Verkehrswertermittlung
Finanzverwaltung
korrigiert Verkehrswerte
von Regierungsdirektor Reinhard Stöckel, Erfurt
Der Gesetzgeber hat bei der Bedarfsbewertung nach §§ 138 ff. BewG den Nachweis des niedrigeren Verkehrswertes (Öffnungsklausel zur Vermeidung von Überbewertungen) zugelassen. Dieser Nachweis kann insbesondere bei der Bewertung von unbebauten Grundstücken (§ 145 Abs. 3 BewG, R 163 ErbStR) und von bebauten Grundstücken (§ 146 Abs. 7 BewG, R 177 ErbStG) geführt werden. An Stelle des Grundbesitzwertes ist der in einem Sachverständigengutachten ermittelte oder aus Kaufpreisen abgeleitete niedrigere Wert (Verkehrswert) festzustellen und der Besteuerung zu Grunde zu legen. Die Finanzverwaltung erkennt aber den im Gutachten festgestellten Wert nicht automatisch an.
1. Nachweis des niedrigeren Verkehrswerts
Als Nachweis des niedrigeren Verkehrswerts ist bisher regelmäßig ein Gutachten des örtlich zuständigen Gutachterausschusses oder eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen (siehe Tz 3.4) für die Bewertung von Grundstücken erforderlich, das den Verkehrswert zum Besteuerungszeitpunkt beinhaltet. Auch ein im gewöhnlichen Geschäftsverkehr innerhalb eines Jahres vor oder nach dem Besteuerungszeitpunkt zu Stande gekommener Kaufpreis über das zu bewertende Grundstück kann als Nachweis dienen. Es bestehen keine Bedenken, diesen Wert regelmäßig ohne Wertkorrekturen als Grundstückswert für das unbebaute oder bebaute Grundstück festzustellen (R 166, 177 ErbStR).
Ist ein Grundstück mit einem Wohnrecht oder einem Nießbrauch belastet, wird die resultierende Belastung bei der Erbschaftsteuer als Nachlassverbindlichkeit bzw. als Nutzungs- oder Duldungsauflage berücksichtigt (§ 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG, R 17 Abs. 1 Satz 8 ErbStR, H 17 Abs. 3 ErbStR). Wird ein niedrigerer gemeiner Wert des Grundstücks durch Sachverständigengutachten nachgewiesen, sind solche Belastungen häufig bereits in die Verkehrswertermittlung eingeflossen. Um eine Doppelberücksichtigung der Belastung zu vermeiden, ist es nach einer Verfügung der OFD München (29.3.99, S 3014 c - 1/2 St 358, LEXinform 0555229) erforderlich, den aus dem Gutachten übernommenen Wert um die vom Sachverständigen errechnete Ermäßigung durch das Wohnrecht bzw. den Nießbrauch zu erhöhen. Der Wert der Ermäßigung sei der Erbschaftsteuerstelle mitzuteilen.
2. Ermittlung des Verkehrswerts
Die Grundsätze für die Verkehrswertermittlung sind in der Wertermittlungsverordnung (WertV) und in den Wertermittlungsrichtlinien (WertR) enthalten. Zur Ermittlung des Verkehrswerts sind das Vergleichsverfahren (§§ 13 und 14 WertV), das Ertragswertverfahren (§§ 15 bis 20 WertV), das Sachwertverfahren (§§ 21 bis 25 WertV) oder mehrere dieser Verfahren heranzuziehen.
Das jeweilige Verfahren ist nach Lage des Einzelfalls unter Berücksichtigung der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr bestehenden Gepflogenheiten auszuwählen (§ 3 Abs. 2 WertV). Das Ertragswertverfahren eignet sich für Grundstücke, die zur Ertragserzielung bestimmt sind (BGH 13.7.70, NJW 70, 2018; 16.6.97, WM 97, 1055). Dem Käufer eines derartigen Grundstücks kommt es in erster Linie darauf an, welche Verzinsung ihm das investierte Kapital einbringt.
Nach Rechtsprechung und Literatur kann das Ertragswertverfahren für folgende Grundstücke als sachgerechte Methode zur Ermittlung des Verkehrswerts angesehen werden:
- Mietwohngrundstücke,
- gemischt genutzte Grundstücke,
- Geschäftsgrundstücke.
Im Folgenden wird lediglich auf das für Mietwohngrundstücke üb-liche Ertragswertverfahren eingegangen. Die Komponenten des Ertragswertverfahrens sind im Wesentlichen: Bodenwert, Reinertrag, Restnutzungsdauer, Liegenschaftszins.
