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  • 24.08.2011 · IWW-Abrufnummer 112760

    Finanzgericht Sachsen: Urteil vom 26.10.2010 – 5 K 435/06

    1. Leidet eine Berufsgeigerin an einem Impingement-Syndrom der linken Schulter mit anhaltenden Spannungen, Funktionsstörungen und Schmerzen im Schulterbereich sowie an schmerzbedingter Fehlhaltung der Wirbelsäule, so können die Kosten für eine therapeutische Behandlung und gymnastische Übungen nach der „Mensendieck”-Methode beruflich veranlasst sein und die Berufsmusikerin zum Werbungskostenabzug berechtigen.



    2. Das gilt ungeachtet dessen, dass die Aufwendungen nicht von der Krankenkasse erstattet werden und es sich bei dem Impingement-Syndrom nicht um eine Berufskrankheit i. S. v. § 9 Abs. 1 SGB VII handelt.


    Sächsisches FG v. 26.10.2010

    5 K 435/06

    Tatbestand
    Die Beteiligten streiten um die Abzugsfähigkeit von Aufwendungen für Gymnastikübungen als Werbungskosten.

    Die Klägerin erzielte im Streitjahr 2002 Einkünfte aus selbständiger Arbeit sowie aus nichtselbständiger Arbeit als Geigerin im M.-Sinfonieorchester und begehrte in ihrer Einkommensteuererklärung unter anderem den Abzug von Aufwendungen in Höhe von 1.611 EUR für „Berufliche Gymnastik” als Werbungskosten, die sich wie folgt zusammensetzten: 751 EUR für individuelle Gymnastik nach Mensendieck, 680,40 EUR Fahrtkosten, 180 EUR Beratungskosten für Frau Dr. F.

    Nach dem ärztlichen Befundbericht der Fachärztin für Orthopädie Dr. med. R vom 14.3.2006 leidet die Klägerin seit April 2001 an einem Impingement-Syndrom der linken Schulter mit anhaltenden Spannungen, Funktionsstörungen und Schmerzen im Schulterbereich sowie an schmerzbedingter Fehlhaltung der Wirbelsäule. Die Probleme konnten trotz intensiver therapeutischer Maßnahmen wegen der ständigen und starken beruflichen Beanspruchung nicht beseitigt werden. Die regelmäßige Therapie zur Zentrierung der Schulter und Stabilisierung der Wirbelsäule nach Brügger sei zur Erhaltung der Einsatz- und Arbeitsfähigkeit der Klägerin erforderlich, werde aber nicht über die gesetzlichen Krankenkassen-Verordnungen, sondern von der Patientin privat bezahlt.

    Aus den Stellungnahmen der Mensendieck-Therapeutin S vom 13.3.2006 und vom 4.4.2006 ergibt sich, dass durch eine zu angestrengte Haltung an der Geige eine Blockade und Durchblutungsstörung sowie Bewegungseinschränkungen besonders an der Halswirbelsäule links bestehen, wo die Geige festgehalten wird. In dem Unterricht hat die Therapeutin die von der Geigenhaltung stammenden Verspannungen als Folge der muskulären Überanstrengung mit Mensendieckübungen deutlich reduzieren können. Die Übungen würden der Bewusstmachung der Haltung und der physiologischen Zusammenhänge dienen. Es sei eine funktionelle Bewegungslehre, die individuell eingesetzt werde und darauf abziele, die sich durch die unnatürliche Haltung der Geige ergebenden Probleme durch bewusstes Gegensteuern zu minimieren, damit der Schüler es schaffe, auch bei größter dienstlicher Beanspruchung seine Muskeln zu kontrollieren und Verspannungen schon während der Belastung entgegen zu wirken. Es sei ein langwieriger Prozess, aus den alten Mustern heraus zu kommen und neue Abläufe zu erlernen. Darüber hinaus diene der Unterricht dem Erlernen einer bewussten Atmung, da in Anspannungssituationen durch fehlenden Sauerstoff Verspannungen noch gefördert würden. Korrekte Haltung und Atmung würden im direkten Zusammenhang stehen und sich gegenseitig bedingen. Mensendieck sei in Deutschland nicht bekannt Sie habe ihre Ausbildung in D erhalten und arbeite seit 1990 in Deutschland.

