03.05.2012 · IWW-Abrufnummer 121320
Finanzgericht Hamburg: Urteil vom 29.02.2012 – 1 K 48/12
Die Nichtabziehbarkeit der Gewerbesteuer bei der Gewinnermittlung (§ 4 Abs. 5b EStG 2008) ist wohl noch verfassungsgemäß.
Finanzgericht Hamburg v. 29.02.2012
1 K 48/12
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Abziehbarkeit der Gewerbesteuer als Betriebsausgabe bei der Körperschaftsteuer sowie über die Rechtmäßigkeit eines Gewerbesteuerbescheids.
Die Klägerin betreibt in der Rechtsform der GmbH Tankstellen mit Shop und Waschstraße. Die zum Betrieb wesentlichen Betriebsgrundlagen pachtete die Klägerin von der A GmbH entgeltlich an. In ihrer Körperschaftsteuererklärung 2008 ermittelte die Klägerin ein zu versteuerndes Einkommen von ... EUR. Hierbei berücksichtigte sie als nichtabziehbare Aufwendungen u. a. Gewerbesteuer in Höhe von ... EUR. In ihrer Gewerbesteuererklärung 2008 erklärte die Klägerin bei den Hinzurechnungsbetr ägen neben Entgelten für Schulden die Aufwendungen für die Benutzung fremder beweglicher und unbeweglicher Betriebsanlagegüter. Der Beklagte erließ am ... erklärungsgemäß einen Körperschaftsteuer-, einen Gewerbesteuermessbescheid sowie einen Gewerbesteuerbescheid für 2008, wobei er die Körperschaftsteuer auf ... EUR, den Gewerbesteuermessbetrag auf ... EUR und die Gewerbesteuer auf ... EUR festsetzte. Hiergegen legte die Klägerin am ... Einsprüche ein, die der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom ... zurückwies. Am ... erhob die Klägerin Klage (Finanzgericht Hamburg, Az.: 1 K 138/10). Im Klageverfahren hat das Gericht unter dem o. g. Az. das Verfahren wegen Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer abgetrennt. Die Klägerin ist der Auffassung, die Hinzurechnung der Gewerbesteuer im Rahmen der Ermittlung der Körperschaftsteuer sei verfassungswidrig, da die Hinzurechnung sowohl gegen Art. 3 des Grundgesetzes (GG) als auch gegen Art. 14 GG verstoße. Die Aufwendungen für die Gewerbesteuer seien dem Wesen nach Betriebsausgaben, die nach dem Gebot der Folgerichtigkeit zu berücksichtigen seien. Durch das Verbot des Abzugs der Aufwendungen für die Gewerbesteuer werde ein Eingriff in das verfassungsrechtlich geschützte Eigentum durch Erhöhung der Körperschaftsteuer intensiviert. Die Eingriffe seien nicht zu rechtfertigen. Der Gesetzgeber habe mit der Neufassung des § 4 Abs. 5b des Einkommensteuergesetzes (EStG) maßgeblich die Gegenfinanzierung der Absenkung des Körperschaftsteuersatzes im Blick gehabt. Auch eine beabsichtigte Verwaltungsvereinfachung genüge als Rechtfertigungsgrund nicht. Im konkreten Fall führe die Vorschrift dazu, dass der Klägerin nicht das durch das objektive Nettoprinzip geschützte Existenzminimum verbleibe und sie keine angemessene Gegenleistung für das eingesetzte Kapital sowie für die geleistete Arbeit erhalte. Im Übrigen seien die Hinzurechnungen der Miet- und Pachtzinsen im Rahmen der Ermittlung des Gewerbesteuermessbetrags verfassungswidrig.
Die Klägerin beantragt, den Körperschaftsteuerbescheid für 2008 und den Gewerbesteuerbescheid für 2008, jeweils vom ..., in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom ... in der Weise zu ändern, dass die Körperschaftsteuer um ... EUR auf ... EUR sowie die Gewerbesteuer auf ... EUR herabgesetzt werden.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Er meint, der Gesetzgeber habe sich bei der Neuregelung innerhalb seines Gestaltungsspielraumes gehalten. So habe er die Steuermesszahl für den Gewerbeertrag auf 3,5 v. H. und den Körperschaftsteuersatz auf 15 v. H. gesenkt und dadurch die steuerliche Belastung vermindert. Die Klägerin erziele zudem eine ausreichende Eigenkapitalverzinsung. Es ergebe sich allein aus der steuerlichen Regelung keine Existenzgefährdung der Klägerin.
