme, sei das betreffende Gesetz nichtig, sofern sich bei Anwendung objektiver Maßstäbe und einer „strikten Interpretation” ergebe, dass der Bundesgesetzgeber die Grenzen der Erforderlichkeit nicht eingehalten habe. Ein freier gesetzgeberischer Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG bestehe nicht. Daraus folgt, dass ein Gericht, vor dem ein verfassungsrechtlicher Verstoß der Gesetzgebung geltend gemacht wird, gleichermaßen anhand objektiver Maßstäbe prüfen muss, ob die unbestimmten Rechtsbegriffe der Erforderlichkeitsklausel im Streitfall verwirklicht sind. Dabei dürfte allerdings ein besonderer Begründungs- und Darlegungszwang des Gesetzgebers, auf den sich die Antragstellerin beruft, zu vernachlässigen sein. Die ausführlichsten Begründungen zur Gesetzgebungskompetenz können verworfen werden. Der Senat meint umgekehrt, dass ein Fehlen jeder Begründung nicht schadet, wenn die Erforderlichkeit beachtet ist.
In dem angeführten Urteil hat das BVerfG für eine Überprüfung der Erforderlichkeit umfangreiche rechtstatsächliche Ermittlungen im Bereich der Altenpflege angestellt. Auch einem Instanzgericht obliegt bei einer verfassungsrechtlichen Prüfung die Erhebung der für eine Erforderlichkeit bedeutsamen Tatsachen (vgl. etwa Beschluss des BVerfG vom 1. April 1971 1 BvL 22/67, BVerfGE 31, 8, zur nordrhein-westfälischen Vergnügungssteuer auf Gewinnspielgeräte). Dies erscheint dem Senat im vorliegenden Fall, zumindest im Verfahren der Aussetzung der Vollziehung, weitgehend entbehrlich. Der gesellschaftliche Bereich, in dem sich das von der Antragstellerin beanstandete Gesetz auswirken kann, ist überschaubar. Der Senat stützt sich daher auf die tatsächlichen Angaben der Antragstellerin und auf seine eigene Sachkenntnis (vgl. zur den Begriffen der Spiele mit Gewinnmöglichkeit, zu deren Rechtsgeschichte und ihrer Besteuerung die Darstellung bei Klenk in Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, Umsatzsteuergesetz, § 4 Nr. 9 Anm. 133 ff., mit zahlreichen Nachweisen; zu dem Genehmigungsverhalten der Behörden in Deutschland und Europa und seiner Würdigung aus konzessionsrechtlicher und strafrechtlicher Sicht vgl. die Ausführungen von Janz in Neue Juristische Wochenschrift – NJW – 2003, 1694). Auf dieser Grundlage erkennt der Senat ein gesamtstaatliches Interesse, also ein gemeinsames Interesse von Bund und Ländern, an einer bundesgesetzlichen Regelung für die Besteuerung von Oddset-Wetten zur Wahrung der Rechtseinheit.
Das BVerfG hat zur Rechtseinheit allerdings ausgeführt, dass eine Gesetzesvielfalt auf Länderebene erst dann die Inanspruchnahme des konkurrierenden Gesetzgebungsrechts durch den Bund rechtfertige, wenn diese Vielfalt eine Rechtszersplitterung zur Folge hätte, die im Interesse sowohl des Bundes als auch der Länder nicht hingenommen werden könnte. Gerade die Unterschiedlichkeit des Gesetzesrechts oder der Umstand, dass die Länder eine regelungsbedürftige Materie nicht regelten, müsse das gesamtstaatliche Rechtsgut der Rechtseinheit, verstanden als Erhaltung einer funktionsfähigen Rechtsgemeinschaft, bedrohen. Der Senat sieht eine solche Gefahr, wenn die Oddset-Wetten von Land zu Land unterschiedlich besteuert würden. Er ist dabei der Auffassung, dass in eine solche Wertung, wenn auch nur abstrakt gesehen, auch Veranstaltungen, die schon dem früher geltenden RennwLottG unterfallen, also Lotterien, Ausspielungen und Rennwetten, einzubeziehen sind; denn es ist ja, wie die Antragstellerin sachlich zutreffend hervorhebt, lediglich verfassungshistorisch bedingt, dass diese Veranstaltungen unangreifbar bundeseinheitlich besteuert werden.
