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  • · Nachricht · Erbschaftsteuergesetz

    Erneute verfassungsrechtliche Prüfung des ErbStG durch das BVerfG

    von Prof. Dr. Gerd Brüggemann, Münster

    | Auch die Empfehlungen des Bunderates zum Entwurf des JStG 2013 haben den BFH nicht davon abgehalten, das ErbStG erneut einer verfassungsrechtlichen Prüfung durch das BVerfG zuzuführen. Die Diskussion um den Sinn und Zweck des ErbStG, der Abschaffung des bestehenden oder der Ausformung eines zukünftigen ErbStG wird dadurch neu entfacht. |

    1. Vorlagebeschluss des BFH vom 27.9.12

    Der BFH hat mit Beschluss vom 27.9.12 (II R 9/11, Abruf-Nr. 123078) dem BVerfG die Frage vorgelegt, ob § 19 Abs. 1 ErbStG i.V. mit §§ 13a und 13b ErbStG wegen Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verfassungswidrig ist. Die im Beschluss dargestellten Verfassungsverstöße führen nach Auffassung des BFH teils für sich allein, teils in ihrer Kumulation zu einer durchgehenden, das gesamte Gesetz erfassenden verfassungswidrigen Fehlbesteuerung, durch die diejenigen Steuerpflichtigen, die die Vergünstigungen nicht beanspruchen könnten, in ihrem Recht auf eine gleichmäßige, der Leistungsfähigkeit entsprechende und folgerichtige Besteuerung verletzt würden.

     

    1.1 Steuersätze der Steuerklasse II für das Jahr 2009

    Der BFH teilt nicht die Ansicht des Klägers, die auf Steuerentstehungszeitpunkte im Jahr 2009 beschränkte Gleichstellung von Personen der Steuerklasse II (Geschwister, Neffen und Nichten) mit Personen der Steuerklasse III (fremde Dritte) sei verfassungswidrig (BFH 27.9.12, a.a.O., Rn. 69 bis 77). Der Gesetzgeber sei von Verfassungs wegen nicht verpflichtet, Erwerber der Steuerklasse II besser zu stellen als Erwerber der Steuerklasse III. Art. 6 Abs. 1 GG beziehe sich nur auf die Familie als Gemeinschaft von Eltern und Kindern, nicht aber auf Familienmitglieder im weiteren Sinn wie etwa Geschwister oder Abkömmlinge von Geschwistern (BFH 27.9.12, a.a.O., Rn. 72).

     

    PRAXISHINWEIS | Verfahrensrechtlich reicht es weiterhin aus, das Jahr 2009 betreffende SchenkSt-Bescheide oder ErbSt-Bescheide, denen die Anwendung der Steuerklasse II mit dem Steuersatz von 30 % oder 50 % zugrunde liegt, ruhen zu lassen und eine Entscheidung des BVerfG hierzu abzuwarten.

    1.2 Steuerbefreiungen gemäß §§ 13a, 13b ErbStG

    Der BFH ist der Auffassung, dass § 19 Abs. 1 ErbStG i.V. mit §§ 13a und 13b ErbStG in der auf den 1.1.09 zurückwirkenden Fassung des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes vom 22.12.09 deshalb gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstoße, weil die in §§ 13a und 13b ErbStG vorgesehenen Steuervergünstigungen in wesentlichen Teilbereichen von großer finanzieller Tragweite über das verfassungsrechtlich gerechtfertigte Maß hinausgingen. Die zusätzlich zu den Freibeträgen des § 16 ErbStG anwendbaren Steuervergünstigungen nach §§ 13a und 13b ErbStG zusammen mit zahlreichen anderen Verschonungen führten dazu, dass die Steuerbefreiung die Regel und die tatsächliche Besteuerung die Ausnahme sei (BFH 27.9.12, a.a.O., Rn. 149 bis 156). Im Einzelnen stützt der BFH seine aus mehr als 172 Textziffern bestehende Vorlage hinsichtlich dieser Fragestellung auf folgende Gesichtspunkte:

