· Der EU-Datenkrake
Rat der EU nimmt das Paket „Mehrwertsteuer im digitalen Zeitalter“ an

Der Rat der Europäischen Union hat am 11.3.2025 grünes Licht für eine Reihe von Rechtsakten gegeben, mit denen die Vorschriften der EU über die Mehrwertsteuer an das digitale Zeitalter angepasst werden sollen. International wird das Projekt unter dem Begriff „VAT in the digital age ‒ ViDA“ diskutiert. |
Nur zu gerne betont die EU, dass mit ViDA der Digitalisierung der Volkswirtschaften Rechnung getragen, die Wettbewerbsfähigkeit gestärkt und der Verwaltungsaufwand für Unternehmen verringert werden sollen. Primäres Ziel ist aber eindeutig die Betrugsbekämpfung. Und dazu sollen die Unternehmen möglichst gläsern werden. Unter diesem Blickwinkel ist im Übrigen auch die zum 1.1.2025 in Deutschland eingeführte obligatorische E-Rechnung zu sehen.
MERKE | Auf das Wesentliche reduziert und umgangssprachlich heißt das: Die EU-Staaten wollen an Ihre Daten! |
Überblick
Das am 11.3.2025 angenommene Paket umfasst eine Richtlinie, eine Verordnung und eine Durchführungsverordnung und führt zu Änderungen in Bezug auf drei verschiedene Aspekte des MwSt-Steuersystems. Diese Änderungen bewirken Folgendes:
- 1. Vollständige Digitalisierung der MwSt-Meldepflichten für Unternehmen, die Waren und Dienstleistungen an Unternehmen in einem anderen EU-Mitgliedstaat verkaufen.
- 2. Verpflichtung von Online-Plattformen zur Zahlung von MwSt für
- B2B-Lieferungen im Versandhandel (bisher nur B2C-Lieferungen, vgl. in Deutschland § 3 Abs. 3a UStG) und
- Kurzzeitvermietungen von Unterkünften und für Personenbeförderungen in den meisten Fällen, in denen einzelne Dienstleistungserbringer keine MwSt erheben.
- 3. Verbesserung und Ausweitung der einzigen Anlaufstellen für die MwSt im Internet (mehrwertsteuerliche One-Stop-Shops (OSS)), damit Unternehmen nicht in allen Mitgliedstaaten, in denen sie tätig sind, eine kostspielige MwSt-Registrierung vornehmen müssen.
Das Gesetzgebungsverfahren ist mit der Ratifizierung am 11.3.2025 durch den Rat der EU noch nicht abgeschlossen. Die endgültige Gesetzesvorlage im EU-Parlament sowie die formale Verabschiedung stehen noch aus und sind noch nicht terminiert.
Richtlinie, Verordnung und Durchführungsverordnung werden am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft treten. Die Verordnung und die Durchführungsverordnung sind dann unmittelbar anwendbar. Die Richtlinie muss jedoch in nationales Recht umgesetzt werden.
Im Einzelnen:
Digitale MwSt-Meldung
Derzeit werden Unternehmen monatlich/vierteljährlich aufgefordert, ihren nationalen Steuerbehörden Zusammenfassende Meldungen der Gegenstände und Dienstleistungen zu übermitteln, die sie an Unternehmen in anderen EU-Mitgliedstaaten, die dort steuerpflichtig sind, verkauft haben (vgl. in Deutschland § 18a Abs. 1 UStG).
Das schafft eine Lücke für Betrüger: Diese können die Schwierigkeiten ausnutzen, die die Behörden dabei haben, verdächtige oder betrügerische Transaktionen rasch aufzudecken, da die Daten unvollständig und nicht in Echtzeit verfügbar sind.
Der Rat ist jetzt übereingekommen, dass ein digitales Echtzeit-Meldesystem für MwSt-Zwecke mittels von elektronischen Rechnungen eingerichtet wird. Im Einzelnen beinhaltet dies folgende Punkte:
- Unternehmen stellen elektronische Rechnungen für grenzüberschreitende Transaktionen zwischen Unternehmen aus und melden damit die Daten automatisch an ihre Steuerverwaltung. Dies wird auf den bestehenden europäischen Standard für die elektronische Rechnungsstellung bei öffentlichen Aufträgen gestützt sein.
