11.10.2013
Finanzgericht Sachsen: Urteil vom 14.08.2013 – 2 K 946/13
1. Bei der Ermittlung der „Einkünfte und Bezüge” der unterhaltenen Person, die nach § 33a Abs. 1 S. 5 EStG 2012 den für den
unterhaltsleistenden Steuerpflichtigen nach § 33a Abs. 1 S. 1 und 2 EStG 2012 möglichen Abzug der Unterhaltsleistungen als
außergewöhnliche Belastung mindern, sind auch nach Streichung des Verweises in § 33a Abs. 1 S. 4 EStG in der bis zum 31.12.2009
geltenden Fassung auf § 32 Abs. 4 S. 2 EStG a. F. weiter die Beiträge zur gesetzlichen Renten- und Arbeitslosenversicherung
der unterhaltenen Person mindernd abzuziehen.
2. Der durch die Renten- und Arbeitslosenversicherungsbeiträge der unterhaltenen Person notwendige Mehrbedarf ist nicht in
dem Höchstbetrag des § 33a Abs. 1 S. 1 EStG 2012 in Höhe von EUR 8.004 enthalten. Im Sinne einer verfassungskonformen Auslegung
aufgrund des Leistungsfähigkeitsprinzips ist daher der Begriff „Einkünfte” in § 33a Abs. 1 S. 5 EStG 2012 nicht mit dem in
§ 2 EStG gleichzusetzen, sondern die Einkünfte i. S. d. § 33a Abs. 1 S. 5 EStG 2012 sind um die Sozialversicherungsbeiträge
des Arbeitnehmers zu kürzen.
3. Soweit Aufwendungen für Krankengeldansprüche der unterhaltenen Person, d. h. in Höhe von 4 % der Krankenversicherungsbeiträge,
entstanden sind, gelten die oben genannten Grundsätze nicht, da es sich insoweit nicht um eine Basisversorgung handelt.
Im Namen des Volkes
URTEIL
In dem Finanzrechtsstreit
hat der 2. Senat durch …, …, und den ehrenamtlichen Richtern und ohne mündliche Verhandlung in der Sitzung vom 14. August
2013 für Recht erkannt:
1. Der Einkommensteuerbescheid für 2012 vom 11. April 2013 in Gestalt der Teil-Einspruchsentscheidung vom 10. Juni 2013 wird
dahingehend abgeändert, dass zusätzliche Unterhaltsleistungen in Höhe von EUR 781,35 als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt
werden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist für den Kläger hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung gegen
Sicherheitsleistung in Höhe des sich aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ergebenden Betrages abwenden, wenn nicht zuvor der
Kläger Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, wie als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigende Unterhaltsleistungen zu ermitteln sind.
Im Haushalt des ledigen Klägers lebte seine Lebensgefährtin, die 2012 lt. Lohnsteuerkarte Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit
in Höhe von EUR 9.106,36 abzüglich Arbeitnehmerbeiträgen zur Arbeitslosenversicherung in Höhe von EUR 129,34, Rentenversicherung
in Höhe von EUR 845,53, Krankenversicherung in Höhe von EUR 709,65 – einschließlich Anspruch auf Krankengeld – und Pflegeversicherung
in Höhe von EUR 129,58 erzielte. Sie hatte ein geringeres Vermögen als EUR 15.500 und ihr wurden wegen des Einkommens der
Bedarfsgemeinschaft öffentliche Mittel nicht gewährt. In seiner Einkommensteuererklärung für 2012 machte der Kläger als außergewöhnliche
Belastungen gezahlte Unterhaltsaufwendungen in Höhe von EUR 8.004 nebst den Zahlungen für die Basiskrankenversicherung und
die Beiträge zur gesetzlichen Pflegeversicherung abzüglich der Einkünfte der Lebensgefährtin sowie der Beiträge zur Arbeitslosen-
und Rentenversicherung und 4% der Krankenversicherungsbeiträge geltend. Bei Festsetzung der Einkommensteuer für 2012 am 11.