Es gibt in Deutschland kaum eine Steuer ohne ausgesprochen regionalen oder lokalen Bezug – wie ihn namentlich die örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern im Sinne des Art. 105 Abs. 2a GG aufweisen –, die nicht bundesgesetzlich geregelt ist (zum Sportwettgesetz in XYZ siehe unten). Lang (in Tipke/Lang, Steuerrecht, 17. Aufl., § 3 Rz. 30) verweist darauf, dass seit Geltung der Erforderlichkeitsklausel davon allenfalls noch bei den kommunalen Realsteuern, also der Gewerbesteuer und der Grundsteuer, abgesehen werden könne; diese Steuern erforderten keine bundesgesetzliche Regelung im gesamtstaatlichen Interesse, weil das in Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG festgelegte Hebesatzrecht die im Steuerwettbewerb stehende kommunale Finanzhoheit zum Ausdruck bringe. Eine Wett- und Lotteriesteuer hat keinen solchen Bezug. Sie ist, wie die Umsatzsteuer, ihrem Wesen nach eine Verbrauchsteuer, die rechtstechnisch als Verkehrsteuer ausgestaltet ist, indem sie an den Wettvertrag als Akt des Rechtsverkehrs anknüpft und – so zutreffend die Antragstellerin unter Hinweis auf das Urteil des BVerfG vom 7. Mai 1998 2 BvR 1991/95, 2 BvR 2004/95 (BVerfGE 98, 106, Verpackungsteuer) – die besondere Nachfrage nach diesen Leistungen belastet. Sie kann, namentlich bei den modernen Möglichkeiten der technischen Kommunikation, überall verwirklicht werden. Damit fehlt ein sachlicher Anknüpfungspunkt dafür, den Rechtsanwender einer – potenziell sechzehnfach – unterschiedlichen Rechtslage auszusetzen. Auch bei der Gewerbesteuer wird um bundeseinheitliche Lösungen gerungen; die kommunale Finanzhoheit gibt offenbar keinen Anlass, die Gesetzgebung den Ländern zu überlassen, wenngleich der Senat nicht verkennt, dass es sich bei der Gemeindefinanzreform um ein Problem von erheblich größerer gesamtgesellschaftlicher Tragweite und Komplexität handelt als bei den Oddset-Wetten.
Jedes einzelne Land kann dabei in gesetzgeberische Konflikte geraten und die Rechtseinheit gefährden. Das in XYZ geltende Landesgesetz über Sportwetten (Sportwettgesetz) vom 11. August 1949 (GVBl. S. 337, zuletzt geändert durch Gesetz vom 6. Februar 2001, GVBl. S. 29) macht dies sinnfällig: Das Gesetz hat unter anderem „Wetten für öffentliche Sportwettspiele” zum Gegenstand. In § 8 „Bemessung der Wettsteuer” lautet Absatz 1: „Die Wettunternehmen haben an das Land eine Abgabe von 16 2/3 v. H. vom Bruttobetrag der Wetteinsätze [Anm.: also in gleicher Höhe wie nach § 17 Satz 2 RennwLottG] zu leisten.” Das Gesetz enthält ferner in § 9a („Sonstige Steuern”) den Satz: „Die Umsätze der Wettunternehmen unterliegen nicht der Umsatzsteuer”. Es liegt auf der Hand, dass ein Landesgesetzgeber über die Nichtsteuerbarkeit von Umsätzen nach dem Umsatzsteuergesetz (UStG) nicht befinden darf, auch wenn er dafür einen Bedarf sieht, um eine Doppelbesteuerung zu vermeiden. Nach fernmündlicher Auskunft des Ministeriums der Finanzen XYZ werden die bezeichneten Steuervorschriften nicht angewendet, was wiederum das Land in Konflikt mit Art. 20 Abs. 3 GG bringt. Die „richtige Lösung” dieses Falles wäre (bei hinweggedachter bundeseinheitlicher Besteuerung der Sportwetten), dass das Land den Bund veranlasst, das Landesgesetz in den Tatbestand des § 4 Nr. 9 Buchstabe b UStG aufzunehmen; denn diese Steuerbefreiung gilt bisher nicht für Umsätze außerhalb des RennwLottG. Der Bund wäre dazu verpflichtet, weil nach Art. 13 Teil B Buchstabe f der 6. EG-Richtlinie ” Wetten, Lotterien und sonstige Glücksspiele mit Geldeinsatz” von der Mehrwertsteuer befreit sind. Zugleich erlaubt Art. 33 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie „Abgaben auf Spiele und Wetten …, die nicht den Charakter von Umsatzsteuern haben”, was eine Besteuerung der Sportwetten bei fehlendem Vorsteuerabzug ermöglicht (vgl. zur diesbezüglichen Bedeutung des fehlenden Vorsteuerabzugs etwa das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften – EuGH – vom 9. März 2000 C-437/97, EKW und Wein & Co., Sammlung der Rechtsprechung des EuGH – EuGHE – 2000, I-1157). Bis zu einer solchen Erweiterung der deutschen Steuerbefreiung haben die Wettunternehmer des Landes das Recht, sich nach den Grundsätzen, die der EuGH in seiner Rechtsprechung wiederholt erläutert hat (vgl. etwa Urteil vom 10. September 2002 C-141/00, BFH/NV Beilage 2003, 30, Ambulanter Pflegedienst Kügler GmbH), unmittelbar auf die Steuerfreiheit nach der 6. EG-Richtlinie zu berufen, mit der Folge, dass für eine Übergangszeit in Deutschland ein gesetzesfreier Raum entstünde.
