· Fachbeitrag · Immobilien
Familienheim: Gestaltungsmodell zur „unverzüglichen Selbstnutzung“?
von Dipl.-Finw. Marvin Gummels, Hage
| Dem steuerfreien Familienheim kommt in Erbfällen eine besondere Bedeutung zu. Denn findet die Steuerbefreiung Anwendung, lässt sich die Steuerbelastung erheblich reduzieren. Das Problem in der Praxis: Für die Steuerbefreiung muss der Erwerber unverzüglich in das Familienheim einziehen. Nun zeigt ein Urteil des FG München ein interessantes Gestaltungsmodell auf, um diese unverzügliche Selbstnutzung etwas hinauszuzögern. ErbBstg beleuchtet daher die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung und zeigt, welchen Gestaltungsspielraum das Urteil bietet. |
1. Das steuerfreie Familienheim
Damit die in § 13 Abs. 1 Nr. 4b bzw. 4c ErbStG geregelte Steuerbefreiung für ein Familienheim in Erbfällen Anwendung findet, müssen neben dem begünstigten Personenkreis (Erbe muss der Ehegatte, Lebenspartner, ein Kind, Stiefkind oder Kind bzw. Stiefkind bereits verstorbener Kinder bzw. Stiefkinder sein) drei Voraussetzungen erfüllt werden:
- 1. Bestimmte Belegenheit des Familienheims
- 2. Selbstnutzung des Familienheims durch den Erblasser
- 3. Selbstnutzung des Familienheims durch den Erwerber
1.1 Bestimmte Belegenheit des Familienheims
Steuerfrei ist das Familienheim nur, wenn es im Inland, der EU oder dem EWR (EU zzgl. Island, Lichtenstein und Norwegen) belegen ist. Um was für eine Art von Wohnung es sich konkret handelt, ist unbedeutend. Begünstigt sind gemäß § 181 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 BewG Familienheime in
- einem Ein- oder Zweifamilienhaus,
- einem Mietwohngrundstück,
- in Form von Wohnungs- und Teileigentum,
- einem Geschäftsgrundstück und
- einem gemischt genutzten Grundstück.
Soweit das entsprechende Gebäude neben dem Familienheim auch anderweitig genutzt wird, erstreckt sich die Steuerbefreiung nur auf das Familienheim.
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Der Erblasser ist Eigentümer eines im Inland belegenen ZFH mit zwei identischen Wohnungen. Eine Wohnung ist vermietet, die andere wird zu eigenen Wohnzwecken genutzt. Der Grundbesitzwert beträgt 500.000 EUR.
Lösung: Von dem Grundbesitzwert entfallen nur 50 % (250.000 EUR) auf das Familienheim. Nur insoweit kann die Steuerbefreiung unter den weiteren Voraussetzungen angewandt werden. Die vermietete Einheit ist nicht begünstigt. |
1.2 Selbstnutzung des Familienheims durch den Erblasser
Der Erblasser muss die Wohnung bis zum Erbfall zu eigenen Wohnzwecken genutzt haben, damit es sich um ein Familienheim handelt. In der Wohnung muss sich also der Mittelpunkt des familiären Lebens des Erblassers befunden haben. Die Befreiung ist nicht möglich, wenn
- die Wohnung nur als Ferien- oder Wochenendwohnung genutzt wird,
- sie für einen Berufspendler nur die Zweitwohnung darstellt oder
- sie unentgeltlich überlassen wird (z. B. an Kinder) und der Erblasser die Wohnung nicht zugleich mitbewohnt hat.
Die Steuerbefreiung ist auf die selbstgenutzte Wohnung begrenzt. Sie schließt jedoch auch Garagen, Nebenräume und Nebengebäude ein, die sich auf dem Grundstück befinden und mit der Wohnung gemeinsam genutzt werden.
