· Nachricht · Oberlandesgericht München
Anfechtung der in einem gemeinschaftlichen Testament getroffenen eigenen Verfügungen
| Die Verfügungen des verstorbenen Ehegatten bleiben wirksam, wenn er sie in gleicher Weise getroffen hätte, wenn die angefochtene Verfügung des anderen Ehegatten von vornherein nur den Inhalt gehabt hätte, den sie nach der Anfechtung hat ( OLG München 10.2.15, 31 Wx 427/14 ). |
Der Erblasser und seine Ehefrau setzten sich in einem gemeinschaftlichen Testament aus 1981 gegenseitig zu Alleinerben und ihre beiden Töchter als Schlusserben nach dem Überlebenden ein. Zugunsten einer Enkelin war ein Barvermächtnis angeordnet. Im Jahre 1993 - der Ehemann war zu diesem Zeitpunkt bereits schwer erkrankt - testierten die Eheleute neu. Nun setzten sich die Eheleute gegenseitig als beschränke Vorerben und die Töchter als Nacherben ein. Der Erblasser starb noch im Jahre 1993. Es wurde ein Erbschein erlassen, der die Ehefrau als (nicht befreite) Vorerbin und die beiden gemeinsamen Töchter als Nacherben ausweist.
Im Jahre 2014 adoptierte die Ehefrau ihre Enkelin. Mit der Begründung, sie habe sich zum Zeitpunkt der Errichtung nicht vorstellen können, nach dem Tod ihres Ehemanns durch Adoption einen weiteren pflichtteilsberechtigten Abkömmling zu bekommen, hat die Ehefrau die Anfechtung der gemeinschaftlichen Testamente aus 1981 und aus 1993 erklärt.
Der überlebende Ehegatte kann seine eigenen, in einem gemeinschaftlichen Testament getroffenen wechselbezüglichen Verfügungen wegen Übergehens eines Pflichtteilsberechtigten (§ 2079 BGB) anfechten. Die wirksame Anfechtung der eigenen Verfügungen zieht nach § 2270 Abs. 1 BGB die Nichtigkeit derjenigen Verfügungen des vorverstorbenen Ehegatten nach sich, die mit den erfolgreich angefochteten Verfügungen des überlebenden Ehegatten im Verhältnis der Wechselbezüglichkeit stehen. Das ist für jede in dem gemeinschaftlichen Testament enthaltene Verfügung gesondert zu prüfen. Eine Verfügung, die der verstorbene Ehegatte in gleicher Weise getroffen hätte, wenn die angefochtene Verfügung nur den Inhalt gehabt hätte, den sie nach der Anfechtung hat, bleibt deshalb gültig.
Hier ergibt die Auslegung des Testaments aus 1993, dass der Erblasser seine Ehefrau auch dann zur (nicht befreiten) Vorerbin und seine beiden Töchter zu Nacherben seines Vermögens eingesetzt hätte, wenn er gewusst hätte, dass die Einsetzung der beiden gemeinsamen Töchter zu Nach- bzw. Ersatzerben des Vermögens der Ehefrau wegfallen würde. Der Erblasser war nicht unvermögend; weiter war der Erblasser bei Errichtung des Testaments bereits schwer krank und rechnete damit, zuerst zu versterben. Es habe sichergestellt sein sollen, dass die Ehefrau nach dem Tod ihres Ehemanns ungeschmälert, unverändert und ohne finanzielle Belastung ihr Leben weiter wie gewohnt führen könne. Die Ehefrau führte im Prozess aus, es habe einerseits das Familienvermögen als Gesamtheit für die Nachfolgegenerationen erhalten werden sollen, und andererseits sollte die Ehefrau für den wahrscheinlichen Fall, dass sie ihren kranken Ehemann überlebe, nach dessen Tod gut versorgt sein sollen. Dem Erblasser war somit entscheidend daran gelegen, die ursprüngliche gegenseitige Alleinerbeneinsetzung der Ehegatten dahingehend abzuändern, dass die Ehefrau nur zum (nicht befreiten) Vorerben eingesetzt würde. Auf diese Weise konnte er sicherstellen, dass die Überlebende nicht ohne Zustimmung der Töchter den Grundbesitz veräußern konnte. Zugleich verhinderte die Einsetzung der Töchter als Nacherben das Entstehen von Pflichtteilsansprüchen.
Die gesetzliche Vermutung des § 2270 Abs. 2 BGB greift hier nicht ein, da die individuelle Auslegung zu dem Ergebnis führt, dass der Erblasser seine Verfügung zugunsten seiner Ehefrau und der beiden Töchter nicht davon abhängig machen wollte, dass die Ehefrau ihrerseits die beiden gemeinsamen Töchter zu Erbinnen ihres eigenen Vermögens einsetzen würde.
Entscheidend war also nicht die hypothetische Überlegung, wie der Erblasser testiert hätte, wenn er die Adoption der Enkeltochter durch seine Ehefrau vorhergesehen hätte. Maßgeblich war allein, ob er 1993 seine Verfügungen zugunsten der Ehefrau und der beiden Töchter auch dann so getroffen hätte, wenn seine Ehefrau nicht ihrerseits die gemeinsamen Töchter zu Erbinnen ihres eigenen Vermögens eingesetzt hätte. Es ging der Ehefrau im Streitfall ersichtlich darum, die Beschränkungen der Vor- und Nacherbfolge durch die Anfechtung zu beseitigen. Genau diese Vor- und Nacherbfolge wollte jedoch der Erblasser gesichert sehen, unabhängig vom Willen seiner Ehefrau.