Jahresrohertrag (nachhaltig erzielbare Miete)
./. Bewirtschaftungskosten
= Reinertrag
./. verzinster Bodenwertanteil
= Reinertrag des Gebäudewertanteils
x Vervielfältiger
= Gebäudewert
+ Bodenwert
= Ertragswert
./. sonstige wertbeeinflussende Umstände
= Verkehrswert des Grundstücks (im unbelasteten Zustand)
2.1 Bodenwert
Die Ermittlung des Bodenwerts für das zu bewertende Grundstück basiert auf den Bodenrichtwerten der örtlichen Gutachterausschüsse. Da diese regelmäßig nur alle zwei Jahre und außerdem stets für Richtwertzonen festgestellt werden, ist der Bodenwert für das zu bewertende Grundstück zum Feststellungszeitpunkt des Verkehrswerts vom Bodenrichtwert abzuleiten. Dabei sind Lage, Zuschnitt und Abweichungen vom lagetypischen Richtwertgrundstück angemessen zu berücksichtigen.
2.2 Rohertrag
Nach § 17 WertV umfasst der Rohertrag alle bei ordnungsgemäßer Bewirtschaftung und zulässiger Nutzung nachhaltig erzielbaren Einnahmen aus dem Grundstück, insbesondere die Mieten und Pachten. Für die Ermittlung des Rohertrags ist also nicht lediglich der tatsächliche derzeitige Ertrag, sondern der nachhaltig erzielbare Ertrag maßgebend. Dabei sind allgemeine Mietsteigerungen nicht zu berücksichtigen. Die Umsatzsteuer ist wie die Umlagen ein durchlaufender Posten und daher nicht Bestandteil der Rohmiete bzw. des Rohertrags.
2.3 Bewirtschaftungskosten und Reinertrag
Wirtschaftliches Ziel einer auf den Ertrag gerichteten Nutzung eines Grundstücks ist der Reinertrag, da dieser dem Grundstückseigentümer die erwartete Verzinsung des Kapitals verschafft, das sich im Verkehrswert des Grundstücks ausdrückt.
Der Reinertrag ergibt sich aus der Differenz aus dem Rohertrag und den Bewirtschaftungskosten. Die Bewirtschaftungskosten sind die Summe aus Betriebs-, Verwaltungs- und Instandhaltungskosten sowie dem Mietausfallwagnis.
Die WertV fordert, dass beim Ansatz der Bewirtschaftungskosten eine „gewöhnliche“ Bewirtschaftung zu Grunde zu legen ist. Die WertR enthalten in der Anlage 3 durchschnittliche pauschalierte Bewirtschaftungskosten. Der nach Abzug der Bewirtschaftungskosten vom Rohertrag ermittelte Reinertrag ist auf Grund und Boden sowie Gebäude aufzuteilen. Den Bodenanteil erhält man durch die Anwendung des jeweiligen Liegenschaftszinses auf den Bodenwert.
2.4 Gebäudewert
Der Gebäudewert ergibt sich unter Berücksichtigung der Restnutzungsdauer des Gebäudes und des ortsbezogenen Liegenschaftszinssatzes durch Anwendung eines Vervielfältigers (Anlage zu § 16 Abs. 3 WertV) auf den Reinertrag des Gebäudewertanteils. Die Gesamtnutzungsdauer für Mietwohngebäude beträgt regelmäßig 100 Jahre. Die Restnutzungsdauer eines Gebäudes ist eine wirtschaftliche Nutzungsdauer, d.h., bei Ermittlung der Restnutzungsdauer ist darauf abzustellen, wie lange die baulichen Anlagen bei ordnungsgemäßer Unterhaltung und Bewirtschaftung voraussichtlich noch wirtschaftlich genutzt werden können.
Bei Verkehrswertermittlungen nach dem Ertragswertverfahren ist stets auf aktuelle regionale Liegenschaftszinssätze zurückzugreifen, die von den Gutachterausschüssen nach § 192 Abs. 3 BauGB und § 11 WertV als notwendige Daten für die Wertermittlung festgelegt werden (Auswertung von Kaufpreisen).
2.5 Verkehrswertermittlung für ein belastetes Grundstück
Bei der Wertermittlung für das z.B. durch ein Nießbrauchsrecht belastete Grundstück ist zunächst der Verkehrswert ohne Berücksichtigung des Nießbrauchs zu ermitteln. Von dem so ermittelten Verkehrswert ist die Wertminderung abzuziehen, die das belastete Grundstück durch Einräumung eines Nießbrauchs erfährt. Die Wertminderung durch die Belastung ist nach ihrem wirtschaftlichen Nachteil zu bemessen. Dieser wirtschaftliche Nachteil besteht aus einer rechnerisch zu ermittelnden Größe, dem entgangenen Reinertrag und einem Marktanpassungsabschlag.
