· Fachbeitrag · EU-Erbrechtsverordnung
Heilung von Formfehlern bei gemeinschaftlichen Testamenten durch Statutenwechsel
von Frederike Borsdorff, LL.M., Hamburg
| Gemeinschaftliche bindende Testamente werden nach der neuen EU-ErbVO von Art. 3 Abs. 1b erfasst und damit wie Erbverträge behandelt. |
1. Praxisfall
Ehemann M und seine Ehefrau F sind seit 25 Jahren verheiratet. M und F haben die deutsche Staatsangehörigkeit. Sie haben zwei gemeinsame Kinder, K1 und K2. Mit seiner attraktiven Sekretärin hat M noch ein weiteres Kind, K3. Als F im Jahr 1999 von dem unehelichen Kind erfährt, besteht sie darauf, ein gemeinschaftliches Testament zu errichten, in dem M und F sich gegenseitig als Alleinerben einsetzen. Nach dem Tod des Zuletztversterbenden sollen die gemeinsamen Kinder K1 und K2 Schlusserben werden. K3 soll lediglich ein Vermächtnis in Höhe seines Pflichtteils erhalten. Sie zogen sich damals den Entwurf eines gemeinschaftlichen Testaments aus dem Internet und unterschrieben beide den Computerausdruck. Im Jahr 2013 kommt es zur Trennung: F zieht zu ihrem neuen Lebensgefährten nach Schottland. M überlegt, das Testament zu widerrufen. Inzwischen hatte er jedoch erfahren, dass das deutsche gemeinschaftliche Testament handschriftlich oder notariell hätte verfasst sein müssen. Er hält das Testament daher für formnichtig und einen Widerruf für überflüssig. Noch bevor M die Scheidung einreichen kann, verstirbt er im September 2014 (Variante I). Im September 2015 verstirbt auch F mit letztem Wohnsitz in Schottland (Variante II).
2. M verstirbt im September 2014 (Variante 1)
Bei gemeinschaftlichen Testamenten sind die personenbezogenen Anknüpfungspunkte für jeden Erblasser gesondert zu prüfen. M ist deutscher Staatsangehöriger. Nach dem zurzeit noch gültigen Staatsangehörigkeitsprinzip richtet sich die Erbfolge nach M nach deutschem Recht (Art. 25 Abs. 1 EGBGB). In der deutschen Rechtspraxis ist das gemeinschaftliche Testament tief verwurzelt, andere europäische Rechtsordnungen hingegen erkennen ein solches nicht an. Problematisch ist in unserem Fall die Form des computergeschriebenen Testaments. Das Formstatut beurteilt sich nach dem Haager Testamentsformübereinkommen von 1961, dessen Vorschriften in Art. 26 Abs. 1 bis 3 EGBGB inkorporiert sind. Das Testamentsformübereinkommen knüpft an eine Vielzahl alternativer Umstände an, die im Falle des M jeweils zum deutschen Recht führen. Gemäß Art. 4 Testamentsformübereinkommen gilt das Übereinkommen auch für gemeinschaftliche Testamente. Das gemeinschaftliche Testament muss also entweder notariell (§ 2232 BGB) oder handschriftlich (§ 2247 BGB) errichtet werden. Folge: Bei der Beurteilung der Rechtslage nach dem Tode des M ist das Testament als formnichtig und unwirksam anzusehen. Es gilt die gesetzliche Erbfolge. Da die Ehe noch besteht, erbt F zu 1/2 und die Kinder K1, K2 und K3 jeweils zu 1/6.
3. F verstirbt im September 2015 (Variante 2)
Die EU-ErbVO wird am 17.8.15 in Kraft treten. Für F gilt dann das schottische Erbstatut, da F ihren letzten gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt ihres Todes in Schottland hatte (Art. 21 Abs. 1 EU-ErbVO). Die Kollisionsnormen gelten universell auch gegenüber Drittstaaten (Art. 20 Abs. 1 EU-ErbVO). Anders als bei den Mitgliedsstaaten handelt es sich dann allerdings um eine Gesamtnormverweisung auf das Recht des Drittstaates einschließlich dessen IPR und nicht um eine Sachnormverweisung.
In Art. 3b EU-ErbVO wird der Ausdruck Erbvertrag als eine „Vereinbarung, einschließlich einer Vereinbarung aufgrund gegenseitiger Testamente ...“ definiert. Damit sind neben dem klassischen Erbvertrag insbesondere auch die gemeinschaftlichen Testamente deutschen Rechts erfasst und fallen damit unter Art. 25 EU-ErbVO (Lechner, NJW 13, 26). Das Errichtungsstatut nach Art. 25 EU-ErbVO betrifft die Zulässigkeit, die materielle Wirksamkeit und die Bindungswirkung eines Erbvertrags. Nach Art. 25 Abs. 2 EU-ErbVO konnten M und F ein deutsches gemeinschaftliches Testament mit Bindungswirkung errichten, da bei Errichtung in 1999 für beide Ehepartner hypothetisches Erbstatut deutsches Recht war.
Bleibt die Frage hinsichtlich des Formstatuts: Kann das computergeschriebene gemeinschaftliche Testament aufgrund des Wechsels des Wohnsitzes der F und dem damit verbundenen Statutenwechsel nach schottischem Recht formwirksam sein? Das auf die Form von gemeinschaftlichen Testamenten anwendbare Recht wird nach Art. 75 Abs. 1 EU-ErbVO i.V. mit dem Haager Testamentsformübereinkommen bestimmt. Nach Art. 1c TestFormÜbk ist eine letztwillige Verfügung von Todes wegen hinsichtlich ihrer Form wirksam, wenn diese dem Recht eines Staates entspricht, in dem einer der Erblasser entweder im Zeitpunkt der Errichtung der Verfügung oder des Abschlusses des Erbvertrags oder im Zeitpunkt des Todes den Wohnsitz hatte. Diese Regelung ist mit den Vorschriften für Erbverträge nach Art. 27 EU-ErbVO vergleichbar.Die Beziehung einer einzigen am Erbvertrag beteiligten Person zu einer Rechtsordnung, die den Erbvertrag für formwirksam erklärt, wirkt also gegenüber allen anderen Beteiligten und führt zur Formgültigkeit des gesamten Erbvertrags (Leiphold, ZEV 14, 139). Nach schottischem Requirement of Writing Act 1995 ist jedes vom Testator mit Testierwillen unterzeichnete Schriftstück formgültig (Süß, Erbrecht in Europa, 2. Aufl., S. 775). Dies gilt auch für gemeinschaftliche Testamente (mutual wills) (Süß, ZErb 14, 227). Folge: Mit dem Versterben der F mit letztem Wohnsitz in Schottland kommt es zur testamentarischen Erbfolge, wonach K 1 und K 2 Erben nach F werden.
PRAXISHINWEIS | Das Ergebnis überrascht: Aufgrund der Regelung des Art. 1c TestFormÜbk i.V. mit Art. 75 Abs. 1 EU-ErbVO muss posthum nun auch nach M das gemeinschaftliche Testament als formwirksam beurteilt werden. Durch die nachträgliche Heilung des Formfehlers durch den Tod der F mit letztem Wohnsitz in Schottland schwindet die gesetzliche Erbfolge und das gemeinschaftliche Testament lebt auf. Der nach M erteilte Erbschein muss als unrichtig eingezogen werden und eine etwaige schon erfolgte Erbaufteilung rückabgewickelt werden. Für K3 bedeutet das, dass es den Erbteil herausgeben muss und lediglich das Vermächtnis erhält. |