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  • · Fachbeitrag · Testamentsgestaltung

    Ehegattentestament: Bindende Einsetzung eines Schlusserben zugunsten der Kinder?

    von RA und Notar, StB, FA ErbR Dipl.-Kfm. Gerhard Slabon, Paderborn

    | Das OLG Karlsruhe hatte sich in seiner Entscheidung vom 9.12.24 mit einem Ehegattentestament zu beschäftigen, das auf den ersten Blick lediglich eine gegenseitige Vorerbeneinsetzung und eine Nacherbenbestimmung zugunsten der Kinder enthielt. Fraglich war, ob hierin gleichzeitig eine bindende Schlusserbeneinsetzung zugunsten der Kinder angeordnet ist. |

     

    Sachverhalt

    Der spätere Erblasser E errichtete Mitte 1980 zusammen mit seiner ersten Ehefrau ein gemeinschaftliches Testament mit folgendem Wortlaut: „Wir setzen uns gegenseitig zu befreiten Vorerben ein. Nacherben auf das Erbe des Letztverstorbenen sollen unsere Söhne A und M zu je 1/2 sein. Die Nacherbfolge soll eintreten beim Tode des Letztversterbenden.“

     

    Nach dem Tod seiner ersten Ehefrau heiratete der E die F. E und F errichteten 2007 und 2019 weitere Testamente, in denen sie sich jeweils gegenseitig als Alleinerben einsetzten. Sohn M ist kinderlos verstorben.

     

    Nach dem Tod des E beantragte F einen Erbschein, der sie aufgrund gewillkürter Erbfolge als Alleinerbin nach dem E ausweisen sollte. Das Amtsgericht hat den Erbschein antragsgemäß erteilt. Ein Antrag auf Einziehung durch den A wurde abgelehnt. Das Nachlassgericht war davon ausgegangen, dass der Erbeinsetzung der F keine Bindungswirkung aus dem gemeinschaftlichen Testament aus 1980 entgegenstehe. Das gemeinschaftliche Testament aus 1980 enthalte keine Bestimmungen hinsichtlich des Nachlasses des Letztversterbenden. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des A, worauf das OLG Karlsruhe zu dem gegenteiligen Ergebnis kommt.

     

    Entscheidungsgründe

    Der Erbschein ist unrichtig, da die F nicht Alleinerbin nach dem E ist. Ihrer Einsetzung als Alleinerbin in den weiteren gemeinschaftlichen Testamenten steht die Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments aus 1980 entgegen (OLG Karlsruhe 9.12.24, 14 W 87/24 [Wx], Abruf-Nr. 246038). Das OLG meint, die Auslegung des maßgeblichen Testaments beinhalte ‒ neben der Vor- und Nacherbfolge ‒ auch eine Schlusserbeneinsetzung zugunsten der Kinder, die auch wechselbezüglich ist.

     

    Das Testament sei ‒ mangels Eindeutigkeit ‒ auszulegen. Dabei ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften (§ 133 BGB). Der Wortlaut der Verfügung von Todes wegen ist dabei als erster Ansatzpunkt für die Auslegung relevant, wenn dieser auch ‒ mit Blick auf das maßgebliche Ziel der Feststellung des wirklichen Willens  ‒ nicht die Grenze der Auslegung bildet. Entscheidend ist im Ergebnis nicht der Sinn der Worte im allgemeinen Sprachgebrauch, sondern die Bedeutung, die der Erblasser ihnen zumisst (BGH 7.10.92, IV ZR 160/91). Dabei ist insbesondere bei der Auslegung juristisch (scheinbar) eindeutiger Begriffe Vorsicht geboten. Soweit diese von Laien verwendet werden, können sie eine andere Bedeutung aufweisen als ihr juristischer Sinngehalt.

     

    Soweit sich die Eheleute wechselseitig zu „befreiten Vorerben“ eingesetzt haben, spreche zunächst der Wortlaut der letztwilligen Verfügung dafür, dass sich die Eheleute ‒ wenngleich es sich bei diesen um juristische Laien gehandelt hat ‒ darüber im Klaren waren, dass die juristische Bedeutung des Rechtsinstituts der Vor-/Nacherbschaft mit der Trennung der Vermögen der Eheleute in Zusammenhang steht und die Vor-/Nacherbschaft lediglich das Vermögen des Erstversterbenden betrifft.

     

    Darüber hinaus beinhaltet das gemeinschaftliche Testament aus 1980 nach der Auffassung des OLG auch die Erbeinsetzung der gemeinschaftlichen Söhne der Testierenden nach dem Letztversterbenden. Dies schließt das Gericht aus der Wendung: „Nacherben auf das Erbe des Letztverstorbenen sollen unsere Söhne A und M zu je 1/2 sein.“ Diesen Worten lasse sich entnehmen, dass die Eheleute ‒ was für ein gemeinschaftliches Testament zudem typisch ist ‒ auch eine Regelung hinsichtlich der Erbfolge nach dem Letztverstorbenen treffen und sicherstellen wollten, dass die gemeinschaftlichen Kinder das gesamte verbleibende Vermögen beider Ehegatten erhalten. Denn die Worte „das Erbe des Letztversterbenden“ umschreiben das zu vererbende Vermögen des Letztversterbenden, das mit dessen Tod ebenfalls auf die gemeinschaftlichen Söhne übergehen sollte.