MERKE | Die Nutzung der Wohnung auch zu anderen Zwecken als Wohnzwecken ist unschädlich, wenn diese Nutzung von untergeordneter Bedeutung ist. Das ist z. B. bei einem Arbeitszimmer wie auch grundsätzlich bei der unentgeltlichen gewerblichen oder freiberuflichen Mitbenutzung der Wohnung der Fall. Bei einer entgeltlichen gewerblichen oder freiberuflichen Mitbenutzung der Wohnung ist die Befreiung auf den eigenen Wohnzwecken dienenden Teil der Wohnung begrenzt (R E 13.3 Abs. 2 S. 9 bis 11 ErbStR). |
Beachten Sie | Doch auch wenn der Erblasser die Wohnung nicht bis zum Erbfall bewohnt hat, kann es sich noch um ein Familienheim handeln. Das ist der Fall, wenn der Erblasser aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert war. Der Erblasser muss die Wohnung also zunächst zu eigenen Wohnzwecken genutzt haben, aber die Nutzung bis zum Tode aus objektiv zwingenden Gründen aufgegeben haben. Objektiv zwingende Gründe liegen beispielsweise im Fall einer Pflegebedürftigkeit vor, die die Führung eines eigenen Haushalts nicht mehr zulässt, nicht dagegen z. B. bei einer beruflichen Versetzung.
1.3 Selbstnutzung des Familienheims durch den Erwerber
Das Familienheim muss auch für den Erwerber ein Familienheim darstellen. Deshalb muss die geerbte Wohnung beim Erwerber unverzüglich zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt sein, und dieser muss ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 BGB) in das Familienheim einziehen (sofern er dort noch nicht wohnen sollte). Die Rechtsprechung des BFH (16.3.22, II R 6/21) und auch die Finanzverwaltung akzeptieren für die Dauer bis zum Einzug regelmäßig einen Übergangszeitraum von bis zu sechs Monaten.
Wird die Selbstnutzung der Wohnung erst nach Ablauf von sechs Monaten aufgenommen, kann zwar ebenfalls eine unverzügliche Bestimmung zur Selbstnutzung vorliegen. Allerdings muss der Erwerber in diesem Fall darlegen und glaubhaft machen, zu welchem Zeitpunkt er sich zur Selbstnutzung der Wohnung für eigene Wohnzwecke entschlossen hat, aus welchen Gründen ein tatsächlicher Einzug in die Wohnung nicht früher möglich war und warum er diese Gründe nicht zu vertreten hat. Umstände im Einflussbereich des begünstigten Erwerbers, die nach Ablauf des Sechsmonatszeitraums zu einer längeren Verzögerung des Einzugs führen (wie z. B. eine Renovierung der Wohnung), sind nur unter besonderen Voraussetzungen nicht dem Erwerber anzulasten. Das kann z. B. der Fall sein, wenn sich die Renovierung deshalb länger hinzieht, weil nach Beginn der Renovierungsarbeiten ein gravierender Mangel an der Wohnung entdeckt wird, der vor dem Einzug beseitigt werden muss (BFH 1.12.21, II R 18/20).
2. Das Gestaltungsmodell beim FG München
Das FG München hatte darüber zu entscheiden, ob durch den Abschluss eines festen Mietvertrags der Zeitraum bis zur Selbstnutzung des Familienheims durch den Erwerber über viele Jahre hinausgeschoben werden kann. Im Streitfall musste die Erblasserin die bisher privat genutzte Wohnung aufgrund eines Umzugs in ein Pflegeheim aufgeben. Nach einem Leerstand vermietete sie die Wohnung befristet für einen Zeitraum von vier Jahren. Als die Erblasserin verstarb, lief der Mietvertrag noch zwei Jahre. Erst nach diesen zwei Jahren renovierte der Erwerber die Wohnung und zog fünf Monate später in die Wohnung ein. Er beantragte für die Wohnung die Steuerbefreiung für ein Familienheim nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG.
Während das Finanzamt die Steuerbefreiung mangels unverzüglicher Selbstnutzung durch den Erwerber ablehnte, gewährte das FG München (26.10.22, 4 K 2183/21) die Steuerbefreiung. Da die Revision des Finanzamts beim BFH (II R 48/22) zurückgenommen wurde, ist das Urteil rechtskräftig.
Das Urteil bietet erheblichen Gestaltungsspielraum. Einerseits kann der Zeitpunkt bis zur künftigen Selbstnutzung durch den Erwerber durch einen zu Lebzeiten des Erblassers geschlossenen Zeitmietvertrag rechtssicher hinausgeschoben werden. Denn nach dem Urteil des FG ist klar, dass ein zu Lebzeiten des Erblassers eingegangener Mietvertrag eine Selbstnutzung durch den Erwerber verhindert und dieser erst dann unverzüglich in das Familienheim einziehen muss, wenn der Hinderungsgrund beseitigt wurde. Das ist bei einem Zeitmietvertrag der Zeitpunkt, zu welchem dieser ausläuft. So kann auch bei einem Einzug viele Jahre nach dem Erbfall die Steuerbefreiung für das Familienheim gewährt werden.