    Das Finanzamt erkannte diese Kosten nicht als abzugsfähige Werbungskosten an, sondern ließ sie lediglich als außergewöhnliche Belastungen zum Abzug zu, ohne ein amtsärztliches Attest zu verlangen. Es setzte die Einkommensteuer 2002 mit Bescheid vom 17.2.2004 auf 13.660 EUR fest und erläuterte die Abweichung im Bescheid.

    Dagegen erhob die Klägerin Einspruch mit der Begründung, im Frühjahr 2001 sei sie wegen zunehmender Schmerzen in der linken Schulter beim Geigespielen von der Orthopädin Frau Dr. R krankgeschrieben worden und habe in der Folgezeit mehrere Serien von Krankengymnastik, Massagen, Reizstrom, Fangopackungen, manuelle Therapie und eine spezielle Gymnastik nach Brügger absolviert, verbunden mit der Einnahme von starken Schmerzmitteln. Der Orthopäde Dr. S aus H, der eine spezielle Musikersprechstunde in der Leipziger Hochschule für Musik abhalte, habe mit Spritzen nur kurz für Schmerzlinderung sorgen können. Im Herbst 2001 habe sie probeweise unter ständigen Schmerzen trotz Tabletteneinnahme wieder mit dem Dienst begonnen. Erst infolge der Mensendieck-Gymnastik sei es ihr gelungen, über einen längeren Zeitraum wieder schmerzfrei und verkrampfungsärmer Geige zu spielen. Dies bedürfe aber ständiger Kontrolle, da sie während des Unterrichts die Geigenhaltung habe neu erlernen müssen, um die Verkrampfungen während der Dienstbelastung möglichst gering zu halten. Sie absolviere die Mensendieck-Übungen täglich zu Hause und lasse sie einmal pro Woche im Unterricht kontrollieren. Dabei würden ausschließlich Bewegungsabläufe trainiert, die dazu dienen würden, die Funktionsfähigkeit aller für das Geigenspiel erforderlichen Gelenke, Muskeln, Sehnen, also des Halte- und Bewegungsapparates, zu erhalten oder zu verbessern, teilweise auch mit dem Instrument. Dies würde ausschließlich dazu dienen, ihren Beruf, den sie noch 25 Jahre ausüben müsse und möchte, auch wirklich bis zum Rentenalter gesundheitlich durchzustehen. Ohne Mensendieck wäre sie vielleicht heute schon berufsunfähig. Nur weil alle Versuche der Orthopäden, ihr mit kassenärztlich verordneten und bezahlten Behandlungen zu helfen, fehlgeschlagen seien, habe sie mit dem Mensendieck-Unterricht begonnen. Aus privaten oder „Wellness”-Gründen würde sie sich das finanziell nicht leisten.

    Während des Einspruchsverfahrens erließ das Finanzamt aus anderen – hier nicht streitigen – Gründen am 13.5.2004 einen Änderungsbescheid, mit dem die Einkommensteuer 2002 auf 12.655 EUR herabgesetzt und der zum Gegenstand des Einspruchsverfahrens wurde.

    Mit Einspruchsentscheidung vom 10.2.2006 wies das Finanzamt den Einspruch zurück, da keine nach Sozialversicherungsrecht zu bejahende Berufskrankheit gegeben sei. Vielmehr solle die spezielle Haltungsgymnastik – wie die Klägerin selbst vortrage – dem Erhalt der Einkünfte dienen, um eine eventuelle Berufskrankheit zu vermeiden. Es könne dahingestellt bleiben, ob für Musiker nach Sozialversicherungsrecht eine Berufskrankheit zu bejahen sei. Denn im Streitfall handele es sich nicht um Aufwendungen für Arzt, Krankenhaus, Arzneien, Heil- und Hilfsmittel, sondern um Aufwendungen als vorbeugende Maßnahmen, die der Erhaltung des allgemeinen Gesundheitszustandes dienen und nicht zu Betriebsausgaben oder Werbungskosten führen würden. Die Klägerin habe nicht vorgebracht, dass es sich um eine medizinisch indizierte Maßnahme handele und auch kein amtsärztliches Attest vorgelegt.

