08.01.2010
Finanzgericht München: Urteil vom 24.02.2005 – 11 K 4057/00
1. Ermittelt der Steuerpflichtige seinen Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG als Überschuss der Einnahmen über die Betriebsausgaben, so genügt er seiner Aufzeichnungspflicht, wenn er sämtliche Ausgangsrechnungen chronologisch nach dem Tag des Geldeingangs ablegt, in handschriftlichen Listen einträgt und auf den bar bezahlten Rechnungen den Tag des Geldeingangs notiert. Bei im Streitfall nur rund 30 bar bezahlten Rechnungen jährlich war es nicht erforderlich, in den angefertigten Listen eine Unterscheidung hinsichtlich des Geldeingangs auf der Bank oder durch Barzahlung zu treffen, oder gar ein Kassenbuch zu führen.
2. Das Finanzamt ist nicht berechtigt, eine im Sinne von LS 1 ordnungsmäßige Buchführung zu verwerfen und die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, wenn der Steuerpflichtige die gelegentlichen Bareinzahlungen auf das Geschäftskonto plausibel erklären und problemlos aus seinen übrigen Einkünften sowie aus glaubhaft gemachten Unterstützungsleistungen Verwandter aufbringen konnte.
3. Es gibt keine Rechtsgrundlage dafür, dass alle auf ein privates Konto vorgenommenen Zahlungen, für die kein Buch- oder Nämlichkeitsnachweis erbracht wird, als aus einkommensteuerpflichtigen Einkünften stammend gelten.
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In der Streitsache
hat der 11. Senat des Finanzgerichts München unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Finanzgericht … der Richterin am Finanzgericht … und des Richters am Finanzgericht … sowie der ehrenamtlichen Richter … und … aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 24. Februar 2005
für Recht erkannt:
1. Unter Änderung der geänderten Einkommensteuerbescheide vom 9. Juni 2000 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 9. August 2000 wird die Einkommensteuer 1994 auf 8.756,38 EUR (= 17.126 DM), die Einkommensteuer 1995 auf 9.509,01 EUR (= 18.598 DM) und die Einkommensteuer 1996 auf 6.871,76 EUR (= 13.440 DM) festgesetzt.
2. Unter Änderung der geänderten Umsatzsteuerbescheide vom 9. Juni 2000 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 10. August 2000 wird die Umsatzsteuer 1994 auf ./. 503,62 EUR (= ./. 985 DM), die Umsatzsteuer 1995 auf 106,35 EUR (= 208 DM) und die Umsatzsteuer 1996 auf ./. 56 EUR (= ./. 110 DM) festgesetzt.
3. Die Kosten des Verfahrens trägt das Finanzamt.
4. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Kläger vorläufig vollstreckbar. Das Finanzamt darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Kläger die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in der selben Höhe leisten.
Tatbestand
I.
Die Kläger sind Eheleute und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielte als Gebäudereiniger, die Klägerin als Bürokauffrau Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit. Daneben betrieb die Klägerin in den Streitjahren eine Reinigungsfirma „Teppichreinigung und Fensterreinigung nach Hausfrauenart”) und erzielte daraus Einkünfte aus Gewerbebetrieb, die sie gemäß § 4 Abs. 3 EStG ermittelte. Dieser Betrieb war am 1. September 1991 angemeldet worden. Aus den Akten ist folgende Einkünftesituation zu entnehmen:
Jahr | Betriebseinnahmen (lt. Erklärung)DM | Verlust erklärt:DM |
1994 | 9.282,60 | 8.929 |
1995 | 11.337,00 | 6.056 |
1996 | 9.732,00 | 12.076 |
Für das Jahr 1997 wurde bei Betriebseinnahmen in Höhe von 57.755 DM ein Gewinn in Höhe von 4.933 DM erklärt.
Zunächst veranlagte der Beklagte (das Finanzamt) die Kläger für die Streitjahre weitestgehend erklärungsgemäß und setzte
die Einkommensteuer 1994 mit Bescheid vom 18. März 1996 vorläufig auf 17.000 DM,
die Einkommensteuer 1995 mit Bescheid vom 7. Mai 1997 vorläufig auf 18.338 DM,
die Einkommensteuer 1996 mit Bescheid vom 7. Mai 1997 vorläufig auf 13.467 DM fest.