- Die nationalen Steuerbehörden werden die Daten dann über ein neues IT-System austauschen, das in der Lage sein wird, verdächtige Vorgänge zu ermitteln.
- Ein Rahmen auf nationaler Ebene wird für die Qualität, der in den elektronischen Rechnungen enthaltenen Daten, sorgen, wobei den Mitgliedstaaten Flexibilität bei der Umsetzung dieses Rahmens eingeräumt wird.
Damit erhalten die Mitgliedstaaten schnell vollständige Informationen über grenzüberschreitende Umsätze, die sie zur Bekämpfung des MwSt-Betrugs verwenden können.
Der Rat kam überein, dass
- das EU-System selbst bis 2030 einsatzbereit sein sollte und
- die Interoperabilität aller bestehenden nationalen Systeme mit dem EU-System bis 2035 sichergestellt werden sollte.
MwSt für die Plattformwirtschaft
Derzeit zahlen viele Online-Anbieter von Kurzzeitvermietung von Unterkünften und von Personenbeförderung keine MwSt. Dies ist hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass es sich dabei in der Regel um einzelne Anbieter (wie einen Fahrer oder eine Person, die ihre Wohnung vermietet) oder um kleine Unternehmen handelt, die sich meistens nicht für MwSt-Zwecke registrieren müssen oder sich oft ihrer Verpflichtungen oder der Steuervorschriften in anderen Mitgliedstaaten einfach nicht bewusst sind.
Dies führt dazu, dass große Mengen an MwSt nicht erhoben werden und dass mitunter ein unfairer Wettbewerb zwischen herkömmlichen Beherbergungs- und Beförderungsanbietern und jenen, die über Plattformen tätig sind, besteht.
Nach den neuen Vorschriften sind die Betreiber der Plattformwirtschaft für die Erhebung und Abführung der MwSt in den Fällen zuständig, in denen ihre Dienstleistungserbringer die MwSt nicht selbst zahlen (Modell des „fiktiven Lieferers/Dienstleistungserbringers“). Die Plattformen müssen die MwSt direkt beim Kunden erheben und sie an die Steuerbehörden abführen.
Letztlich wird dadurch die derzeit nur für B2C-Lieferungen bestehende Lieferkettenfiktion im Versandhandel über digitale Plattformen, wenn der Online-Händler im Drittland ansässig ist, auf B2B-Geschäfte ausgeweitet.
Einzige Anlaufstelle für die MwSt-Registrierung
Derzeit ermöglicht das System der einzigen Anlaufstelle den Unternehmen, die Mehrwertsteuer für grenzüberschreitende Verkäufe innerhalb der EU über einen einzigen Mitgliedstaat zu verwalten.
Unternehmen, die Gegenstände an Verbraucher innerhalb eines anderen Mitgliedstaats als ihrem eigenen verkaufen wollen wie z. B.
- aus einem Lager oder
- auf einem Wochenmarkt in diesem Mitgliedstaat,
müssen sich jedoch nach wie vor mehrfach ‒ nämlich in jedem der Länder, in denen sie Verkäufe tätigen ‒ für MwSt-Zwecke registrieren lassen. Daher wird der Anwendungsbereich der bestehenden einzigen Anlaufstellen mit den neuen Vorschriften ausgeweitet.
Der Anwendungsbereich betrifft jetzt nicht nur grenzüberschreitende Lieferungen, sondern auch die Verkäufe bestimmter Produkte ‒ von Unternehmen an Verbraucher ‒ , wie etwa Strom oder Gas, die innerhalb eines anderen Mitgliedstaats als ihrem eigenen getätigt werden. Dazu gehören auch Situationen, in denen Unternehmen lediglich Lagerbestände in einen anderen Mitgliedstaat verlegen wollen, um die Waren dort zu einem späteren Zeitpunkt direkt an Verbraucher zu verkaufen.