April 2013 berücksichtigte der Beklagte Unterhaltsaufwendungen als außergewöhnliche Belastungen in Höhe von EUR 1.526. Dagegen
legte der Kläger hinsichtlich eines hier nicht streitigen Punktes Einspruch ein. Mit Teil-Einspruchsentscheidung vom 10. Juni
2013 entschied der Beklagte über den Teil, hinsichtlich dessen Einspruch eingelegt worden war, nicht und wies den Einspruch
im Übrigen zurück.
Der Kläger bringt vor, die anzurechnenden eigenen Einkünfte und Bezüge der Lebensgefährtin seien um die Beiträge zu den Wahlleistungen
zur Krankenversicherung sowie die Renten- und Arbeitslosenversicherungsbeiträge zu mindern, da diese ansonsten weder bei ihm
noch bei seiner Lebensgefährtin, die keine Erklärung zur Einkommensteuer abgegeben habe, berücksichtigt würden. Eine unzulässige
Doppelberücksichtigung liege nicht vor, da es sich bei den Aufwendungen, die den Höchstbetrag erhöhten, um andere Vorsorgebeiträge
handele.
Der Kläger beantragt,
den Einkommensteuerbescheid für 2012 vom 11. April 2013 in Gestalt der Teil-Einspruchsentscheidung vom 10. Juni 2013 dahingehend
abzuändern, dass zusätzliche Unterhaltsleistungen in Höhe von EUR 812 als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt werden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte bringt vor, die Beiträge zur Arbeitslosen-, Renten- und 4% der Krankenversicherung können nicht berücksichtigt
werden, da ab dem Veranlagungszeitraum 2010 der Verweis auf § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG entfallen sei, so dass die unvermeidbaren
Versicherungsbeiträge der unterstützten Person im Rahmen der Ermittlung der eigenen Einkünfte nicht mehr zu berücksichtigen
seien.
Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die vorbereitenden Schriftsätze und die zu Gericht gereichten
Behördenakten Bezug genommen. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.
I.
Die außergewöhnlichen Belastungen sind um Unterhaltsaufwendungen in Höhe von EUR 781,35 zu erhöhen.
Erwachsen einem Steuerpflichtigen Aufwendungen für den Unterhalt gegenüber einer Person, bei der – wie hier – zum Unterhalt
bestimmte öffentliche Mittel mit Rücksicht auf die Unterhaltsleistungen des Steuerpflichtigen gekürzt werden, so wird auf
Antrag die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, dass die Aufwendungen bis zu EUR 8.004 im Kalenderjahr von dem Gesamtbetrag der
Einkünfte abgezogen werden (§ 33a Abs. 1 Satz 1, 3 EStG). Der Höchstbetrag erhöht sich um den Betrag der im jeweiligen Veranlagungszeitraum
nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG für die Absicherung der unterhaltsberechtigten Person aufgewandten Beträge; dies gilt nicht für
die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge, die bereits nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 EStG anzusetzen sind.
Der Kläger hat Unterhaltsleistungen in Höhe des Höchstbetrages von EUR 8.004 geleistet. Hinzu kommen Beiträge zur privaten
Krankenversicherung in Höhe von EUR 681,26 und zur Pflegeversicherung in Höhe von EUR 129,58. Der Anteil der Krankenversicherungsbeiträge,
der auf das Krankengeld entfällt, ist gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 4 EStG in Höhe von 4% der Beiträge, somit EUR 28,39, anzurechnen
und kann insoweit bei Ermittlung des Erhöhungsbetrages nicht berücksichtigt werden. Es sind daher Unterhaltsaufwendungen in
Höhe von EUR 8.814,84 anzusetzen.
