· Fachbeitrag · Testament
Wer erbt? Ergänzende Testamentsauslegung bei unvorhergesehenem Vermögenszuwachs
von RA Notar StB Dipl.-Kfm. Gerhard Slabon, FA ErbR, Paderborn
| Der BGH hatte sich in seinem Beschluss vom 12.7.17 mit der ergänzenden Auslegung eines Testaments befasst, das allein eine gegenständliche Verteilung vorsah. Die Besonderheit des Falls liegt hier darin, dass nach der Testamentserrichtung noch wesentliche Vermögenswerte aus einer unerwarteten Erbschaft hinzugekommen sind. |
Sachverhalt
Die spätere Erblasserin E war kinderlos. Als nächsten Verwandten hatte sie einen Bruder B. In ihrem Testament aus 2007 bestimmte E Folgendes:
- Haus- und Grundbesitz inklusive Einrichtung sollen dem Lebensgefährten L bis an sein Lebensende zur eigenen Nutzung zur Verfügung stehen.
- Nach dem Ableben des L geht das gesamte Objekt an eine Großnichte G der E über.
- Eventuell noch vorhandenes Bar- oder Anlagevermögen sollen für die Beerdigung und die Grabpflege eingesetzt werden.
- Der gesamte Schmuck soll die Schwägerin der E erhalten. Hier hat jedoch der L das Recht des Einbehalts.
Mitte 2015 verstarb ein ehemaliger Kriegskamerad des Vaters der E, der sie zu seiner Alleinerbin bestimmt und ein beträchtliches Vermögen hinterlassen hatte. Ende 2015 verstarb die E. B ist der Auffassung, nach dem Tode seiner Schwester sei gesetzliche Erbfolge eingetreten, während die G meint, testamentarische Erbin geworden zu sein. Beide haben die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der den jeweiligen Antragsteller als Alleinerben ausweist.
Das OLG Düsseldorf hat als Vorinstanz die Auffassung vertreten, die G sei jedenfalls nicht Alleinerbin nach der E geworden. Nach dem Wertverhältnis der zugewandten Gegenstände sei das Testament zwar ursprünglich in diesem Sinne auszulegen gewesen, dass die G Alleinerbin geworden sei, weil sie nach dem Willen der E den im Zeitpunkt der Testamentserrichtung weitaus größten Teil ihres Vermögens erhalten sollte. Allerdings gebe der Vermögenszuwachs Anlass zu einer ergänzenden Testamentsauslegung, die dazu führe, lediglich von einer Teilerbeinsetzung zugunsten der G auszugehen.
Der BGH hat dieses Urteil aufgehoben und zur erneuten Verhandlung zurückgewiesen. Mit der gegebenen Begründung durfte das Beschwerdegericht den Erbscheinsantrag der G nicht zurückweisen.
Entscheidungsgründe
Ob das Testament aufgrund des späteren Vermögenserwerbs dahingehend auszulegen ist, dass die G lediglich als gewillkürte Miterbin anzusehen ist, kann im Rechtsbeschwerdeverfahren nur eingeschränkt überprüft werden (BGH 12.7.17, IV ZB 15/16, Abruf-Nr. 196297). Die Aufgabe der ‒ auch ergänzenden ‒ Testamentsauslegung ist grundsätzlich dem Tatrichter vorbehalten.
Auch wenn man eine Regelungslücke unterstellt, steht nicht fest, ob eine ergänzende Testamentsauslegung eröffnet wäre, weil dies weiter voraussetzt, dass ein hypothetischer Wille der E ermittelt werden kann, anhand dessen die vorhandene Lücke geschlossen werden könnte. Dabei handelt es sich nicht um den mutmaßlichen wirklichen Willen der E, sondern den Willen, den sie vermutlich gehabt hätte, wenn sie die planwidrige Unvollkommenheit der letztwilligen Verfügung im Zeitpunkt der Errichtung erkannt hätte.
Relevanz für die Praxis
Der vorliegende Sachverhalt, bei dem Erblasser rein gegenständlich testiert und die Vermögenszusammensetzung im Erbfall von der im Zeitpunkt der Testamentserrichtung abweicht, ist in der Praxis häufig anzutreffen. Mit der vorliegenden Entscheidung ist bei der Auslegung wie folgt zu verfahren:
- Erbeinsetzung: Zunächst ist zu fragen, ob im Zeitpunkt der Testamentserrichtung trotz der nur gegenständlichen Verteilung eine Erbeinsetzung gewollt war. Dabei greift die Auslegungsregel des § 2087 Abs. 2 BGB (Zuwendung von einzelnen Gegenständen ist im Zweifel keine Erbeinsetzung) dann nicht, wenn der Erblasser durch die Zuweisung von Einzelgegenständen seinen Nachlass erschöpft hat. Weiter muss jedoch für eine (Allein-)Erbeneinsetzung hinzukommen, dass diese Person nach dem Willen des Erblassers auch tatsächlich eine Erbenstellung haben soll. Hier ist maßgeblich darauf abzustellen, ob diese Person den Nachlass regeln und abwickeln soll (Schulden tragen, Beerdigungskosten, Grabpflege, Vermächtniserfüllung).
- Regelungslücke: Steht fest, dass eine Erbeinsetzung gewollt war, ist weiter zu fragen, ob das Testament mit Blick auf den späteren Vermögenszuwachs eine Regelungslücke enthält. Der BGH scheint diese Frage zu verneinen. Er hebt ausdrücklich hervor, dass in den Fällen, in denen trotz der gegenständlichen Verteilung, eine Alleinerbeneinsetzung gewollt war, ein späterer Vermögenszuwachs nicht automatisch eine Lücke bedeutet. Dies scheint insbesondere vor dem Hintergrund richtig zu sein, dass es im Regelfall nicht zweifelhaft ist, dass sich im Falle einer ausdrücklichen Alleinerbeneinsetzung die Erbenstellung selbstverständlich auch auf das Vermögen bezieht, das der Erblasser nach Testamentserrichtung hinzuerwirbt.