· Fachbeitrag · Behindertentestament
Kein Wegfall der Hilfebedürftigkeit
Vorerbschaft in Verbindung mit Testamentsvollstreckung ist kein verwertbares und somit anspruchsausschließendes Vermögen des Sozialleistungsbeziehers (LSG Hamburg 13.9.12, L 4 AS 167/10, Abruf-Nr. 123799). |
Sachverhalt
Der Erblasser errichtete ein notarielles Testament, in dem er den Kläger und seine Schwester je zur Hälfte als - von den gesetzlichen Bestimmungen nicht befreite - Vorerben und die beiden Kinder der Schwester als Nacherben einsetzte. Weiterhin ordnete der Erblasser hinsichtlich des Erbteils des Klägers die Testamentsvollstreckung an. Es handelt sich um ein typisches Behindertentestament, da der Kläger (Sohn) psychisch krank und auf Sozialleistungen angewiesen ist. Nach dem Tod des Erblassers wurden weitere Sozialleistungen versagt, da durch den Erbfall die Hilfebedürftigkeit weggefallen sei.
Entscheidungsgründe
Der Erbfall hat nicht zum Wegfall der Hilfebedürftigkeit (§ 9 SGB II) geführt, denn bei der hieraus erlangten Rechtsstellung - Vorerbenschaft i.V. mit Testamentsvollstreckung - handelt es sich nicht um verwertbares und somit anspruchsausschließendes Vermögen. Vermögen ist nur verwertbar, wenn seine Gegenstände verbraucht, übertragen und belastet werden können.
Der Ausschluss der Verwertbarkeit i.S. des § 12 Abs. 1 SGB II ergibt sich nicht aus der Einsetzung des Klägers zum Vorerben, denn auch ein Vorerbe kann nach § 2112 BGB über die zur Erbschaft gehörenden Gegenstände verfügen, soweit sich nicht aus den Vorschriften der §§ 2113 bis 2115 BGB ein anderes ergibt. Ausgeschlossen wird die Verwertbarkeit im Streitfall jedoch durch die Anordnung der Testamentsvollstreckung. Nach § 2211 Abs. 1 BGB kann der Erbe über einen der Verwaltung des Testamentsvollstreckers unterliegenden Nachlassgegenstand nicht verfügen. Deutlich wird diese Beschränkung auch in § 2214 BGB, wonach sich auch Gläubiger des Erben - mit Ausnahme der Nachlassgläubiger - nicht an die der Verwaltung des Testamentsvollstreckers unterliegenden Nachlassgegenstände halten können.
Das Testament ist auch nicht wegen Sittenwidrigkeit nichtig. In der Rechtsprechung ist allgemein anerkannt, dass das Behindertentestament - die Kombination aus Einsetzung zum Vorerben und lebenslanger Testamentsvollstreckung - nicht sittenwidrig ist (bereits BGH 21.3.90, IV ZR 169/89, ZEV 07, 171).
Praxishinweis
Der Kläger brauchte sich auch nicht entgegenhalten zu lassen, dass er es unterlassen hatte, gemäß § 2306 Abs. 1 S. 2 BGB das Erbe als Vorerbe auszuschlagen und stattdessen einen Pflichtteilsanspruch geltend zu machen. Da selbst der Pflichtteilsverzicht eines behinderten Sozialhilfeempfängers nicht sittenwidrig ist (BGH 19.1.11, IV ZR 7/10, ErbBstg 11, 64, Abruf-Nr. 110512), kann dem Kläger nicht vorgeworfen werden, er habe einen möglichen Anspruch auf einen eingeschränkten Pflichtteil nicht realisiert. (GS)