Diese Unterhaltsaufwendungen sind um Einkünfte in Höhe von EUR 6.507,49 zu kürzen, so dass sich als außergewöhnliche Belastungen
zu berücksichtigende Unterhaltsleistungen in Höhe von EUR 2.307,35 ergeben und der vom Beklagten ermittelte Betrag um EUR
781,35 zu erhöhen ist.
Hat die unterhaltene Person andere Einkünfte und Bezüge, so vermindert sich die Summe der genannten Unterhaltsaufwendungen
des Steuerpflichtigen um den Betrag, um den diese Einkünfte und Bezüge den Betrag von EUR 624 im Kalenderjahr übersteigen
(§ 33a Abs. 1 Satz 5 1. Halbsatz EStG). Nach der Definition in § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG ermitteln sich die Einkünfte aus
nichtselbständiger Tätigkeit aus dem Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten. Die unterhaltene Person hat im Streitjahr
Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit in Höhe von EUR 9.106,36 erzielt. Abzüglich des Werbungskostenpauschbetrages (§
9a Satz 1 Nr. 1 a) EStG) in Höhe von EUR 1.000 und abzüglich der Freigrenze in Höhe von EUR 624 ergibt dies einen anzurechnenden
Betrag in Höhe von EUR 7.482,36.
Von diesem Betrag sind Aufwendungen der unterhaltenen Person für Rentenversicherung in Höhe von EUR 845,53 und Arbeitslosenversicherungsbeiträge
in Höhe von EUR 129,34 abzuziehen, so dass sich ein anzurechnender Betrag in Höhe von EUR 6.507,49 ergibt. Der Anteil der
Krankenversicherungsbeiträge, der auf das Krankengeld entfällt, d.h. 4% der Beiträge (§ 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 4 EStG), somit
EUR 28,39, ist allerdings nicht zu berücksichtigen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes waren bei der Ermittlung der Einkünfte des Kindes nach § 32 Abs. 4
Satz 2 EStG in der bis zum 31. Dezember 2011 geltenden Fassung die Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung abzusetzen
(Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 11. Januar 2005 2 BvR 167/02, BVerfGE 112, 164). Eine verfassungskonforme Auslegung
dieser Vorschrift gebietet es, diejenigen Beiträge, wie die zur gesetzlichen Sozialversicherung, über die weder das Kind noch
die Eltern verfügen und daher keine Entlastung der Eltern bewirken können, nicht in die Bemessungsgröße des § 32 Abs. 4 Satz
2 EStG in der bis zum 31. Dezember 2011 geltenden Fassung einzubeziehen. § 33a Abs. 1 Satz 4 EStG in der bis zum 31. Dezember
2009 geltenden Fassung enthielt bei Ermittlung der Einkünfte eine Verweisung auf § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG, so dass aufgrund
der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes bei Ermittlung der Einkünfte die gesetzlichen Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung,
einschließlich der hier streitigen Renten- und Arbeitslosenversicherungsbeiträge, einzubeziehen waren. Mit Gesetz zur verbesserten
steuerlichen Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen vom 16. Juli 2009 (BGBl. 2009, 1959) ist dieser Verweis auf § 32 Abs.
4 Satz 2 EStG a.F. entfallen. Nach der Begründung des Gesetzgebers sollte der Verweis entfallen, da die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge,
die der Mindestversorgung des Unterhaltsberechtigten dienen, bereits in § 33a Abs. 1 Satz 2 EStG bei Ermittlung des Erhöhungsbetrages
berücksichtigt sind und daher zur Vermeidung einer Doppelberücksichtigung nicht zusätzlich die Einkünfte und Bezüge des Unterhaltsberechtigten
mindern dürfen (BT-Drs 16/12254, Seite 26, zu Nummer 7, zu Buchstabe b Satz 5). Dass mit der Streichung des Verweises auf
§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG auch die Beiträge zur gesetzlichen Renten- und Arbeitslosenversicherung der unterhaltenen Person nicht
mehr berücksichtigt werden sollen, wird in der Begründung nicht ausgeführt.