Fehlende örtliche oder regionale Anknüpfungspunkte für eine Steuer oder einzelne Probleme einer Landesgesetzgebung mögen allerdings eine nicht hinnehmbare Rechtszersplitterung noch nicht unbedingt zur Folge haben. Indessen erkennt der Senat eine gesamtstaatlich gerechtfertigte Zielsetzung des Bundesgesetzgebers, die Einheitlichkeit der (Steuer-)Rechtsordnung dadurch zu wahren, dass er mit dem Gesetz zur Änderung des RennwLottG vom 17. Mai 2000 in allen Ländern dasselbe Nebeneinander von Fiskalzweck und Lenkungszweck (vgl. dazu § 3 Abs. 1 Satz 1 AO) der Rennwett- und Lotteriesteuer einschließlich der Steuer auf Oddset-Wetten sicherstellte. In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu: „Es entbehrt einer sachlichen Grundlage, die Oddset-Wette steuerlich anders zu behandeln als Rennwetten bzw. Lotterien und Ausspielungen. Aus steuersystematischen Gründen und aus Gründen der Gleichmäßigkeit der Besteuerung ist das Rennwett- und Lotteriegesetz daher anzupassen” (BT-Drucks. 14/2271). Die Antragstellerin meint, dass es sich bei der Inanspruchnahme des Grundsatzes der Gleichmäßigkeit der Besteuerung um eine vorgeschobene Begründung handele (Abschnitt C.II.1.b.aa.3 der Klageschrift vom 30. Mai 2000 in der Hauptsache …). Nach Auffassung des Senats liegt insoweit ein Missverständnis vor. Die Gesetzesbegründung hat offensichtlich – und zu Recht – eine „Einheitlichkeit” der Besteuerung im Auge gehabt und nur versehentlich den mit einem anderen Begriffsinhalt belegten Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung herangezogen.
Es ist anerkannt, dass der Staat mit Hilfe einer besonderen Steuer die Preise von Spiel und Wette über die Auswirkung einer allgemeinen Umsatzsteuer hinaus verteuern darf, um einerseits eine ergiebige Steuerquelle zu nutzen (Fiskalzweck) und andererseits das Ausmaß von Spiel und Wette in gesellschaftspolitisch vertretbaren Grenzen zu halten (Lenkungszweck). Das BVerfG hat dies in mehreren Entscheidungen zur Vergnügungssteuer auf Spielgeräte ausgesprochen (Beschlüsse vom 1. April 1971 1 BvL 22/67, a. a. O., und vom 1. März 1997 2 BvR 1599/89, 2 BvR 1714/92, 2 BvR 1508/95, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung – HFR – 1997, 512). Das gilt nicht nur zur Eindämmung einer gesundheitsgefährdenden Spielsucht (so der Beschluss vom 1. März 1997), sondern auch zur Beschränkung „verhältnismäßig harmloser” Spielvergnügen (Beschluss vom 1. April 1971). Davon geht die Antragstellerin in ihrer Klageschrift ebenfalls aus dort rügt sie lediglich den übermäßigen Eingriff in die Freiheit der Berufsausübung (dazu unten 4.).
Wenn eine so beschriebene Steuer nicht bundeseinheitlich geregelt wäre, könnte jedes Bundesland den bezeichneten Steuergegenstand einschließlich der Oddset-Wetten nach Bemessungsgrundlage und Steuersatz unterschiedlich oder aber überhaupt nicht besteuern. Es bestünde die Gefahr eines Steuerwettbewerbes, der bei den grenzenlosen Möglichkeiten, Wetten abzuschließen, diese in das steuergünstigste Land ziehen würde, eine konkrete Gefahr, mit der, abgewandelt, auch die Antragstellerin argumentiert. Das hätte zur Folge, dass die Steuer aus gesamtstaatlicher Sicht ins Leere liefe. Nimmt man vereinfachend an, es gebe zwei Länder A und B, von denen A die Regelungen des RennwLottG übernommen hätte und B überhaupt keine Besteuerung vorsehen würde, ein durchschnittlicher Wetteinsatz betrüge 120 Währungseinheiten (WE), und anfangs gäbe im Land A und im Land B jeweils ein Wettteilnehmer eine Wette ab, so könnte der Veranstalter im Land A nach Abzug einer Steuer von 20 WE, angenommenen Verwaltungskosten von 30 WE und einem angenommenen Mindestgewinn von 10 WE Wettgewinne in Höhe von 60 WE, also die Hälfte des Wetteinsatzes, auszahlen; bei dem Veranstalter des Landes B wären es hingegen 80 WE, also zwei Drittel des Wetteinsatzes. Binnen kurzem würden der Wettkunde des Landes A in das Land B abwandern, was dem Veranstalter sogar die Auszahlung einer noch höhere Quote ermöglichen würde, da die Verwaltungskosten vermutlich nicht proportional mit der Zahl der Kunden steigen. Diese Wirkung kann, in Verbindung mit einer großzügigen Vergabe von Konzessionen für private Wettveranstalter, durchaus erklärtes Ziel der Politik des Landes B sein, wenn es wegen strukturpolitischer Vorteile in Form eines „Las-Vegas-Effekts” auf eine besondere Steuerquelle und auf die Eindämmung von Spiel und Wette verzichtet. Das Land A hingegen kann weder eine Steuerquelle nutzen noch eine Lenkungswirkung erzielen. Ihm bleibt nur der Ruf nach dem Bundesgesetzgeber. Aus gesamtstaatlicher Sicht muss es geradezu eine Pflicht der Länder zur Besteuerung der Spiele und Wetten geben, die nur bundesgesetzlich sichergestellt werden kann.