2.5.1 Der entgangene Reinertrag
Die rechnerische Größe ist regelmäßig identisch mit dem entgangenen Reinertrag, der sich bei Miet- und Pachtgrundstücken aus der über die Restlaufzeit des Rechts kapitalisierten Miete bzw. Pacht unter Berücksichtigung der Bewirtschaftungskosten ergibt. Werden die Grundstücke vom Nießbraucher selbst genutzt, so ergibt sich der entgangene Reinertrag aus den nachhaltig erzielbaren Mieten bzw. Pachten. Die Restlaufzeit des Nießbrauchs ist an die Lebensdauer des Berechtigten gebunden. Deshalb wird der entgangene Reinertrag nicht mit dem Ertragsvervielfältiger einer Zeitrente, sondern mit dem Barwertfaktor einer Leibrente kapitalisiert.
2.5.2 Marktanpassungsabschlag
Durch Abzug des entgangenen Reinertrags vom Verkehrswert des belasteten Grundstücks ohne Berücksichtigung des Nießbrauchs erhält man einen Zwischenwert. Dieser Zwischenwert ist mittels eines Marktanpassungsabschlags zu korrigieren, denn oftmals spielen Überlegungen der Marktteilnehmer eine ausschlaggebende Rolle: Wer würde schon ein Grundstück erwerben, welches er nicht nutzen kann? Ein anderer Aspekt, der einen Marktanpassungsabschlag bedingen kann, ist die eingeschränkte Beleihungsfähigkeit im Vergleich zu einem unbelasteten Grundstück.
Weitere Überlegungen, die zu einer Marktanpassung führen können, sind im Einzelfall anzustellen. Der Marktanpassungsabschlag kann insgesamt durchaus dazu führen, dass der Zwischenwert um bis zu 50 Prozent korrigiert werden muss (Simon in Kleiber/Simon/Weyers, Verkehrswertermittlung, Teil G, Rz 112).
2.6 Wertermittlungsschema
Unter Berücksichtigung des Marktanpassungsabschlags gestaltet sich die Vorgehensweise bei der Wertermittlung eines durch einen Nießbrauch belasteten Grundstücks wie folgt:
Verkehrswert des Grundstücks (im unbelasteten Zustand)
./. entgangener Reinertrag
= Zwischenwert
./. Marktanpassungsabschlag
= Verkehrswert des Grundstücks (im belasteten Zustand)
2.7 Berechnungsbeispiel
Die Wertermittlung veranschaulicht das folgende Beispiel:
Zu bewerten ist ein Mietwohngrundstück (Baujahr 1960), das im Jahr 2000 noch eine Restnutzungsdauer (RND) von 60 Jahren hat. Der Bodenwert beträgt 200.000 DM. Es lassen sich jährlich nachhaltige Mieten i.H.v. 120.000 DM bei 30.000 DM Bewirtschaftungskosten erzielen. Der Vervielfältiger soll einen Liegenschaftszins von fünf Prozent berücksichtigen.
Auf dem Grundstück lastet ein Nießbrauchsrecht. Der Nießbrauchsberechtigte trägt die Bewirtschaftungskosten; er ist zum Zeitpunkt der Bestellung des Nießbrauchsrechts 65 Jahre alt. Die durchschnittliche Lebenserwartung gemäß Anlage 22 der WertR beträgt 14,5 Jahre. Als Marktanpassungsabschlag sollen 8.090 DM als marktüblicher Verhandlungsspielraum bei Veräußerungen abgesetzt werden.
Die Lösung vollzieht sich in drei Schritten:
1. Verkehrswert des unbelasteten Grundstücks
Jahresmiete 120.000 DM
Bewirtschaftungskosten ./. 30.000 DM
Reinertrag = 90.000 DM
Reinertragsanteil des Grund und Bodens
(5 % vom Bodenwert 200.000 DM) ./. 10.000 DM
Reinertragsanteil des Gebäudes = 80.000 DM
x Vervielfältiger (RND 60 Jahre, 5 %)
(18,93 x 80.000 DM)
Gebäudewert 1.514.400 DM
Gebäudewert + 200.000 DM
Verkehrswert des unbelasteten Grundstücks = 1.714.400 DM
2. Ermittlung der Nießbrauchsbelastung
Reinertrag 90.000 DM
x Vervielfältiger (Alter 65; Zins: 5 v. H.)
