· Fachbeitrag · Gemeinschaftliches Testament
Zur Bindungswirkung und Anfechtbarkeit eines gemeinschaftlichen Testaments
von RA Notar StB Dipl.-Kfm. Gerhard Slabon, FA ErbR, Paderborn
Enthält eine gemeinschaftliche letztwillige Verfügung, in der sich Eheleute gegenseitig als Alleinerben einsetzen, keine weiteren Regelungen und lässt sich ein auf Ausschließung der Wechselbezüglichkeit gerichteter Wille der Eheleute nicht anhand greifbarer Tatsachen feststellen, verbleibt es bei der Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB (OLG Düsseldorf 27.3.14, I-3 Wx 54/13, Abruf-Nr. 141895). |
Sachverhalt
Die Erblasserin und ihr Ehemann errichteten am Anfang 1979 ein gemeinschaftliches Testament, in dem sie sich gegenseitig als Alleinerben einsetzten; Mitte 2007 errichtete die Erblasserin ein weiteres (Einzel-)Testament, in dem es heißt: „Nach meinem Tode erbt Frau IK mein Haus ... sowie die Einrichtung. Wenn mein Mann WS mich überlebt, hat er bis zu seinem Ableben Nutzungsrecht.“ Weiter verfügte die Erblasserin, dass ein Sparguthaben, um dessen Verteilung die IK sich kümmern solle, unter bestimmten Personen gleichmäßig aufzuteilen sei.
Die IK ist die Tochter des WS aus einer früheren Bindung. IK focht das Testament aus Anfang 1979 an, weil die Erblasserin - dies ergebe sich aus den neu errichteten Testamenten aus dem Jahr 2007 - irrtümlich davon ausgegangen sei, dass sie das Ehegattentestament von 1979 ändern dürfe. Der WS hat gestützt auf das Ehegattentestament aus 1979 beantragt, ihm einen Erbschein zu erteilen, der ihn als alleinigen Erben nach der Erblasserin ausweist.
Der Ehemann WS verstarb Ende 2012. Er hatte Mitte 2012 ein notarielles Testament hinterlassen, in dem er zu gleichen Teilen seinen Neffen, seinen Schwager und seinen Betreuer eingesetzt hatte.
Entscheidungsgründe
Der Ehemann WS hatte die Erblasserin aufgrund der im gemeinschaftlichen Testament vom 18.3.79 zu seinen Gunsten enthaltenen bindenden Regelung allein beerbt. Die von der Erblasserin später angeordneten Vermächtnisse sind unwirksam (§ 2271 Abs. 2 S. 1 BGB). Es mag sein, dass die Erblasserin und ihr Ehemann über den im gemeinschaftlichen Testament verbalisierten Regelungsgehalt hinaus den Willen gehabt haben, die Verfügung abänderbar zu gestalten. Eine solche Willensbekundung ist aber weder inner- noch außerhalb des Testaments objektiviert, weshalb es bei der Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB verbleibt, wonach Wechselbezüglichkeit im Zweifel anzunehmen ist, wenn sich die Ehegatten gegenseitig bedenken.
Dies hat zur Folge, dass die Erblasserin daran gehindert war, nach dem gemeinschaftlichen Testament einseitige letztwillige Verfügungen zu treffen, die die Rechte des durch die wechselbezügliche Verfügung Bedachten beeinträchtigen würden. Die seitens der IK erklärte Anfechtung des gemeinschaftlichen Testaments wegen Irrtums über die Unabänderbarkeit der Verfügung mit Blick auf den Wechselbezug (§ 2078 BGB) greift nicht.
Praxishinweis
Es mag schon zweifelhaft sein, ob ein Irrtum über die mit dem Tod des Erstversterbenden eintretende Bindungswirkung bei wechselbezüglichen Verfügungen überhaupt einen zur Anfechtung berechtigenden Inhaltsirrtum darstellen kann (verneinend OLG München 28.3.11, 31 Wx 93/10, NJW-RR 11, 1020). Das kann aber offenbleiben, da vorliegend nichts dafür spricht, dass die Eheleute zum Zeitpunkt der Abfassung des gemeinschaftlichen Testaments irrtümlich davon ausgegangen sind, dieses könne künftig ohne Wissen des Anderen durch einseitige privatschriftliche Verfügung rechtswirksam abgeändert werden. Dies widerspräche der Funktion solcher Testamente.
Die Frage der Wechselbezüglichkeit ist im Testament stets zu regeln. Diesbezüglich sind vielfältige Gestaltungen möglich - von vollständiger Bindung über eine beschränkte Abänderungsmöglichkeit bis hin zur völligen Freistellung des überlebenden Ehegatten.
Insbesondere dann, wenn das gemeinschaftliche Testament Regelungen für den Schlusserbfall vorsieht und hier beispielsweise gemeinschaftliche Abkömmlinge der Ehegatten bedacht werden, sollte das Testament die Frage der Wechselbezüglichkeit eindeutig bestimmen. Ansonsten greift die Auslegungsregelung des § § 2270 Abs. 2 BGB, wonach im Zweifel von Wechselbezüglichkeit auszugehen ist.
Insbesondere bei noch jüngeren Ehegatten mit jungen Kindern, verbietet sich im Grundsatz eine (vollständige) Bindung des überlebenden Ehegatten. Zwar mag es vordergründig als gerecht empfunden werden, wenn die Kinder eines Tages zu gleichen Teilen Erben des länger lebenden Ehegatten werden. Unter Umständen liegt aber zwischen den beiden Todesfällen der Eltern erhebliche Zeiträume, in denen sich die Verhältnisse durchaus ändern können und plötzlich eine „Ungleichbehandlung“ als gerecht empfunden wird oder aus anderen Gründen (Stichwort Behinderten- bzw. Bedürftigentestament) wünschenswert wäre.