Sie sind weiterhin von den Einkünften der unterhaltenen Person abzuziehen. Denn zum einen ist nicht ersichtlich, dass der
Gesetzgeber insoweit von der bisherigen Rechtslage abweichen wollte. Der Hinweis auf die Doppelberücksichtigung in der Gesetzesbegründung
gilt nicht für die Arbeitslosen- und Rentenversicherungsbeiträge, da diese bei den gezahlten Unterhaltsleistungen als Erhöhungsbetrag
nicht berücksichtigt werden. Zum anderen ist entsprechend der genannten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zu beachten,
dass sich die unterhaltene Person der Zahlung der Renten- und Arbeitslosenversicherungsbeiträge nicht entziehen kann und ihr
unabhängig von dem eigenen Willen diese Beträge zum Bestreiten des eigenen Unterhalts nicht mehr zur Verfügung stehen und
sie insoweit auf den Unterhalt des Steuerpflichtigen angewiesen ist.
Dieser durch die Renten- und Arbeitslosenversicherungsbeiträge notwendige Mehrbedarf ist auch nicht in dem Höchstbetrag in
Höhe von EUR 8.004 enthalten. Dieser Höchstbetrag orientierte sich an der Anhebung der Einkünfte- und Bezügegrenze in § 32
Abs. 4 Satz 2 EStG a.F. (BT-Drs 16/134329, Seite 69, zu Nummer 9, zu Buchstabe a), welcher jedoch entsprechend den Ausführungen
des Bundesverfassungsgerichtes die gesetzlichen Vorsorgeaufwendungen nicht abdeckte. Zudem würden, wenn die Renten- und Arbeitslosenversicherungsbeiträge
nicht einbezogen würden, nicht einmal Unterhaltsleistungen in Höhe des Existenzminimums abgedeckt. Das Existenzminimum eines
Erwachsenen betrug 2010 EUR 7.656 (BT-Drs 16/134329, Seite 69, zu Nummer 8, zu Buchstabe b). Die unterhaltene Person hatte
vorliegend Einkünfte in Höhe von EUR 8.106,36. Tatsächlich verblieben ihr aufgrund der Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung
– die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung sind bereits berücksichtigt – aber nur EUR 7.131,49. Im Verhältnis zum
Existenzminimum entsteht daher eine Unterdeckung in Höhe von EUR 524,51. Dass insoweit der Ausgleich durch den Unterhalt des
Steuerpflichtigen nicht bei Ermittlung der Einkommensteuer berücksichtigt werden sollte, ist nicht ersichtlich. Der Freibetrag
in Höhe von EUR 624 kann nicht zum Ausgleich dieser Unterdeckung herangezogen werden, da er je nach der Höhe der Renten- und
Arbeitslosenversicherungsbeiträge die Aufwendungen nicht abdeckt.
Im Sinne einer verfassungskonformen Auslegung aufgrund des Leistungsfähigkeitsprinzips ist daher der Begriff „Einkünfte” nicht
mit dem in § 2 EStG gleichzusetzen, sondern die Einkünfte im Sinne des § 2 EStG sind um die Sozialversicherungsbeiträge des
Arbeitnehmers zu kürzen.
Soweit Aufwendungen für Krankengeldansprüche, d.h. in Höhe von EUR 4% der Krankenversicherungsbeiträge, entstanden sind, gelten
die oben genannten Grundsätze nicht, da es sich insoweit nicht um eine Basisversorgung handelt (Schmidt, EStG-Kommentar, 32.
Auflage, § 10, Rz. 95) und der Gesetzgeber diese Kosten ausdrücklich von den als Unterhaltsaufwendungen anzusetzenden außergewöhnlichen
Belastungen aufgrund des Verweises in § 33a Abs. 1 Satz 2 EStG auf § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG ausgenommen hat.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 151
Abs. 3, 155 FGO, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.