· Fachbeitrag · Europäischer Gerichtshof
Kapitalverkehrs- und Niederlassungsfreiheit: Steuerbefreiungen bei beschränkter Steuerpflicht
von Prof. Dr. Gerd Brüggemann, Münster
| Art. 56 EG und Art. 58 EG stehen der Bestimmung des § 16 Abs. 2 ErbStG entgegen, soweit diese beschränkt Steuerpflichtigen mit Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat der EU bei der Berechnung der SchenkSt in Deutschland nur einen Freibetrag von 2.000 EUR gewährt, während unbeschränkt Steuerpflichtige in Deutschland einen höheren Freibetrag gemäß § 16 Abs. 1 ErbStG bekommen (EuGH 22.4.10, C 510/08, Mattner, ErbBstg 10, 174 ). Nun hat der EuGH einen Fall entschieden, in dem der beschränkt Steuerpflichtige seinen Wohnsitz nicht in einem EU-Mitgliedsstaat hatte, sondern in der Schweiz ( EuGH 17.10.13, C-181/12, Welte-Schenkel, Abruf-Nr. 133835 ). |
1. Sachverhalt (EuGH vom 17.10.13, a.a.O.)
Die in Deutschland geborene Frau W, die die schweizerische Staatsangehörigkeit angenommen hatte, war mit Herrn W, der ebenfalls die schweizerische Staatsangehörigkeit besaß, verheiratet. Sie verstarb am 27.3.09 in der Schweiz, wo sie mit ihrem Ehemann wohnte. Ihr Ehemann W war ihr einziger Erbe. Frau W war Eigentümerin eines Grundstücks in Düsseldorf mit einem vom FA festgestellten Grundbesitzwert von 329.200 EUR. Frau W hatte auch noch Guthaben von insgesamt 33.689,72 EUR auf Konten bei zwei Banken in Deutschland. Weitere Konten mit Guthaben von insgesamt 169.508,04 EUR hatte sie bei Schweizer Banken. Entgegen dem Begehren des Herrn W gewährte das FA für dessen inländischen Erwerb nicht den persönlichen Freibetrag für Ehegatten von 500.000 EUR (§ 16 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG), sondern lediglich den Freibetrag für beschränkt Steuerpflichtige von 2.000 EUR (§ 16 Abs. 2 ErbStG) und ermittelte die ErbSt für Herrn W wie folgt:
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PRAXISHINWEIS | Da gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG bei beschränkter Steuerpflicht nur inländisches Vermögen i.S. des § 121 BewG der Besteuerung in Deutschland unterworfen wird, konnte das FA lediglich das in Deutschland belegene Grundstück als Erwerb erfassen. Die in Deutschland bestehenden Konten sowie das Auslandsvermögen werden im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht nicht erfasst. |
2. Die Entscheidung des FG Düsseldorf
Herr W vertrat in seiner Klage vor dem FG Düsseldorf unter Hinweis auf das Urteil des EuGH vom 22.4.10 in der Rechtssache Mattner (a.a.O.) die Auffassung, dass die Ungleichbehandlung Gebietsansässiger und Gebietsfremder hinsichtlich der Zahlung der ErbSt gegen die durch den EG-Vertrag gewährleistete Kapitalverkehrsfreiheit verstoße. Das FG Düsseldorf wies aber im Hinblick auf die Vereinbarkeit von § 16 Abs. 2 ErbStG mit den Art. 56 Abs. 1 EG und Art. 58 EG zunächst darauf hin, dass der zu beurteilende Sachverhalt gegenüber der Rechtssache Mattner zwei Besonderheiten aufweise, die nicht Gegenstand der Entscheidung des EuGH waren:
- Zum einen hatten die Erblasserin und Herr W zum Zeitpunkt des Erbfalls ihren Wohnsitz nicht in einem EU-Mitgliedstaat, sondern in einem Drittland.
