01.04.2007 | PKH
Erfolgsaussicht der Verteidigung gegen eine Klage bei gesteigerter Unterhaltspflicht
1. Die Beschlüsse des AG Königs Wusterhausen vom 10.5.06 und 19.6.06, 11 F 40/06 – und der Beschluss des Brandenburgischen OLG vom 10.7.06, 15 WF 288/06, verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG. Der Beschluss des OLG wird aufgehoben. Die Sache wird an das Brandenburgische OLG zurückverwiesen. |
2. Das Land Brandenburg hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu ersetzen. |
(BVerfG 14.12.06, 1 BvR 2236/06, FamRZ 07, 273, Abruf-Nr. 070936) |
Sachverhalt
Der Beschwerdeführer ist Vater einer Tochter, die bei der Kindesmutter lebt. Er ist darüber hinaus Vater eines später geborenen Sohnes, mit dem und mit dessen Mutter er zusammen lebt. Der Beschwerdeführer ist gelernter Koch, in diesem Beruf jedoch berufsunfähig und zu 30 Prozent schwer behindert. Nach jahrelanger Arbeitslosigkeit hat er eine Arbeitsstelle als Lagerist ca. 40 km von seinem Wohnort entfernt angenommen. Bei vollschichtiger Tätigkeit und am Samstag geleisteter Überstunden beträgt das Nettogehalt etwa 1.260 EUR monatlich. Die Arbeit beginnt morgens um 5 Uhr, die monatlichen Fahrtkosten belaufen sich auf knapp 400 EUR. Der Beschwerdeführer wohnt im eigenen Haus, die Kreditkosten sind niedriger als Mietkosten für vergleichbaren Wohnraum. Er zahlt freiwillig monatlichen Unterhalt von 153,39 EUR. Mit Beschluss v. 10.5.06 hat das AG Königs Wusterhausen seinen PKH-Antrag zur Verteidigung gegen die auf Zahlung des Regelunterhalts von 100 Prozent gerichtete Klage zurückgewiesen. Auch seine sofortige Beschwerde blieb erfolglos.
Entscheidungsgründe
Die Gerichte haben die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverteidigung überspannt und damit dem Zweck der PKH, dem Unbemittelten den weitgehend gleichen Zugang zum Gericht zu ermöglichen, verfehlt. Zwar ist es nicht zu beanstanden, nicht nur die tatsächlichen, sondern auch fiktiv erzielbare Einkünfte zu berücksichtigen. Grundvoraussetzung eines jeden Unterhaltsanspruchs ist jedoch die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen. Sofern der ausgeurteilte Unterhalt die Grenze des Zumutbaren überschreitet, ist die Beschränkung der Dispositionsfreiheit im finanziellen Bereich nicht mehr Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung und verstößt gegen Art. 2 Abs. 1 GG.
Die Würdigung, der Beschwerdeführer müsse auch nach Annahme einer vollschichtigen Tätigkeit nebst Überstunden noch weitere Erwerbsbemühungen entfalten, um eine andere Arbeitsstelle mit höherer Entlohnung zu finden, ist nicht haltbar. Dasselbe gilt für die Forderung, dass er verpflichtet sei, sich bundes- oder gar europaweit zu bewerben. Dies stellt eine pauschalierende Feststellung dar, die weder dem Charakter des PKH-Verfahrens noch den besonderen Umständen des Einzelfalls gerecht wird. Insoweit wurde nicht hinreichend gewürdigt, dass der Beschwerdeführer über längere Jahre hinweg arbeitslos gewesen ist. Angesichts des weiten Anfahrtswegs und der zeitlich ungünstigen Arbeitsbedingungen bedarf es einer besonderen Begründung, dass er eine gleiche oder besser dotierte Arbeitsstelle finden kann.
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