· Fachbeitrag · Erbschaftsteuer
Pflegefreibetrag für Pflege des Erblassers
von WP StB Dipl.-Kfm. Gerrit Grewe, Berlin
(BFH 11.9.13, II R 37/12, Abruf-Nr. 133638) |
Sachverhalt
Der Kläger K leistete der Erblasserin E bis zu ihrem Tod Hilfe im Haushalt, bei Botengängen und beim Schriftverkehr, durch Begleitung bei Arztbesuchen und Behördengängen. E wurde ab Juli 2009 bis zu ihrem Tod im Dezember 2009 stationär gepflegt. Seit Mai 2009 war E in Pflegestufe I und seit Juli 2009 in Pflegestufe II eingeordnet. Das FA erkannte nur einen Freibetrag für Pflegeleistungen für die Monate Mai 2009 und Juni 2009 an. Der Pflegefreibetrag sei erst ab Vorliegen der Pflegebedürftigkeit i.S. des SGB XI und nur bis zum Zeitpunkt der vollstationären Pflege zu gewähren.
Nach Ansicht des FG BW (6.7.12, 11 K 4190/11, ErbBstg 13, 150) ist weder Pflegebedürftigkeit noch die Erbringung von Pflegeleistungen i.S. des §§ 14, 15 SGB XI erforderlich. K habe bis zum Tod der E 315 Stunden Pflegeleistungen erbracht. In Anlehnung an vergleichbare Dienstleistungsvergütungen sei ein Stundensatz von 15 EUR angemessen, sodass als Freibetrag 4.725 EUR zu gewähren sei.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist unbegründet. Nach § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG bleibt ein steuerpflichtiger Erwerb bis zu 20.000 EUR steuerfrei, der Personen anfällt, die dem Erblasser unentgeltlich oder gegen unzureichendes Entgelt Pflege oder Unterhalt gewährt haben, soweit das Zugewendete als angemessenes Entgelt zu sehen ist. Der Begriff der Pflege wird in § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG anders als der Begriff der Hilflosigkeit in § 33b Abs. 6 EStG nicht definiert. Für die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG genügt die Veranlassung der Pflege des Erblassers durch dessen Hilfsbedürftigkeit. Pflegebedürftigkeit gemäß § 14 Abs. 1 SGB XI und die Zuordnung einer Pflegestufe nach § 15 Abs. 1 S. 1 SGB XI sind nicht erforderlich. In § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG wird auf die Vorschriften des SGB XI weder verwiesen noch Bezug genommen.
Zu den Pflegeleistungen nach § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG zählen in Anlehnung an § 14 Abs. 4 SGB XI die Unterstützung bei den gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen (Körperpflege, Ernährung, Mobilität, hauswirtschaftliche Versorgung). Dazu gehören weitere, nicht von § 14 Abs. 4 SGB XI erfasste Hilfeleistungen, wie die Erledigung von Botengängen, Schriftverkehr, Besprechungen mit Ärzten, Behördengänge sowie seelische Betreuung. Erforderlich ist nicht, dass die Vertrauensperson als Betreuer nach §§ 1896 ff. BGB bestellt war. Gelegentliche Botengänge oder Besuche, die nicht über ein übliches Maß der zwischenmenschlichen Hilfe hinausgehen, reichen dagegen nicht (Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, § 13 Rn. 98). Die erbrachten Leistungen müssen im allgemeinen Verkehr einen Geldwert haben.
Der Abzug des Pflegefreibetrags nach § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG erfordert, dass der Erwerber die Hilfsbedürftigkeit des Erblassers sowie Art, Dauer, Umfang und Wert der tatsächlich erbrachten Pflegeleistungen schlüssig und glaubhaft darlegt. Im Hinblick auf den Sinn und Zweck der Steuerbefreiung sind jedoch keine übersteigerten Anforderungen an die Nachweisführung zu stellen. So kann mangels gegenteiliger Anhaltspunkte schon bei einem über 80 Jahre alten Menschen von einer Hilfsbedürftigkeit auszugehen sein, ohne dass es hierzu eines Nachweises in Form eines ärztlichen Attests bedarf. Die Versorgung eines Pflegeempfängers in einem Pflegeheim schließt die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG nicht aus. Zur Ermittlung des Werts der erbrachten Pflegeleistungen können die für vergleichbare Leistungen zu zahlenden, üblichen Vergütungssätze entsprechender Berufsgruppen oder gemeinnütziger Vereine herangezogen werden. Bei Erbringung langjähriger, intensiver und umfassender Pflegeleistungen kann der Freibetrag auch vollständig zu gewähren sein, ohne dass es eines Einzelnachweises bedarf.
Praxishinweis
In dem Streitfall vertrat das FA ferner die Ansicht, dass der Wert der Pflegeleistungen anteilig zu kürzen sei, weil der Kläger zu Wohnzwecken vermietete Eigentumswohnungen geerbt hat und die Steuerbefreiung nach § 13c ErbStG zur Anwendung kam. Der BFH lehnte dies ab: Der verminderte Wertansatz eines Grundstücks nach § 13c Abs. 1 ErbStG schließt eine Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG nicht aus. Da nach § 13 Abs. 3 S. 1 ErbStG jede Steuerbefreiungsvorschrift für sich anzuwenden ist, ist dementsprechend auch die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG unabhängig von der Steuerbefreiung nach § 13c ErbStG zu gewähren.
Beim BFH (II R 22/12) ist ein Verfahren anhängig mit der Revisionsfrage, ob der Pflegefreibetrag nach § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG auch von Verwandten in gerader Linie zu berücksichtigen ist. In dem Streitfall pflegten die Eltern ihren Sohn bis zu dessen Tode häuslich. Nach Ansicht des FA stehe der Freibetrag nach § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG nur nicht gesetzlich unterhaltsverpflichteten Erwerbern zu. Eltern seien jedoch nach § 1601 BGB zum Unterhalt verpflichtet.
Weiterführender Hinweis
- Grewe, Berücksichtigung eines Pflegefreibetrags: Pflegeleistung ist nachzuweisen, ErbBstg 13, 8 f.