Der Senat weist ergänzend auf Folgendes hin: Der Antragstellerin wäre nach dem Vorstehenden mit einer Aufhebung des Gesetzes zur Änderung des RennwLottG, jedenfalls für die Zukunft, nicht geholfen. Denn es erscheint dem Senat unabweisbar, dass es in Thüringen alsbald zu einem – etwa dem aus XYZ vergleichbaren – Landesgesetz über die Besteuerung von Oddset-Wetten kommen würde. Wenn die Lotteriesteuer wegen einer erdrosselnden Wirkung die Beraufsausübungs- oder Eigentumsrechte des Wettunternehmers verletzen würde (dazu sogleich unter 4. und 5.), wäre bei der Prüfung der Erforderlichkeitsklausel zu berücksichtigen, dass, je nach dem Gesetzgebungsverhalten der Länder, von Land zu Land eine unterschiedliche Wahrung oder Beeinträchtigung der Grundrechte der Wettunternehmer zu befürchten wäre. Die Gesetzgebungsbefugnis des Bundes zur Wahrung der Rechtseinheit wäre abermals zu bejahen. Auch schließen sich danach im vorliegenden Verfahren die beiden Rügen der Antragstellerin (formelle Verfassungswidrigkeit des Gesetzes und Verletzung von Grundrechten durch dieses) gegenseitig aus.
Das von den Ländern nach Auffassung der Antragstellerin zu ihren Lasten errichtete vermeintliche Wettmonopol berührt die vorstehenden Ausführungen nicht. Es mag sein, dass die Länder ihr Konzessionsverhalten sowie die Rahmenbedingungen der Wetten und ihre Handhabung flächendeckend abstimmen und dabei auf die Belange der Antragstellerin – möglicherweise sogar in verfassungswidriger Weise (vgl. dazu die Ausführungen bei Janz, a. a. O.) – keine Rücksicht nehmen. Das Gesetzgebungsverhalten der Länder mit den beschriebenen Gefahren für die Rechtseinheit ist aber wegen der Souveränität der Parlamente im wesentlichen nicht „abstimmbar”. Eine Vielfalt von Ländergesetzen und im Extremfall ein Absehen von der Besteuerung der Wetten würde dann unterschiedslos die Wettunternehmen in staatlicher Trägerschaft genau so berühren wie die freien Unternehmer.
4. Verstoß gegen die Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG)
Der Senat bezweifelt, dass das Gesetz zur Änderung des RennwLottG vom 17. Mai 2000 gegen das Grundrecht der freien Berufsausübung verstößt. Er teilt nicht die Auffassung der Antragstellerin über die Erdrosselungswirkung, der sie durch das Gesetz – im Gegensatz zu den Lotterien und Wetten in staatlicher Trägerschaft – ausgesetzt sein will.
Der Senat schickt voraus, dass die behaupteten Grundrechtsverletzungen nur schlüssig sind, wenn die Antragstellerin Veranstalter der Oddset-Wetten ist und nicht nur Vermittler für den Veranstalter Y (dazu unter 6.). Denn die Vermittlung von Oddset-Wetten wird durch die Lotteriesteuer nicht erfasst. Daraus folgt außerdem, dass alle drei Argumentationsbereiche, auf die die Antragstellerin ihre Klage und den Aussetzungsantrag insgesamt stützt (formelle Verfassungswidrigkeit, materielle Verfassungswidrigkeit wegen Verletzung von Grundrechten und Vermittlung statt Veranstaltung der Wetten), einander gegenseitig ausschließen: Trifft ein Grundrechtsverstoß zu, so ist die Antragstellerin keine Vermittlerin; außerdem entfällt die formelle Verfassungswidrigkeit (siehe oben 3. am Ende). Ist das Gesetz formell verfassungswidrig, so gibt es im Streitzeitraum keine Rechtsgrundlage für eine erdrosselnde Wirkung oder gar für die Beeinträchtigung eines Vermittlers. Dessen Stellung ist wiederum von dem beanstandeten Gesetz nicht berührt, sei es formell oder materiell verfassungswidrig.