Somit wird die erweiterte einzige Anlaufstelle noch mehr Unternehmen ermöglichen, ihren MwSt-Pflichten
- über ein einziges Online-Portal und
- in einer einzigen Sprache nachzukommen.
Der Rat kam ferner überein, die Verantwortung für die Zahlung der MwSt in Transaktionen zwischen Unternehmen von dem Lieferer eines Gegenstands oder einer Dienstleistung auf den Käufer zu verlagern, wenn der betreffende Lieferer nicht in dem Mitgliedstaat niedergelassen ist, in dem die MwSt geschuldet wird (im Rahmen der „Umkehrung der Steuerschuldnerschaft“). Dies war bereits in einigen Situationen möglich, wird aber künftig verbindlich werden.
Entgegen dem Vorschlag der Kommission hat der Rat beschlossen, die bestehende Bestimmung des fiktiven Lieferers/Dienstleistungserbringers ‒ wonach die Zuständigkeit für die Erhebung der MwSt bei den Plattformen liegt, die die Transaktionen ermöglichen, und nicht bei den zugrunde liegenden Lieferern ‒ nicht auf alle von Online-Plattformen gelieferten Gegenstände und nicht auf unternehmensinterne Verbringungen von Gegenständen auszuweiten. Er kam ferner überein, die Vorschriften für Kunstgegenstände und Antiquitäten nicht zu ändern.
Der Rat hat außerdem beschlossen, den Vorschlag, die einzige Anlaufstelle für die Einfuhr verpflichtend zu machen, im Rahmen der MwSt-Aspekte des Vorschlags über die Reform des Zollkodex der Union, über den derzeit im Rat beraten wird, zu erörtern.
Der weitere Zeitplan
Für all diese gravierenden Änderungen/Neuerungen wurde folgender Zeitplan verabschiedet:
- Noch 2025 (20 Tage nach Verabschiedung von ViDA): Keine Genehmigung der Europäischen Kommission für die elektronische Rechnungsstellung im Inland mehr erforderlich
- 1.1.2027: Aktualisierungen des E-Commerce-Pakets; Ausweitung der One-Stop-Shops (OSS) auf Strom-, Gas- und Wärmelieferungen
- 1.7.2028: Einheitliche MwSt-Registrierung (Ausweitung der OSS auf alle B2C-Lieferungen, Bestandsübertragungen und Anwendung der obligatorischen Umkehrung der Steuerschuldnerschaft) und freiwillige Umsetzung der „deemed supplier“-Regel für Hosting- und Mobilitätsplattformen
- 1.1.2030: Erweiterte Mehrwertsteuerpflichten für Plattformen: verpflichtende Umsetzung der Deemed-Supplier-Regel für Hosting- und Mobilitätsplattformen
- 1.7.2030: Verpflichtende digitale Meldepflichten (DRR) auf der Grundlage der elektronischen Rechnungsstellung für EU-interne B2B-Umsätze und Umsätze, die der obligatorischen Verlagerung der Steuerschuldnerschaft unterliegen; Harmonisierung der inländischen elektronischen Rechnungsstellung (mit Ausnahme der vor 2024 bestehenden) mit EU-Standards
- 1.1.2035: Harmonisierung der inländischen elektronischen Rechnungsstellung, die vor 2024 besteht, mit den EU-Standards
FAZIT | Die EU-Staaten wollen an Ihre Daten! Darum geht es primär. Der Mehrwertsteuerbetrug soll bekämpft werden durch eine zeitnahe und engmaschige Deklarationspflicht der Unternehmen. Ein sicherlich legitimes Ziel, das ob seiner Auswirkungen aber befremdet. Das absolute Gros der Steuerzahler wird für einige wenige Abweichler in die Pflicht genommen! Das einzig Gute: Dem ab dem 1.1.2035 EU-weiten E-Rechnungs-Standard genügen wir Deutschen seit dem 1.1.2025 im B2B-Bereich bereits freiwillig. Insoweit wird auf uns im Jahr 2035 also ein eher geringer Änderungs- und Anpassungsbedarf zukommen. Ein gefühlt irgendwie nur schwacher Trost! |