Mit unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehendem Bescheid vom 28. Februar 1996 wurde
die Umsatzsteuer 1994 auf ./. 880 DM, durch Einreichung der Umsatzsteuererklärung vom 15. Februar 1997 wurde die Umsatzsteuer 1995 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung auf 265,32 DM sowie mit Bescheid vom 26. März 1997 die Umsatzsteuer 1996 auf ./. 166 DM festgesetzt.
Vom 25. Juni 1998 bis 5. Januar 1999 fand bei dem Einzelunternehmen der Klägerin eine Außenprüfung betreffend die Streitjahre statt. Dabei stellte der Prüfer fest, dass im Unternehmen der Klägerin kein Kassenbuch geführt worden ist. Der Prüfer vertrat daher die Ansicht, die Aufzeichnungspflichten gemäß § 22 Umsatzsteuergesetz (UStG) in Verbindung mit § 146 Abs. 1 Satz 2 Abgabenordnung (AO) seien nicht erfüllt, die Beweiskraft der Aufzeichnungen gemäß § 158 AO seien zu verneinen. Weil ein Kassenbuch überhaupt nicht vorgefunden worden sei, seien die restlichen Aufzeichnungen nur soweit der Besteuerung zu Grunde zu legen, als ihre sachliche Richtigkeit nicht beanstandet werden können. Bareinzahlungen, deren Herkunft nicht zweifelszwei aufklärbar seien, seien als Betriebseinnahmen gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 AO dem Gewinn hinzuzuschätzen. Zweifel gingen zu Lasten der Klägerin, da es ihre Aufgabe gewesen sei, durch sorgfältige Beachtung der §§ 22 UStG und 146 Abs. 1 Satz 2 AO gegenüber dem Finanzamt Nachweise zu führen. Der Prüfer ging daher davon aus, dass die Betriebseinnahmen nicht vollständig erfasst worden seien. Als Schätzungsmaßstab dienten dem Prüfer die festgestellten, zunächst ungeklärten Bareinzahlungen auf dem Betriebskonto und dem Privatkonto der Klägerin. Es handelte sich um Zuschätzungsbeträge in Höhe von 14.930 DM (1994), 8.605 DM (1995) und 2.600 DM (1996). Auf den Außenprüfungsbericht vom 11. Januar 1999 wird Bezug genommen.
Das Finanzamt schloss sich der Auffassung des Prüfers an und setzte mit Änderungsbescheiden, jeweils vom 1. März 1999, die Einkommensteuer 1994 auf 21.720 DM (Einkünfte aus Gewerbebetrieb 6.601 DM), die Einkommensteuer 1995 auf 21.178 DM (Einkünfte aus Gewerbebetrieb 3.142 DM) und die Einkommensteuer 1996 auf 14.377 DM (Einkünfte aus Gewerbebetrieb ./. 9.018 DM) fest. Die geänderten Umsatzsteuerbescheide vom selben Tag wiesen eine festgesetzte Umsatzsteuer 1994 in Höhe von 1.119 DM, 1995 in Höhe von 1.343 DM und 1996 in Höhe von 266 DM aus.
Im sich anschließenden Einspruchsverfahren entsprach das Finanzamt dem Begehren der Kläger teilweise und setzte mit geänderten Bescheiden vom 9. Juni 2000 die Einkommensteuer 1994 auf 19.216 DM, die Einkommensteuer 1995 auf 21.042 DM und die Einkommensteuer 1996 auf 13.813 DM herab. Mit Änderungsbescheiden vom selben Tag wurden die Umsatzsteuer 1994 auf ./. 92 DM, die Umsatzsteuer 1995 auf 1.245 DM und die Umsatzsteuer 1996 auf ./. 21 DM festgesetzt. Das Finanzamt kürzte dabei die Zuschätzungen um zwischenzeitlich geklärte anderweitige Einnahmen im Jahr 1994 und trug der Tatsache, dass ein Teil der von der Klägerin aufgezeichneten Bareinnahmen angesammelt und auf die Konten einbezahlt worden sein konnte, dadurch Rechnung, dass es die Zuschätzungen zudem jeweils um 50 % der erklärten Bareinnahmen reduzierte. Im Übrigen blieben die Einsprüche erfolglos (Einspruchsentscheidung vom 9. August 2000 in Sachen Einkommensteuer 1994 1996 und Einspruchsentscheidung vom 10. August 2000 in Sachen Umsatzsteuer 1994 1996).