Der Senat hat keine Bedenken, der Antragstellerin als Kapitalgesellschaft den allgemeinen Schutz des von ihr geltend gemachten Grundrechts der Berufsfreiheit in Form der freien Berufsausübung zuzubilligen. Das Grundrecht ist wegen des in Art. 12 Abs. 1 GG verwendeten weiten, nicht personal gebundenen Berufsbegriffs gemäß Art. 19 Abs. 3 GG auch auf juristische Personen anwendbar (vgl. Urteil des BVerfG vom 17. Februar 1998 1 BvF 1/91, BVerfGE 97, 228, zur Kurzberichterstattung im Fernsehen; Beschluss des BVerfG vom 28. August 2000 1 BvR 1821/97, NJW 2000, 3635, zum Entgelt der Banken für Freistellungsaufträge).
Der Senat stimmt auch weitgehend mit den Rechtsgrundsätzen überein, die die Antragstellerin zum Wirkungszusammenhang von Berufsausübung und Steuer darstellt: Steuern, insbesondere diejenigen, die – wie die Lotteriesteuer – das Betriebsergebnis belasten, erschweren die Berufsausübung. Sie dürfen dies auch; der einer Steuer immanente Fiskalzweck bedarf grundsätzlich keiner weiteren Rechtfertigung. Je größer die Erschwernis ist, desto eher kann der Berufsausübende aber eine Güterabwägung beanspruchen, in der seinem persönlichen Grundrecht weitere Gründe des Gemeinwohls, namentlich gesamtgesellschaftlich sinnvolle Lenkungszwecke der Steuer, zur Rechtfertigung der Steuerbelastung gegenübergestellt werden (vgl. allgemein zur Berufsausübung etwa den Beschluss des BVerfG vom 28. August 2000 1 BvR 1821/97, a. a. O., im Besonderen zur Steuerbelastung Entscheidung des BVerfG vom 22. Mai 1963 1 BvR 78/56 BVerfGE 16, 147, zur Beförderungsteuer; Beschluss des BVerfG vom 1. April 1971 1 BvL 22/67, a. a. O., Gewinnspielgeräte). Der Senat kommt bei der Würdigung des Streitfalles zu dem vorläufigen Ergebnis, dass mit der Belastung der Antragstellerin durch die Lotteriesteuer keine Erschwernis verbunden ist, die ein Belastungsübermaß in Form einer Erdrosselung die Folge hätte.
Zunächst erscheinen dem Senat bestimmte Darlegungen der Antragstellerin in dem bezeichneten Punkt widersprüchlich. Sie trägt nämlich vor, dass die Erdrosselungswirkung der Lotteriesteuer bereits eingetreten sei. Vor Einführung der Lotteriesteuer auf Oddset-Wetten habe sie monatliche Wetteinnahmen von rund … DM erzielt; seit dem 1. April 2000 hätten sich die Wetteinsätze bis auf … DM im Mai 2000 gemindert. Zugleich legt sie aber eine Übersicht vor, derzufolge sie im Januar/Februar 2002 monatlich umgerechnet etwa … DM aus ihrem neuen Vermittlungsgeschäft erzielt hat. Damit ist ihr nach ihrem eigenen Vortrag gerade das gelungen, was sie an anderer Stelle für unmöglich erklärt, nämlich das – offenbar ertragreiche – Ausweichen auf ein anderes nicht lotteriesteuerbelastetes Geschäftsfeld (im Beschluss des BVerfG vom 1. April 1971 1 BvL 22/67, a. a. O., Gewinnspielgeräte, als „schräge Überwälzung” bezeichnet). Die Antragstellerin kann also auf der Grundlage ihrer eigenen Einlassungen einer Erdrosselung sehr wohl ausweichen.
Indessen setzt die schräge Überwälzung voraus, dass die Antragstellerin tatsächlich von einer Veranstaltung von Oddset-Wetten zur einer entsprechenden Vermittlung übergegangen ist. Aus der vorläufigen Sicht des Senats trifft das – wie unten 6. zu zeigen sein wird – nicht zu. Die Antragstellerin hat sich nur steuerlich so verhalten, als wäre sie Vermittlerin. Daher muss der Senat untersuchen, ob die Antragstellerin als Veranstalterin einer übermäßigen Belastung durch die Lotteriesteuer ausgesetzt wäre.
Es gibt nach Kenntnis des Senats keine festen Maßstäbe, an denen eine Erdrosselungswirkung abgelesen werden kann. Das BVerfG hat in seinem Beschluss zur Vergnügungssteuer auf Gewinnspielgeräte (vom 1. April 1971 1 BvL 22/67, a. a. O.) die Frage einer „unantastbaren” Gewinnmarge offen gelassen, weil es nur über die Befugnis zur Landesgesetzgebung, nicht über die Freiheit der Berufsausübung (die er bei gewerblichen Automatenaufstellern gleichwohl für verletzbar hielt) zu entscheiden hatte. Der Senat hat daher die Belastungsrechnungen der Antragstellerin untersucht und stellt ihnen eigene Belastungsüberlegungen gegenüber.
