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  • 27.09.2010 | Elterliche Sorge

    Gemeinsames Sorgerecht auch für Väter nicht ehelicher Kinder

    von VRiOLG Dieter Büte, Bad Bodenteich/Celle

    1. § 1626a Abs. 1 Nr. 1 und § 1672 Abs. 1 BGB i.d. Fassung des Gesetzes zur Reform des Kindschaftsrechts (KindRG) v. 16.12.97 (BGBl. I, 2942) sind mit Art. 6 Abs. 2 GG unvereinbar.  
    2. Bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung ist § 1626a BGB mit der Maßgabe anzuwenden, dass das FamG den Eltern auf Antrag eines Elternteils die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge gemeinsam überträgt, soweit zu erwarten ist, dass dies dem Kindeswohl entspricht.  
    3. Bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung ist § 1672 BGB mit der Maßgabe anzuwenden, dass das FamG dem Vater auf Antrag eines Elternteils die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge überträgt, soweit eine gemeinsame elterliche Sorge nicht in Betracht kommt und zu erwarten ist, dass dies dem Kindeswohl am besten entspricht.  
    (BVerfG 21.7.10, 1 BvR 420/09, FamRZ 10, 1403, Abruf-Nr. 102487)

     

    Sachverhalt

    Der Beschwerdeführer ist Vater eines 1998 nicht ehelich geborenen Sohnes. Er erkannte die Vaterschaft an. Die Kindesmutter stimmte dem zu. Die Eltern vereinbarten familiengerichtlich ein Umgangsrecht. Nachdem der Kindesvater erfahren hatte, dass die Mutter beabsichtigte, mit dem Kind umzuziehen, hat er beim Familiengericht (AG) die teilweise Entziehung des Sorgerechts sowie die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf ihn selbst begehrt, hilfsweise, ihm das alleinige Sorgerecht zu übertragen oder zur Begründung einer gemeinsamen Sorge die Zustimmung zu seiner Sorgeerklärung zu ersetzen. Mit Beschluss hat das AG die Anträge zurückgewiesen. Die dagegen gelegte Beschwerde hat das OLG als unzulässig verworfen. Eine gegen die amtsgerichtliche Entscheidung erhobene Anhörungsrüge hat das AG zurückgewiesen. Die dagegen vom Kindesvater erhobene Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Beschlusses und zur Zurückverweisung.  

     

    Praxishinweis

    Das BVerfG hat die Rechte nicht ehelicher Väter gestärkt und dabei folgende Merksätze aufgestellt:  

     

    Übersicht: Merksätze des BVerfG zum Sorgerecht bei nicht miteinander verheirateten Eltern
    • § 1626 Abs. 1 Nr. 1 BGB und § 1672 Abs. 1 BGB sind mit Art. 6 Abs. 2 GG unvereinbar. Der Gesetzgeber greift unverhältnismäßig in das Elternrecht des Vaters eines nicht ehelichen Kindes ein. Denn dieser ist generell von der Sorgetragung für sein Kind ausgeschlossen, wenn die Mutter ihre Zustimmung zur gemeinsamen Sorge mit dem Vater oder zu dessen Alleinsorge für das Kind verweigert. Er kann nicht gerichtlich prüfen lassen, ob er aus Gründen des Kindeswohls an der elterlichen Sorge zu beteiligen, oder ihm die Alleinsorge für das Kind zu übertragen ist.

     

    • Das Elternrecht des Vaters eines nicht ehelichen Kindes wird aber nicht dadurch verletzt, dass das Kind nach § 1626a Abs. 2 BGB zunächst rechtlich allein der Mutter zugeordnet ist und sie die Personensorge dafür erhält. Denn die Mutter ist die einzig sichere Bezugsperson, die das Kind bei der Geburt hat und die als Elternteil feststeht, § 1591 BGB. Um sicherzustellen, dass für das Kind vom ersten Lebenstag an tatsächlich und rechtlich Verantwortung getragen werden kann, ist es gerechtfertigt, den Vater zunächst an der Sorge nicht teilhaben zu lassen.