(9,959 x 90.000 DM)
Wert des Nießbrauchs 896.310 DM
3. Verkehrswert des belasteten Grundstücks
Verkehrswert des unbelasteten Grundsücks 1.714.400 DM
Wert des Nießbrauchs ./. 896.310 DM
Zwischenwert = 818.090 DM
Marktanpassungsabschlag ./. 8.090 DM
Verkehrswert des belasteten Grundstücks = 810.000 DM
3. Anerkennung des Verkehrswertgutachtens
Wenn der von der Finanzverwaltung festgestellte Verkehrswert den gesetzlichen Bestimmungen entspricht, so bleibt dem Steuerbürger nur der Nachweis des niedrigeren Verkehrswerts im Rahmen eines außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens.
3.1 Verkehrswert für das belastete Grundstück
Nach der Verfügung der OFD München (29.03.99, aaO.) ist der mit Gutachten festgestellte Verkehrswert für das belastete Grundstück um die vom Sachverständigen errechnete Ermäßigung durch das Wohnrecht bzw. den Nießbrauch zu erhöhen. Die Belastung durch das Nießbrauchsrecht wird also rückgängig gemacht. Diese Verfahrensweise entspricht bundesweit der Bewertungspraxis in den FÄ.
Die Finanzverwaltung begründet ihre Auffassung damit, dass die Belastung mit dem Nießbrauchsrecht bei der Ermittlung des Grundbesitzwertes keine Rolle spiele. Sie werde vielmehr bei der Berechnung der Schenkungsteuer berücksichtigt. So bestimmt § 25 ErbStG, dass der Kapitalwert der Belastung nur dann den schenkungssteuerlichen Erwerb mindert, wenn die Belastung (z.B. der Nießbrauch oder das Wohnrecht) nicht dem Schenker oder dessen Ehegatten zugute kommt. Ansonsten kommt nur eine Stundung der auf den Kapitalwert entfallenden Steuer in Betracht. Zum Vergleich könne daher nur ein (niedrigerer) Verkehrswert herangezogen werden, der auch nur Grund und Boden und gegebenenfalls Gebäude beinhalte. Der (niedrigere) Verkehrswert sei ein durch steuerliche Vorgaben eingeschränkter Verkehrswert, der nicht schon beinhalten dürfe, was nach der steuerlichen Gesetzessystematik erst an anderer Stelle (bei der Ermittlung der Steuer) mindernd zu berücksichtigen sei.
Ferner sei eine Nießbrauchsverpflichtung nicht Bestandteil des Grundstücks (§ 68 Abs. 1 Nr. 1 BewG und § 96 BGB) und bereits deshalb nicht bei der Verkehrswertermittlung (Nachweis des niedrigeren Verkehrswerts) wertmäßig zu erfassen. Liegt ein Gutachten vor, so lässt sich die Auswirkung der Belastung ohne Probleme ermitteln – anders jedoch bei den Marktpreisen (Kaufpreisen).
3.2 Nachweise durch Marktpreise
Der Nachweis des niedrigeren Verkehrswerts kann statt durch Gutachten auch durch einen Kaufpreis erbracht werden, wenn dieser innerhalb eines Jahres nach dem Besteuerungszeitpunkt und im gewöhnlichen Geschäftsverkehr erzielt wurde. Es kann aber unterstellt werden, dass die Belastung des Grundstücks z.B. mit einem Nießbrauchsrecht auch einen im gewöhnlichen Geschäftsverkehr erzielten Veräußerungspreis entsprechend beeinflusst hat. Folgt man dieser Begründung, so müsste man den Kaufpreis nachträglich um den Wert der Belastung erhöhen. Dies dürfte in der Praxis regelmäßig an den fehlenden Informationen scheitern.
3.3 Zurückweisung mangelhafter Gutachten
Nach einem Erlass des FinMin Baden-Württemberg vom 24. August 1998 (32-S 3014/15, DStR 98, 1604), der im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der anderen Länder ergangen ist, unterliegt das dem FA vom Steuerpflichtigen vorgelegte Gutachten zur Höhe des gemeinen Werts eines Grundstücks der freien Beweiswürdigung. Im Rahmen der Beweiswürdigung habe das FA zu prüfen, ob das vorgelegte Gutachten zum Nachweis eines niedrigeren gemeinen Wertes geeignet ist. Enthalte es Mängel, die den ermittelten Wert als zweifelhaft erscheinen lassen, sei der Nachweis nicht erbracht; das Sachverständigengutachten sei in diesem Fall nicht zu berücksichtigen. Solche Mängel sollen z.B. vorliegen, wenn
- methodische Mängel bei der Wertermittlung erkennbar sind,
- unzutreffende Werte angesetzt wurden oder
- das Gutachten insgesamt nicht plausibel ist.