Die Antragstellerin vergleicht bei ihren Berechnungen eine bestimmte umsatzsteuerliche Belastung, die sie meint tragen zu können, mit der Belastung durch die Lotteriesteuer und beruft sich auf die Unerträglichkeit des Unterschiedes. Sie hat auf der Grundlage ihrer Zahlen für 1998 folgende Vergleichsrechnung angestellt:
Umsatzsteuer | Altes Recht | Neues Recht | Lotteriesteuer |
Wetteinnahmen | … | … | |
–… | ./. Lotteriesteuer | ||
… | Zwischensumme | ||
./. Wettgewinne | –… | –… | ./. Wettgewinne |
Zwischensumme | … | ||
Umsatzsteuer | –… | ||
–… | Wegfall Vorsteuerabzug | ||
Überschuss nach USt | … | … | Überschuss nach LottSt |
./. sonstige BA | –… | –… | ./. sonstige BA |
Gewinn nach GuV | … | –… | Gewinn nach GuV |
Ein solcher Vergleich (demzufolge entgegen dem sonstigen Vortrag der Antragstellerin statt 80 v. H. nur 70 v. H. der Wetteinsatze ausgezahlt wurden) ist in jedem Falle untauglich. Wenn die Wettumsätze umsatzsteuerpflichtig wären, so entspräche die Umsatzsteuerbelastung nicht dem Zahlenwerk der Antragstellerin. Denn es wäre nicht zulässig, den Umsatzsteuersatz auf den Unterschiedsbetrag von Wetteinnahmen und Wetteinsätzen anzuwenden. Maßgeblich sind die Wetteinsätze. Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuer ist nach § 10 Abs. 1 Satz 1 und 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) das sich aus der Gegenleistung ergebende Entgelt für die Leistung. Als Leistung ist typischerweise die Vertragserfüllung anzusehen. Im Wettvertrag verspricht der Veranstalter dem Wettkunden, die Wette anzunehmen, zu bearbeiten und, sofern die Wette erfolgreich ist, die Quote auszuzahlen. Bei einem erfolgreichen Wettkunden ist also die Auszahlung Teil der versprochenen Leistung. Sie hat mit der Gegenleistung, dem Wetteinsatz, nichts zu tun. Würde in einem bestimmten Besteuerungsabschnitt nur eine einzige Wette stattfinden, die mit einem Erfolg des Wettkunden endete, so ergäbe sich, wenn man den Wettgewinn vom Wetteinsatz abzöge, ein „negativer Umsatz”, der schlechterdings nicht vorstellbar ist. Dies hat der EuGH im Fall Glawe (Urteil vom 5. Mai 1994 C-38/93, EuGHE I 1994, 1679, BStBl II 1994, 548) verkannt, jedoch im Urteil vom 17. September 2002 (Town & County, Aktenzeichen C-498/99, EuGHE I 2002, 7173) im Ergebnis eindeutig bestätigt. Die Ausführungen der Antragstellerin zu den unterschiedlichen Belastungsgründen von Umsatzsteuer und Lotteriesteuer gehen an der Sache vorbei. Die Unterschiede von Umsatzsteuer und Lotteriesteuer bestehen allein im Steuersatz und im Vorsteuerabzug, der bei der Lotteriesteuer nicht möglich ist.
Eine entsprechende Vergleichsrechnung hätte somit folgendes Aussehen:
Umsatzsteuer | Altes Recht | Neues Recht | Lotteriesteuer |
Wetteinnahmen | … | … | Wetteinnahmen |
./. Umsatzsteuer | –… | –… | ./. Lotteriesteuer |
./. Wettgewinne | –… | –… | ./. Wettgewinne |
–… | ./. Wegfall Vorsteuerabzug | ||
./. sonstige BA | –… | –… | ./. sonstige BA |
Gewinn nach GuV | –… | –… | Gewinn nach GuV |
Der Belastungsunterschied wäre also erheblich geringer und würde überdies schon bei einer gewöhnlichen Umsatzbesteuerung die angebliche Erdrosselung bewirken.
Indessen sind Wettumsätze nach den Vorgaben der 6-EG-Richtlinie, wie gezeigt, umsatzsteuerfrei (vgl. dazu auch Urteil des EuGH vom 11. Juni 1998 C-283/95, EuGHE I 1998, 3369, Fischer, zur Veranstaltung unerlaubter Glücksspiele). Die Steuerfreiheit ist offensichtlich nicht davon abhängig, dass der nationale Gesetzgeber von der Möglichkeit des Art. 33 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie Gebrauch gemacht hat. Es gibt nur die Alternativen „Umsatzsteuerfreiheit ohne Lotteriesteuer” und „Umsatzsteuerfreiheit mit Lotteriesteuer”, was wiederum einen erheblich höheren Belastungsunterschied zur Folge hätte:
Umsatzsteuer | Altes Recht | Neues Recht | Lotteriesteuer |
Wetteinnahmen | … | … | Wetteinnahmen |
Umsatzsteuer | 0 | –… | ./. Lotteriesteuer |
./. Wettgewinne | –… | –… | ./. Wettgewinne |
Zwischensumme | … | … | Überschuss nach LottSt |
–… | –… | Wegfall Vorsteuerabzug | |
./. sonstige BA | –… | –… | ./. sonstige BA |
Gewinn nach GuV | –… | –… | Gewinn nach GuV |
Die Rechnungen zeigen, dass aus derartigen Vergleichen keine Erkenntnisse zu gewinnen sind. Maßgeblich sind allein die für sich betrachteten Auswirkungen der Lotteriesteuer auf das Betriebsergebnis. Hierzu hat die Antragstellerin geltend gemacht, dass sie als Veranstalterin angesichts ihres feststehenden Wettkonzepts keine Ausweichmöglichkeiten habe und daher zwingend die erdrosselnden Verluste erleiden müsse; wenn sie aber ihre Konzept, insbesondere ihre Quoten, änderte, würde sie ihre Kunden, die sehr genau die Wettquoten verglichen, an staatliche oder ausländische Veranstalter verlieren. Der Senat hält diese Einlassungen nicht für überzeugend. Die dabei vorgetragen Überlegungen zur Möglichkeit einer Überwälzung der Steuerbelastung erscheinen einseitig und unvollständig.