Die hiergegen erhobene Klage begründen die Kläger im Wesentlichen wie folgt: Das Finanzamt sei nicht berechtigt gewesen, eine Zuschätzung bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb der Klägerin für die Streitjahre vorzunehmen. Die Klägerin habe den Gewinn aus ihrem Gewerbebetrieb nach § 4 Abs. 3 EStG durch Gegenüberstellung der Einnahmen und der Ausgaben ermittelt. Eine Buchführungspflicht nach § 140 AO in Verbindung mit §§ 238 ff Handelsgesetzbuch (HGB) habe ebenso wenig bestanden wie die Verpflichtung zur Führung eines Kassenbuches oder von Büchern nach § 141 AO. Ertragsteuerlich sei für den Gewinnermittler die laufende Aufzeichnung der Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben nicht vorgeschrieben. Er könne für Zwecke der Ertragsteuern den Nachweis seiner Einkünfte durch Belege führen. Unabhängig von den ertragsteuerlichen Aufzeichnungspflichten seien die umsatzsteuerlichen Aufzeichnungspflichten zu untersuchen. Gemäß § 22 Abs. 1 UStG habe jeder Unternehmer Aufzeichnungen zu führen. Diese Aufzeichnungen müssten es einem sachverständigen Dritten ermöglichen, einen Überblick über die Umsätze des Unternehmens und die abziehbaren Vorsteuern zu erhalten. Hierbei sei eine zeitgerechte und geordnete Aufzeichnung erforderlich, Kasseneinnahmen und Kassenausgaben sollten täglich festgehalten werden. Die Regelung stelle auf das Festhalten der Kasseneinnahmen und Kassenausgaben ab, nicht auf das Aufzeichnen. Neben dem Aufschreiben könnten also auch andere Möglichkeiten des Festhaltens in Betracht kommen. § 145 Abs. 5 AO sehe vor, dass dies auch in der geordneten Ablage von Belegen bestehen könne. Die zeitnahe Ablage der Ein- und Ausgangsrechnungen reiche daher für die Erfüllung der Aufzeichnungspflichten nach § 22 UStG aus. Die Klägerin habe sämtliche Ausgangsrechnungen chronologisch nach dem Tag des Geldeingangs abgelegt und auf den bar bezahlten Rechnungen den Tag des Geldeinganges notiert. Die Anzahl der bar vereinnahmten Rechnungen seien mit ca. 30 Vorgängen pro Jahr sehr gering.
Im Übrigen sei nachgewiesen, dass die den Klägern zur Verfügung stehenden Barmittel zu jeder Zeit die getätigten Einzahlungen auf den Bankkonten abgedeckt hätten. Dies ergäbe sich aus einer „Barmittel-Geldverkehrsrechnung” für die Streitjahre (Anlage 2 zum Klageschriftsatz vom 4. September 2000), auf welche Bezug genommen wird. Danach hätte den Klägern für den laufenden Lebensunterhalt nach Abzug der Einzahlung auf die Bankkonten im Jahr 1994 22.892,02 DM, im Jahr 1995 22.795,50 DM und im Jahr 1996 33.084,65 DM zur Verfügung gestanden. Das Finanzamt versuche durch das Herauspicken einzelner, willkürlich gewählter Zeitabschnitte zu beweisen, dass zu bestimmten Zeitpunkten eine Unterdeckung bei den Barmitteln gegeben sei und rechtfertige hiermit die Zuschätzungen. Auch scheine dem Finanzamt die Anzahl der Barabhebungen vom Bankkonto ungewöhnlich und diene als Argument für eine Zuschätzung. Nach Auffassung der Kläger jedoch erscheine es nicht plausibel, dass ein Steuerpflichtiger mit „Schwarzgeld unter dem Kissen” eine Vielzahl von Kleinbeträgen im Rahmen von 50-400 DM von seinem Girokonto abhebe, ohne vorher das Schwarzgeld zu verbrauchen.
Es sei den Klägern aufgrund der vorgegebenen Arbeitszeiten des Arbeitgebers nicht immer möglich gewesen, zu Öffnungszeiten der Kreissparkasse Wolfratshausen Einzahlungen vorzunehmen. Deshalb seien Bargeldbeträge angesammelt und bei nächst möglicher Gelegenheit auf eines der Girokonten einbezahlt worden.
Somit sei nachgewiesen, dass die vorhandenen Barmitteln dazu ausgereicht hätten, die Einzahlungen auf das private und das geschäftliche Konto der Klägerin vorzunehmen.