    Mit der hiergegen erhobenen Klage trägt die Klägerin vor: Die Voraussetzungen, die von der Rechtsprechung an betrieblich veranlasste Ausgaben gestellt würden, lägen vor. Die berufsbedingten Gesundheitsbeeinträchtigungen seien gewichtig. Ohne diese Therapie könne die Klägerin überhaupt nicht mehr ihrer Tätigkeit im Orchester nachkommen oder selbständig Engagements annehmen. Sie sei auch zur Behebung der gesundheitlichen Beeinträchtigung besonders geeignet und habe sich gerade auf Berufsmusiker, insbesondere Geigenspieler, spezialisiert. Der therapeutische Erfolg sei signifikant, wenn die Therapie auch weiterhin ständige Kontrolle und Übung erfordere. Die Berücksichtigung der Therapiekosten als Betriebsausgaben (Werbungskosten) resultiere auch aus der Erwägung, dass es sich hierbei um Fortbildungskosten handele. Die Klägerin erfahre dort unter dem Thema „Musikinstrument und Körperhaltung” fortbildende Berufskenntnisse zur Körper- und Instrumenthaltung bei Ausübung des Berufs. Dass die Geigenhaltungstechnik Bestandteil der Ausbildung bzw. Fortbildung sei, würde zum Beispiel der Auszug aus dem Buch „Musikinstrument und Körperhaltung, gesund und fit im Musikeralltag” der Autoren Klein-Vogelbach u.a. dokumentieren. Darin werde auf die Vergleichbarkeit des Musikerberufes mit der Belastung eines Spitzensportlers hingewiesen. Während aber zum Beispiel ein Berufstennisspieler und -golfspieler ein ganzes Team von Masseuren und Medizinern beschäftigen und deren Kosten steuermindernd geltend machen würden, damit Tennisellenbogen oder Golferellenbogen gar nicht erst auftreten würden, hätten Berufsmusiker, insbesondere Geiger, keine andere Möglichkeiten als sich selbst um solche speziellen Therapien und Fortbildungen für ihre berufsbedingten Extrembelastungen zu kümmern.

    Die Kosten für den Lehrgang seien beruflich veranlasst, weil die Klägerin nach Jahren der Berufstätigkeit an der Bildungsmaßnahme teilgenommen habe, um in ihrem Beruf besser voran zu kommen, ihre Stellung im Unternehmen zu festigen und in der erlangten Position verbleiben zu können. Sie habe Fertigkeiten gelernt und trainiert, um den immer gesteigerten Anforderungen (immer technisch und körperlich anspruchsvollere Auftritte) dieser konkreten beruflichen Tätigkeit dauerhaft gerecht zu werden. Sie habe damit Fortbildungsaufwendungen getätigt, um höhere Einnahmen zu erzielen bzw. die Einnahmen zu sichern. Die bei den Berufsgeigern auftretenden Spannungsschmerzen im Schulter-Nackenbereich hätten nichts mit den alltäglichen Verspannungen bei den Personen auf Computer-Arbeitsplätzen zu tun. Es handele sich vielmehr um immense körperliche Belastungen allein schon durch die unnatürliche Körperhaltung, da die Geige durch widernatürliche Arm-, Kopf- und Nackenhaltung gespielt werde, und durch unnatürlich einseitige Bewegungen, falsche Körperhaltung, Motorik und Überbelastung beim intensiven Üben. Die Mensendieck-Methode führe eine instrumentenspezifische medizinische Behandlung durch und biete weiterbildende instrumentenbezogene Beratungen und Behandlungskonzepte an. Das Institut für Musikermedizin biete auch Aus- und Weiterbildung wie die Mensendieck-Methode an.

    Die Klägerin hat einen Flyer dieses Institutes übergeben, in dem dessen Leistungsspektrum aufgeführt ist, um musikerspezifische Erkrankungen zu behandeln.

