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  • · Fachbeitrag · Chefarzt-Vertrag


    Muss der Chefarzt Rufbereitschaft leisten?


    von Rechtsanwalt Norbert H. Müller, FA für Arbeits- und Steuerrecht, c/o RAe Klostermann, Dr. Schmidt & Partner, Bochum


    | In vielen Chefarzt-Verträgen gibt es Klauseln, die eine Teilnahme an Rufbereitschaftsdiensten regeln. Dort heißt es dann zum Beispiel, der Chefarzt sei „im üblichen Rahmen“, „turnusgemäß“ oder „erforderlichenfalls“ zu solchen Diensten verpflichtet. Doch muss der Chefarzt tatsächlich aufgrund solch vager Formulierungen Rufdienst leisten? Dieser Beitrag verschafft einen Überblick über die aktuelle Rechtslage und gibt dem Chefarzt Empfehlungen, wie er sich bei dem Thema positionieren sollte. |

    Die Praxis in Krankenhäusern


    Chefärzte mit entsprechenden Passagen in ihren Arbeitsverträgen bekommen die Rufbereitschaftsdienste häufig nicht gesondert vergütet. Vielmehr heißt es in entsprechenden Klauseln ihrer Chefarzt-Verträge dann zum Beispiel, dass mit der Vergütung auch sämtliche Mehrarbeit wie Samstags-, Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit sowie die Teilnahme an Bereitschafts- und Rufbereitschaftsdiensten abgegolten ist. Aus Arbeitgebersicht wäre der Chefarzt insoweit sogar eine günstigere Arbeitskraft als der Oberarzt.


    Wann ist eine Klausel im Chefarzt-Vertrag ungültig?


    Das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf hat jedoch mit Urteil vom 6. Mai 2010 (Az: 13 Sa 1129/09, Abruf-Nr. 130875) die Klausel in einem Chefarzt-Vertrag, wonach die Ableistung von Rufbereitschaftsdiensten „im üblichen Rahmen“ durch die Vergütung abgegolten sein soll, wegen des Verstoßes gegen das Transparenzgebot als unwirksam erachtet. 


    Dies folge daraus, dass kein Maßstab erkennbar sei, der als „üblich“ anzusehen sei: Umfasst der vergleichende Maßstab alle Krankenhäuser der Region oder im gesamten Bundesgebiet? Werden nur betroffene Abteilungen verglichen oder alle Klinikbereiche? Und welcher Vergleichszeitraum soll gelten? 


    Dem Klinikträger sei es zudem zumutbar gewesen, im Arbeitsvertrag genau festzulegen, welche Rufdienste pro definierter Zeiteinheit ohne zusätzliche Vergütung geleistet werden sollen. Zugleich sprach das LAG dem Chefarzt die Vergütung für die geleisteten Dienste zu - es stützte sich dabei auf die Regeln zu Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB).


    PRAXISHINWEIS |  Beachten Sie, dass das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit Blick auf die pauschale Überstunden-Abgeltung eine Entscheidung getroffen hat, die möglicherweise anders zu interpretieren ist als das LAG-Urteil. Daher sollte der Chefarzt so lange nicht mit der LAG-Entscheidung argumentieren, bis das BAG speziell über Verträge leitender Klinikärzte entschieden hat.

    • Hintergrund: AGB-Regelungen

    Bei AGB handelt es sich um vorformulierte Vertragsbedingungen, die einseitig vom Verwender für eine Vielzahl von Verträgen gestellt werden. Aus diesem Grund ist der Vertragspartner besonders schutzwürdig. Bestimmte Regelungen, die im Gesetz einzeln aufgeführt werden, sind unzulässig und damit unwirksam - insbesondere, wenn sie zu einer Benachteiligung des Vertragspartners führen. 


    Die für AGB geltenden Regelungen waren früher im AGB-Gesetz geregelt, sind aber seit dem 1. Januar 2002 in das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) eingegliedert worden (§§ 305 bis 310). Seit diesem Zeitpunkt sind die AGB-Regeln auch auf Klauseln in Arbeitsverträgen anwendbar.

    Die jetzige Anwendbarkeit der AGB-Regeln auf Arbeitsverträge ist für Chefärzte von großer Bedeutung, weil ihre Arbeitsverträge oftmals Passagen enthalten, die für eine Vielzahl von Verträgen geeignet sind (Musterverträge) und zudem vom Verwender - also dem Klinikträger als Arbeitgeber - einseitig gestellt werden. Nicht um AGB handelt es sich nur bei solchen Vertragsklauseln, die beidseitig ausgehandelt wurden. 


    Gericht: „Aushandeln“ ist mehr als „verhandeln“


    An das Vorliegen ausgehandelter Bestimmungen stellt der Bundesgerichtshof (BGH) hohe Anforderungen: „Aushandeln“ bedeute dabei weit mehr als „verhandeln“. Nach Ansicht des BGH genügt es nicht, dass die gestellten Klauseln dem Vertragspartner bekannt sind und nicht auf Bedenken stoßen. Es reicht auch nicht, dass der Inhalt der vertraglichen Passage erläutert oder erörtert wird und den Vorstellungen des Arbeitnehmers entspricht. Vielmehr setzt ein Aushandeln vertraglicher Regelungen voraus, dass sie „ernsthaft inhaltlich zur Disposition“ gestellt werden. 