Die Kläger beantragen,
unter Änderung der geänderten Einkommensteuerbescheide vom 9. Juni 2000 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 9. August 2000 die Einkommensteuer für die Streitjahre neu festzusetzen und dabei die Einkünfte aus Gewerbebetrieb der Klägerin für 1994 um 6.853 DM, für 1995 um 7.955 DM und für 1996 um 685 DM zu verringern,
unter Änderung der geänderten Bescheide vom 9. Juni 2000 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 10. August 2000 die Umsatzsteuer 1994 auf ./. 503,62 EUR (= ./. 985 DM), die Umsatzsteuer 1995 auf 106,35 EUR (= 208 DM) und die Umsatzsteuer 1996 auf ./. 56 EUR (= ./. 110 DM) festzusetzen sowie
hilfsweise die Revision zuzulassen.
Das Finanzamt beantragt
Klageabweisung sowie hilfsweise die Revision zuzulassen.
Zur Begründung verweist es auf die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung. Ergänzend trägt es vor, es werde daran festgehalten, dass kein ordnungsgemäßes Kassenbuch im Sinn des § 146 Abs. 1 AO in Verbindung mit § 22 UStG geführt worden sei. § 146 Abs. 5 AO betreffe die sogenannte Offene-Posten-Buchführung und damit die buchführungsmäßige Erfassung der unbaren Geschäftsvorfälle. In diesem Fall gehe es um das Kassenbuch nach § 146 Abs. 1 AO, der insofern lex specialis sei. Tatsächlich seien Kopien der Ausgangsrechnungen gesammelt und in handschriftlichen Listen eingetragen worden. In diesen Listen sei jedoch keine Unterscheidung zwischen Eingang auf der Bank oder Bareingang getroffen worden. Erst auf den einzelnen Rechnungskopien seien Vermerke über bar erhaltene Beträge enthalten gewesen. Die hier anzutreffende Vermischung von baren und unbaren Vorfällen in einer Einheit führe zu Unklarheiten, die dem Begriff „geordnet” im Sinn des § 146 Abs. 1 Satz 1 AO widerspreche, da dem Außenprüfer keine Übersicht über die baren Geschäftsvorfälle in angemessener Zeit möglich gewesen sei. Da der Anteil der Bareinnahmen zwischen 42 und 73% der Gesamtsumme ausmache, seien strenge Anforderungen an die Aufzeichnungspflichten zu stellen. Das Festhalten von Kasseneinnahmen und -ausgaben durch Belegsammlung könne nur dann akzeptiert werden, wenn aufgrund der Belegsammlung der Sollbestand jederzeit mit dem Istbestand übereinstimme. Auch bei einer reinen Belegsammlung müsse eine „Kassensturzfähigkeit” gegeben sein.
Zwar hätten sich die Kläger im Nachhinein viel Mühe gegeben, die Versäumnisse der Vergangenheit durch Rekonstruktionen auszugleichen, wegen der objektiven Unmöglichkeit, sich an einzelne Geschäftsvorfälle nach so langer Zeit glaubhaft zu erinnern, könne die Rekonstruktion jedoch nicht akzeptiert werden. Es müsse vielmehr Ähnliches gelten, wie bei einem nachgeschriebenen Fahrtenbuch oder nachgefertigter Aufzeichnung im Sinn des § 4 Abs. 7 EStG.
Die von den Eltern der Kläger vorgetragenen Ausführungen über Geldzuwendungen könnten seitens des Finanzamts nicht zugrunde gelegt werden. Beide hätten ausgeführt, dass einzelne Zahlungen nicht mehr konkret fixiert werden könnten und genaue Aufzeichnungen über die verschiedenen Zahlungen nicht geführt worden seien. Zwar würden die Kopien über Abhebungen von Sparbüchern oder Einzahlungsquittungen einen Geldabgang bei den Eltern belegen, zeitnahe und betragsmäßige Übereinstimmungen mit den Einzahlungen auf den Konten der Kläger seien jedoch nicht vorhanden. Eine Abgrenzung der Entnahmen der Kläger zwischen privatem Verbrauch, Schuldentilgung, Betriebsausgaben und gegebenenfalls Verrechnung von Geldunterstützungsleistungen der Verwandtschaft sei ebenfalls nicht möglich. Es stelle sich deshalb die Frage, in wie weit nach vielen Jahren ein Verstoß gegen § 146 Abs. 1 AO in Verbindung mit § 22 UStG dadurch geheilt werden könne, dass Zeugenaussagen eine Vielzahl nicht dokumentierter Vorfälle beweisen. Der Gesetzgeber sei bei Abfassung des § 146 Abs. 1 AO offenbar nicht von dieser Möglichkeit ausgegangen, daher sehe § 162 Abs. 2 Satz 2 AO die Schätzungsverpflichtung der Finanzbehörden vor.