Dem Gericht haben ... vorgelegen.
Im Übrigen wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 29.02.2012 verwiesen.
Gründe
I. Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Körperschaftsteuer- und der Gewerbesteuerbescheid 2008 vom ... in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom ... sind rechtmäßig (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Der Körperschaftsteuerbescheid 2008 vom ... in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom ... ist rechtmäßig. Der Beklagte hat den Körperschaftsteuerbescheid unter Beachtung der gesetzlichen Vorschriften erlassen. Der Beklagte hat die Gewerbesteuer in Einklang mit § 8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) in Verbindung mit § 4 Abs. 5b EStG in der Fassung des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 vom 14.08.2007 (Bundesgesetzblatt Teil I - BGBl I - 2007, 1912) zutreffend nicht berücksichtigt. Die verfassungsrechtlichen Bedenken der Klägerin hiergegen überzeugen den Senat nicht. Zwar ist das objektive Nettoprinzip als Ausgestaltung des verfassungsrechtlich geschützten Leistungsfähigkeitsprinzips durchbrochen. Dies führt jedoch lediglich zu Zweifeln des Senates an der Verfassungsmäßigkeit der Regelung, nicht jedoch zu seiner Überzeugung von ihrer Verfassungswidrigkeit, da die Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips möglicherweise durch einen besonderen sachlichen Grund gerechtfertigt ist.
a) Aus Art. 3 Abs. 1 GG folgt für das Steuerrecht, dass die Besteuerung jedenfalls im Bereich der direkten Steuern an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen auszurichten ist. Dabei verlangt der Grundsatz der gleichen Zuteilung steuerlicher Lasten eine gesetzliche Ausgestaltung der Steuer, die den Steuergegenstand in den Blick nimmt und mit Rücksicht darauf eine gleichheitsgerechte Besteuerung des Steuerschuldners sicherstellt. Die für die Lastengleichheit im Einkommensteuerrecht maßgebliche finanzielle Leistungsfähigkeit bemisst der einfache Gesetzgeber nach dem objektiven und dem subjektiven Nettoprinzip. Diese Grundsätze gelten auch für die Körperschaftsteuer. Danach unterliegt im Bereich der Unternehmensbesteuerung grundsätzlich nur das Nettoeinkommen, nämlich der Saldo aus den Einnahmen und den Betriebsausgaben (vgl. § 4 Abs. 4 EStG) der Besteuerung. Betriebsausgaben sind grundsätzlich steuerlich abziehbar (Bundesverfassungsgericht - BVerfG -, Beschluss vom 12.10.2010, 1 BvL 12/07, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts - BVerfGE - 127, 224 [247] mit weiteren Nachweisen - m. w. N. -). Die einmal getroffene Belastungsentscheidung hat der Gesetzgeber des Weiteren folgerichtig umzusetzen (BVerfG-Beschluss vom 15.01.2008, 1 BvL 2/04, BVerfGE 120, 1 [29] m. w. N.; BVerfG-Urteil vom 09.12.2008, 2 BvL 1/07 , 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210 [231] m. w. N.). Der Gesetzgeber kann das objektive Nettoprinzip bei Vorliegen gewichtiger Gründe allerdings durchbrechen und sich dabei generalisierender, typisierender und pauschalierender Regelungen bedienen. Ausnahmen von der folgerichtigen Umsetzung der mit dem objektiven Nettoprinzip getroffenen Belastungsentscheidung bedürfen jedoch eines besonderen, sachlich rechtfertigenden Grundes (BVerfG-Beschluss vom 12.10.2010, 1 BvL 12/07, BVerfGE 127, 224 [245] m. w. N.).
