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  • 14.02.2013 · IWW-Abrufnummer 130870

    Finanzgericht München: Urteil vom 27.11.2012 – 2 K 3380/10

    1. Die Anwendung der sog. Mindestbemessungsgrundlage ist nur insoweit durch Art. 27 der 6. EG-Richtlinie gedeckt, als sie der Verhütung von Steuerhinterziehung oder -umgehung dient.
    2. Es besteht keine Gefahr der Steuerhinterziehung oder -umgehung, wenn die Leistung an einen zwar nahestehenden, aber vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmer erfolgt.
    3. Eine verfrüht erhobene Untätigkeitsklage wächst durch das Ergehen der Einspruchsentscheidung nach Klageerhebung in die Zulässigkeit hinein.


    IM NAMEN DES VOLKES
    Urteil
    In der Streitsache
    hat der 2. Senat des Finanzgerichts München durch den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht …, den Richter am Finanzgericht … und die Richterin am Finanzgericht … sowie die ehrenamtlichen Richterinnen … und … auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 27. November 2012
    für Recht erkannt:
    1. Unter Änderung der Umsatzsteuerbescheide vom 22. Februar 2010 und der Einspruchsentscheidung vom 24. März 2011 wird die Umsatzsteuer für 2006 auf
    ./. 95.784,61 EUR und für 2007 auf 6.076,04 EUR festgesetzt.
    2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
    3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
    4. Die Revision wird zugelassen.
    Gründe
    I.
    Streitig ist, ob für die Ermittlung der umsatzsteuerrechtlichen Bemessungsgrundlage für die Verpachtung landwirtschaftlicher Anlagen an eine nahestehende Person die Mindestbemessungsgrundlage gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 1 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes in der in den Streitjahren gültigen Fassung (UStG) maßgeblich ist.
    Die Klägerin ist eine Grundstücksgemeinschaft mit dem Ehepaar J und A als Gemeinschafter. Im Jahr 2005 begann die Klägerin, auf einem im Eigentum der Gemeinschafter stehenden Grundstück mit der Errichtung einer Schweinezuchtanlage. Die vorsteuerbelasteten Anschaffungs- und Herstellungskosten für die Gebäude und die damit verbundenen Betriebsvorrichtungen betrugen 1.299.383,56 EUR, für sonstige Betriebsvorrichtungen 61.826,81 EUR.
    Mit Pachtvertrag vom 1. Oktober 2005 verpachtete die Klägerin diese Anlagen ab Juni 2006 an den Sohn der Gemeinschafter, M (Sohn). Als monatlicher Pachtzins wurden 6.500,– EUR zzgl. 16 % Mehrwertsteuer vereinbart. Ab dem 1. Juli 2020 sollte der Pachtzins 4.000,– EUR netto pro Monat betragen.
    Die im Zusammenhang mit den Herstellungskosten anfallenden Vorsteuerbeträge machte die Klägerin in ihren Umsatzsteuererklärungen 2005 bis 2007 geltend. Aus der Verpachtung erklärte sie steuerpflichtige Umsätze in 2006 zu 16 % in Höhe von 45.500,– EUR und in 2007 zu 19 % in Höhe von 78.000,– EUR.
    Nach einer bei der Klägerin durchgeführten Umsatzsteuer-Sonderprüfung kam der Prüfer zu dem Ergebnis, dass für die Besteuerung der Verpachtung nicht der vereinbarte Pachtzins, sondern die Mindestbemessungsgrundlage nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG anzuwenden sei. Unter Berücksichtigung der Anschaffungs- und Herstellungskosten des Stalles und der Betriebsvorrichtungen ermittelte er unter Verteilung der Kosten für das Gebäude auf zehn Jahre und für die Betriebsvorrichtungen auf fünf Jahre für die Streitjahre einen rechnerischen Pachtzins und damit eine Mindestbemessungsgrundlage in Höhe von 11.800,– EUR pro Monat.
    Der Beklagte (das Finanzamt) setzte jeweils mit Änderungsbescheiden vom 22. Februar 2010, unter Übernahme der Prüfungsfeststellungen und Erhöhung der steuerpflichtigen Umsätze um monatlich 5.300,– EUR, die Umsatzsteuer für 2006 auf einen Negativbetrag von 89.848,69 EUR und für 2007 auf 18.160,04 EUR fest. Die bei den abziehbaren Vorsteuerbeträgen vorgenommenen Kürzungen sind nicht streitig.