    Ferner hat sie einen Aufsatz von Dr. med. Danckwerth übersandt, der eine Sprechstunde für Musiker an der Klinik für Allgemeine Orthopädie der Universität Münster abhält, abgedruckt in der Fachzeitschrift für Musikphysiologie und Musikermedizin 1996, Nr. 2 Seite 21. Darin wird ausgeführt, wie Funktionsstörungen und Erkrankungen im Schulterbereich der Musiker insbesondere beim Streichinstrumentalspiel entstehen, worauf ein Impingement bei einem Geigenspieler zurückzuführen ist und dass die Folge davon eine schmerzhaft eingeschränkte Bewegungsfähigkeit der Schulter bedeutet.

    In dem von der Klägerin zur Gerichtsakte gereichten fachärztlichen Attest vom 30.5.2010 des Dipl-Med. Stephan P. S, Facharzt für Orthopädie, bestätigt dieser im Rahmen seiner Orthopädischen Musikersprechstunde, dass die Schulter-Arm-Erkrankung der Patientin mit ihrem Beruf als Geigerin im Zusammenhang stehe und als typische berufliche Belastungs- und Überlastungsfolge anzusehen sei. In einer ebenfalls eingereichten Stellungnahme erklärt Dr. med. Egon G, Facharzt für Arbeitsmedizin und Betriebsarzt ihres Arbeitgebers, dass die von der Klägerin genutzte Übungsbehandlung der Mensendieck-Gymnastik-Methode zwar nicht im Sinne des Kassenrechts etabliert sei, die komplexen Bewegungsabläufe bei Geigern aber dadurch positiv zu beeinflussen seien.

    Die Klägerin beantragt,

    den Bescheid vom 13.5.2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10.2.2006 dahingehend zu ändern, dass die Einkommensteuer unter Berücksichtigung weiterer Werbungskosten von 1.287 EUR an Stelle der bisher in dieser Höhe berücksichtigten außergewöhnlichen Belastungen festgesetzt wird.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen,

    und bringt zur Begründung vor: Da die Klägerin bisher nicht durch amtsärztliches Attest nachgewiesen habe, dass es sich bei ihrer Erkrankung um eine typische Berufskrankheit handele, scheide eine Anerkennung als Werbungskosten aus. Die durch die individuelle Gymnastik nach Mensendieck vermittelten Kenntnisse hätten die Verbesserung des körperlichen Befindens der Klägerin zum Ziel und mögen der Berufsausübung dienlich sein, würden jedoch keine Fortbildungskosten darstellen, da diese dem Zweck dienen würden, Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten im Beruf zu erhalten, zu erweitern oder den sich ändernden beruflichen Anforderungen anzupassen, wozu insbesondere Kosten für Lehrgänge, Kurse, Repetitorien, Prüfungen, Fachbücher, Schreibmaterialien, Computer und sonstige Arbeitsmittel gehören würden. Fortbildungskosten könnten zum Beispiel beim Erlernen eines weiteren Instrumentes vorliegen.

    Ursache für den Besuch des Mensendieck-Unterrichts bzw. der Therapie seien die gesundheitlichen Beschwerden der Klägerin. Durch diese individuelle Gymnastik werde die Verbesserung ihres körperlichen Befindens erreicht. Aufwendungen zur Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit oder zur Erholung seien grundsätzlich Lebenshaltungskosten, auch soweit die Gesundheitsschädigung durch den Beruf mit verursacht worden sei. Werbungskosten könnten nur bei der Heilung oder Vorbeugung typischer Berufskrankheiten vorliegen.

