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  • 05.08.2010

    Bundesfinanzhof: Urteil vom 15.04.2010 – IV R 67/07


    Gründe

    1

    I.

    Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war zusammen mit Frau R (FR) zu jeweils 50% an der A-GbR (GbR) beteiligt. Diese betrieb ab dem 1. April 2000 eine Bauunternehmung in H. Zum 30. September 2002 (Streitjahr) schied FR aus der Gesellschaft aus. Ihr Gesellschaftsanteil ist daher im Wege der Anwachsung auf den Kläger übergegangen. Dieser verlegte den Betriebssitz zum 1. Oktober 2002 nach B und führte das Unternehmen als Einzelunternehmen fort.

    2

    Die GbR erzielte bis zum 30. September 2002 einen Gewerbeertrag in Höhe von 140.630 EUR, das Einzelunternehmen vom 1. Oktober 2002 bis zum 31. Dezember 2002 einen Gewerbeverlust in Höhe von 32.733 EUR. In der Gewerbesteuererklärung für das Jahr 2002 erklärte der Kläger als Einzelunternehmer einen saldierten Gewerbeertrag in Höhe von 107.897 EUR, Entgelte für Dauerschulden in Höhe von 650 EUR sowie Spenden in Höhe von 100 EUR.

    3

    Davon abweichend berücksichtigte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) im Gewerbesteuermessbescheid 2002 vom 12. Dezember 2003 einen Gewerbeertrag bis zum 30. September 2002 von abgerundet 140.600 EUR und setzte nach Abzug des vollen Freibetrags gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) den Messbetrag auf 4.605 EUR fest. Der Bescheid ist an den Prozessbevollmächtigten als Empfangsbevollmächtigten für die GbR ohne Hinweis auf die Gesamtrechtsnachfolge des Klägers gerichtet.

    4

    Der dagegen eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg. Er führte vielmehr nach entsprechendem Hinweis gemäß § 367 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung (AO) auf Grund von Hinzurechnungen und Kürzungen sowie auf Grund der nur zeitanteiligen Berücksichtigung des Freibetrags gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 GewStG zu einer Heraufsetzung des Messbetrags auf 4.921 EUR. Auch die Einspruchsentscheidung ist an den Prozessbevollmächtigten als Empfangsbevollmächtigten für die GbR gerichtet.

    5

    Im Klageverfahren beantragten der Kläger und FR als Gesellschafter des bürgerlichen Rechts, unter Abänderung des Gewerbesteuermessbescheids vom 12. Dezember 2003 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29. Juni 2004 den Gewerbesteuermessbetrag 2002 auf 2.965 EUR festzusetzen. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Im Rubrum wird die GbR erstmals als Klägerin bezeichnet.

    6

    Auch in dem Beschluss des Senats vom 7. November 2007 IV B 37/07, mit dem die Revision zugelassen wurde, wird die GbR als Klägerin und Beschwerdeführerin bezeichnet.

    7

    Mit der Revision, die dem Rubrum der Vorentscheidung und dem Senatsbeschluss vom 7. November 2007 IV B 37/07 folgend die GbR als Revisionsklägerin bezeichnet, wird die sachliche und örtliche Unzuständigkeit des FA für den Erlass des Gewerbesteuermessbescheids 2002 gerügt. Mit der Betriebsstättenverlegung nach B sei das FA B örtlich zuständig geworden. Dieses habe auch einen weiteren Gewerbesteuermessbescheid erlassen. Bereits auf Grund der doppelten Festsetzung eines Gewerbesteuermessbetrags sei der an die GbR gerichtete Gewerbesteuermessbescheid aufzuheben.

    8

    Daneben wird die Verletzung von § 2 Abs. 5, § 5 Abs. 1 Satz 3 und § 5 Abs. 2 GewStG gerügt.

    9

    Der Kläger beantragt sinngemäß,

    die Vorentscheidung und den Gewerbesteuermessbescheid 2002 vom 12. Dezember 2003 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29. Juni 2004 aufzuheben,

    hilfsweise

    die Vorentscheidung aufzuheben und unter Abänderung des Gewerbesteuermessbescheids 2002 vom 12. Dezember 2003 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29. Juni 2004 den Gewerbesteuermessbetrag auf 2.980 EUR festzusetzen.