    Da das Finanzamt über den hiergegen eingelegten Einspruch vom 17. März 2010 Ende September 2010 noch nicht entschieden hatte, erhob die Klägerin am 2. November 2010 Untätigkeitsklage. Mit Einspruchsentscheidung vom 24. März 2011 wies das Finanzamt den Einspruch der Klägerin als unbegründet zurück.
    Mit ihrer Klage bringt die Klägerin im Wesentlichen Folgendes vor:
    Der Besteuerung sei der vereinbarte Pachtzins von monatlich 6.500,– EUR netto zu Grunde zu legen. Dieser sei marktgerecht und damit fremdüblich. Die Mindestbemessungsgrundlage komme nur zur Anwendung, wenn der vereinbarte Pachtzins nicht fremdüblich sei, aber nicht generell deshalb, weil es keinen fremdüblichen Pachtzins gebe. Wenn keine Vergleichsmieten feststellbar seien, sei das fremdübliche Entgelt nach den Grundsätzen der Kostenmiete zu ermitteln. Außerdem werde auf die von der Verwaltungsauffassung abweichende Meinung im Fachschrifttum und den Beschluss des FG Düsseldorf 1 V 2477/08 A (U) vom 26. November 2008 sowie das Urteil des EuGH vom 26. April 2012 in den Rs. C-621/10 und C-129/11 verwiesen.
    Die Klägerin beantragt, unter Änderung der Umsatzsteuerbescheide vom 22. Februar 2010 und der Einspruchsentscheidung vom 24. März 2011 die Umsatzsteuer für 2006 auf ./. 95.784,61 EUR und für 2007 auf 6.076,04 EUR festzusetzen, hilfsweise die Revision zuzulassen.
    Das Finanzamt beantragt, die Klage abzuweisen.
    Die Vorschrift des § 10 Abs. 5 UStG sei in Fällen wie dem vorliegenden, in denen ein marktübliches Entgelt nicht feststellbar sei, europarechtskonform und damit uneingeschränkt anwendbar. Die von der Klägerin errichtete Schweinezuchtanlage sei von vorneherein auf die Bedürfnisse des Nutzers zugeschnitten gewesen. Aufgrund der individuellen Herstellung der Betriebsgebäude sei ein beliebiger Wechsel des Nutzers zu einem anderen Objekt ausgeschlossen. Ein freier Markt und Wettbewerb für die Anmietung entsprechender Schweinezuchtanlagen existiere nicht. Daher sei auch kein marktübliches Entgelt feststellbar. Die Ermittlung der Mindestbemessungsgrundlage nach dem betriebswirtschaftlichen Kostenbegriff oder anhand einer Schätzung sei gesetzlich nicht vorgesehen. Die Gefahr einer Steuerhinterziehung oder -umgehung bestehe auch dann, wenn, wie vorliegend, ein Vergleich zwischen vereinbartem und marktüblichem Entgelt mangels Vorliegen einer marktüblichen Miete nicht möglich sei.
    Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akten des Finanzamts und die von den Beteiligten im Verfahren eingereichten Schriftsätze sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
    II.
    Die Klage ist zulässig und begründet.
    1. Es kann dahinstehen, ob das Finanzamt über den Einspruch der Klägerin ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes nicht in angemessener Frist entschieden hat. Denn auch eine eventuell gemäß § 46 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) unzulässige, weil verfrüht erhobene Untätigkeitsklage ist jedenfalls durch das Ergehen der Einspruchsentscheidung nach Klageerhebung in die Zulässigkeit hineingewachsen, da es sich bei den in § 46 Abs. 1 FGO angeführten Tatbestandsvoraussetzungen nicht um eine Zugangsvoraussetzung, sondern um eine Sachentscheidungsvoraussetzung handelt (vgl. BFH-Beschluss vom 7. März 2006 VI B 78/04, BStBl II 2006, 430, DStRE 2006, 695).
    2. Die Klage ist begründet.
    Das Finanzamt ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass als Bemessungsgrundlage für die streitgegenständlichen Verpachtungsumsätze nicht das Entgelt nach § 10 Abs. 1 UStG, sondern die sog. Mindestbemessungsgrundlage anzuwenden ist.
    a) Die Besteuerung der Verpachtungsumsätze der Klägerin nach der sog. Mindestbemessungsgrundlage entspricht zwar grundsätzlich der Ausnahmeregelung des § 10 Abs. 5 Nr. 1 UStG i.V.m. Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG.
    Nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 UStG unterliegen entgeltliche Leistungen, die Körperschaften, Personenvereinigungen sowie Gemeinschaften im Rahmen ihres Unternehmens an ihre Anteilseigner, Gesellschafter, Mitglieder, Teilhaber oder diesen nahestehende Personen (nahestehende Personen) ausführen, der sog. Mindestbemessungsgrundlage. Gegenüber nahestehenden Personen, wie dem Sohn der Gemeinschafter der Klägerin, erfolgt die Besteuerung dann nicht auf der Grundlage des vereinbarten Entgelts, sondern nach den Bemessungsgrundlagen des § 10 Abs. 4 UStG.
    Mit Wirkung ab 1. Juli 2004 ist § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG dahingehend geändert worden, dass bei der Verwendung eines Wirtschaftsgutes – abweichend von der bis zum 30. Juni 2004 erfolgten Anknüpfung an die ertragsteuerliche Abschreibung – nunmehr eine Verteilung der Anschaffungs- oder Herstellungskosten (von mehr als 500 EUR) auf den Zeitraum angeordnet wird, der dem für das Wirtschaftsgut maßgeblichen Berichtigungszeitraum nach § 15a UStG entspricht.
    Die Ermittlung der Bemessungsgrundlage für die Verpachtung in Höhe von 11.800,– EUR pro Monat unter Verteilung der Anschaffungs- und Herstellungskosten für das Gebäude auf zehn Jahre und für die Betriebsvorrichtungen auf fünf Jahre entspricht deshalb grundsätzlich der Regelung des § 10 Abs. 5 UStG.
    b) Bei dem mit Inkrafttreten des UStG 1980 eingeführten § 10 Abs. 5 UStG handelt es sich jedoch um eine Sonderregelung, die nur insoweit durch den zu Grunde liegenden Art. 27 der im Streitjahr 2006 gültigen Richtlinie 77/388/EWG (ab 1. Januar 2007 Art. 395 der Richtlinie 2006/112/EG – MwStSystRL –) gedeckt ist, als die Anwendung der sog. Mindestbemessungsgrundlage der Verhütung von Steuerhinterziehung oder -umgehung dient.
    aa) Gemäß Art. 27 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG (jetzt Art. 395 Abs. 1 der MwStSystRL) konnte der Rat jeden Mitgliedstaat ermächtigen, abweichende Sondermaßnahmen einzuführen, „um die Steuererhebung zu vereinfachen oder Steuerhinterziehungen oder -umgehungen zu verhüten”. Die Bundesrepublik Deutschland hat die Ermächtigung zur Einführung einer von Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG (ab 1. Januar 2007 Art. 73 MwStSystRL) abweichenden Regelung der Besteuerungsgrundlage für die zweite Alternative beantragt und im Jahr 1978 erhalten (vgl. Vorlagebeschluss des BFH vom 13. Dezember 1995 XI R 8/86, BB 1996, 995; EuGH-Urteil vom 29. Mai 1997 – Rs. C-63/96, Skripalle, Slg. 1997, I-2847, BStBl II 1997, 841; BFH-Urteil vom 19. Juni 2011 XI R 8/09, BFH/NV 2011, 2184).
    Mit der Neufassung des Art. 11 Teil A Abs. 6 der Richtlinie 77/388/EWG mit Wirkung vom 13. August 2006 (ab 1. Januar 2007 Art. 80 MwStSystRL) durch die Richtlinie 2006/69/EG vom 24. Juli 2006 (ABl. L 221, 9) sollte zwar die Möglichkeit der Mitgliedstaaten entfallen, von individuellen Ausnahmeregelungen Gebrauch zu machen, die ihnen durch bestimmte Ratsentscheidungen gemäß Art. 27 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG gewährt worden sind (vgl. Erwägungsgrund 8). Da die auf Art. 27 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG gestützte Ratsermächtigung zum Erlass der Sonderregelung in § 10 Abs. 5 UStG jedoch nicht durch Art. 2 der Richtlinie 2006/69/EG i.V.m. Anhang II aufgehoben worden ist, kann § 10 Abs. 5 UStG grundsätzlich weiterhin auf die Sondermaßnahme gestützt werden (vgl. Probst in Hartmann/Metzenmacher, UStG, Tz. 397 zu § 10; Wagner in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, Rz. 457 zu § 10).