Die Antragstellerin stützt sich bei ihren Überlegungen weitgehend auf den Beschluss des BVerfG vom 1. April 1971 1 BvL 22/67 (a. a. O.) zur nordrhein-westfälischen Vergnügungssteuer auf Gewinnspielgeräte. Das BVerfG hat darin die Anpassung der Spielentgelte, die Möglichkeit der Umsatzsteigerung, die Senkung der betriebsinternen Kosten und das Ausweichen auf andere Geschäftsfelder als Möglichkeiten genannt, deren erfolgreiche Wahrnehmung durch den Betreiber seiner Erdrosselung entgegensteht. Dabei ergab sich die Einschränkung, dass bei Spielautomaten die Entgelte gesetzlich limitiert sind; eine vergleichbare Einschränkung besteht bei den Entgelten für Sportwetten nicht, ebenso nicht für die Auszahlungsquoten. Beide Elemente der Wettveranstaltungen unterliegen allein den Gesetzen des Marktes und der betriebsinternen Kalkulation.
Der Senat hat dazu folgende rechnerische Überlegungen angestellt: Die Antragstellerin hat in … Betriebsausgaben (einschließlich Vorsteuerbelastung, ohne Auszahlungen) von … DM aufgewendet. Nimmt man an, dass die Lotteriesteuer sinkende Wetteinnahmen zur Folge hat, dürften auch die Betriebsausgaben sinken; dafür seien nunmehr … DM angesetzt. Billigt man der Antragstellerin einen Gewinn von 500.000 DM zu, so folgt die zu erwartende Entwicklung der Gleichung „0,8333 E – ×/100 E = 500.000 DM”, wobei E die Wetteinnahmen und × den Vom-Hundert-Satz der Auszahlungen, bezogen auf die Wetteinsätze, also die Durchschnittsquote, kennzeichnet; 0,8333 E sind dabei die um die Lotteriesteuerbelastung von 20/120 geminderten Wetteinnahmen. Variiert man x, so ergibt sich folgendes Bild (wobei allerdings die Betriebsausgaben nicht mit den Wetteinnahmen steigen; der Senat hält dies durch den nicht unerheblichen Gewinnansatz für abgedeckt):
× (in v. H.) | E (in DM) |
50 | … |
55 | … |
60 | … |
61 | … |
Die Antragstellerin müsste also bei einer guten Gewinnerwartung, statt bisher durchschnittlich 70 v. H. der Einsätze auszuzahlen, ihre Auszahlungen auf durchschnittlich 61 v. H. senken, wenn ihre Wetteinnahmen etwa gleich blieben. Bei einer Senkung der Quoten auf durchschnittlich 50 v. H. könnte sie dagegen eine Minderung der Einnahmen von etwa … DM (um etwa ein Drittel) ertragen. Die Antragstellerin hat den Senat nicht davon überzeugen können, dass ihr Vergleichbares nicht möglich sein sollte.
Die Antragstellerin meint, sie könne eine Anpassung ihrer Wettentgelte und Wettquoten nicht am Markt durchsetzen. Die Kunden würden zu den staatlichen Wettunternehmen abwandern, die über ein leicht zu erreichendes Filialnetz verfügten und attraktive Quoten anbieten könnten, weil sie durch die Lotteriesteuer wirtschaftlich nicht belastet würden. Zugleich ergibt sich aber aus dem Vortrag der Antragstellerin, dass sie ihre bisherigen beachtliche Gewinne ohne ein Filialnetz erzielt hat. Dessen Fehlen war dabei offenbar kein Hindernis, zumal dadurch Kosten eingespart werden. Auch bietet sie, wie sie vorträgt, mit ihren Sportwetten auf Einzelveranstaltungen ein konkurrenzloses Produkt an, dessen Entgelte die Hälfte ihrer Umsätze ausmachen; ein Abwandern zu den staatlichen gelenkten Unternehmen wäre also insoweit nicht möglich.