    Eine Krankheit sei typische Berufskrankheit, wenn sie in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Beruf entstehe und für den Beruf typisch sei. Es genüge nicht, dass Erkrankungen häufiger vorkämen, sondern entscheidend sei, ob die Gefahr dieser Erkrankung nur oder hauptsächlich infolge des Berufes und für alle Berufsangehörigen bestehe. Dies sei im Streitfall nicht nachgewiesen. Durch Krankheit verursachte Aufwendungen könnten auch dann Werbungskosten sein, wenn es sich zwar nicht um eine typische Berufskrankheit handele, die Krankheit aber mit Sicherheit Folge der Berufsausübung sei. Hierunter würden Aufwendungen fallen, die durch einen Unfall im Bereich der Berufstätigkeit veranlasst seien. Auch dies liege im Streitfall nicht vor. Der ärztliche Befund der behandelnden Orthopädin vom 14.3.2006 und die Stellungnahme der Therapeutin vom 13.3.2006 würden nicht genügen, die berufliche Veranlassung der im Streitjahr 2002 erklärten Aufwendungen nachzuweisen. Ein Zusammenhang zwischen der beruflichen Tätigkeit der Klägerin und den gesundheitlichen Beschwerden möge vorliegen, sei jedoch nicht erwiesen. Nach allgemeiner Lebenserfahrung leide ein Großteil der Bevölkerung unter Beschwerden im Nacken- und Schulterbereich bzw. unter Rückenschmerzen, zum Beispiel Arbeitnehmer an Bildschirmarbeitsplätzen. Da weder ein amtsärztliches Attest noch ein zeitnah erstelltes ärztliches Gutachten vorgelegt worden seien, könnten Rückschlüsse auf die Verhältnisse im Jahr 2002 nicht gezogen werden.

    Während des Klageverfahrens übersandte die für Musiker zuständige Bezirksverwaltung der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft aufgrund eines Telefongesprächs mit dem Berichterstatter einen im Jahr 2009 erschienen Artikel aus der Fachzeitschrift „Arbeitsmedizin-Sozialmedizin-Umweltmedizin” (44,4,2009) über arbeitsbedingte Belastungen und Erkrankungen von Musikern. Nach der Darstellung der Verfasser Dr. med. habil. Irina Böckelmann, Privatdozentin an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Bereich Arbeitsmedizin, und B. Schneyer vom Institut für Musik dieser Universität, haben etwa 80 % aller deutschen Orchestermusiker arbeitsbedingte gesundheitliche Beschwerden und müssen 13 % vorzeitig wegen gesundheitlicher Probleme ihren Beruf aufgeben. Von den zahlreichen berufsbedingten Erkrankungen wird nur ein kleiner Teil als Berufskrankheit anerkannt. Der größere Teil der beruflich verursachten Erkrankungen zählt nicht zu den Versicherungsfällen der Gesetzlichen Unfallversicherung, sondern sind Krankheiten im Sinne der Gesetzlichen Krankenversicherung nach § 11 SGB V. Zu den arbeitsbedingten Erkrankungen des Musikers gehören Krankheiten und Funktionsstörungen, bei denen die berufliche Tätigkeit Einfluss auf die Entstehung, ihren Verlauf und ihre Prognose hat und die zum vorzeitigen Ausscheiden aus dem Erwerbsleben führen können. Bei den Geigern wird die Nacken- und Schulterregion durch das Instrument stark beansprucht. Die Liste der Berufskrankheiten ist offen. In Zukunft sollten typische Musikerbeschwerden daraufhin geprüft werden, ob sie in diese Liste aufgenommen werden können.

    In der mündlichen Verhandlung haben die Beteiligten die Höhe der Aufwendungen für die Mensendieck-Gymnastik einschließlich Fahrtkosten unstreitig gestellt.

    Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die übersandten Steuerakten, das Protokoll der mündlichen Verhandlung, die gewechselten Schriftsätze sowie auf die ärztlichen Befundberichte und Atteste, Stellungnahmen und Aufsätze Bezug genommen.



    Entscheidungsgründe
    Die Klage ist begründet. Die Klägerin kann die Kosten für die Mensendieck-Gymnastik als Werbungskosten abziehen.