Es sei zwar richtig, dass ein Steuerpflichtiger für seinen privaten Geldkreislauf keinen Nachweis erbringen müsse, dennoch treffe ihn eine erhöhte Mitwirkungspflicht für Sachverhalte, die in seiner Verantwortungssphäre lägen und steuerlich von Bedeutung sein könnten. Dabei sei er gehalten, sämtliche für die Besteuerung erheblichen Sachverhalte von sich aus mitzuteilen, auch wenn in der Steuererklärung nicht explizit danach gefragt sei. Gerade die Vorträge zum geringfügigen Beschäftigungsverhältnis und Verwandtendarlehen seien erst nach erfolgter Zuschätzung vorgetragen worden.
Eine Gesamtgeldverkehrsrechnung habe das Finanzamt bisher nicht erstellt. Eine nach Aktenlage angefertigte Geldverkehrsrechnung unter Berücksichtigung der sich bisher ergebenden Änderungen bzw. geklärten Geldbewegungen zeige jedoch nach Meinung des Finanzamts eindeutig, dass es zu einer Unterdeckung in allen Jahren des Prüfungszeitraums komme. Berücksichtige man noch fehlende Positionen, wie die Rückführung von Darlehen und insbesondere die privaten Kosten für Versicherungen, private Kfz, Fitnessstudio, Pay-TV, Kleidung etc. würden die Unterdeckungen noch weit erhöht. Auf die dem Schriftsatz des Finanzamts vom 27. Januar 2004 beigefügte Geldverkehrsrechnung wird Bezug genommen.
Mit Schriftsatz vom 29. März 2004, auf welchen Bezug genommen wird, korrigierte der Klägervertreter die vom Finanzamt vorgelegte Geldverkehrsrechnung; dadurch ergab sich eine tatsächliche Überdeckung in den Streitjahren.
Ergänzend wird auf den Akteninhalt und die eingereichten Schriftsätze der Beteiligten verwiesen.
Auf die Niederschrift über die öffentliche Sitzung des Senats vom 24. Februar 2005 wird Bezug genommen.
Gründe
II.
Die Klage ist begründet.
Zu Unrecht hat das Finanzamt in den Streitjahren Zuschätzungen von Betriebseinnahmen bei den Einkünften aus selbständiger Tätigkeit der Klägerin vorgenommen. Die Voraussetzungen für eine Schätzung liegen im Streitfall nicht vor. Die von der Klägerin zu führenden Aufzeichnungen sind nach Auffassung des Senats ordnungsgemäß und der Besteuerung zugrunde zu legen.
Nach § 162 Abs. 1 AO hat die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen, die sie nicht ermitteln oder berechnen kann, zu schätzen. Zu schätzen ist insbesondere dann, wenn der Steuerpflichtige über seine Angaben keine ausreichenden Aufklärungen zu geben vermag (Abs. 2 Satz 1). Das Gleiche gilt, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann oder wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen der Besteuerung nicht nach § 158 AO zugrunde gelegt werden (Abs. 2 Satz 2). § 162 Abs. 2 AO hebt die Verletzung von Mitwirkungspflichten durch den Steuerpflichtigen als Hauptanwendungsfall der Schätzung hervor.
Nach § 158 AO sind der Besteuerung die Buchführung und die Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen, die den Vorschriften der §§ 140 bis 148 AO entsprechen, zugrunde zu legen, soweit nach den Umständen des Einzelfalles kein Anlass besteht, ihre sachliche Richtigkeit zu beanstanden. Nur wenn die Würdigung des Sachverhalts ergibt, dass eine formelle Ordnungsmäßigkeit der Aufzeichnungen nicht vorliegt oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sachlich unrichtig ist, kann das Ergebnis ganz oder teilweise verworfen werden. Allein die formelle Ordnungsmäßigkeit von Aufzeichnungen eines Steuerpflichtigen schließt allerdings eine punktuelle Berichtigung auf Grund ungeklärter Kapitalzuführungen nicht von vornherein aus. § 158 AO betrifft nur Gesamtkorrekturen (vgl. BFH-Urteil vom 15. Februar 1989 X R 16/86, BStBl II 1989, 462, unter 5. b ee, c).Die objektive Beweislast für die hierfür maßgeblichen steuererhöhenden Tatsachen trägt das Finanzamt (vgl. BFH-Urteil vom 24. Juni 1997 VIII R 9/96, BStBl II 1998, 51 m.w.N.).