     

    • Art. 6 Abs. 2 GG gebietet es auch nicht, Väter nicht ehelicher Kinder generell mit Anerkennung ihrer Vaterschaft (§§ 1594 ff. BGB) kraft Gesetzes das Sorgerecht für ihr Kind gemeinsam mit der Mutter zuzuerkennen. Mit dem Erfordernis der mütterlichen Zustimmung als Voraussetzung für den Zugang des Vaters verfolgt der Gesetzgeber ein legitimes Ziel. Es soll eine Kindeswohlgefährdung vermieden werden, die bei einer gemeinsamen Sorge aufgrund fehlenden Konsenses der Eltern oder bei Übertragung der Alleinsorge auf den Vater gegen den Willen der Mutter durch Beeinträchtigung der Mutter-Kind-Beziehung eintreten kann. Die gemeinsame Verantwortung für ein Kind erfordert ein Mindestmaß an Übereinstimmung. Fehlt es daran und sind die Eltern zur Kooperation weder bereit noch in der Lage, kann eine gemeinsame Sorge für das Kind dem Kindeswohl zuwiderlaufen. Tragen die Eltern ihren Konflikt auf dem Rücken des Kindes aus, kann das Kind in seiner Beziehungsfähigkeit beeinträchtigt und in seiner Entwicklung gefährdet werden.

     

    • § 1626a Abs. 1 Nr. 1 und § 1672 Abs. 1 BGB sind generell geeignet, das Kindeswohl zu wahren und eine Kindeswohlgefährdung zu verhindern. Allerdings setzt der Gesetzgeber mit der Abhängigmachung der Beteiligung des Vaters an der gemeinsamen Sorge vom Willen der Mutter das Elternrecht des Vaters unverhältnismäßig generell hinter das der Mutter zurück, ohne dass dies durch das Kindeswohl geboten ist. Zwar können Gerichtsverfahren temporär das Kind zusätzlich belasten. Die Klärung der Sorgerechtsfrage dient jedoch gerade dem Wohl des Kindes. Nur dieses vermag es zu rechtfertigen, einen Elternteil von der Sorge des Kindes auszuschließen.

     

    • § 1672 Abs. 1 BGB macht ebenfalls die Übertragung der Alleinsorge für ein nicht eheliches Kind auf den Vater von der Zustimmung der Mutter abhängig. Fehlt diese, kann der Vater auch hier nicht gerichtlich überprüfen lassen, ob eine Sorgetragung durch ihn dem Kindeswohl zuträglicher sein kann als die Sorgetragung durch die Mutter. Dieser generelle Ausschluss des Zugangs zur elterlichen Sorge stellt ebenfalls einen schwerwiegenden Eingriff in das Elternrecht dar.

     

    • § 1626a Abs. 1 Nr. 1, § 1672 Abs. 1 BGB werden nicht für nichtig erklärt. Sie sind allerdings auch nicht weiter anwendbar. § 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB ist vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EuGHMR) für unvereinbar mit der Europäischen Menschenrechtskonvention erklärt worden, Art. 14 i.V.m. Art. 8 EMRK. Daher ist es zur vorübergehenden Sicherstellung eines verfassungs- und konventionsgemäßen Zustands angezeigt, eine Übergangsregelung zu treffen:

     

    • Insoweit bietet es sich an, § 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB dahin zu ergänzen, dass das FamG den Eltern auf Antrag eines Elternteils die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge gemeinsam überträgt, soweit zu erwarten ist, dass dies dem Kindeswohl entspricht.

     

    • In Hinblick auf den ebenfalls verfassungswidrigen § 1672 Abs. 1 BGB ist eine Anlehnung an § 1671 BGB sinnvoll. Danach soll die Übertragung der Alleinsorge nur vorzunehmen sein, wenn die Voraussetzungen für eine gemeinsame Sorge der Eltern nicht mehr bestehen und zugleich die Begründung einer gemeinsamen Sorge bei bisher bestehender Alleinsorge der Mutter deren Elternrecht weniger beeinträchtigt als der vollständige Wechsel des Sorgerechts von ihr auf den Vater. § 1672 Abs. 1 BGB ist bis zum Inkrafttreten einer Neuregelung dahin zu ergänzen, dass das FamG dem Vater auf Antrag eines Elternteils die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge überträgt, soweit eine gemeinsame elterliche Sorge nicht in Betracht kommt und zu erwarten ist, dass dies dem Kindeswohl am besten entspricht.

     

    • Angesichts der vom Gesetzgeber signalisierten gesetzlichen Neuregelung wird dem Gesetzgeber keine Frist dafür gesetzt.