Beachten Sie | Wurde kein Zeit-, sondern ein regulärer Mietvertrag geschlossen, sind davon abweichend die ordentlichen Kündigungsfristen maßgebend. Andererseits bietet das Urteil auch Planungssicherheit bei der Finanzierung künftiger Pflegekosten. Familienangehörige können zur Deckung der Heimkosten im Namen des Pflegebedürftigen für das bis zur Pflegebedürftigkeit genutzte Familienheim einen befristeten Mietvertrag abschließen, ohne damit das Risiko eingehen zu müssen, die künftige Steuerbefreiung für das Familienheim zu verlieren.
MERKE | Das FG führt in seinem Urteil auch aus, dass die festgelegte Mietdauer nicht völlig außer Verhältnis zur voraussichtlichen Lebenserwartung des Erblassers nach den Sterbetafeln des statistischen Bundesamtes stehen darf. Das grenzt die Gestaltungsmöglichkeiten etwas ein. Die Laufzeit eines befristeten Mietvertrags sollte nur leicht über der statistischen Lebenserwartung liegen. |
Im Streitfall sah das FG München bei einem Vierjahresmietvertrag bei einer 96-jährigen (statistische Lebenserwartung von 2,65 Jahren) allerdings keine Probleme.
3. Praxisproblem: Nachversteuerungsvorbehalt
Die Steuerbefreiung steht unter einem Nachversteuerungsvorbehalt. Wird die Selbstnutzung des Familienheims durch den Erwerber innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahren aufgegeben, dann fällt die Steuerbefreiung mit Wirkung für die Vergangenheit weg. Ein bereits erteilter Steuerbescheid ist nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO zu ändern, und in dem Änderungsbescheid ist die Steuerbefreiung vollumfänglich (nicht bloß zeitanteilig) zu versagen. Ein Wegfall der Selbstnutzung liegt dabei nicht bloß bei einem klassischen Auszug des Erwerbers aus der Wohnung vor. Auch eine Weiterübertragung unter Nutzungsvorbehalt ist als Verstoß gegen den Nachversteuerungsvorbehalt anzusehen. Gleiches gilt, wenn der Erwerber das Familienheim abreißen und einen Neubau errichten sollte.
MERKE | Das Finanzamt muss nicht selbst ermitteln, ob das Familienheim innerhalb des Zehnjahreszeitraums vom Erwerber selbst genutzt wird. Denn der Erwerber ist gemäß § 153 Abs. 2 AO dazu verpflichtet, dem Finanzamt den Wegfall der Befreiungsvoraussetzungen (z. B. bei einem Auszug) anzuzeigen. |
4. Rettungsanker: Hinderungsgründe an einer Selbstnutzung
Unschädlich ist die Aufgabe der Selbstnutzung durch den Erwerber nur, wenn der Erwerber aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert ist. Diese objektiv zwingenden Gründe liegen z. B. in folgenden Fällen vor:
- Im Fall des Todes des Erwerbers
- Im Fall einer Pflegebedürftigkeit des Erwerbers, die die Führung eines eigenen Haushalts nicht mehr zulässt
- Bei minderjährigen Kindern so lange, wie das Kind wegen der Minderjährigkeit rechtlich gehindert ist, einen eigenen Haushalt zu führen
Kein Hinderungsgrund ist dagegen die berufliche Versetzung des Erwerbers (R E 13.4 Abs. 6 S. 9 und Abs. 7 S. 4 ErbStR). Für die Dauer dieser Hinderungsgründe ist es für die Steuerbefreiung allerdings unschädlich, wenn das Familienheim unentgeltlich überlassen, vermietet oder verkauft wird. Das Risiko: Sollte der Hinderungsgrund für die Selbstnutzung innerhalb des Zehnjahreszeitraums entfallen (z. B. Wegfall der Pflegebedürftigkeit), so muss der Erwerber die Nutzung des Familienheims zu eigenen Wohnzwecken unverzüglich wieder aufnehmen. Andernfalls kommt es doch zu einer Nachversteuerung (R E 13.4 Abs. 6 S. 12 ErbStR). Das dürfte in der Praxis bei einem Verkauf des Objekts nahezu unmöglich sein.