Im Streitfall ist die Klägerin nach Auffassung des Senats ihrer Aufbewahrungs-/Aufzeichnungspflicht in ausreichendem Maße nachgekommen. Das Gericht hält die Aufzeichnungen für korrekt, sie sind der Besteuerung zugrunde zu legen. Nach Auffassung des Gerichts liegen keine ungeklärten Kapitalzuführungen vor, die eine Schätzungsbefugnis des Finanzamts begründen könnten.
Nach § 4 Abs. 3 EStG können Steuerpflichtige, die nicht auf Grund gesetzlicher Vorschriften verpflichtet sind Bücher zu führen und regelmäßig Abschlüsse zu machen und die auch freiwillig keine Bücher führen und Abschlüsse machen, als Gewinn den Überschuss der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben ansetzen. § 4 Abs. 3 EStG enthält keine Aussage, wie die Überschussrechnung technisch durchzuführen ist, insbesondere statuiert § 4 Abs. 3 EStG – als reine Gewinnermittlungsvorschrift – keine generelle Pflicht, die Betriebseinnahmen und -ausgaben aufzuzeichnen. Es existieren auch keine allgemein anerkannten Regeln einer „ordnungsgemäßen Überschussrechnung”. Allerdings bedeutet das Fehlen einer Verpflichtung zur Aufzeichnung nicht, dass das Finanzamt die erklärten Gewinne oder Verluste stets ungeprüft übernehmen muss. Auch die Überschussrechnung setzt voraus, dass die Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben durch Belege nachgewiesen werden (vgl. BFH-Urteil vom 15. April 1999 VI R 68/98, BStBl II 1999,481; Schmidt/ Heinicke, EStG, § 4 Rz. 374 f; Weber-Grellet in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 4 RdNr. D 51). Nur bei Vorlage geordneter und vollständiger Belege verdient eine Einnahmen-/ Überschussrechnung Vertrauen und kann für sich die Vermutung der Richtigkeit in Anspruch nehmen.
Die Pflicht zur Einzelaufstellung ergibt sich für Unternehmer aus § 22 UStG in Verbindung mit §§ 63 – 68 der Umsatzsteuerdurchführungsverordnung (UStDV). Zwar sind umsatzsteuerrechtliche Aufzeichnungen keine Aufzeichnungen „nach anderen Gesetzen als den Steuergesetzen” im Sinne des § 140 AO. Die Aufzeichnungsverpflichtung aus einem Steuergesetz wirkt aber, sofern dieses Gesetz keine Beschränkung auf seinen Geltungsbereich enthält oder sich eine Beschränkung aus der Natur der Sache ergibt, unmittelbar für andere Steuergesetze, also auch für das EStG (vgl. BFH-Urteil vom 26. Februar 2004 XI R 25/02, BStBl II 2004, 599; Weber-Grellet in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 4 RdNr. D 52). Gemäß § 22 Abs. 2 Nr. 1 UStG sind u.a. auch die vereinnahmten Entgelte aufzuzeichnen. Nach § 63 Abs. 1 UStDV müssen die Aufzeichnungen so beschaffen sein, dass es einem sachverständigen Dritten innerhalb einer angemessenen Zeit möglich ist, einen Überblick über die Umsätze des Unternehmens und die abziehbaren Vorsteuern zu erhalten. Betriebseinnahmen sind einzeln aufzuzeichnen. Dem Grundsatz nach gilt das auch für Bareinnahmen. Diese Aufzeichnungspflicht verdichtet sich nach Auffassung des Senats jedoch nicht zu einer Verpflichtung, ein Kassenbuch zu führen. Unter Kasseneinnahmen und Kassenausgaben sind bei der Überschussrechnung sinngemäß die Bareinnahmen und Barausgaben zu verstehen. Denn da es bei dieser Gewinnermittlung keinen betrieblichen Kassenbestand gibt, bedarf es keiner Kassenführung. Es gibt nur baren und unbaren Geldverkehr. (ebenso BFH-Urteil vom 22.02.1973 – IV R 69/69, BStBl II 1973, 480; herrschende Meinung in der Literatur, so z.B. Schmidt/ Heinicke, EStG, § 4 Rz. 372; Weber-Grellet in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 4 RdNr. D 57). § 147 Abs. 1 AO verlangt (lediglich) die geordnete Aufbewahrung von Unterlagen. Diese Aufbewahrungspflicht ist akzessorisch und setzt logischerweise eine Aufzeichnungspflicht voraus.