    bb) Auf Art. 27 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG gestützte Sondermaßnahmen zur Verhütung von Steuerhinterziehungen oder -umgehungen sind aber eng auszulegen und dürfen von der in Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG (ab 1. Januar 2007 Art. 73 MwStSystRL) geregelten Besteuerungsgrundlage nur insoweit abweichen, als dies für die Erreichung des Ziels, der Gefahr der Steuerhinterziehung oder -umgehung entgegen zu wirken, unbedingt erforderlich ist (vgl. EuGH-Urteil vom 29. Mai 1997 – Rs. C-63/96, Skripalle, Slg. 1997, I-2847, BStBl II 1997, 841).
    Nach der allgemeinen Regel in Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG (jetzt Art. 73 MwStSystRL) ist die Besteuerungsgrundlage für die Lieferung eines Gegenstands oder Erbringung einer Dienstleistung die tatsächlich dafür erhaltene Gegenleistung. Diese Gegenleistung stellt den subjektiven, nämlich tatsächlich erhaltenen Wert und nicht einen nach objektiven Kriterien geschätzten Wert dar (vgl. EuGH-Urteil vom 26. April 2012 – Rs. C-621/10, Balkan and Sea Properties ADSITS, und C-129/11, Provadinvest OOD, UR 2012, 435, Rn. 43). Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG (jetzt Art. 73 MwStSystRL) ist Ausdruck eines fundamentalen Grundsatzes, aus dem folgt, dass die Steuerverwaltung als Mehrwertsteuer keinen Betrag erheben darf, der den dem Steuerpflichtigen gezahlten übersteigt. Indem Art. 11 Teil A Abs. 6 der Richtlinie 77/388/EWG (jetzt Art. 80 Abs. 1 MwStSystRL) es in bestimmten Fällen erlaubt, den Normalwert des Umsatzes (vgl. Art. 11 Teil A Abs. 7 der Richtlinie 77/388/EWG bzw. Art. 72 MwStSystRL) als Steuerbemessungsgrundlage anzusehen, begründet er eine Ausnahme von der allgemeinen Regel des Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG (jetzt Art. 73 MwStSystRL), die als solche eng auszulegen ist (vgl. EuGH in UR 2012, 435, Rn. 44, 45). Dies ist bei der Anwendung des § 10 Abs. 5 UStG im Rahmen der richtlinienkonformen Auslegung dieser Vorschrift zu berücksichtigen (vgl. BFH-Urteile vom 8. Oktober 1997 XI R 8/86, BStBl II 1997, 840, und vom 7. Oktober 2010 V R 4/10, BFH/NV 2011, 930).
    cc) Von der allgemeinen Regelung der Besteuerungsgrundlage in Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG (jetzt Art. 73 MwStSystRL) darf deshalb nicht abgewichen werden, wenn keine Gefahr der Steuerhinterziehung oder -umgehung besteht.
    Dies ist etwa dann der Fall, wenn sich aus den objektiven Umständen ergibt, dass der Steuerpflichtige mit einer nahestehenden Person für die erbrachte Leistung ein marktübliches Entgelt vereinbart hat. Die deutsche Sonderregelung in § 10 Abs. 5 UStG ist deshalb nicht durch Art. 27 der Richtlinie 77/388/EWG gestützt, wenn das vereinbarte Entgelt zwar marktüblich, aber niedriger als die Mindestbemessungsgrundlage ist (vgl. EuGH-Urteil vom 29. Mai 1997 Rs. C-63/96, Skripalle, Slg. 1997, I-2847, BStBl II 1997, 841). Die Besteuerung nach Maßgabe einer Mindestbemessungsgrundlage ist in diesem Fall nicht zur Verhütung von Steuerhinterziehungen oder -umgehungen erforderlich.
    Ebenso besteht auch dann keine Gefahr der Steuerhinterziehung oder -umgehung, wenn die Leistung, wie vorliegend, an einen zwar nahestehenden, aber vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmer erfolgt.
