· Fachbeitrag · Betriebsvermögen
Kann Antrag auf Vollverschonung über § 165 AO nachgeholt werden?
von WP StB Dipl.-Kfm. Gerrit Grewe, Berlin
| Ein Vorläufigkeitsvermerk nach § 165 AO im Hinblick auf die durch das BVerfG-Urteil vom 17.12.14 (1 BvL 21/12, BStBl 15 II S. 50) angeordnete Verpflichtung zur gesetzlichen Neuregelung eröffnet nicht die Möglichkeit, den Antrag auf Vollverschonung nach § 13a Abs. 8 ErbStG nachzuholen. |
Sachverhalt
Der Kläger K erbte im Jahr 2012 drei Beteiligungen. Da K in der ErbSt-Erklärung keinen Antrag auf Vollverschonung nach § 13a Abs. 8 ErbStG stellte, gewährte das FA für die Beteiligungen nur den Verschonungsabschlag von 85 %. Der Bescheid erging vorläufig „… gemäß § 165 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AO im Hinblick auf die durch das Urteil des BVerfG vom 17.12.14 (1 BvL 21/12, BStBl II 15, 50) angeordnete Verpflichtung zur gesetzlichen Neuregelung in vollem Umfang. Sollte aufgrund der gesetzlichen Neuregelung dieser Steuerbescheid aufzuheben oder zu ändern sein, wird die Aufhebung oder Änderung von Amts wegen vorgenommen.“ Mehrere Monate später beantragte K die Vollverschonung nach § 13a Abs. 8 ErbStG. Das FA lehnte dies ab, da dieser Antrag nur bis zum Eintritt der materiellen Bestandskraft, nicht aber über § 165 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AO gestellt werden könne.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet (FG Münster 14.2.18, 3 K 565/17 Erb, Abruf-Nr. 200977). Zur unwiderruflichen Erklärung der Vollverschonung nach § 13a Abs. 8 ErbStG regelt das Gesetz nicht, bis wann der Erwerber den Antrag auf Vollverschonung stellen kann. In der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 16/11107, S. 10) und in A 17 Abs. 2 S. 2 der gleichlautenden Erlasse vom 25.6.09 (BStBl I 09, 713) heißt es, dass der Erwerber die Erklärung bis zur (formellen) Bestandskraft der Steuerfestsetzung abgeben kann. Nach den ErbStR 2011 kann der Erwerber den Antrag bis zum Eintritt der materiellen Bestandskraft der Festsetzung der ErbSt oder SchenkSt stellen (R E 13a.13 Abs. 2 S. 2 ErbStR 2011, jetzt A 13a.20 Abs. 2 S. 2 AEErbSt).
Nach Auffassung der OFD Karlsruhe eröffnet ein Vorläufigkeitsvermerk nach § 165 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AO dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit, nach Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung einen Antrag auf Vollverschonung zu stellen (Verfügung 7.8.14, S381.2a/50 ‒ St 341 und S033.8/48 ‒ St 311). Demgegenüber sieht das FM NRW über einen solchen Vorläufigkeitsvermerk keine Änderungsbefugnis nach § 165 Abs. 2 AO (Verfügungen vom 24.7. und 25.8.15, S 3812a ‒ 105 ‒ V A 6).
Im Streitfall liegen die Voraussetzungen für eine Änderung der Steuerfestsetzung nicht vor: Änderungen nach § 165 Abs. 2 AO sind nach Art und Umfang nur in dem durch die Vorläufigkeit wirksam gesteckten Rahmen zulässig (BFH 20.11.12, IX R 7/11, BStBl II 13, 359, Rn. 25). Vorliegend ergibt sich aus dem Vorläufigkeitsvermerk klar, dass das FA die Bestandskraft nur für den Fall offenhalten wollte, dass sich die für den Streitfall geltende Rechtslage durch die gesetzliche Neuregelung, die wegen der Entscheidung des BVerfG vom 17.12.14 erforderlich geworden war, ändert. Demnach war die Bestandskraft nicht auch für einen Antrag auf Vollverschonung durchbrochen, da dieser Antrag gerade nicht auf der gesetzlichen Neuregelung, sondern auf dem geltenden Recht basierte. Aus der Auffassung der OFD Karlsruhe würde folgen, dass sämtliche Steuerfestsetzungen mit diesem Vorläufigkeitsvermerk insgesamt ‒ also auch hinsichtlich etwaiger Rechtsfehler in anderen Bereichen des ErbSt-Rechts ‒ offengehalten würden. Dies kann nicht gewollt sein.
Relevanz für die Praxis
Mit Urteil vom 2.3.00 hat der BFH (VI R 48/97, BStBl II 00, 333) entschieden, dass bei einer Änderung nach § 165 Abs. 2 S. 2 AO im Rahmen des Änderungsbetrags auch solche Fehler zu berichtigen sind, die nicht mit dem Grund der Vorläufigkeit zusammenhängen. Verfahrensrechtlich könnte die Vollverschonung gewährt werden, sofern und soweit eine Änderung der ErbSt-Festsetzung durch das FA aufgrund der gesetzlichen Neuregelung erfolgen würde. Im Streitfall hat das FA sogar darauf hingewiesen, dass die Vollverschonung gewährt werden könnte, wenn eine Änderung der Steuerfestsetzung nach § 165 Abs. 2 AO erfolgt oder der Bescheid aus anderen Gründen nach § 164 AO (im Streitfall bereits aufgehoben) oder § 172 ff. AO geändert wird.