- Zum anderen gehörten zu dem von Herrn W geerbten Vermögen nicht nur das Grundstück der Erblasserin, sondern auch Guthaben bei deutschen und schweizerischen Banken. Es könnte daher gerechtfertigt sein, Herrn W nicht den Freibetrag von 500.000 EUR, sondern nur den von 2.000 EUR zuzubilligen, da nur ein Teil des in Deutschland befindlichen Nachlassvermögens besteuert worden sei.
Das FG Düsseldorf bezweifelte allerdings ebenfalls, dass diese Argumente die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Ungleichbehandlung rechtfertigen können. Die Gewährung eines Freibetrags von 2.000 EUR geht seiner Ansicht nach über das für eine Gleichbehandlung zwischen Gebietsansässigen und Gebietsfremden Erforderliche hinaus. Im vorliegenden Fall sei nämlich das Grundstück in Düsseldorf, das das in Deutschland besteuerte Nachlassvermögen darstellt, mit 329.200 EUR bewertet worden; einem Betrag, der etwa 62 % des gesamten Nachlasswerts von 532.397,76 EUR ausmacht. Die Nichtbesteuerung von etwa 38 % des Nachlasswerts könne daher kaum als Rechtfertigung für einen Freibetrag von 2.000 EUR statt eines Freibetrags von 500.000 EUR dienen. Das FG Düsseldorf setzte aufgrund dieser Erwägungen das Verfahren aus und legte es dem Gerichtshof zur Vorabentscheidung vor.
3. Die Vorabentscheidung des EuGH
Der EuGH hat nun entschieden, dass Art. 56 EG und Art. 58 EG der Regelung des § 16 Abs. 2 ErbStG beim Erwerb eines im Gebiet dieses Staates belegenen Grundstücks durch Erbanfall auch dann entgegenstehen, wenn der Erblasser und der Erwerber zum Zeitpunkt des Erbfalls ihren Wohnsitz in einem Drittland wie der Schweiz hatten. Maßgeblicher Grund hierfür ist, dass der Freibetrag niedriger ist als der Freibetrag, der zur Anwendung gekommen wäre, wenn zumindest eine dieser beiden Personen zu diesem Zeitpunkt ihren Wohnsitz in dem genannten Mitgliedstaat gehabt hätte.
3.1 Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit
Der EuGH stellt zunächst fest, dass § 16 Abs. 2 ErbStG eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs i.S. von Art. 56 Abs. 1 EG darstellt. Einer solchen Beschränkung steht seiner Ansicht nach auch Art. 57 EG nicht entgegen. Da Art. 57 Abs. 1 EG in seiner erschöpfenden Liste von Kapitalbewegungen, die der Anwendung des Art. 56 Abs. 1 EG entzogen sein können, Erbschaften nicht nennt, kommt der EuGH entgegen der Auffassung der deutschen Regierung als auch der Kommission zu dem Ergebnis, dass „Vermögensanlagen“ in Immobilien wie die im Ausgangsverfahren, die sich auf das Haus der Eltern der Erblasserin beziehen, zu privaten Zwecken getätigt wurden und nicht mit der Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit verbunden sind, nicht in den Anwendungsbereich des Art. 57 Abs. 1 EG fallen.
PRAXISHINWEIS | Gemäß Art. 57 Abs. 1 EG berührt Art. 56 EG nicht die Anwendung derjenigen Beschränkungen auf dritte Länder, die am 31.12.93 aufgrund einzelstaatlicher Rechtsvorschriften oder aufgrund von Rechtsvorschriften der EU für den Kapitalverkehr mit dritten Ländern im Zusammenhang mit Direktinvestitionen einschließlich Anlagen in Immobilien, mit der Niederlassung, der Erbringung von Finanzdienstleistungen oder der Zulassung von Wertpapieren zu den Kapitalmärkten bestanden. |
3.2 Fehlende Rechtfertigung der Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit
Die Beschränkung des freien Kapitalverkehrs sieht der EuGH auch nicht als nach Art. 58 Abs. 1 und 3 EG gerechtfertigt an. Aus der ständigen Rechtsprechung des EuGH ergibt sich hierzu, dass eine nationale Steuerregelung wie die des § 16 Abs. 2 ErbStG - die für die Festsetzung der ErbSt bei einer in dem betroffenen Mitgliedstaat belegenen Immobilie in Bezug auf die Höhe des auf die Bemessungsgrundlage anzuwendenden Freibetrags danach unterscheidet, ob der Erblasser oder Erwerber seinen Wohnsitz in diesem Mitgliedstaat hat oder beide in einem anderen Mitgliedstaat wohnen - nur dann mit den Bestimmungen über den freien Kapitalverkehr vereinbar sein kann, wenn die unterschiedliche Behandlung Situationen betrifft, die
- objektiv nicht miteinander vergleichbar sind,
- durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sind und
- die unterschiedliche Behandlung nicht über das hinausgeht, was zum Erreichen des mit der fraglichen Regelung verfolgten Ziels erforderlich ist.
