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  • 05.04.2011 | Berliner Testament

    Gegenseitige Erbeinsetzung von Ehegatten und Benennung von Nichten/Neffen als Schlusserben

    von Prof. Dr. Gerd Brüggemann, Münster

    Haben sich Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig als Erben eingesetzt und bestimmt, dass nach dem Tode des überlebenden Ehegatten der beiderseitige Nachlass an einen Dritten fallen soll, gilt gemäß § 2269 BGB die Auslegungsregel (Palandt/Edenhofer, 68. Aufl., § 2269 BGB Anm. 1 und 3), dass der Dritte für den gesamten Nachlass als Erbe des Letztversterbenden eingesetzt ist. Der letztversterbende Ehegatte wird aufgrund dieser Auslegungsregel im Zweifel nicht Vorerbe, sondern Vollerbe, und der Dritte nicht Nacherbe, sondern Schlusserbe des Vermögens („Einheitslösung“).  

    Schlusserben sind die Kinder oder Stiefkinder

    Der Schlusserbe muss den Nachlass als vom letztversterbenden Ehegatten stammend versteuern, obwohl ein Teil des Vermögens vom erstversterbenden Ehegatten stammt. Steuerliche Nachteile sind damit allerdings nicht verbunden, wenn die Schlusserben Kinder oder Stiefkinder des letztversterbenden Ehegatten sind, denn diese kommen gegenüber beiden Elternteilen in den Genuss der Steuerklasse I (§ 15 Abs. 1 ErbStG).  

     

    Beispiel

    Die leiblichen Kinder S und T der erstverstorbenen Ehefrau werden je zur Hälfte Erben nach dem Tod des später verstorbenen Ehemanns, ihres Stiefvaters. Das Vermögen des Stiefvaters beträgt 800.000 EUR und besteht zur Hälfte aus Vermögen der vorverstorbenen Ehefrau.  

     

    Lösung: Für die Kinder S und T gilt gemäß § 15 Abs. 1 ErbStG im Verhältnis zum Stiefvater die Steuerklasse I. Sie erben also vom Stiefvater jeweils 400.000 EUR und erhalten gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG einen Freibetrag von jeweils 400.000 EUR. Eine Besteuerung nach dem Verhältnis zur leiblichen Mutter würde zu keinem anderen Ergebnis führen.  

     

    Schlusserben sind entfernte Verwandte

    Das Berliner Testament könnte sich aber als nachteilig erweisen, wenn der Dritte im Verhältnis zum letztversterbenden Ehegatten eine schlechtere Steuerklasse als im Verhältnis zum erstversterbenden Ehegatten hat, wenn Schlusserben also nicht die (Stief-)Kinder, sondern entfernte Verwandte oder Nichtverwandte sind, die zur Steuerklasse II oder III gehören. Hier hilft § 15 Abs. 3 ErbStG. Danach ist im Falle eines Berliner Testaments (§ 2269 BGB) und soweit der überlebende Ehegatte an die Verfügung gebunden ist, auf Antrag des Schlusserben der Versteuerung das Verhältnis des Schlusserben zum erstverstorbenen Ehegatten zugrunde zu legen, soweit sein Vermögen beim Tode des überlebenden Ehegatten noch vorhanden ist. Die für die Vor- und Nacherbschaft geltende Regelung in § 6 Abs. 2 S. 3 bis 5 ErbStG gilt für diesen Fall entsprechend. Das Antragsrecht ist mit der Erbschaftsteuerreform 2009 eingeführt worden.  

    Aufteilung des Nachlasses

    § 15 Abs. 3 ErbStG folgt damit nicht der zivilrechtlichen Beurteilung, nach der der Schlusserbe allein Erbe des zuletzt verstorbenen Ehegatten ist und den Nachlass von diesem als Einheit erhält - gegebenenfalls anteilig in Höhe seiner Erbquote. Die Vorschrift nähert vielmehr die erbschaftsteuerrechtliche Behandlung des Schlusserben derjenigen des Nacherben an. Der zivilrechtlich als Einheit zu beurteilende Nachlass des zuletzt verstorbenen Ehegatten ist somit für die ErbSt aufzuteilen, und zwar in das vom zuerst verstorbenen Ehegatten stammende Vermögen, das beim Tod des Letztverstorbenen noch vorhanden ist, und den übrigen Nachlass. Der mit dem zuerst verstorbenen Ehegatten näher verwandte Schlusserbe ist im Hinblick auf das von diesem stammende Vermögen auf Antrag so zu behandeln, als ob er es unmittelbar als Erbe von diesem Ehegatten erworben hätte. Der Schlusserbe steht insoweit also einem Nacherben (§ 2100 BGB) gleich, der beim Eintritt der Nacherbfolge unmittelbar Erbe des ursprünglichen Erblassers (§ 2139 BGB) wird. In der praktischen Anwendung und Umsetzung dieser Regelung bedarf es dafür allerdings des nicht immer einfachen Nachweises, inwieweit das Vermögen vom erstverstorbenen Ehegatten stammt. Denn anders als bei der Vorerbschaft vereint sich das Vermögen des erstversterbenden Ehegatten bei dessen Tod mit dem Vermögen des überlebenden Ehegatten.