    Nach ständiger Rechtsprechung sind zwar Aufwendungen, die ihrer Natur nach in erster Linie zur Behebung körperlicher Mängel dienen, der privaten Lebenssphäre zuzurechnen (§ 12 Einkommensteuergesetz), auch wenn die Behebung des Mangels zugleich im beruflichen Interesse liegt wie zum Beispiel die Beschaffung eines Hörgerätes. Aufwendungen zur Verminderung bzw. Behebung gesundheitlicher Störungen, die ihrer Art nach für eine betreffende Tätigkeit typisch sind, können aber als Werbungskosten abgezogen werden, wenn sie zur Wiederherstellung der Gesundheit beruflich veranlasst sind. Dies ist der Fall, wenn es sich um eine typische Berufskrankheit handelt oder der Zusammenhang zwischen der Erkrankung und dem Beruf eindeutig feststeht (vgl. BFH-Urteile des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 17. Juli 1992 VI R 96/88, BFH/NV 1993, 19, vom 23. Oktober 1992 VI R 31/92, BStBl 1993 II S. 193 und vom 9. Februar 1962 VI 10/61 U, BStBl 1962 III S. 235 sowie BFH-Beschluss vom 22. April 2003 VI B 275/00, BFH/NV 2003, 1052). Von der Rechtsprechung sind zum Beispiel die Behandlungskosten von Vergiftungserscheinungen eines Chemikers, der Staublunge eines Bergmanns, des Sportunfalls eines Profifußballers, der Strahlenschäden eines Röntgenarztes (vgl. Schmidt/Heinicke EStG § 4 Rz 520, Krankheitskosten), Gelbsucht eines Arztes (BFH-Urteil IV 158/56 U Bl 32 Rb), und die Aufwendungen für stimmtherapeutische Übungen einer Lehrerin (Urteil des Finanzgerichts München vom 19. Oktober 1993 12 K 3114/91, juris) als Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben anerkannt worden.

    Berufskrankheiten sind nach § 9 Abs. 1 des Siebten Sozialgesetzbuches (SGB VII) Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit – zum Beispiel wie hier als Beschäftigte – erleiden. Danach liegt im Streitfall keine Berufskrankheit vor, da das Impingement-Syndrom einer Geigerin nicht in Berufskrankheiten-Verordnung aufgeführt ist. Nach § 9 Abs. 2 SGB VII ist jedoch eine Krankheit, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist, wie eine Berufskrankheit anzuerkennen, sofern nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Absatz 1 Satz 2 erfüllt sind. Nach dieser Vorschrift hat die Bundesregierung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind.

    Nach Auffassung von Böckelmann und Schneyer in dem oben erwähnten Aufsatz sollten typische Musikerbeschwerden wie Krankheiten und Funktionsstörungen bei Geigern im Nacken- und Schulterbereich in diese Liste aufgenommen werden.

    Im vorliegenden Fall kann dahinstehen, ob die Voraussetzungen einer Berufskrankheit erfüllt sind, denn Schultergelenkkrankheiten wie ein Impingement-Syndrom sind für Geigenspieler typisch, der Zusammenhang zwischen der Erkrankung und ihrem Beruf steht eindeutig fest und die streitigen Therapieaufwendungen sind zur körperlichen Wiederherstellung beruflich veranlasst.

    Der Senat geht davon aus, dass bei der Klägerin im Streitjahr eine Erkrankung in Form eines sogenannten Impingement-Syndroms bereits vorgelegen hat und durch das Geigenspiel hervorgerufen wurde. Dies ergibt sich aus der Krankengeschichte und den ärztlichen Befunden. Der Zusammenhang zwischen der Schultererkrankung der Klägerin und ihrer beruflichen Tätigkeit wird vom Finanzamt auch nicht bestritten.

    Als Impingement-Syndrom bezeichnet man in der Orthopädie und Unfallchirurgie eine Funktionsbeeinträchtigung der Gelenkbeweglichkeit der Schulter. Der Begriff Impingement beschreibt den Prozess, bei dem die krankhaften Gelenksveränderungen durch kräftige und ruckhafte Bewegungen zustande kommen und anatomische Strukturen im Gelenk zusammenstoßen (vgl. freie Enzyklopädie Wikipedia). Nach dem klinischen Wörterbuch Pschyrembel versteht man unter Impingement-Syndrom eine Funktionsbeeinträchtigung des Schultergelenkes durch chronische Überlastung.

