· Fachbeitrag · Testamentsauslegung
Enkel macht trotz „Verwirkungsklausel“ nach Mord am Großvater Erbansprüche geltend
von RA und Notar, StB, FA ErbR Dipl.-Kfm. Gerhard Slabon, Paderborn
| Mit einem nicht alltäglichen Sachverhalt hatte sich das OLG Hamm in seinem Beschluss vom 27.1.21 zu beschäftigen. Der Enkel machte ‒ trotz einer im gemeinschaftlichen Ehegattentestament vorgesehenen Pflichtteilsstrafklausel ‒ als Erbe seiner vorverstorbenen Mutter Erbansprüche nach seiner Großmutter geltend. Zuvor hatte er seinen Großvater ermordet. |
Sachverhalt
Die Ehegatten und Großeltern E und F errichteten 1997 ein gemeinsames handschriftliches Testament, in dem sie sich gegenseitig zu Alleinerben einsetzten. In einer weiteren ‒ nahezu inhaltsgleichen ‒ letztwilligen Verfügung bestimmten sie in 2012, „unser Haus Lweg bekommt unsere Tochter T und nach ihrem Tod ihr Sohn ES, das Haus Gstr. bekommt unser Sohn Sn“. Weiter hieß es: „Sollte eines unserer Kinder diesen unseren gemeinsamen letzten Willen nicht anerkennen, bekommt es nur seinen Pflichtteil.“
Anfang 2016 wurde der E von seinem Enkel ES ermordet. Für die Tat wurde dieser zu lebenslanger Haft verurteilt. Ende 2016 verstarb Tochter T. Deren Ehemann forderte im eigenen Namen und im Namen des ES die F auf, den Pflichtteil aufgrund des Erbfalls nach dem Tod des E zu zahlen. Sodann errichtete die F ein notarielles Testament. Darin setzte sie ihren Schwiegersohn, den Ehemann ihrer vorverstorbenen Tochter, zu ihrem Alleinerben ein. Weiterhin ordnete sie Vermächtnisse zugunsten ihres Sohnes und ihres Enkelsohnes an.
Nach dem Tod der F beantragte deren Schwiegersohn einen Alleinerbschein aufgrund des notariellen Testaments aus dem Jahr 2016. Die F sei durch das gemeinschaftliche Testament nicht gehindert gewesen, neu zu testieren, da dieses Testament keine Schlusserbeneinsetzung, sondern nur Vermächtnisse enthalte. Dem trat der S entgegen und beantragte seinerseits einen Alleinerbschein, gestützt auf das gemeinschaftliche Testament von 2012. Dieses sei dahingehend auszulegen, dass die Kinder als Schlusserben eingesetzt werden sollten und die Zuordnung der Immobilien nur eine Teilungsanordnung darstelle. Dieses Testament ist sodann mit dem Tod des Ehemanns bindend geworden. Aufgrund der Pflichtteilsstrafklausel sei der Stamm nach der Tochter von der Schlusserbfolge ausgeschlossen.
Entscheidungsgründe
Dieser Auffassung hat sich das Gericht angeschlossen (OLG Hamm 27.1.21, 10 W 71/20, Abruf-Nr. 221355). In dem Testament aus 1997 sind nicht lediglich Vermächtnisse auf den zweiten Todesfall der Eheleute geregelt; vielmehr handelt es sich um eine Schlusserbeneinsetzung zugunsten der beiden Kinder. Dem steht die Regelung in § 2087 Abs. 2 BGB nicht entgegen. Zwar ist danach im Zweifel nicht anzunehmen, dass der Bedachte Erbe sein soll, wenn ihm nur einzelne Gegenstände zugewendet worden sind. Allerdings geht die individuelle Auslegung der Anwendung der Auslegungsregel des § 2087 Abs. 2 BGB vor.