Die Klägerin hat – vom Finanzamt unwidersprochen – sämtliche Ausgangsrechnungen chronologisch nach dem Tag des Geldeingangs abgelegt und in handschriftlichen Listen eingetragen. Auf den bar bezahlten Rechnungen wurde der Tag des Geldeingangs notiert. Das Gericht hält es auf Grund dieser Vorgehensweise für nicht entscheidungserheblich, dass in den angefertigten Listen keine Unterscheidung zwischen Geldeingang auf der Bank oder Barzahlung getroffen wurde. Denn bei Durchsicht der einzelnen Rechnungen war es dem Prüfer möglich, diese Unterscheidung festzustellen. Immerhin handelte es sich nur um ca. 30 bar bezahlte Rechnungen im Jahr. Auch wenn das Finanzamt darauf hinweist, dass der Prozentsatz der bar gezahlten Einnahmen nicht unerheblich sei, rechtfertigt dies bei der tatsächlichen Anzahl der Vorgänge keine andere Beurteilung. Der Senat stimmt der Auffassung des Finanzamts nicht zu, dass etwa deshalb im Streitfall ein Kassenbuch hätte geführt werden müssen. Belege erfüllen Buchfunktion, wenn sie übersichtlich geordnet abgelegt werden und die Vollständigkeit der Ablage sicher gestellt ist (Tipke/ Kruse, AO, § 146 Tz. 54 m.w.N.). Das Gericht vermag auch dem Einwand des Finanzamts nicht zu folgen, dass § 146 Abs. 5 AO lediglich die Erfassung von unbaren Geschäftsvorfällen betreffe, die Kassenbuchführung nach § 146 Abs. 1 AO als lex specialis im Fall von Bargeschäften Anwendung finden müsse.
Es besteht auch keine Veranlassung, an der Richtigkeit der Aufzeichnungen zu zweifeln. Soweit das Finanzamt beanstandet, dass Einzahlungen auf dem Privatkonto der Klägerin nicht nachvollziehbar seien, muss dem entgegengehalten werden, dass es keine Rechtsgrundlage dafür gibt, dass alle auf ein privates Konto vorgenommene Zahlungen, für die kein Buch- oder Nämlichkeitsnachweis erbracht wird, als aus einkommensteuerpflichtigen Einkünften stammend gelten (BFH-Urteil vom 25. Mai 1986 I R 265/83, BStBl II 1986, 732). Der Steuerpflichtige ist nicht verpflichtet, einen in sich geschlossenen Nachweis über die Herkunft seines Privatvermögens zu führen. Der Bundesfinanzhof hat diese Rechtsprechung, der sich der Senat anschließt, nochmals bestätigt und an der Unterscheidung zwischen Einzahlungen auf private Konten einerseits und betriebliche Konten andererseits festgehalten (vgl. BFH-Urteil vom 8. Dezember 2001 III R 76/01, BFH/NV 2002, 476).
Das Gericht verkennt nicht, dass den Steuerpflichtigen grundsätzlich bezüglich der Klärung von Einzahlungen auf einem betrieblichen Konto eine verstärkte Mitwirkungspflicht trifft. Dieser ist die Klägerin jedoch in ausreichendem Maße nachgekommen. Bei allen vom Finanzamt als ungeklärte Einnahmen angesetzten Beträgen (1994: 2.720 DM, 1995: 960 DM und 1996: 1.500 DM) handelt es sich um Bareinzahlungen durch die Kläger, nicht etwa von Fremden. Nach dem Vortrag der Klägerin resultieren die Beträge aus einer „Ansammlung” kleinerer Geldbeträge, so z.T. aus den Bareinnahmen der aufgezeichneten Rechnungen, Zuwendungen der Eltern und kleineren Einzelbeträgen, die der Kläger der Klägerin hat zukommen lassen. Dies erscheint nicht so abwegig, dass diese Erklärung von vornherein als unbeachtliche Schutzbehauptung gewertet werden könnte.