    Der BFH hat mit Urteil vom 24. Januar 2008 V R 39/06 (BStBl. II 2009, 786) zu einem im Jahr 1995 streitigen Fall allerdings entschieden, dass die Gefahr von Steuerhinterziehungen und -umgehungen grundsätzlich bei Rechtsgeschäften zwischen nahestehenden Personen bestehe, und zwar nicht nur bei Leistungen an Personen, die nicht oder nur eingeschränkt zum Vorsteuerabzug berechtigt sind, sondern auch bei Leistungen an Personen, die den Vorsteuerabzug nach § 15 UStG 1993 vollumfänglich in Anspruch nehmen können. Die Gefahr einer Steuerhinterziehung oder -umgehung ergebe sich dann aus einer nach Art. 20 der Richtlinie 77/388/EWG und § 15a UStG 1993 ggf. vorzunehmenden Berichtigung des Vorsteuerabzugs bei einer späteren Änderung der für den Vorsteuerabzug maßgeblichen Verhältnisse.
    Die Berichtigung nach § 15a UStG 1993, so der BFH, beziehe sich auf den Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers und erfolge somit auf der Grundlage des Entgelts für die an diesen erbrachte Leistung. Wäre § 10 Abs. 5 Nr. 1 UStG 1993 aufgrund der Berechtigung des Leistungsempfängers zum Vorsteuerabzug nach § 15 UStG 1993 nicht anwendbar, würden Berichtigungen nach § 15a UStG 1993 auf der Grundlage eines Vorsteuerbetrages vorgenommen, der auf einem verbilligten Entgelt beruht. Hieraus ergebe sich die Gefahr von Steuerumgehungen.
    Die Finanzverwaltung hat sich dem angeschlossen und festgelegt, dass es der Anwendung der Mindestbemessungsgrundlage nicht entgegenstehe, wenn über eine ordnungsgemäß durchgeführte Lieferung an einen vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmer abgerechnet wird (Abschn. 10.7. Abs. 6 UStAE).
    Es ist fraglich, ob das vom BFH noch unter Anwendung des UStG 1993 ergangene Urteil auf den Streitfall, für den das UStG in der Fassung der Streitjahre 2006 und 2007 gilt, angewendet werden kann. Denn nach § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 3 UStG 1993 war der Umsatz bei sonstigen Leistungen, die Gemeinschaften im Rahmen ihres Unternehmens an ihre Anteilseigner oder diesen nahestehende Personen ausführten, nach den bei der Ausführung dieser Umsätze entstandenen Kosten zu bemessen. Nach der Rechtsprechung zur Auslegung des Begriffs der „Kosten” i.S. des § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG 1993 (vgl. BFH-Urteil vom 19. April 2007 V R 56/04, BStBl II 2007, 676, mit weiteren Nachweisen) war grundsätzlich von den bei der Einkommensteuer zugrunde gelegten Kosten auszugehen, d.h. bezüglich der Herstellungskosten von einer jährlichen Abschreibung nach § 7 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 2 v.H. Bei Anwendung dieses Kostenbegriffs auf den Streitfall hätte die Mindestbemessungsgrundlage, bei Anschaffungs- und Herstellungskosten für die Schweinezuchtanlage (Gebäude und Betriebsvorrichtungen) von insgesamt 1.361.210,37 EUR netto (§ 10 Abs. 4 Satz 2 UStG), nur 2.268,68 EUR pro Monat betragen.
    Dies kann letztlich dahinstehen; denn der EuGH hat jedenfalls mit Urteil vom 26. April 2012 – Rs. C-621/10, Balkan and Sea Properties ADSITS, und C-129/11, Provadinvest OOD, Rn. 52, (UR 2012, 435) entschieden, dass Art. 80 MwStSystRL (bis 2006 Art. 11 Teil A Abs. 6 der Richtlinie 77/388/EWG) dahin auszulegen sei, dass die darin aufgestellten Anwendungsvoraussetzungen erschöpfend seien und dass nationale Rechtsvorschriften somit nicht auf der Grundlage von Art. 80 Abs. 1 MwStSystRL vorsehen können, dass die Steuerbemessungsgrundlage in anderen als den in dieser Bestimmung aufgezählten Fällen ein – vom Entgelt abweichender höherer – sog. Normalwert des Umsatzes sei, insbesondere wenn der Steuerpflichtige zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt sei.