b) Nach diesen Grundsätzen verletzt die Nichtberücksichtigung der Gewerbesteuer im Rahmen der steuerlichen Gewinnermittlung gemäß § 4 Abs. 5b EStG die folgerichtige Umsetzung des objektiven Nettoprinzips. Die Gewerbesteuer ist trotz des Wortlauts des § 4 Abs. 5b EStG eine Betriebsausgabe, die grundsätzlich aufgrund des objektiven Nettoprinzips abziehbar ist. Die Gewerbesteuer ist durch den Betrieb eines Gewerbes veranlasst (§ 4 Abs. 4 EStG), da die Gewerbesteuerbelastung in der Perspektive des Einkommensteuerrechts notwendige Voraussetzung für das Erzielen von Einkünften aus Gewerbebetrieb (§ 15 EStG) ist (BVerfG-Beschluss vom 21.06.2006, 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164 [184]; vgl. auch BVerfG-Beschluss vom 15.01.2008, 1 BvL 2/04, BVerfGE 120, 1 [32 ff.]). An dieser grundsätzlichen Einordnung ändert der Wortlaut des § 4 Abs. 5b EStG, wonach die Gewerbesteuer keine Betriebsausgabe ist, nichts. Der Wortlaut ist verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass § 4 Abs. 5b EStG eine Sonderregelung zu § 4 Abs. 4 EStG darstellt (Bundestags-Drucksache - BT-Drucks. - 16/4841, S. 47; s. auch BT-Drucks. 16/6739, S. 32 und 6, Gegenäußerung der Bundesregierung zum Vorschlag des Bundesrates, die Gewerbesteuer als nichtabziehbare Betriebsausgabe im Rahmen des § 4 Abs. 5 EStG zu berücksichtigen; für die grundsätzliche Einordnung der Gewerbesteuer als Betriebsausgabe, die allerdings nicht abziehbar ist, auch Tiede, in Herrmann/Heuer/Raupach, § 4 EStG, Anm. 1966 m. w. N.; Pohl, in Bordewin/Brandt, § 4 EStG Rz. 4740; Bundesministerium der Finanzen - BMF -, Schreiben vom 11.08.2008, Bundessteuerblatt Teil I - BStBl I - 2008, 838, Tz. 16; vgl. auch Oberfinanzdirektion - OFD - Koblenz vom 22.04.2009, S-2137 A - St 31 4, juris; OFD Rheinland-Pfalz, Der Betrieb - DB - 2009, 1046; nach Frotscher, EStG, § 4 Rz. 889, habe § 4 Abs. 5b EStG den Charakter einer Fiktion).
c) Die Verletzung des objektiven Nettoprinzips kann jedoch durch einen besonderen sachlichen Grund gerechtfertigt sein. Im Streitfall liegen sachgerechte Erwägungen des Gesetzgebers vor, die dazu führen, dass der Senat nicht von der Verfassungswidrigkeit des § 4 Abs. 5b EStG überzeugt ist. Als besondere sachliche Gründe für Ausnahmen von einer folgerichtigen Umsetzung und Konkretisierung steuergesetzlicher Belastungsentscheidungen hat das BVerfG in seiner bisherigen Rechtsprechung vor allem außerfiskalische Förderungs- und Lenkungszwecke sowie Typisierungs- und Vereinfachungserfordernisse anerkannt ( BVerfG-Urteil vom 09.12.2008, 2 BvL 1/07 , 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210 [231]). Bei der Erschließung von Steuerquellen können sachgerechte Erwägungen auch beispielsweise finanzpolitischer, volkswirtschaftlicher, sozialpolitischer oder steuertechnischer Natur sein (BVerfG-Beschluss vom 03.05.1995, 1 BvR 1176/88, BStBl II BStBl 1988 II S. 1995, BStBl 1988 II S. 758 m. w. N.; Osterloh, in Sachs, GG, 6. Auflage 2011, Art. 3 Rz. 135; Kannengießer, in Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, 12. Auflage 2011, Art. 3 Rz. 28, 33). Die vom Gesetzgeber zur Einführung von § 4 Abs. 5b EStG angeführte Steuerbelastungstransparenz kann nach Auffassung des Senates als steuertechnische Erwägung jedenfalls unter Berücksichtigung gleichzeitiger Kompensation ein hinreichender sachlicher Grund zur Rechtfertigung der Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips sein. Dies steht der Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des § 4 Abs. 5b EStG entgegen. Mit § 4 Abs. 5b EStG sollte die wechselseitige Beeinflussung der Bemessungsgrundlagen der Gewerbesteuer einerseits und der Einkommen- oder Körperschaftsteuer andererseits entfallen und damit die Gesamtsteuerbelastung grundsätzlich durch eine Addition der Teilkomponenten berechnet werden können (BT-Drucks. 