     

    • Die weitgehende oder vollständige steuerliche Verschonung des Erwerbs von Betriebsvermögen, land- und forstwirtschaftlichem Vermögen (luf-Vermögen) und Anteilen an Kapitalgesellschaften oder Anteilen daran stellt eine nicht durch ausreichende Gemeinwohlgründe gerechtfertigte und damit verfassungswidrige Überprivilegierung dar (BFH 27.9.12, a.a.O., Rn. 82 bis 94). Es kann nicht unterstellt werden, dass die ErbSt typischerweise die Betriebsfortführung gefährde. Dazu verweist der BFH auch auf die Ergebnisse eines Gutachtens des wissenschaftlichen Beirats beim BMF (Brüggemann, ErbBstg 12, 105).

     

    • Es geht weit über das verfassungsrechtlich Gebotene und Zulässige hinaus, Betriebsvermögen ohne Rücksicht auf den Wert des Erwerbs und die Leistungsfähigkeit des Erwerbers freizustellen, und zwar auch dann, wenn die für eine Erbschaftsteuerzahlung erforderlichen liquiden Mittel vorhanden sind oder - gegebenenfalls im Rahmen einer Stundung der Steuer - ohne Weiteres beschafft werden können (BFH 27.9.12, a.a.O., Rn. 87).

     

    • Der Begünstigungsgrund „Arbeitsplatzerhalt“ erweist sich als nicht tragfähig, weil weit mehr als 90 % aller Betriebe nicht mehr als 20 Beschäftigte hätten (BFH 27.9.12, a.a.O., Rn. 48) und schon deshalb nicht unter die „Arbeitsplatzklausel“ fielen. Außerdem lässt das Gesetz Gestaltungen zu, die es in vielen Fällen auf einfache Art und Weise ermöglichen, dass es für die Gewährung des Verschonungsabschlags auch bei Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten im Ergebnis nicht auf die Entwicklung der Lohnsummen und somit auf die Erhaltung von Arbeitsplätzen in dem Zeitraum nach dem Erwerb ankommt (Beispiel 3 im Beiladungsbeschluss des BFH vom 5.10.11, II R 9/11, ErbBstg 12, 15 ff.).

     

    • §§ 13a und 13b ErbStG weisen ferner einen verfassungswidrigen Begünstigungsüberhang auf (BFH 27.9.12, a.a.O., Rn. 95 bis 142). Sie ermöglichten es Steuerpflichtigen, durch rechtliche Gestaltungen nicht betriebsnotwendiges Vermögen, das den Begünstigungszweck nicht erfüllt, in unbegrenzter Höhe ohne oder mit nur geringer Steuerbelastung zu erwerben. Es unterliegt weitgehend der Dispositionsfreiheit des Erblassers oder Schenkers, Vermögensgegenstände, die ihrer Natur nach im Rahmen der privaten Vermögensverwaltung gehalten werden, zu steuerbegünstigtem Betriebsvermögen zu machen (BFH 27.9.12, a.a.O., Rn. 97, 98). Die Bestimmungen hinsichtlich des Verwaltungsvermögens (§ 13b Abs. 2 ErbStG) sind nicht geeignet, risikobehaftetes und deshalb zu begünstigendes Betriebsvermögen von weitgehend risikolosem und daher nicht begünstigungswürdigem Betriebsvermögen abzugrenzen und widersprechen auch dem Folgerichtigkeitsgebot.