Entgegen der Argumentation der deutschen Regierung geht der EuGH davon aus, dass es in Bezug auf die Höhe der ErbSt, die für ein in Deutschland belegenes Grundstück anfällt, keinen objektiven Unterschied gibt, der eine unterschiedliche Behandlung der Fallsituation, in der die beteiligten Personen nicht in Deutschland wohnen, und der Fallsituation, in der zumindest eine der beteiligten Personen in diesem Staat wohnt, rechtfertigen kann. Der EuGH betont, dass die Höhe der ErbSt für ein in Deutschland belegenes Grundstück nach dem Wert dieser Immobilie und zugleich nach dem persönlichen Verhältnis zwischen Erblasser und Erben berechnet wird und weder das eine noch das andere dieser beiden Kriterien vom Ort des Wohnsitzes dieser Personen abhängig ist.
Zudem hebt der EuGH hervor, dass nach dem deutschen ErbStG für Zwecke der Ermittlung der ErbSt für in Deutschland belegene Immobilien nur in Bezug auf den Freibetrag eine unterschiedliche Behandlung der Vererbung unter Gebietsfremden und des Erwerbs unter Beteiligung eines Gebietsansässigen erfolgt, während die Bestimmung der Steuerklasse und des Steuersatzes gemäß den §§ 15, 19 ErbStG nach den gleichen Regeln erfolgt. Wenn aber eine deutsche Regelung gebietsfremde Erben, die eine in Deutschland belegene Immobilie von einem gebietsfremden Erblasser erworben haben (einerseits), und gebietsfremde oder gebietsansässige Erben, die eine solche Immobilie von einem gebietsansässigen Erblasser erworben haben, sowie gebietsansässige Erben, die diese Immobilie von einem gebietsfremden Erblasser erworben haben (andererseits), auf die gleiche Stufe stellt, kann sie diese Erben im Rahmen dieser Besteuerung hinsichtlich der Anwendung eines Freibetrags auf die Steuerbemessungsgrundlage für diese Immobilie nicht unterschiedlich behandeln, ohne gegen die Vorgaben des Unionsrechts zu verstoßen.
Indem der nationale Gesetzgeber Erwerbe von Todes wegen durch diese beiden Personengruppen - außer in Bezug auf die Höhe des Freibetrags - gleich behandelt, hat er anerkannt, dass zwischen ihnen im Hinblick auf die Modalitäten und die Voraussetzungen für die Erhebung der ErbSt kein objektiver Situationsunterschied besteht, der eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen könnte. Dieser Wertung steht nach Ansicht des EuGH auch nicht entgegen, dass
- die Bemessungsgrundlage bei der Erbschaft eines gebietsfremden Erben, der in Deutschland beschränkt steuerpflichtig ist, „grundsätzlich“ niedriger ist als die bei einem gebietsansässigen oder gebietsfremden Erben, der in diesem Mitgliedstaat unbeschränkt erbschaftsteuerpflichtig ist;
- der Vorteil der geringeren Steuerbemessungsgrundlage durch den Nachteil eines geringeren Freibetrags ausgeglichen wird, während bei der unbeschränkten Erbschaftsteuerpflicht der Vorteil des höheren Freibetrags durch den Nachteil einer höheren Bemessungsgrundlage ausgeglichen werde;
- die deutsche Steuerverwaltung nicht die Möglichkeit habe, den Nachlass eines Erblassers, der seinen Wohnsitz in der Schweiz habe, sicher zu erfassen.