16/4841, S. 47). § 4 Abs. 5b sollte der klareren Abgrenzung der Ertragshoheiten (Art. 106 GG) dienen. Dass ein ausreichend sachlicher Grund damit vorliegen kann, gilt auch deshalb, weil die erhöhte Belastung der gewerblichen Einkünfte infolge der Nichtabziehbarkeit der Gewerbesteuer unter Berücksichtigung der gleichzeitigen Absenkung der Gewerbesteuermesszahl von 5 v. H. auf 3,5 v. H. (§ 11 Abs. 2 GewStG) sowie der Senkung des Körperschaftsteuersatzes von 25 v. H. auf 15 v. H. (§ 23 Abs. 1 KStG) und der Erhöhung des Anrechnungsfaktors für die Einkommensteuer bei gewerblichen Einkünften von 1,8 auf 3,8 (§ 35 EStG) nicht unangemessen erscheint (vgl. auch Tiede, in Herrmann/Heuer/Raupach, § 4 EStG Anm. 1969; im Ergebnis auch Wied, in Blümich, § 4 EStG Rz. 922; Pohl, in Bordewin/Brandt, § 4 EStG Rz. 4735; Frotscher, EStG, § 4 Rz. 889; für eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung bei Körperschaften auch Seifert, in Korn, § 4 EStG Rz. 1223.6; zweifelnd Schlotter/von Freeden, in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 2007, S. 398; kritisch Meurer, in Lademann/Söffing, § 4 EStG Anm. 773c). Eine solche Gesamtbetrachtung zur Rechtfertigung der Regelung des § 4 Abs. 5b EStG ist angesichts der Gesamtkonzeption des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008, eine Verringerung der nominalen Steuerbelastung bei gleichzeitiger Stabilisierung der Einnahmen zu erreichen (BT-Drucks. 16/4841, S. 31 ff.), nach Auffassung des Senates anzustellen (vgl. zur Rechtfertigung von Kompensationen bei einer wirtschaftlichen Zusatzbelastung auch BVerfG-Beschluss vom 21.06.2006, 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164).
2. Der Gewerbesteuerbescheid 2008 vom ... in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom ... ist rechtmäßig.
Der Beklagte hat den für Hamburg geltenden Hebesatz gemäß § 16 Abs. 1 GewStG angewendet und die Gewerbesteuer entsprechend festgesetzt. Soweit die Klägerin Einwendungen gegen die Höhe des gewerblichen Gewinns erhebt, können diese nicht in einem Verfahren gegen den Gewerbesteuerbescheid geltend gemacht werden. Nach § 42 FGO i. V. m. § 351 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) können Entscheidungen in einem Grundlagenbescheid nur durch Anfechtung dieses Bescheids, nicht auch durch Anfechtung des Folgebescheids, angegriffen werden. Grundlagenbescheid ist nach § 171 Abs. 10 AO u. a. ein Steuermessbescheid, der für die Festsetzung einer Steuer bindend ist. So verhält es sich bei der Gewerbesteuer, die gemäß § 16 Abs. 1 des GewStG aufgrund des nach § 14 GewStG festgesetzten einheitlichen Gewerbesteuermessbetrags festgesetzt wird. Einwendungen gegen die Höhe des gewerblichen Gewinns können nur durch Anfechtung des Gewerbesteuermessbescheids geltend gemacht werden können, da der Gewerbeertrag (§ 7 GewStG) unselbständige Besteuerungsgrundlage für die Ermittlung des Gewerbesteuermessbetrags nach § 11 GewStG ist (Bundesfinanzhof - BFH -, Beschluss vom 09.11.2009, III B 188/08, Sammlung der Entscheidungen des BFH - BFH/NV - 2010, 667 m. w. N.).
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
Die Revision wird im Hinblick auf die Körperschaftsteuer gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 FGO zur Fortbildung des Rechts zugelassen.
Im Hinblick auf die Gewerbesteuer sind Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 FGO nicht gegeben.