    10

    Das FA beantragt,

    die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

    11

    II.

    Die Revision ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und des Gewerbesteuermessbescheids 2002 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

    12

    1.

    Der Senat legt die Revision rechtsschutzgewährend dahin aus, dass sie von dem Kläger als Gesamtrechtsnachfolger der GbR eingelegt worden ist.

    13

    Mit dem Austritt der FR aus der GbR ist diese zivilrechtlich ohne Liquidation vollbeendet worden. Der verbleibende Gesellschafter, hier der Kläger, ist somit durch Anwachsung (§ 738 Abs. 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs --BGB--) Gesamtrechtsnachfolger der GbR geworden. Daraus folgt zugleich, dass auch die Klagebefugnis hinsichtlich des hier in Streit stehenden Gewerbesteuermessbescheids, der noch gegen die vollbeendete GbR gerichtet worden ist, ausschließlich auf den Kläger als Gesamtrechtsnachfolger der GbR übergegangen ist.

    14

    Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist im Zweifel davon auszugehen, dass der Steuerpflichtige denjenigen Rechtsbehelf hat einlegen wollen, der seinem materiell-rechtlichen Begehren am ehesten zum Erfolg verhilft (Senatsurteil vom 1. Juli 2004 IV R 4/03, BFH/NV 2005, 162, m.w.N.). Angesichts der vorliegenden Sachverhaltsbesonderheiten hält es der Senat für geboten, jedenfalls die Revision dahin auszulegen, dass sie ausschließlich von dem Kläger als Gesamtrechtsnachfolger der GbR eingelegt worden ist.

    15

    2.

    Die Revision ist auch insoweit zulässig, als der Kläger mit seinem Revisionsantrag abweichend von dem beim FG gestellten Antrag, den angefochtenen Gewerbesteuermessbescheid 2002 abzuändern, nunmehr dessen Aufhebung beantragt. Zwar darf ein Revisionsantrag nicht über das Klagebegehren hinausgehen. Eine Erweiterung des Klageantrags im Revisionsverfahren ist unzulässig (BFH-Urteil vom 22. Mai 2006 VI R 61/05, BFH/NV 2007, 45). Es ist indessen anerkannt, dass keine Bindung an den Klageantrag gemäß § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO besteht, wenn der BFH zu dem Ergebnis gelangt, der angefochtene Bescheid sei insgesamt rechtswidrig (vgl. BFH-Urteil vom 26. November 2008 X R 20/07, BFHE 223, 330, BStBl II 2009, 388). Es kann deshalb dem Kläger nicht verwehrt sein, mit seinem Revisionsantrag geltend zu machen, ein solcher Ausnahmefall, hier die Unwirksamkeit des Gewerbesteuermessbescheids, liege vor.

    16

    3.

    Der angefochtene Gewerbesteuermessbescheid und die Einspruchsentscheidung sind unwirksam, weil sie an die nicht mehr existierende GbR gerichtet wurden.

    17

    a)

    Ein Verwaltungsakt muss gemäß § 119 Abs. 1 AO inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Er ist nichtig und damit nach § 124 Abs. 3 AO unwirksam, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist (§ 125 Abs. 1 AO).

    18

    aa)

    Ein Verwaltungsakt leidet an schweren und offenkundigen Mängeln und ist deshalb nichtig, wenn er inhaltlich nicht so bestimmt ist, dass ihm hinreichend sicher entnommen werden kann, was von wem verlangt wird. Konstituierender Bestandteil jedes Verwaltungsakts ist daher die Angabe des Inhaltsadressaten, d.h. desjenigen, dem gegenüber der Einzelfall geregelt werden soll (Senatsurteil vom 13. Oktober 2005 IV R 55/04, BFHE 211, 387, BStBl II 2006, 404, unter I.1. der Gründe, m.w.N.). Bei einem Gewerbesteuermessbescheid ist Inhaltsadressat der Steuerschuldner.

