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  • · Nachricht · § 81 FGO

    Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme

    | Das FG muss alles unternehmen, um bisher ungenannt gebliebene Geschäftspartner und „erdrückende“ Beweismittel selbst zu ermitteln und in das Verfahren einzuführen. Es darf sich insoweit nicht auf die Ermittlungsarbeit der Finanzbehörden verlassen. Erst wenn eigene Ermittlungen unmöglich sind, darf das FG auf die unmittelbaren Erkenntnisquellen verzichten. |

     

    Sachverhalt

    Der Steuerpflichtige erzielte aus einem Abbruchunternehmen Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Er führte die Arbeiten nicht selbst oder mit eigenen Arbeitnehmern aus, sondern beauftragte Subunternehmer.

     

    Für das Streitjahr lagen dem Steuerpflichtigen Rechnungen einer GmbH vor. Diese Rechnungen machten 1/3 der insgesamt bezogenen Subunternehmerleistungen aus. Unstreitig sind die von der GmbH in Rechnung gestellten Leistungen tatsächlich erbracht und - überwiegend durch Banküberweisungen, teils durch Barschecks - auch bezahlt worden. Mit Ausnahme der Rechnungen existieren keine schriftlichen Unterlagen über die Vertragsbeziehungen zwischen dem Steuerpflichtigen und der GmbH (z. B. Verträge, Leistungsbeschreibungen, Stundenzettel, Abnahmeprotokolle).

     

    In einem Vermerk der Steuerfahndung wird ausgeführt, es lägen Indizien dafür vor, dass es sich bei der GmbH um eine sog. „Servicegesellschaft“ gehandelt habe, die ohne eigenen Geschäftsbetrieb Scheinrechnungen ausgestellt habe. Diese Scheinrechnungen hätten bei den Empfängern dazu gedient, Schwarzarbeit buchhalterisch abzudecken.

     

    Im Rahmen einer Außenprüfung forderte der Prüfer den Steuerpflichtigen gemäß § 160 AO auf, die wirtschaftlichen Empfänger der Rechnungsbeträge zu benennen. Der Steuerpflichtige erklärte, er habe die Zahlungen an die GmbH geleistet. Deren Subunternehmer seien ihm nicht namentlich bekannt und müssten ihm auch nicht bekannt sein.

     

    Mit dem angefochtenen geänderten Einkommensteuerbescheid versagte das FA den Betriebsausgabenabzug und erhöhte den Gewinn entsprechend.

     

    Entscheidung

    Einspruch und Klage vor dem FG blieben ohne Erfolg. Das FG führte aus, der Steuerpflichtige habe nicht nachgewiesen, dass die Voraussetzungen für einen Betriebsausgabenabzug erfüllt seien. Es bestünden erhebliche Zweifel daran, dass die ausgewiesenen Leistungen von der GmbH erbracht worden seien. Selbst wenn es sich aber um Betriebsausgaben handeln sollte, habe das FA deren Abzug auf der Grundlage des § 160 AO zu Recht versagt. Die GmbH sei mangels eigener wirtschaftlicher Betätigung nicht Zahlungsempfänger gewesen. Die dahinter stehenden Personen bzw. Subunternehmer habe der Steuerpflichtige nicht benannt. Das Benennungsverlangen sei zumutbar gewesen; insbesondere sei der branchenerfahrene Steuerpflichtige nicht Opfer einer für ihn nicht durchschaubaren Täuschung gewesen.

     

    Dabei hat das FG seine Würdigung so gut wie ausschließlich auf den umfangreichen Vermerk der Steuerfahndung gestützt, der dem Steuerpflichtigen erst am Nachmittag des Tages vor der mündlichen Verhandlung übermittelt worden war. Der Steuerpflichtige begehrte die Zulassung der Revision, u. a. wegen Verfahrensmängeln.

     

    Entscheidung

    Die Beschwerde ist nach Auffassung des BFH begründet. Es liegt ein Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung des FG beruhen kann. Das FG hat den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme verletzt.

     

    Danach hat das Gericht den Beweis in der mündlichen Verhandlung zu erheben. Dies bedeutet neben dem (formellen) Erfordernis eigener Anschauung durch die Richter, dass diese die für die Entscheidung notwendigen Tatsachen im weitest möglichen Umfang aus der Quelle selbst schöpfen müssen, d. h., bei mehreren in Betracht kommenden Beweismitteln die Beweisaufnahme mit demjenigen durchzuführen haben, das ihnen den „unmittelbarsten“ Eindruck von dem streitigen Sachverhalt vermittelt.

     

    Das bloß mittelbare Beweismittel darf deshalb grundsätzlich zulässigerweise nur verwendet werden, wenn die Erhebung des unmittelbaren Beweises unmöglich, unzulässig oder unzumutbar erscheint.

     

    Zwar dürfen in Behördenakten protokollierte Auskünfte und Wahrnehmungen grundsätzlich im Wege des Urkundenbeweises in den Prozess eingeführt werden. Die Verwertung von Aussagen Dritter in anderen Verfahren im Wege des Urkundenbeweises ist aber dann nicht zulässig, wenn sich dem Gericht eine eigene Vernehmung dieser Personen als Zeugen aufdrängen muss. Vorliegend hat das FG seine Würdigung so gut wie ausschließlich auf den umfangreichen Vermerk der Steuerfahndung gestützt, der dem Steuerpflichtigen am Nachmittag des Tages vor der mündlichen Verhandlung übermittelt worden war.

     

    Die in diesem Vermerk enthaltenen Tatsachenangaben hätte das FG seiner Entscheidung nicht ohne unmittelbaren Eindruck von dem streitigen Sachverhalt zugrunde legen dürfen. Das FG hätte vielmehr versuchen müssen, die Tatsachen aus der Quelle selbst zu schöpfen, bevor es sich mit einer - zudem in wesentlicher Hinsicht geschwärzten - Zusammenfassung durch die Steuerfahndung begnügt. In dieser Konstellation hätte das FG es unternehmen müssen, die bisher ungenannt gebliebenen Geschäftspartner der GmbH bzw. die in einem anderen Fall vorhandenen „erdrückenden“ Beweismittel zu ermitteln und in das vorliegende Verfahren einzuführen.

     

    Erst wenn dies unmöglich gewesen wäre, hätte das FG auf die unmittelbaren Erkenntnisquellen verzichten dürfen, andernfalls seine Überzeugung aus diesen herleiten müssen.

     

    PRAXISHINWEIS | Eigene Ermittlungen erfordern eigene Arbeit. Und auf die verzichten auch Richter - allzu menschlich - gelegentlich gerne! Das Überprüfen von FG-Entscheidungen auf derartige Verfahrensfehler gewinnt daher in der Praxis eine immer größere Bedeutung (vgl. auch Ausführungen zu BFH 2.11.16, V B 72/16, in dieser Ausgabe).

     

    Fundstelle

    Quelle: ID 44508790