Im Ergebnis verstößt § 16 Abs. 2 ErbStG somit auch dann gegen Art. 56 EG und Art. 58 EG, wenn die am Erbfall Beteiligten in einem Drittstaat wohnen, sei es nun die Schweiz oder irgendein anderer nicht zur EU oder zum Europäischen Wirtschaftsraum gehörender Staat.
4. Auswirkungen der Entscheidung
Aufgrund der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Mattner hat der Gesetzgeber durch das Gesetz zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften § 2 Abs. 3 ErbStG eingefügt. Dem Erwerber eines an sich nur beschränkt steuerpflichtigen Vermögensanfalls wird damit ein Antragsrecht eingeräumt, insgesamt als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt zu werden (Erlass vom 15.3.12, BStBI I 12, 328).
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Mutter und Kind leben seit mehr als 5 Jahren in den Niederlanden. Die Mutter schenkt der Tochter ein in Deutschland belegenes Einfamilienhaus mit einem Grundbesitzwert von 300.000 EUR.
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Der Gesetzgeber wird diese Regelung überdenken und auch in Drittstaatenfällen zumindest ein Antragsrecht auf Behandlung als unbeschränkt steuerpflichtig gewähren müssen. Dabei sollte er auch überdenken, ob die in § 2 Abs. 3 ErbStG vorgesehene Einbeziehung aller von derselben Person stammenden Erwerbe aufgrund der massiven verfassungs- und europarechtlichen Kritik (Dürrschmidt, IStR 12, 410 und 572; Lüdicke/Schulz, IStR 12, 417) aufrechterhalten werden soll. Die sich auch aufgrund der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Welte-Schenkel aufdrängende Alternative wäre eine Streichung des § 16 Abs. 2 ErbStG und eine damit verbundene gleichmäßige Anwendung des § 16 Abs. 1 ErbStG auch für beschränkt Steuerpflichtige.
5. Abgrenzung zur Niederlassungsfreiheit
Entgegen der Ansicht der Kommission kann nach Auffassung des EuGH ein Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit auch nicht durch das Urteil in der Rechtssache Scheunemann (EuGH 19.7.12, C-31/11, ErbBstg 12, 263, ZEV 12, 618 mit Anmerkung Wachter) infrage gestellt werden. Dort hatte der EuGH entschieden, dass die Nichtgewährung der Begünstigung gemäß §§ 13a, 13b ErbStG für Anteile an einer Kapitalgesellschaft in einem Drittstaat mit dem EU-Recht vereinbar ist. Wenn die Beteiligung ihrem Inhaber ermöglicht, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidung der betreffenden Gesellschaft auszuüben und deren Tätigkeit zu bestimmen, ist nach Auffassung des EuGH vorwiegend die Ausübung der Niederlassungsfreiheit berührt, welche jedoch gegenüber Drittstaaten nicht gelte. Ein Verstoß gegen EU-Recht liege insoweit also nicht vor. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall bestand eine Beteiligung i.H. von 100 % am Gesellschaftskapital.
Aufgrund der Ausführungen des EuGH (19.7.12, a.a.O.) geht die Finanzverwaltung davon aus, dass einem Anteilseigner durch die vom deutschen Gesetzgeber gewählte Mindestbeteiligung von mehr als 25 % die erforderlichen Einflussmöglichkeiten eingeräumt werden (OFD Rheinland 1.10.12, Nr. 005/2012, Sonstige Besitz- und Verkehrssteuern, DStR 13, 813).
Die Rechtssache Welte-Schenkel hingegen betrifft die Auslegung einer Ausnahme vom freien Kapitalverkehr in einer Fallgestaltung, bei der feststeht, dass diese Freiheit anwendbar ist. Dabei sind die im Vertrag anerkannten Grundfreiheiten weit auszulegen, während die Ausnahmen von einer solchen nach Auffassung des EuGH eng auszulegen sind.