    19

    bb)

    Geht das Vermögen einer zweigliedrigen Personengesellschaft beim Ausscheiden eines der beiden Gesellschafter auf den verbleibenden Gesellschafter über, endet die Steuerschuldnerschaft der Gesellschaft, weil diese damit ohne Liquidation vollbeendet wird (Senatsurteil in BFHE 211, 387, BStBl II 2006, 404, unter I.2. der Gründe). Der verbleibende Gesellschafter wird durch Anwachsung (§ 738 Abs. 1 Satz 1 BGB) Gesamtrechtsnachfolger der Gesellschaft. Damit wird er Steuerschuldner (Senatsurteil vom 13. Dezember 2007 IV R 91/05, BFH/NV 2008, 1289, m.w.N.).

    20

    cc)

    Gewerbesteuermessbescheide für die Zeit vor dem Formwechsel sind an den das Unternehmen fortführenden Gesellschafter als Rechtsnachfolger der Gesellschaft zu adressieren (vgl. zuletzt Senatsurteil in BFH/NV 2008, 1289). Ein an den erloschenen und damit nicht mehr existenten Rechtsvorgänger gerichteter Bescheid ist unwirksam. Eine Umdeutung in einen Bescheid gegenüber dem Gesamtrechtsnachfolger kommt auch dann nicht in Betracht, wenn er diesem zugegangen ist und der Gesamtrechtsnachfolger den Inhalt als für sich bestimmt zur Kenntnis genommen hat (Senatsurteil in BFH/NV 2008, 1289).

    21

    b)

    Der angefochtene Gewerbesteuermessbescheid 2002 vom 12. Dezember 2003 und die Einspruchsentscheidung vom 29. Juni 2004 sind an die GbR als Inhaltsadressatin (Steuerschuldnerin) gerichtet. Die GbR war jedoch bereits zum 30. September 2002 vollbeendet, weil es sich um eine zweigliedrige Personengesellschaft handelte und der weitere Gesellschafter --FR-- zu diesem Zeitpunkt ausgeschieden war. Der Kläger war damit Gesamtrechtsnachfolger der GbR geworden, bevor der angefochtene, erstmalige Gewerbesteuermessbescheid 2002 sowie die Einspruchsentscheidung erlassen wurden.

    22

    c)

    Im Streitfall lässt sich der richtige Inhaltsadressat weder dem angefochtenen Gewerbesteuermessbescheid noch der Einspruchsentscheidung im Wege der Auslegung entnehmen.

    23

    aa)

    Ist die Bezeichnung des Inhaltsadressaten nicht eindeutig falsch, sondern mehrdeutig, ist zunächst zu versuchen, durch Auslegung zu klären, wer Inhaltsadressat des Steuerverwaltungsaktes ist (Senatsurteil in BFH/NV 2008, 1289). Der Inhaltsadressat muss nicht zwingend für einen Dritten aus dem Bescheid selbst oder aus beigefügten Unterlagen erkennbar sein; entscheidend ist, ob der Inhaltsadressat durch Auslegung anhand der den Betroffenen bekannten Umstände hinreichend sicher bestimmt werden kann (BFH-Urteil vom 17. November 2005 III R 8/03, BFHE 212, 72, BStBl II 2006, 287, unter II.1.b der Gründe).

    24

    bb)

    Im Streitfall ist die Bezeichnung des Inhaltsadressaten eindeutig falsch. Die nicht mehr existente GbR ist darin ohne jeden Hinweis auf die eingetretene Vollbeendigung als Steuerschuldnerin bezeichnet. Anhaltspunkte, dass damit der Gesamtrechtsnachfolger gemeint sein könnte, liegen nicht vor. Anders als im Urteilsfall in BFHE 211, 387, BStBl II 2006, 404 bei einer vollbeendeten KG verfügte die GbR auch nicht über eine Firma, unter der der Kläger hätte auftreten können oder aufgetreten wäre. Auslegungsspielraum besteht bei dieser Sachlage nicht. Es kommt daher nicht darauf an, ob der Kläger möglicherweise den angefochtenen Bescheid (und die Einspruchsentscheidung) als gegen sich gerichtet angesehen hat.