     

    Der BFH greift als Beleg für seine Auffassung die schon im Beiladungsbeschluss vom 5.10.11 (a.a.O.) genannten Beispiele auf und nennt als weiteres Beispiel das Holdingmodell, bei dem der unschädliche Anteil des nicht begünstigungswürdigen Verwaltungsvermögens sowohl bei der Regelverschonung (85 %) als auch bei der Optionsverschonung (100 %) deutlich über 90 % des gesamten Betriebsvermögens betragen kann (BFH 27.9.12, a.a.O., Rn. 104 bis 116 mit Beispielen in Rn. 105 ff. und 113 ff.). Hinsichtlich der „Cash-Gesellschaften“ (Beispiel 2 im Beiladungsbeschluss des BFH vom 5.10.11, a.a.O.) weist er erneut darauf hin, dass Geldforderungen wie etwa Sichteinlagen, Sparanlagen und Festgeldkonten bei Kreditinstituten nicht zum Verwaltungsvermögen gehören, sodass ein Anteil an einer GmbH oder GmbH & Co. KG, deren Vermögen ausschließlich aus solchen Forderungen bestehe, durch freigebige Zuwendung oder von Todes wegen erworben werden könne, ohne dass ErbSt anfalle (BFH 27.9.12, a.a.O., Rn. 117 bis 130).

     

    1.3 Kein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten gemäß § 42 AO

    Bei den Gestaltungen handelt es sich nach Auffassung des BFH nicht um Missbrauch i.S. des § 42 AO, sondern um die Folgen einer verfehlten Gesetzestechnik. Das Ergebnis sei die Nutzung von Gestaltungsmöglichkeiten, die der Gesetzgeber dadurch eröffnet hat, dass er Gesellschaften ausdrücklich nicht allein deshalb von den Steuervergünstigungen nach §§ 13a und 13b ErbStG ausgenommen hat, weil sie lediglich vermögensverwaltend tätig sind. Gegen die Anwendbarkeit des § 42 AO spricht nach Ansicht des BFH auch, dass der Gesetzgeber die Voraussetzungen, unter denen diese Steuervergünstigungen beansprucht werden können und gegebenenfalls rückwirkend entfallen, detailliert geregelt hat. Für die Anwendung der allgemeinen Vorschrift des § 42 AO ist danach kein Raum (§ 42 Abs. 1 S. 2 AO sowie Geck, NZG 12, 93, 94).

     

    Da sich das BMF in seiner Stellungnahme (Beiladungsbeschluss vom 5.10.11, a.a.O.) zu den angesprochenen Gestaltungsmöglichkeiten nicht geäußert und insbesondere nicht ausgeführt habe, dass solche Gestaltungen von der Finanzverwaltung etwa gemäß § 42 AO nicht anerkannt würden, geht der BFH zudem davon aus, dass die Finanzverwaltung derartige Gestaltungen der Besteuerung zugrunde legt oder legen würde. In diesem Zusammenhang verweist er darauf, dass auch der Bundesrat in der Stellungnahme zum Entwurf eines JStG 2013 ersichtlich davon ausgehe, dass keine missbräuchliche Gestaltung i.S. des § 42 AO vorliege, da es andernfalls nicht der geforderten Änderung des § 13b Abs. 2 S. 2 Nr. 4 ErbStG bedurft hätte.

     

    1.4 Verfassungsmäßigkeit der Bewertung der Land- und Forstwirtschaft

    Da der BFH die Tarifvorschrift des § 19 Abs. 1 ErbStG bereits als verfassungswidrig ansieht, weist er nur am Rande auf die verfassungsrechtlich problematische Bewertung des luf-Vermögens hin. Hier stellt sich die Frage, ob die Vorschriften über die Bewertung des luf-Vermögens (§ 12 Abs. 3 ErbStG i.V. mit § 19 Abs. 1 ErbStG, § 151 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BewG, § 157 Abs. 2 BewG, §§ 158 bis 175 BewG) hinsichtlich der Bewertung des Wirtschaftsteils (§ 160 Abs. 2 BewG) den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen, obwohl sowohl das gesetzliche Regelverfahren (§§ 162, 163 BewG, § 165 Abs. 1 BewG) als auch der Mindestwert (§ 162 Abs. 1 S. 4, Abs. 2 BewG i.V. mit § 164 BewG) an einen pauschalierten Ertragswert anknüpfen (BFH 27.9.12, a.a.O., Rn. 170).