Schließlich bleibt die Antragstellerin nähere Darlegungen dafür schuldig, worin die besondere Attraktivität der staatlichen Wettquoten bestehen soll. Offenbar gehört es zum allgemeinen Konzept der staatlichen Wettunternehmen, lediglich die Hälfte des Einsatzes an die Kunden zurückzugeben. So war es ausdrücklich für Sportwetten in § 2 Abs. 1 des Thüringer Staatslotterie- und Sportwettengesetzes vom 3. Januar 1994 (GVBl. S. 10) festgelegt; dieses Gesetz ist zwar durch das Thüringer Staatslotterie- und Sportwettengesetz vom 3. Februar 2000 (GVBl. S. 15, Entwurf und Begründung Landtagsdrucksache 3/138; Kopien Blatt 292 bis 297 der Gerichtsakte) aufgehoben worden, unter anderem, so die Begründung, weil bei festen Quoten eine bestimmte Limitierung nicht möglich sei; an den durchschnittlichen Quoten sollte sich aber offenbar nichts ändern.
Ein Schwerpunkt der Argumentation der Antragstellerin liegt in den Hinweisen auf die angeblichen strukturellen Wettbewerbsvorteile der staatlichen Wettgeschäfte. Den Ländern, so meint die Antragstellerin, sei es gleichgültig, ob an sie Lotteriesteuern oder Gewinne abgeführt würden. Die staatlichen Unternehmen brauchten deshalb grundsätzlich überhaupt keine Gewinne zu erzielen. Sinngemäß bedeutet diese Auffassung, dass sich die staatlichen Wettunternehmen ohne Gefahr in die Nähe einer Erdrosselungssituation begeben könnten, während dies bei der Antragstellerin zu einer Grundrechtsverletzung führe. Dem kann der Senat nicht folgen.
Zunächst besteht zwischen der Verwendbarkeit der Steuer einerseits und der Gewinne andererseits ein erheblicher grundsätzlicher Unterschied. Über die Verwendung der Steuer bestimmt das Parlament, über die Gewinne die Landesregierung. Darüber hinaus erlegen die Länder ihren Wettunternehmen besondere Lasten auf, die sich für diese Unternehmen als gewichtige Wettbewerbsnachteile gegenüber der Antragstellerin auswirken.
So bestimmt etwa § 3 Abs. 1 des Thüringer Staatslotterie- und Sportwettengesetzes vom 3. Februar 2000, dass der Landessportbund Thüringen e. V. 5,25 vom Hundert und die Liga der Freien Wohlfahrtsverbände drei vom Hundert der Spieleinsätze aus der Veranstaltung von Sportwetten erhält. Nach § 4 des Gesetzes ist der Überschuss, der von den Wetteinsätzen (und Bearbeitungsgebühren) nach Abzug der Betriebsaufwendungen, der ausgezahlten Wettgewinne und der Leistungen an die genannten Verbände verbleibt, an den Landeshaushalt abzuführen und zur Förderung kultureller, sozialer, umweltschützerischer und sportlicher Zwecke zu verwenden. Daraus geht hervor, dass von den staatlichen Wettunternehmen verlangt wird, zunächst einen Anteil von 8,25 v. H. der Wetteinsätze als zweckgebundenen Gewinn zu erzielen, und dass noch weitere Überschüsse zur Verwendung für förderungswürdige Zwecke erwartet werden. Es liegt auf der Hand, dass derartige gesetzliche Bindungen, die in ähnlicher Weise auch außerhalb Thüringens gelten, den Spielraum für die Gewährung besonders attraktiver Wettquoten entscheidend einengen. In einer solchen Lage hat die Astin. nach Überzeugung des Senats die Möglichkeit, ihre Marktchancen durch besonders attraktive Wettprogramme und günstige Quoten zu nutzen und trotz der nicht unerheblichen Belastung durch die Lotteriesteuer angemessene Gewinne zu erzielen.
Soweit die Antragstellerin befürchtet, dass „professionelle” Wettspieler bei einem Sinken der Wettquoten ausländische Angebote, die über Internet problemlos zu erreichen seien, bevorzugen würden, ist ihr entgegenzuhalten, dass es sich dabei um gewöhnliche Marktmechanismen handelt, die hingenommen werden müssen. Dass diese besonders risikobereite Kundschaft für die Antragstellerin eine ausschlaggebende Rolle spielt, hat sie nicht vorgetragen. Wenn sich die betreffenden Befürchtungen bewahrheiten sollten, wird das der Antragstellerin zuzumutende Anpassungsverhalten etwa darin bestehen, die Vorzüge eines vertrauenswürdigen deutschen Unternehmens gegenüber einer anonymen und im Streitfall schwer zu belangenden ausländischen Konkurrenz auszuspielen. Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die Mitglieder des Deutschen Lotto- und Totoblocks inzwischen erfolgreich gegen ausländische Veranstalter in Deutschland vorgehen (vgl. Urteil des Bundesgerichts