    Vertragspartner muss reale Einflussmöglichkeit haben


    Dem Vertragspartner muss daher eine reale Möglichkeit der Einflussnahme auf die inhaltliche Gestaltung zur Wahrung eigener Interessen eingeräumt sein, wie der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 19. Mai 2005 festgestellt hat (Az: III ZR 437/04 Abruf-Nr. 051781). Voraussetzung ist zudem, dass der Arbeitgeber zu Verhandlungen ernsthaft bereit ist und dies dem Vertragspartner unzweideutig erklärt hat (Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 18. Januar 2006 (Az: 7 AZR 178/05, Abruf-Nr. 130876). 


    Unklare Bestimmungen können unwirksam sein


    Derartige Bestimmungen in AGB - und somit auch in vorformulierten Arbeitsverträgen - sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner unangemessen benachteiligen. Dies kann sich bereits daraus ergeben, dass eine Bestimmung nicht klar und verständlich ist (§ 307 Abs. 1 BGB). 


    Das BAG urteilte, dass eine Klausel diesem Bestimmtheitsgebot nur genügt, wenn sie die Rechte und Pflichten des Vertragspartners so klar und präzise wie möglich beschreibt und keine vermeidbaren Unklarheiten und Spielräume enthält (Urteil vom 28. Mai 2009, Az: 8 AZR 896/07, Abruf-Nr. 100155).


    Konsequenzen für Rufdienstpflichten


    Viele Chefarzt-Verträge dürften im Hinblick auf enthaltene Regeln zu Rufbereitschaften - diese werden häufig aus Musterverträgen der Deutschen Krankenhausgesellschaft entnommen - dem erläuterten und in § 307 BGB normierten Transparenzgebot nicht genügen. Auch ist nicht klar, welche Erfordernisse zur Ableistung von Rufdiensten führen sollen: Personalengpässe, wirtschaftliche Engpässe, Vorbildfunktion oder Mitarbeiterzufriedenheit sind entsprechende Gründe, die sich beliebig und willkürlich erweitern lassen. Dies zeigt, dass auch ein solcher Begriff nicht dem Transparenz- und Bestimmtheitsgebot der §§ 305 ff. BGB genügen kann. 


    Auch eine nur pauschale und allgemeine Verpflichtung zum Rufdienst ohne die Festlegung einer exakten und konkreten Beschreibung der dem Chefarzt auferlegten Verpflichtung dürfte dazu führen, dass die entsprechende Vertragsklausel unwirksam ist. Unabhängig von Vergütungsfragen ist der Chefarzt in einer solchen Konstellation nicht verpflichtet, Rufdienste zu leisten. 


    „Das war schon immer so“ zählt rechtlich nicht


    Selbst wenn der Chefarzt in den zurückliegenden Jahren in erheblichem Umfang - unabhängig, ob mit oder ohne gesonderte Vergütung - Rufdienste geleistet hat, ist er berechtigt, sich nunmehr auf die Unwirksamkeit der Klausel und damit den Wegfall seiner Rufdienstverpflichtung zu berufen. 


    So hat das LAG Baden-Württemberg mit Urteil vom 16. Dezember 2004 (Az: 3 Sa 30/04, Abruf-Nr. 130877) festgestellt, dass der Chefarzt nicht zur Ableistung von 15 Rufdiensten verpflichtet ist, obwohl er etwa diese Anzahl viele Jahre lang absolviert hat. Im entschiedenen Fall existierte keine Vereinbarung, die eine exakt bezifferte Anzahl von Rufdienstpflichten pro Monat, Quartal oder Kalenderjahr normierte. 


    Die bloße Ableistung der Rufbereitschaftsdienste in der Vergangenheit führt also - bei unwirksamer vertraglicher Verpflichtung - nicht zu einer Verpflichtung für die Zukunft. Vorstehendes gilt selbst dann, wenn Rufbereitschaftsdienste nach der vertraglichen Regelung gesondert vergütet werden. Eine wirksame Vergütungsabrede bezieht sich ausschließlich auf die Gegenleistung „Vergütung“ und führt nicht zur Leistungspflicht des Arbeitnehmers. Allein aus einer Verpflichtung zur Gegenleistung der Vergütung ergibt sich kein Verpflichtungstatbestand des Arbeitnehmers zur Leistung von Rufbereitschaft, so das LAG Baden-Württemberg in seiner Entscheidung.


    PRAXISHINWEIS |  Jeder betroffene Chefarzt sollte prüfen, ob die Rufdienstpflicht in seinem Dienstvertrag hinreichend transparent und bestimmt formuliert ist. Bestehen entsprechend der geschilderten Rechtslage ernsthafte Bedenken ob der Wirksamkeit einer entsprechenden Klausel, kann der Chefarzt künftig anfallende Rufdienste verweigern. Er sollte die Dienste in diesem Fall auf seine nachgeordneten Ärzte übertragen. Dies gilt auch dann, wenn die Rufdienste dem Chefarzt gesondert vergütet worden sind.

    Quelle: Ausgabe 04 / 2013 | Seite 1 | ID 38183090