    2. Konsequenzen für derzeitige Übertragungen

    Da es trotz der angestrebten Reparaturen durch das JStG 2013 zu einem Vorlagebeschluss gekommen ist, erscheint es unwahrscheinlich, dass sich die Überprüfung durch das BVerfG auf die Beantwortung der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Steuersätze in der Steuerklasse II für 2009 beschränkt. Teilt das BVerfG die Kritik an §§ 13a, 13b ErbStG, könnte es das Gesetz rückwirkend für nichtig oder für mit dem GG unvereinbar erklären. Zur Nichtigkeitserklärung dürfte es aber wohl nicht kommen, da dies faktisch die Anordnung einer Steuerpause bedeuten würde. Selbst wenn die Finanzverwaltung Festsetzungen der ErbSt/SchenkSt wegen des beim BVerfG anhängigen Verfahrens demnächst für vorläufig erklären sollte, werden sich daraus auch im Falle der Nichtigkeit keine nachteiligen Konsequenzen ergeben:

     

    • Änderungen zugunsten des Steuerpflichtigen bleiben aufgrund eines Vorläufigkeitsvermerks in jedem Fall möglich.

     

    • Sollte das BVerfG zur Nichtigerklärung kommen, sind diejenigen, die einen SchenkSt- oder ErbSt-Bescheid erhalten haben, nach § 176 Abs. 1 Nr. 1 AO geschützt, weil dort ausdrücklich festgestellt ist, dass bei einer Änderung oder Aufhebung eines Steuerbescheids zuungunsten des Steuerpflichtigen die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes außer Betracht zu bleiben hat.

     

    • § 176 AO umfasst nach herrschender Meinung sowohl die Fälle des Bescheids unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO) als auch die Fälle, in denen hinsichtlich bestimmter Vorschriften eine vorläufige Steuerfestsetzung erfolgt (§ 165 AO; Daragan, BB 03, 82; a.A. Anzinger/Mittermaier, BB 02, 2355). Auch die Finanzverwaltung hat diese Auffassung bei einer Neufassung des § 176 AEAO zugrundegelegt (BMF 14.1.02, BStBl I 02, 64; AEAO zu § 176 Ziffer 1).

     

    • Nur wenn ein Erbfall oder eine Schenkung erfolgt ist, aber ein Steuerbescheid noch nicht ergangen, ist § 176 AO seinem Wortlaut nach nicht anwendbar, weil es dann nicht um die Änderung oder Aufhebung eines Steuerbescheids geht, sondern um den erstmaligen Erlass eines Steuerbescheids. Auch in diesem Fall muss aber aus Gründen der Gleichbehandlung davon ausgegangen werden, dass eine rückwirkende Behandlung zuungunsten des Steuerpflichtigen nicht möglich ist.

     

    Wenn das BVerfG seiner Linie treu bleibt, wird es - wie in der Vergangenheit - zur Vermeidung einer Steuerpause die Unvereinbarkeit der Bestimmungen mit der Verfassung feststellen und den Gesetzgeber erneut zu einer Reform binnen einer bestimmten Frist auffordern. Davon scheint auch der BFH auszugehen. Er weist nämlich in Rn. 162 (BFH 27.9.12, a.a.O.) darauf hin, dass der Entscheidungserheblichkeit der Frage, ob § 19 Abs. 1 ErbStG verfassungsgemäß ist, nicht entgegensteht, dass das BVerfG bei einer Unvereinbarerklärung die weitere Anwendung des bisherigen Rechts anordnen kann, auch wenn in diesem Fall der Rechtsstreit nicht anders zu entscheiden wäre als bei Verfassungsmäßigkeit der Regelung (BVerfG 7.11.06, 1 BvL 10/02, BStBl II 07, 192, unter B.I.1. und BVerfG 17.4.08, 2 BvL 4/05, BGBl I 08, 1100, unter B.I.).

    Quelle: ID 36697400

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