     

    Dass einerseits die Verwendung des Begriffes „Nacherben“ bei einer juristischen Betrachtung lediglich hinsichtlich des Vermögens des Erstverstorbenen zutreffend ist, andererseits das Vermögen des Erstverstorbenen nicht zum „Erbe des Letztversterbenden“ zählt, sondern aufgrund des ersten Erbfalls an die gemeinschaftlichen Söhne geht, steht der hier vorgenommenen Auslegung nicht entgegen, sondern belegt lediglich einen juristisch unsauberen Sprachgebrauch, der bei testierenden Laien nicht selten zu beobachten sei.

     

    MERKE | Die Schlusserbeneinsetzung der Kinder ist nach der Auffassung des Gerichts auch wechselbezüglich i. S. v. § 2270 Abs. 1 BGB. Für die vor Anwendung der Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB erforderliche Auslegung nach dem tatsächlichen Willen der Erblasser besteht nach zutreffender Meinung ein Erfahrungssatz, dass ein Ehegatte bei der gegenseitigen Erbeinsetzung seine Kinder beim Tod als Erstversterbender nur enterbt, weil er darauf vertraut, dass das gemeinsame Vermögen beim Tod des Überlebenden auf die gemeinsamen Kinder übergehen wird (vgl. OLG München 1.12.11, 31 Wx 249/10, Rn. 28; Staudinger/Kanzleiter, BGB, Neub. 2019, § 2270 Rn. 26a).

     

    Für den ‒ vorliegend relevanten ‒ Fall der Einsetzung des länger lebenden Ehegatten als befreiten Vorerben, der jedenfalls bei einer Gesamtbefreiung eine mit einem Vollerben in vielerlei Hinsicht vergleichbare Rechtsstellung innehat, gilt nach Auffassung des Gerichts Gleiches.

     

    Wenn sich Ehegatten wechselseitig zu befreiten Vorerben einsetzen, enterben sie ihre als Nacherben vorgesehenen eigenen Kinder ‒ anders als bei einem „klassischen“ Berliner Testament ‒ zwar nicht. Im Hinblick auf die Befreiung von den Beschränkungen eines Vorerben hängt es gleichwohl maßgeblich vom Verhalten des überlebenden Ehegatten ab, ob und inwieweit die Nacherben vom Vermögen des Erstversterbenden noch profitieren werden.

     

    Wer die eigenen Kinder vermögensrechtlich absichern will, für den ersten eigenen Todesfall aber gleichwohl einen umfänglich befreiten Vorerben einsetzt, tut dies ‒ insoweit nicht anders als bei einem klassischen Berliner Testament ‒ im Bewusstsein und Vertrauen darauf, dass wegen der Erbeinsetzung des anderen Ehegatten jedenfalls das zum Zeitpunkt des Ablebens des Letztversterbenden verbliebene gemeinsame Vermögen eines Tages auf die Kinder übergehen wird. Das Gesetz schützt dieses Vertrauen der Eheleute in den Bestand einer solchen Regelung, indem es zu Lebzeiten beider Ehegatten einen einseitigen Widerruf nur in einer besonderen Form gestattet, die sicherstellt, dass der andere Ehegatte von dem Widerruf erfährt (§ 2271 Abs. 1 S. 1, § 2296 Abs. 2 BGB), und indem es nach dem Tod des Erstversterbenden den Widerruf grundsätzlich ausschließt (§ 2271 Abs. 2 S. 1 BGB).

     

    Die Einsetzung der F als Alleinerbin in den weiteren gemeinschaftlichen Testamenten ist nach alledem unwirksam. Mit dem Tode der ersten Ehefrau des E trat die in § 2271 Abs. 2 S. 1 BGB angeordnete erbrechtliche Bindung des überlebenden Erblassers an die wechselbezügliche letztwillige Verfügung zugunsten der gemeinsamen Söhne ein, die ihn hinderte, diese noch wirksam zu widerrufen oder abweichend von ihr letztwillig zu verfügen.

     

    Relevanz für die Praxis

    Da die Eheleute hier mehrere Fachbegriffe um die Vor- und Nacherbfolge verwandt hatten, konnte das Gericht hier nicht von einem klassischen Berliner Testament (Einheitslösung) ausgehen. Vielmehr war tatsächlich von einer Vor- und Nacherbfolge (Trennungslösung) auszugehen.

     

    Gerade Laien übersehen jedoch häufig, dass die Trennungslösung beim Tod eines der Ehegatten zu zwei Vermögensmassen bei dem Überlebenden führt: das Vorerbenvermögen (dies geht aufgrund der angeordneten Vor- und Nacherbfolge beim Tod des Vorerben automatisch auf den bestimmten Nacherben über) und das Eigenvermögen (hierüber kann eine Schlusserbfolge geregelt werden, muss aber nicht).

     

    Beachten Sie | Das OLG Karlsruhe liest hier aus dem Satz „Nacherben auf das Erbe des Letztverstorbenen sollen unsere Söhne A und M zu je 1/2 sein“ eine Schlusserbeneinsetzung heraus. Zwingend ist dies m. E. jedoch nicht. Daher gilt die Empfehlung, die Schlusserbeneinsetzung ‒ und meist damit einhergehend die Wechselbezüglichkeit dieser Schlusserbeneinsetzung ‒ nicht dem Zufall einer Auslegung zu überlassen, sondern diese ausdrücklich zu regeln.

    Quelle: Ausgabe 02 / 2025 | Seite 27 | ID 50285324