Hier sind die beiden Immobilien der Eheleute, die deren wesentliches Vermögen darstellten, gegenständlich verteilt worden. In einem solchen Fall ist regelmäßig von einer Erbeinsetzung mit einer Teilungsanordnung auszugehen. Denn es kann nicht angenommen werden, dass der Erblasser seinen gesamten wesentlichen Nachlass verteilt, ohne einen oder mehrere Erben einsetzen zu wollen. Dieses Auslegungsergebnis wird auch durch die in dem gemeinschaftlichen Testament enthaltene Pflichtteilsstrafklausel gestützt. Eine Pflichtteilsstrafklausel ist regelmäßig ein Indiz dafür, dass die pflichtteilsberechtigten Abkömmlinge nach dem Letztversterbenden zu Schlusserben eingesetzt sind, insbesondere dann, wenn es sich ‒ wie hier ‒ um ein privatschriftliches eigenhändiges Testament handelt.
Nachdem der ES anstelle seiner vorverstorbenen Mutter T den Pflichtteil geltend gemacht und damit gegen die Pflichtteilsstrafklausel verstoßen hat, ist er für den Schlusserbfall enterbt. Der Erbteil der vorverstorbenen T ist hier dem S angewachsen. Nach § 2094 Abs. 1 BGB wächst der Erbteil eines Erben, der vor oder nach dem Eintritt des Erbfalls wegfällt, den übrigen Erben an.
Die Schlusserbeneinsetzung ist auch nicht durch das notarielle Testament der Erblasserin von Ende 2016 wirksam widerrufen worden. Das Recht zum Widerruf des gemeinschaftlichen Testaments war mit dem Tod des E bereits erloschen (§ 2271 Abs. 2 BGB). Bei der Schlusserbeneinsetzung handelt es sich um wechselbezügliche Verfügungen beider Ehegatten nach § 2270 Abs. 1 BGB. Denn bei einem sog. Berliner Testament nach § 2269 BGB ist die Einsetzung des Schlusserben durch den Überlebenden im Verhältnis zu seiner Einsetzung als Alleinerben durch den Erstverstorbenen regelmäßig wechselbezüglich. Da die Pflichtteilsstrafklausel die Quoten der Schlusserben regelt, geht sie in der (wechselbezüglichen) „Schlusserbeneinsetzung“ auf. Dass dann das Kind, das den Pflichtteil nicht verlangt hat, Alleinerbe wird, ist Bestandteil der bindend gewordenen Schlusserbeneinsetzung.
Relevanz für die Praxis
Der ES war nicht bereits wegen Erbunwürdigkeit gem. § 2339 BGB von der Erbschaft ausgeschlossen. Die Erbunwürdigkeit führt nicht von selbst zum Verlust des Erbrechts. Dem unwürdigen Erben kann der Erbschaftserwerb nur durch Anfechtungsklage gemäß § 2340 ff. BGB genommen werden.
Interessant war der Einwand des im späteren Testament als Alleinerben benannten Schwiegersohns, die Geltendmachung des Pflichtteils sei im Einvernehmen mit der Erblasserin erfolgt, um den Erbfall steuergünstig zu gestalten. Das Gericht lässt diesen Einwand nicht zu. Enthält das Testament keine ausdrückliche Regelung, bedarf es der Testamentsauslegung im Einzelfall. Vorliegend ließen sich aus der Klausel keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass die Strafklausel in dem Fall, dass der Pflichtteil einvernehmlich mit dem überlebenden Ehegatten verlangt wird, nicht eingreifen soll.
Die einvernehmliche Geltendmachung des Pflichtteils wird gelegentlich auch „Gestaltung kurz vor 12“ genannt. Hierdurch können tatsächlich ungünstige Steuerfolgen abgemildert werden, da die Kinder bei einem reinen Berliner Testament sonst ihre Freibeträge nach dem erstversterbenden Ehegatten nicht nutzen können. Ist allerdings im Testament eine Strafklausel geregelt, ist Vorsicht geboten.