    Wenn die Lieferung von Gegenständen oder die Erbringung von Dienstleistungen zu einem künstlich niedrigen oder hohen Preis erfolge, der zwischen Beteiligten vereinbart wird, die beide zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt sind, könne, so der EuGH, auf dieser Stufe keine Steuerhinterziehung oder -umgehung stattfinden. Erst beim Endverbraucher oder bei einem eine „Mischung” von Umsätzen bewirkenden Steuerpflichtigen, der nur zu einem Pro-rata-Abzug berechtigt ist, könne ein künstlich hoher oder niedriger Preis zu einem Steuerausfall führen. Nur wenn die von dem Vorgang betroffene Person nicht zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt sei, bestehe daher ein Risiko von Steuerhinterziehung oder -umgehung, dem die Mitgliedstaaten nach Art. 80 Abs. 1 MwStSystRL vorbeugen dürfen (EuGH in UR 2012, 435, Rn. 47, 48).
    § 10 Abs. 5 UStG ist danach – möglicherweise entgegen der BFH-Rechtsprechung – bei richtlinienkonformer Auslegung nicht anwendbar, wenn, wie vorliegend, Leistungsbeziehungen zwischen voll zum Vorsteuerabzug berechtigten Unternehmen betroffen sind (vgl. Beck OK Weymüller/Feil, UStG § 10 Rn. 53.3).
    dd) Die Sonderregelung in § 10 Abs. 5 UStG ist zwar nicht auf der Grundlage von Art. 80 Abs. 1 MwStSystRL erlassen worden, sondern noch auf der Grundlage der Ratsermächtigung nach Art. 27 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG (s.o.).
    Aber auch Art. 27 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG setzt voraus, dass eine Sondermaßnahme – wie § 10 Abs. 5 UStG – nur zur Verhinderung von Steuerhinterziehung und -umgehung eingeführt werden darf. Dementsprechend hatte die Bundesrepublik Deutschland einen auf die Verhütung von Steuerhinterziehung und -umgehung gestützten Ermächtigungsantrag gestellt, der auch bewilligt worden ist (s.o. Pkt. 2. b) aa) und Propst in Hartmann/Metzenmacher, UStG, Tz. 394 zu § 10).
    Deshalb ist die Sonderregelung in § 10 Abs. 5 UStG unionsrechtskonform nur insoweit anzuwenden als sie der Verhütung von Steuerhinterziehung oder -umgehung dient. Die Ausnahmeregelung des § 10 Abs. 5 UStG ist danach nicht durch die Ratsermächtigung gemäß Art. 27 der Richtlinie 77/388/EWG gedeckt, soweit der fragliche Umsatz zwischen vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmen stattfindet, weil auf dieser Stufe keine Steuerhinterziehung oder -umgehung stattfinden kann (vgl. EuGH in UR 2012, 435, Rn. 47).
    Dies entspricht auch Art. 80 Abs. 1 MwStSystRL, auf dem zwar die Vorschrift des § 10 Abs. 5 UStG nicht beruht, der aber allgemeine Grundsätze beinhaltet, die bei der richtlinienkonformen Auslegung der Sonderregelung in § 10 Abs. 5 UStG zu beachten sind (vgl. Wagner, UVR 2012, 216; Slapio, UR 2012, 429).
    Dementsprechend hat der Vertreter des Finanzamts in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass die Finanzverwaltung im Streitfall auch gar nicht die Gefahr einer Steuerumgehung oder einer Steuerhinterziehung sehe.
    § 10 Abs. 5 UStG ist deshalb nicht auf den Streitfall anwendbar. Dies hat zur Folge, dass der von der Klägerin mit dem Sohn der Gemeinschafter vereinbarte und tatsächlich gezahlte Pachtzins in Höhe von 6.500,– EUR netto pro Monat als Entgelt der Umsatzbesteuerung zugrunde zu legen ist (§ 10 Abs. 1 UStG).
    Es kommt deshalb nicht mehr auf die Fragen an, ob sich die Klägerin unmittelbar auf Art. 80 Abs. 1 MwStSystRL berufen könnte oder ob im Streitfall ein marktübliches Entgelt ermittelbar ist bzw. gezahlt worden ist.
    3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
    4. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und über den Vollstreckungsschutz folgt aus § 151 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.
    5. Die Zulassung der Revision beruht auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO.

    VorschriftenUStG § 10 Abs. 1, UStG § 10 Abs. 4 S. 1 Nr. 2, UStG § 10 Abs. 5 Nr. 1, EGRL 112/2006 Art. 395 Abs. 1, FGO § 44 Abs. 1, FGO § 46 Abs. 1