Um die Nichtberücksichtigung des Gutachtens zu begründen, soll es ausreichen, wenn in dem Feststellungsbescheid über den Grundstückswert auf die festgestellten Mängel im Gutachten hingewiesen wird.
Methodische Mängel dürften noch objektiv erkennbar sein. Leider ist aber mit keiner Zeile erwähnt, wann Werte „unzutreffend“ sind. Sicherlich dürfte ein Wert dann unzutreffend sein, wenn er z.B. aus der falschen Tabelle abgelesen wurde oder einen Zahlendreher oder Übertragfehler enthält. Was aber, wenn z.B. die nachhaltig erzielbare Jahresmiete dem Finanzbeamten als „gefühlsmäßig zu niedrig“ vorkommt? Und weiter: Wann kann ein Gutachten, das gemäß Wertermittlungsverordnung /-richtlinie erstellt wurde insgesamt unplausibel sein? Natürlich sind die Wertermittlungsmethoden von praktischer wie wissenschaftlicher Seite permanenter Kritik ausgesetzt, insbesondere was die Liegenschaftszinsen angeht.
Bei alledem liegt das Kostenrisiko voll beim Steuerpflichtigen, denn dem FA bleibt es erspart, ein Gegengutachten vorlegen zu müssen. Man stelle sich vor, der Steuerpflichtige lehnte einen vom FA ermittelten Grundbesitzwert mit der Begründung ab, die Bedarfswertermittlung sei insgesamt nicht plausibel.
3.4 Gutachten nicht zertifizierter Sachverständiger
Bisher vertrat die Finanzverwaltung die Ansicht, dass nur Gutachten von Grundstückssachverständigen, die öffentlich bestellt und vereidigt sind, zum Nachweis für den Verkehrswert anerkannt werden können. Inzwischen liegen jedoch Erlasse (z.B. FinMin Schleswig-Holstein 26.6.2000, ErbBstG 2000, 213) vor, wonach auch Gutachten von Grundstückssachverständigen, die nicht öffentlich bestellt und vereidigt sind, anerkannt werden, wenn sie der Verordnung und den Richtlinien zur Wertermittlung genügen. Die Bewertungsstelle muss aber alle Gutachten unabhängig vom Ersteller auf ihre inhaltliche Richtigkeit und Schlüssigkeit prüfen.
4. Abschließende Wertung
Neben den Regelungen zur Bedarfsbewertung für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer hat der Gesetzgeber zur Vermeidung von Überbewertungen eine Öffnungsklausel eingeführt. Durch die Öffnungsklausel wird dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit eingeräumt, den Nachweis zu führen, dass der gemeine Wert (Verkehrswert) des Grundstücks niedriger als der nach §§ 138 ff. BewG festgestellte Grundstückswert ist.
Dabei kann es zur Doppelberücksichtigung einer Grundstücksbelastung (z. B. Wohnrecht, Nießbrauch) kommen, wenn die Belastung sowohl beim niedrigeren Grundstückswert angesetzt wird, als auch zu einer Steuerminderung bei der Ermittlung der Erbschaft- und Schenkungsteuer führt. Diese Doppelberücksichtigung entspricht nicht der Gesetzessystematik und wurde auch bei der Formulierung der Erbschaftsteuer-Richtlinien nicht bedacht. Verständlicherweise versucht die Finanzverwaltung nun, dieses Versäumnis durch nachträgliche Interpretation der vorhandenen Vorschriften zu heilen.
Es bleibt abzuwarten, ob die FG dieser Auffassung folgen. Steuerrelevant werden nur die Fälle, bei denen das Nießbrauchsrecht im Alter von weniger als 70 Jahren bestellt wurde, da der Wert des Nießbrauchsrechtes im Wesentlichen vom Alter des Berechtigten im Besteuerungszeitpunkt abhängig ist. Ungeachtet dessen erscheint es notwendig und sinnvoll den gesetzgeberischen Mangel durch Gesetzesänderung möglichst bald zu heilen (siehe auch die gescheiterte Änderung des § 148 BewG zur Bewertung beim Erbbaurecht).
Quelle: Erbfolgebesteuerung - Ausgabe 09/2000, Seite 229