Das Gericht vermag auch der Auffassung des Finanzamts, das die angebliche Abhebung von Kleinbeträgen (50 – 400 DM) durch den Kläger, das anschließende „Ansammeln” und spätere Einzahlen in einer größeren Summe für unglaubwürdig hält, nicht zu folgen. Nicht jeder, den vermeintlich üblichen Gepflogenheiten widersprechende Geschehensablauf spricht für sich gesehen für ein steuerlich unkorrektes Verhalten. Die geschilderte finanzielle Situation des Klägers lässt nach Auffassung des Senats eine solche Vorgehensweise, immer nur kleine Beträge abzuheben, plausibel erscheinen. Nicht von der Hand zu weisen ist auch die klägerische Einlassung, dass es lebensfremd wäre, stets wegen Kleinbeträgen Kontoabhebungen vorzunehmen, wenn man auf vorhandenes „Schwarzgeld” zurückgreifen könnte.
Die Eltern der Kläger haben durch schriftliche Erklärungen und den Nachweis von Sparbuchabhebungen ihrerseits bestätigt, dass sie ihre Kinder in einer wirtschaftlich schwierigen Aufbauphase (der Gewerbebetrieb der Klägerin stellt inzwischen offensichtlich die (Haupt-) Einnahmequelle der Kläger dar) finanziell unterstützt hätten. Nicht jede – vor allem wie im vorliegenden Fall in sich schlüssige – Erklärung von nahen Angehörigen ist unbeachtlich, zumal gewichtige Anzeichen (Sparbuchabhebungen) für die Richtigkeit der Aussagen sprechen.
Das Finanzamt hat darauf hingewiesen, dass die Klägerin teilweise den Eingang von (erklärten) Betriebseinnahmen nicht habe klären können. Es handelt sich dabei offensichtlich um drei Vorgänge (einen im Jahr 1995 und zwei im Jahr 1996). Die Klägerin hatte die Einnahmen angesetzt, den tatsächlichen Geldeingang aber nicht verfolgt. Das Gericht vermag aus diesen Vorfällen keinen so schwerwiegenden Mangel der Aufzeichnungen erkennen, dass nicht eine punktuelle Berichtigung – wie letztlich auch durch den Prüfer erfolgt – ausreichend ist.
Nicht zuletzt erscheint die gesamte finanzielle Situation der Kläger nicht in dem Maße kritisch gewesen zu sein, dass anzunehmen wäre, es könnten die auf das Geschäftskonto eingezahlten Gelder nur aus nicht erklärten Einnahmen resultieren. Auf Grund der glaubhaften Darstellung der Kläger, dem Akteninhalt und insbesondere der Tatsache, dass die Kläger beide in den Streitjahren einer nichtselbständigen Tätigkeit nachgingen, bei der sie gemeinsam ca. 100.000 DM Einnahmen erzielten, standen den Klägern nach Auffassung des Senats so ausreichend Geldmittel zur Verfügung, dass sie selbst ohne die erklärten finanziellen Zuwendungen der Verwandten in der Lage waren, die Einzahlungen aus eigenen Mitteln vorzunehmen. Die Kläger haben in ausreichendem Maß zur Klärung der Einzahlungen beigetragen.
Auch wenn von einer verstärkten Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen bei der Klärung von Vorgängen auf einem betrieblichen Konto auszugehen ist, bedeutet das nicht, dass sich die bei verbleibenden Zweifeln eingreifende Beweislast dadurch umkehrt. Für steuererhöhende Tatsachen trägt nach wie vor das Finanzamt die Feststellungslast. Wenn das Finanzamt – wie offensichtlich – noch Zweifel an der Richtigkeit der Angaben gehabt hat, hätte es in letzter Konsequenz an ihm gelegen, seiner Beweislast für die steuererhöhenden Tatsachen und damit der Grundlage für eine Zuschätzung nachzukommen. Das Finanzamt hat es aber nicht für notwendig erachtet, eine dem Einzelfall angepasste Vermögenszuwachs- und Geldverkehrsrechnung zu erstellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und über den Vollstreckungsschutz folgt aus § 151 Abs. 1, Satz 1,1. Halbsatz, Abs. 3 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung.
Die Revision zum Bundesfinanzhof war nicht zuzulassen, weil keine der in § 115 FGO genannten Voraussetzungen vorliegt.