    Aus dem Beitrag des Dr. Danckwerth ist zu entnehmen, dass das Spielen eines Geigeninstruments mit einer extremen Belastung des Schultergelenkes einhergeht. Die linke Schulter wird durch eine Belastungssituation charakterisiert, bei der sich das Schultergelenk oftmals in einer endgradigen Außendrehstellung befindet, um bei gleichfalls extremer Auswärtsdrehung des Unterarms eine feinmotorische dynamische Funktion der linken Hand zu garantieren. Die typischen Bewegungen eines Geigenspielers führen zu einem Reibeeffekt im Schultergelenk, dem sogenannten Impingement. Die Folge dieses Impingements ist für den Musiker eine schmerzhaft eingeschränkte Bewegungsfähigkeit der Schulter.

    Auch Böckelmann und Schneyer a.a.O. diagnostizieren bei Geigern Erkrankungen und Funktionsstörungen in der Nacken- und Schulterregion.

    Der Orthopäde S hat bestätigt, dass die Schulter-Arm-Erkrankung der Klägerin mit ihrem Beruf als Geigerin in Zusammenhang steht. Dies entspricht der Stellungnahme der Therapeutin, wonach durch die angestrengte Haltung beim Geigespielen Verspannungen, Durchblutungsstörungen, Bewegungseinschränkungen und eine Blockade an der linken Seite der Halswirbelsäule hervorgerufen wurden.

    Nach dem Befundbericht der Orthopädin Dr. R ist die regelmäßige Therapie zur Behandlung des Impingement-Syndroms für die Erhaltung der Arbeitsfähigkeit als Geigerin erforderlich und der Betriebsarzt Dr. G hat erklärt, dass die Mensendieck-Methode die komplexen Bewegungsabläufe bei Geigern positiv beeinflussen würde.

    Die Ärzte haben die Mensendieck-Gymnastik allerdings nicht verordnet, weil sie von der Krankenkasse nicht bezahlt werden. Dies spricht nicht gegen die Wirksamkeit und Notwendigkeit dieser Methode, denn nachdem alle herkömmlichen vom Arzt verschriebenen und von der Krankenkasse übernommen Behandlungen erfolglos geblieben sind, hat die Mensendieck-Methode – wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung überzeugend versichert hat – bereits nach vier Übungsterminen dazu geführt, dass sie wieder schmerzfrei Geige spielen konnte.

    Die spezielle auf die Beschwerden der Klägerin abgestellte therapeutische Behandlung und gymnastischen Übungen der Mensendieck-Methode diente der Heilung und Linderung des Impingement-Syndroms und damit der schmerzfreien Ausübung des Musikerberufs und nicht bloß zur Erhaltung des allgemeinen Gesundheitszustandes.

    Die der Höhe nach unstreitigen Aufwendungen von 1.287 EUR (1.611 EUR laut Einkommensteuererklärung abzüglich 144 EUR Reduzierung Fahrtkosten abzüglich 180 EUR Dr. F.) für die Durchführung der Mensendieck-Übungen sind daher als Werbungskosten abzugsfähig.

    Im Übrigen sind sie auch unter dem Gesichtspunkt der Fortbildungskosten abzugsfähig. Denn dies sind Ausgaben, die ein Steuerpflichtiger tätigt, um in dem ausgeübten Beruf auf dem Laufenden zu bleiben und den jeweiligen Anforderungen gerecht zu werden. Danach haben die Mensendieck-Übungen auch Fortbildungscharakter, weil sie die Fähigkeiten der Klägerin bezüglich ihrer Geigenspieltätigkeit erhalten und verbessern. Das Erlernen neuer Spiel- und Haltungstechniken mit dem Ziel der schmerzfreien Ausübung des Musikerberufes dient der langfristigen Erhaltung ihrer Einnahmequellen aus der Geigenspieltätigkeit.

    Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 3 und Abs. 1 FGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10 und § 711 Satz 1 Zivilprozessordnung.

    RechtsgebieteEStG, SGB VIIVorschriftenEStG § 4 Abs. 4 EStG § 9 Abs. 1 S. 1 EStG § 12 Nr. 1 EStG § 18 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII § 9 Abs. 1